Justitia (Spitzweg)

Justitia (Spitzweg)
 
Justitia oder Die Gerechtigkeit wacht
Carl Spitzweg, um 1857
Öl auf Leinwand, 49 cm × 27 cm

Justitia, Fiat Justitia, Auf der Lauer oder Die Gerechtigkeit wacht ist ein Gemälde von Carl Spitzweg, das eine bewegte Geschichte hat.

Inhaltsverzeichnis

Beschreibung

Das hochformatige Ölgemälde aus der Zeit um 1857 zeigt eine Statue der Justitia auf einem Sockel, der gleichzeitig den Eckpfeiler eines Treppengeländers bildet. Die frontal dem Betrachter zugekehrte Statue, die sich im linken Drittel und der oberen Hälfte des Bildes befindet, weist mit der Augenbinde und der Waagschale in der linken, dem Schwert in der rechten Hand sowie dem klassischen langen Gewand die üblichen Attribute der personifizierten Gerechtigkeit auf. Der helle bräunliche Stein, aus dem sie gefertigt scheint, wird offenbar von links oben von der Sonne beleuchtet. An dem gelblichen Gebäude, das sich hinter dem Treppenabsatz befindet und einen großen Teil des Bildhintergrundes einnimmt, ist der Schattenwurf architektonischer Elemente zu sehen: Ganz links zeichnet sich offenbar die Silhouette eines Säulenteils mit Kapitell ab. Vom oberen Ende des Säulenschattens fällt eine Linie schräg nach rechts ab, oberhalb derer sich die Wand im Schatten befindet, während der untere Teil besonnt ist. Die Teilung in Licht- und Schattenbereiche der Wand verläuft hinter der Statue etwa auf deren Brusthöhe und an der Gebäudeecke rechts auf Kopfhöhe einer menschlichen Gestalt, die hinter dieser Ecke steht und nur teilweise zu sehen ist. Zu erkennen ist ein hoher Helm mit Federschmuck, ein offenbar uniformierter Teil des Oberkörpers und die Spitze eines Degens oder Stockes sowie eine Fußspitze, woraus sich schließen lässt, dass diese Person wohl zur Bewachnung des Gebäudes dort Posten gefasst hat. Sie steht im Schatten auf einer steinbelegten Fläche in der Höhe des Treppenabsatzes. Am rechten Bildrand ist ein weiteres Geländer zu erkennen, dessen Neigung deutlich macht, dass sich auch auf der anderen Seite des Gebäudes eine Treppe befindet, die abwärts führt. Den Hintergrund auf der rechten Seite des Gemäldes bildet städtische Architektur unter einem grünlich durchleuchteten Himmel. An dem bewachten und mit Treppen und Statue versehenen Gebäude befindet sich eine Laterne, die in Höhe des Oberkörpers der Justitia angebracht ist. Sie ist nicht erleuchtet. Hinter den Unterschenkeln der Justitia ist ein dunkelbrauner Aushängekasten oder ein Anschlagbrett an der Wand des Hauses angebracht, in oder auf dem ein beschriebenes Blatt Papier zu sehen ist. Das Geländer, in dessen Eckbiegung der Sockel der Justitia integriert ist, gehört zu einer Treppe, die links von der Statue weiter nach oben zu führen scheint und rechts im Vordergrund drei Stufen zeigt, die parallel zum unteren Bildrand liegen, also aus der Perspektive des Bildbetrachters gesehen geradeaus zu der Ebene hinaufführen, auf der der Wächter steht und von der aus der Aushang zu lesen wäre. Unterhalb dieser drei Stufen, in der rechten unteren Ecke des Bildes, ist wieder ein Absatz zu erkennen, zu dem offenbar eine weitere Treppe von links unten heraufführt. Diese ist jedoch nur durch eine einzelne Stufe am unteren Ende des Geländers, dessen Abschluss dem Betrachter des Bildes zugekehrt ist, angedeutet. Bewachsenes Mauerwerk unterhalb der Geländerteile in der linken unteren Ecke des Gemäldes deutet ebenfalls an, dass links unten ein weiterer Niveauunterschied in dem Gelände, auf dem das Haus gebaut ist, anzunehmen ist. Dieser linke untere Teil des Bildes weist dunkle bräunliche Farbtöne auf, während der Absatz und die Treppenstufen auf der rechten Seite, die weitgehend besonnt sind, helle, eher ockerfarbene Töne zeigen.

