Walther Rathenau

Walther Rathenau

Walther Rathenau (* 29. September 1867 in Berlin; † 24. Juni 1922 in Berlin-Grunewald) war ein deutscher Industrieller, Schriftsteller und liberaler Politiker (DDP). Er wurde als Reichsaußenminister Opfer eines politisch motivierten Attentats der Organisation Consul.

Walther Rathenau

Inhaltsverzeichnis

Leben

Walther Rathenau wurde als ältester Sohn des deutsch-jüdischen Industriellen Emil Rathenau (des späteren Gründers der AEG) und seiner Ehefrau Mathilde (geb. Nachmann) in Berlin geboren. Er wuchs zusammen mit seinen jüngeren Geschwistern Erich (1871–1903) und Edith (1883–1952) in Berlin auf und besuchte das Königliche Wilhelms-Gymnasium in Berlin. 1886–1889 studierte er in Straßburg und Berlin Physik, Philosophie und Chemie bis zur Promotion („Die Absorption des Lichts in Metallen“). 1889/1890 studierte er Maschinenbau an der Technischen Universität München. Rückblickend schrieb er über seine Jugendzeit:

„In den Jugendjahren eines jeden deutschen Juden gibt es einen schmerzlichen Augenblick, an den er sich zeitlebens erinnert: wenn ihm zum ersten Male voll bewußt wird, daß er als Bürger zweiter Klasse in die Welt getreten ist und keine Tüchtigkeit und kein Verdienst ihn aus dieser Lage befreien kann.[1]

Die traumatisch erlebte Kluft zwischen Zugehörigkeit zur Elite und gleichzeitiger Diskriminierung begleitete ihn und bestimmte sein Handeln und Denken sein Leben lang.[2]

Rathenau in der Uniform eines Gardekürassiers 1890/91

Industrieller

Nach gescheiterten Versuchen, dem Berufsbereich des Vaters durch die Hinwendung zur Kunst oder eine Offiziers- und Diplomatenkarriere zu entgehen, fügte er sich und übernahm 1893–1898 den Aufbau der von der AEG gegründeten Elektrochemischen Werke in Bitterfeld und Rheinfelden. Seit 1899 war Rathenau in leitenden Positionen für die AEG tätig, zunächst im Vorstand, 1902–1907 als Geschäftsinhaber in der nahestehenden Berliner Handels-Gesellschaft (BHG), seit 1904 vom Aufsichtsrat der AEG aus, dessen Vorsitzender er 1912 wurde. Zugleich vereinigte er seit 1904 nach und nach mehr als 80 Aufsichtsratsposten auf sich. Seine führende Stellung in der deutschen Wirtschaft wurde auch durch seine Aufnahme in die Gesellschaft der Freunde deutlich. In der kritischen Rezessionszeit der deutschen Elektroindustrie setzte er sich erfolgreich für Konkurrenzverminderung durch Syndikate und Fusionen ein. Die erfolgreich von ihm betriebene Kartellpolitik ließen ihn ab 1914 als den geeigneten Mann für die Organisation der deutschen Kriegsrohstoffversorgung erscheinen. Er wurde engster Berater seines Vaters, aber dessen Nachfolger wurde 1915 Felix Deutsch, während Rathenau Sondervollmachten und den Titel „Präsident der AEG“ erhielt.

Portrait Rathenaus von Hermann Burte

Da die AEG stark an der deutschen Rüstungsproduktion im Ersten Weltkrieg beteiligt war, war Rathenau als ihr Aufsichtsratsvorsitzender auch in die Kriegsplanungen der Reichsregierung eingebunden. Am 16. September 1916 nahm er an einer Konferenz im preußischen Kriegsministerium teil, auf der Carl Duisberg und andere führende Industrielle angesichts des kriegsbedingten Arbeitskräftemangels die Deportation belgischer Zivilisten zur Zwangsarbeit nach Deutschland forderten. Rathenau unterstützte ihre Forderung in einem Brief an den OHL-General Erich Ludendorff, in dem er sich für scharfe Maßnahmen gegen die belgische Zivilbevölkerung aussprach. Die Deportationen wurden dann tatsächlich durchgeführt. Der Publizist Maximilian Harden, der sich mit seinem langjährigen Freund Walther Rathenau bereits 1913 zerstritten hatte, griff diesen später aufgrund seiner Verwicklung in die Deportationen scharf an. In Belgien wurde sogar überlegt, Rathenaus Auslieferung zu verlangen.[3]

