Iroschottische Christen

Iroschottische Christen
Keltisches Kreuz in Knock, Irland

Die Iroschottischen Christen sind eine keltisch geprägte vorkirchliche Gemeinde im Irland und Schottland, die im 3. bis 5. Jahrhundert entstanden und erst während des 12. Jahrhunderts (anglo-normannische Eroberung Irlands) schrittweise die Organisationsform der römisch-katholischen Kirche annahm.

Der Begriff lässt sich auf den irischen Stamm der Scoten zurückführen, der sich vom 3. bis 5. Jahrhundert auf beiden Seiten der Irischen See ausbreitete. Auf lateinisch hieß Irland "Scotia Major". Entsprechend werden diese eigenständigen Gemeinden als "iro-schottisch" bezeichnet.

Irland war in Europa insofern eine Ausnahme, als es in der Antike christianisiert wurde, ohne je Teil des römischen Reichs gewesen zu sein. Ebenso war es, im Gegensatz zum übrigen Europa, von der Völkerwanderung nicht betroffen. Diese Faktoren trugen wesentlich zu der Ausprägung des keltischen Christentums bei.

Das keltische Christentum war kaum in Kommunion mit der damaligen katholisch-orthodoxen Kirche. Von den damaligen häretischen Bewegungen gelangten der Quartodecimanismus und der Pelagianismus in die Region.

Inhaltsverzeichnis

Wesenszüge

Das keltische Christentum weist viele Wesenszüge des vornizäanischen Christentums auf, es dürfte näher mit den Ostkirchen, (der heutigen orthodoxen Kirche) als mit der römischen Westkirche verwandt gewesen sein.

Die Beschreibungen der Einzelheiten variieren von Quelle zu Quelle. Wesenszüge des keltischen Christentums, die häufig aufgeführt werden, sind:

  • Das keltische Christentum war keine organisierte Kirche.
  • Das keltische Christentum kannte keine Hierarchie von Patriarchen und Metropoliten.
  • Der Schwerpunkt des keltischen Christentums lag im Mönchswesen, die geistliche Autorität lag bei den Äbten der Klöster.
  • Die keltischen Klöster legten großen Wert auf das Bibelstudium, Irland bekam den Ruf der „Insel der Heiligen und Gelehrten“. Karl der Große lud aus diesem Grund viele irische Gelehrte an seinen Hof.
  • Bischöfe hatten keine Diözesen, es konnte an einem Ort mehrere Bischöfe geben, und die Weihe wurde von einem Bischof vollzogen, nicht von dreien wie in der orthodoxen und katholischen Kirche üblich.
  • Priester mussten Steuern zahlen und Militärdienst leisten und waren der weltlichen Justiz unterstellt.
  • Es gab keinen Zehnt, die Klöster und Priester wurde durch Spenden der Clans unterhalten.
  • Das keltische Christentum berechnete den Termin für Ostern nach einer vor dem ersten Konzil von Nicäa üblichen Methode.
  • Das keltische Christentum hatte die transverse Tonsur, bei der die Vorderhälfte des Kopfes geschoren wurde.
  • Die Taufe wurde vermutlich durch Untertauchen und ohne Salbung, aber mit nachträglicher Fußwaschung vollzogen.
  • Das keltische Kreuz, bei dem dem Kreuz ein Kreis unterlagert ist, ist bis heute in den keltischen aber auch in nordischen Ländern üblich.
  • Kirchen und Klöster wurden nicht nach verstorbenen Heiligen, sondern nach lebenden, weltlichen Stiftern benannt.
  • Das Wandermönchtum. Die Peregrinatio der Mönche, das Verlassen der Heimat als asketische Übung. Es gab das „Grüne Martyrium“, das „Weiße Martyrium“ und das „Rote Martyrium“. Beim grünen Weg wurde ein einsamer Ort im eigenen Land aufgesucht, beim weißen Weg verließ der Mönch als Missionar seine Heimat, beim roten Weg suchte er bewusst einen Ort auf, wo er wahrscheinlich mit kriegerischen Heiden zusammenstoßen würde.

Verbreitung

Entstanden ist das Christentum keltischer Ausprägung in Ansätzen vermutlich schon im 4. Jahrhundert. Als sich die Römer aus Britannien zurückzogen, hatte das Christentum dort Fuß gefasst. Das keltische Christentum hatte Verbindungen zum Nordwesten Frankreichs. Im Jahr 431 schickt Papst Coelestin I. den Palladius als Missionar nach Irland. Ihm folgt der Britannier Patricius, den die Iren Patrick nennen.

Das keltische, iro-schottische, vom Papsttum unabhängige Christentum umfasste neben Irland auch die britischen Inseln, wo es in England bis 664 (Synode von Whitby), in Wales bis zum 9. Jahrhundert und in Schottland bis zum 12. Jahrhundert existierte.

Von starkem Sendungsbewusstsein geprägte irische Mönche hatten bereits im 5. Jahrhundert in Schottland und England missioniert und Iro-schottische Klöster errichtet. Ihre Missionare brachten das Christentum keltischer Prägung auf das Festland bis in die heutige Schweiz, nach Italien und Galicien, nach Island und zu den Färöern.