Rezeption

Im Jahr 2002 übernahm der Maler Wolfgang Rose die Komposition des Bildes, stellte aber statt der Justitia die Malerin Gina LaFemme auf den Sockel und malte sich selbst in Polizistenuniform an die Stelle des Wächters.[1]

Geschichte des Gemäldes

Spitzwegs Justitia geriet im Jahr 2007 ins Licht der Öffentlichkeit, als am 23. Februar die Deutsche Presseagentur meldete, dass das Bundesfinanzministerium der Rückgabe an die Erben des früheren Besitzers Leo Bendel zugestimmt hatte. Bendel, der aus Strzyżów in Polen stammte, war wahrscheinlich ausgebildeter Kaufmann und in der Tabakbranche tätig. Spätestens ab 1915 lebte er in Berlin. Er gelangte als Generalvertreter der Berliner Tabakwarenfabrik Ermeler und der Zigarettenpapierfirma Job zu Wohlstand und konnte eine Kunstsammlung anlegen, in der Gemälde, Zeichnungen, Aquarelle und Radierungen von Wilhelm Trübner, Walter Leistikow, Hans Thoma und Spitzweg vertreten waren. Neben der Justitia besaß er auch den Hexenmeister von Spitzweg. 1935 verlor Leo Bendel, der jüdischer Herkunft war, seine Arbeit und musste von Dahlem nach Wilmersdorf umziehen. Seine evangelische Ehefrau Else, geb. Golze, bereitete zusammen mit ihrem Mann die Auswanderung vor. In den Jahren 1935 bis 1937 verkaufte das Ehepaar seine Wohnungseinrichtung und zahlreiche Kunstwerke über das Auktionshaus Adolf Herold, um schließlich 1937 nach Wien auszuwandern. Wenige Monate später marschierten jedoch deutsche Truppen in Österreich ein. Leo Bendel ließ sich am 17. Juni 1938 taufen und legte seine polnische Staatsbürgerschaft ab, um Repressalien zu entgehen. Dennoch wurde er am 9. September 1939 in seiner Wohnung in der Grinzinger Allee 34 von der Gestapo verhaftet. Mit zahlreichen weiteren inhaftierten Juden wurde er zunächst im Praterstadion festgehalten und Ende September 1939 nach Buchenwald deportiert, wo er die Häftlingsnummer 6742 erhielt. Dort starb er am 30. März 1940. Seiner Witwe wurde die Urne mit seiner Asche sowie seine Hinterlassenschaft zugestellt: eine Strickjacke, ein Paar Hosenträger, seine Brille, ein Riemen und 3,20 Reichsmark. Else Bendel verbrachte ihre letzten Lebensjahren in ärmlichen Verhältnissen. Sie arbeitete als Putzfrau, bis sie 1952 ihre Stelle verlor, und stellte 1954 einen Entschädigungsantrag in Berlin, der zum Zeitpunkt ihres Todes am 4. September 1957 noch nicht entschieden war. Damit verfielen die Möglichkeiten, Wiedergutmachung für Leo Bendels Tod zu beantragen, und der Antrag auf Ausgleich von Vermögensverlusten wurde abgelehnt, weil Else Bendel keine Nachweise über die Zwangsverkäufe besessen hatte.

Erst nachdem 1998 in Washington Grundsätze über den Umgang mit verfolgungsbedingt verlorenen Kunstwerken formuliert worden waren, ließen Nachfahren von Leo Bendels Schwägerin Historiker nach dem Verbleib der Sammlung Bendel forschen. Diese konnten rekonstruieren, dass Leo Bendel sowohl die Justitia als auch den Hexenmeister am 15. Juni 1937 an die Galerie Heinemann verkauft hatte. Für die Justitia zahlte die Galerie Bendel 16 000 Mark. Wenig später wurde das Gemälde für 25 000 Mark an die Kunsthändlerin Maria Almas, die Bilder für die geplante „Führersammlung“ in Linz erwarb, weiterverkauft. Im Oktober 1945 kam die Justitia in den Central Collecting Point in München. Die Provenienz des Gemäldes wurde damals geprüft, aber offenbar für unproblematisch befunden, weil die jüdische Herkunft Bendels nicht aus den Unterlagen hervorging. So wurde das Gemälde am 1. August 1961 dem Bundespräsidialamt übergeben und in der Villa Hammerschmidt in Bonn aufgehängt, und weitere Überprüfungen fanden nicht statt, bis Bendels Erben aktiv wurden. 2006 wiesen diese den Bundespräsidenten Horst Köhler auf die Umstände hin, unter denen Leo Bendel das Bild einst verkauft hatte. Nach einer Überprüfung schlug das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen dem Bundesfinanzministerium die Rückgabe des Bildes vor. Zunächst erfolgte jedoch keine in der Öffentlichkeit erkennbare Reaktion, bis das Magazin Cicero im März 2007 unter dem Titel „Die Gerechtigkeit wacht“ über den Fall berichtete. Danach wurde die Zustimmung des Bundesfinanzministeriums gemeldet.[2]

Literatur

  • Michael Anton, Handbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht. Illegaler Kulturgüterverkehr. Band 1 (Handbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht), de Gruyter, o.O. 2010, ISBN 978-3-89949-722-9, S. 767
  • Monika Tatzkow, Leo Bendel. 1868–1940, in: Melissa Müller und Monika Tatzkow, Verlorene Bilder. Verlorene Leben. Jüdische Sammler und was aus ihren Kunstwerken wurde, o.V., München ²2009, Lizenzausgabe für die Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, ISBN 978-3-534-23471-4, S. 61–71

Weblinks

Einzelnachweise

  1. http://artgalerie-europa.de/img711.search.htm?l=spanish
  2. Laut dieser Quelle wurde die Rückgabe 2007 vollzogen.

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