Schriftsteller

Die ausgedehnte berufliche Arbeit bildete nur einen Teil seiner Aktivitäten. Während er praktisch zur Fortführung des väterlichen Großunternehmens beitrug, wollte er theoretisch als Schriftsteller die moderne Welt des Kapitalismus und Materialismus kulturkritisch durchdringen und verbessern. Hier förderte ihn Maximilian Harden, in dessen Wochenzeitschrift Die Zukunft seine ersten Aufsätze erschienen, als erster 1897 „Höre, Israel!“, eine Polemik gegen das moderne Judentum. Politisch und ästhetisch gehörte Rathenau zur Opposition gegen den herrschenden Wilhelminismus. Durch die Freundschaft mit Gerhart Hauptmann kam er in den Autorenkreis des S. Fischer Verlags und veröffentlichte hier 1912 und 1913 seine Bücher „Zur Kritik der Zeit“ und „Zur Mechanik des Geistes“, in denen er die moderne „Mechanisierung der Welt“ beklagte und seine neuidealistische Weltanschauung vom „Reich der Seele“ darlegte. Politisch setzte er sich für eine stärkere Beteiligung des liberalen, industriell tätigen Bürgertums an der Außenpolitik ein und suchte selbst durch Mitwirkung in der Kolonialpolitik Einfluss zu gewinnen. Neben anderen Kontakten in die völkische Szene war Rathenau von 1913 bis zu seinem Tod mit dem rechtskonservativen Publizisten Wilhelm Schwaner befreundet, in dessen Zeitschrift Der Volkserzieher in dieser Zeit einige Aufsätze Rathenaus abgedruckt wurden, was zu erheblichem Unmut in nationalistischen Kreisen führte.

Politiker

Walther Rathenau, 1921

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs machte Rathenau als erster auf die unzureichende wirtschaftliche Vorbereitung des Reiches aufmerksam und empfahl die rasche Errichtung eines „Rohmaterialamtes“ zur zentralen Bewirtschaftung kriegswichtiger Rohstoffe. Kriegsminister Falkenhayn richtete darauf hin im preußischen Kriegsministerium die Kriegsrohstoffabteilung ein, um die Verteilung der kriegswichtigen Rohstoffe zu organisieren und hierbei eine staatliche Beaufsichtigung der deutschen Industrie durch Kriegswirtschaftsgesellschaften einzuführen. Die Leitung übernahm der Initiator Rathenau von August 1914 bis März 1915.[4] Wahrscheinlich hat er damit eine schwere Materialkrise Deutschlands verhindert, sah selbst darin aber auch Ansätze für neue gemeinwirtschaftliche Formen. Es gelang ihm die durch die britische Blockade sofort spürbaren Defizite bei kriegswichtigen Rohstoffen zumindest einzudämmen.[5]

Über diese Zukunftsziele äußerte er sich 1917 in seinem wirkungsvollsten Buch „Von kommenden Dingen“. Wirtschaftliche Rationalisierung und Verfassungsreformen hielt er für wichtig, aber noch notwendiger erschien ihm eine Bewußtseinsveränderung. Ein zweiter Interessenpunkt Rathenaus an der Leitung der Kriegsrohstoffabteilung war die vergebliche Hoffnung einer weiterführenden Berufung zum Staatssekretär im Reichsschatzamt. Auch aus Enttäuschung zog er sich daher nach acht Monaten wieder aus der Kriegrohstoffabteilung zurück und konzentrierte sich vorerst bis zum Ende des Krieges auf die Organisation der Rüstungsfabrikation der AEG und Planungen zur Rückumstellung auf die Friedensproduktion.[6] Hatte Rathenau dem Krieg 1914 noch kritisch gegenübergestanden,[7] wandelte er während seiner Arbeit für das Kriegsministerium immer mehr zum Falken. So sprach er sich für die Bombardierung Londons mit Zeppelinen und die Deportation belgischer Zivilisten zur Zwangsarbeit nach Deutschland aus.[8]