In Frankreich, Belgien, Luxemburg, Deutschland, Österreich, der Schweiz waren Lumieges, Peronne, Laon, Auxerne, Luxeuil, Lüttich, Echternach, Köln, Trier, Fulda, Amöneburg, Würzburg, Regensburg, Rheinau, Reichenau, Salzburg, Wien, St. Gallen und in Italien Bobbio, Friesolo und Lucca die wichtigsten Stätten der iro-schottischen Mission. Sie begann im heutigen deutschsprachigen Raum bereits 563 in St. Gallen. Nach heutigem Kenntnisstand wurden die ersten Stützpunkte und damit Kirchen und Kapellen in Deutschland (zum Beispiel Würzburg sowie Büraburg und Amöneburg im von Chatten besiedelten Hessen) seit Beginn des 7. Jahrhunderts von iro-schottischen Mönchen gegründet.

Es gab eine Anweisung Papst Gregors des Großen aus dem Jahr 601 an die Missionare, nach der sie bei ihrer Mission die beim Volk verehrten alten heidnischen heiligen Stätten schonen sollten. Man solle diese Orte mit Weihwasser besprengen, dort Altäre aufstellen, Kapellen errichten und Reliquien hineinlegen. Damit drängt sich der Gedanke auf, dass alte Kapellen oder Kirchen (auf Bergen, an Felsen oder Quellen) genau den Standpunkt einnehmen, an denen einst die heidnischen Kulte ihre Heimstatt hatten.

Das keltische Christentum des Kontinents wurde im 8. Jahrhundert durch die effizientere Organisation der römischen Kirche, sowohl in England als auch auf dem Kontinent, insbesondere in Deutschland durch Bonifatius im Auftrag des Papstes zurückgedrängt. Er organisierte die Kirche neu nach römischem Vorbild und schuf neue Bistümer, unter anderem reorganisierte und erweiterte er das Mainz.

Auf der Synode von Whitby übernahm die englische Kirche das Osterdatum von Nizäa und die römische Liturgie. In der Bretagne wurde die Regel des Columban erst im 9. Jahrhundert durch die benediktinische Regel ersetzt.

Die iro-schottische Prägung wurde zu Beginn des 12. Jahrhunderts (Synode von Rathbreasil) suksessiv angepasst und 1172 beendet, als nach der Eroberung Irlands durch Heinrich II. die Synode von Cashel 1111 das keltische Christentum unter das römische System brachte.

Die Bedeutung der keltischen Kirche für die festlandseuropäische Kulturgeschichte

Johannes Scotus Erigena

Neben der religiösen Bedeutung der iro-schottischen Mission für das europäische Festland darf ihr Einfluss auf Kunst und Philosophie dieses Gebietes nicht außer Acht gelassen werden.

Die irischen Klöster, die durch die Völkerwanderungswirren nicht zerstört wurden, bewahrten viele antike Handschriften. Sie hatten schon im 7. Jahrhundert eine hoch entwickelte Buchmalerei, aus der z.B. das Book of Lindisfarne und das Book of Kells hervorgingen. Durch die iroschottische Mission verbreiteten sich diese Kunst und die Texte zu den Klöstern auf dem Festland, wo dann die Scriptorien der Klöster Luxeuil und Corbie bereits im 8. Jahrhundert einen hohen Ruf genossen. Diese Scriptorien bildeten eine der Basen für die karolingische Renaissance.

Alkuin war ein wesentlicher Vermittler der in Irland und England bewahrten lateinischen Bildung ins Frankenreich. Zu nennen sind auch die philosophischen Werke des Johannes Scotus Eriugena.

Der kulturelle Einfluss der „Schottenklöster“, die in Wirklichkeit mit irischen Mönchen besetzt waren, z.B. für Würzburg, Regensburg oder Wien, zeigt sich heute noch in der Arbeit von deutsch-irischen Freundschaftsgesellschaften. Das in diesem Zusammenhang bedeutendste Kunstwerk ist wohl das „Schottenportal“ der Regensburger Schottenkirche mit seinen 144 Figuren, die sich um Maria (oder das apokalyptische Weib?) und den Antichristen gruppieren.

Der sprachliche Einfluss der keltischen bzw. iro-schottischen Mission spiegelt sich auch in der in Süddeutschland – dem Missionsgebiet der keltischen Mönche – bis heute üblichen Grußformel des „Grüß Gott“. Dabei handelt es sich um eine Lehnübersetzung des in Irland bis heute üblichen Grußes „Dia dhuit“ (Aussprache je nach irischem Dialekt „dia dit“ oder auch „dia gitsch“): „Gott sei mit dir!“

Wiederbelebungsversuche

Heutige Religionsgemeinschaften, die sich auf die keltische Kirche beziehen, wie die „Celtic Orthodox Church“ oder die „Celtic Catholic Church“, sind Neugründungen. Sie sind hauptsächlich auf den britischen Inseln, in Frankreich und Nordamerika aktiv.

Elemente des "keltischen Christentums" finden sich heutzutage auch in vielen ökumenisch orientierten Religionsgemeinschaften wie der Iona Community wieder.

Heilige

Bedeutende Personen, die zum keltischen Christentum gehören, sind unter anderem:

Siehe auch

Literatur

  • Herm, Gerhard: Die Kelten, Econ-Verlag Düsseldorf und Wien, 1975, ISBN 3-430-14453-1
  • von Padberg, Lutz E.: Christianisierung im Mittelalter, Hrsg. WBG Darmstadt, Lizenzausbage K. Theiss Verlag Stuttgart, 2006; ISBN 3-8062-2006-9
  • Zimmer, Stefan: Die Kelten – Mythos und Wirklichkeit, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 2004; ISBN 3-8062-1908-7

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