Rathenau, der die Methoden des Wiener Kongresses für überlebt hielt, weil Länderteilungen hinfällig geworden seien, wollte eine mitteleuropäische Zollunion, die Deutschlands Sieg und Dominanz in Europa bedeuten würde.[9] Die Leitung des mitteleuropäischen Wirtschaftsverbandes war einer zwischenstaatlichen Organisation zugedacht, in der Deutschland eine stärkere Stellung beanspruchen könnte, als Preußen sie im Bundesrat einnimmt. Er propagierte die Idee der Wiederbelebung des Frankenreiches, die von der Bevölkerung angeblich besser begriffen würde, als ein Programm weitreichender direkter Annexionen.[10] Über den Frieden von Brest-Litowsk urteilte er hingegen: Deutschland würde durch diesen Frieden in einem Abgrund von Feindschaft und Konflikten leben.[11]

1918 kritisierte er sogar den Waffenstillstand und plädierte für die Fortführung des Krieges, um die späteren Verhandlungen aus einer besseren Position heraus führen zu können.[7] Trotz seiner harten Haltung im Krieg wurde er aber später zur Zielscheibe von antisemitisch motivierten Angriffen durch die Anhänger der Dolchstoßlegende.

Wegen seiner widerspruchsvollen politischen Haltung von allen Seiten angefeindet, hatte Rathenau nach dem Krieg zunächst Mühe, für die neue Politik tätig zu werden. Als Wirtschaftssachverständiger und Mitglied und Mitbegründer der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) arbeitete er 1920 in der Sozialisierungskommission und nahm an der Konferenz in Spa teil. Wegen seines entspannungsfördernden Verhandlungsgeschicks und seines internationalen Ansehens wurde er im Mai 1921 Wiederaufbauminister im Kabinett des Reichskanzlers Joseph Wirth und schloss im Oktober mit Frankreich das Wiesbadener Abkommen über privatwirtschaftliche deutsche Sachlieferungen an französische Kriegsgeschädigte. Ende Oktober trat Rathenau zurück, war aber in London und der Konferenz von Cannes weiterhin für die Regierung tätig. Am 31. Januar 1922 wurde er zum Außenminister im Kabinett Wirth II ernannt, um Deutschland bei der Weltwirtschaftskonferenz von Genua zu vertreten. Hier gelangen ihm keine Fortschritte in der Reparationsfrage, aber er fand sich unter Bedenken bereit, am 16. April 1922 mit Sowjetrussland in Rapallo einen bilateralen Sondervertrag abzuschließen, um Deutschland außenpolitisch mehr Handlungsfreiheit zu verschaffen. Wenn auch dieser Schritt gerade von nationaler Seite begrüßt wurde, hielt er die rechtsradikale Organisation Consul (O.C.) nicht davon ab, ein Attentat gegen diesen ersten erfolgreichen Außenpolitiker der Weimarer Republik durchzuführen.

Ermordung

Vorwärts-Ausgabe zur Ermordung Walther Rathenaus

Am 24. Juni 1922 gegen 11 Uhr vormittags wurde Reichsaußenminister Rathenau im offenen Fond seines Wagens von sogenannten Fememördern durch eine Handgranate und mehrere Schüsse aus einer Maschinenpistole getötet. Das Attentat verübten Anhänger der rechtsextremen Organisation Consul in der Koenigsallee (Berlin-Grunewald) an der Kreuzung Erdener-/Wallotstraße. Die beiden Täter, der 23jährige Kieler Jurastudent und ehemalige Marineoffizier Erwin Kern und sein Komplize Hermann Fischer, ein 26jähriger Maschinenbauingenieur aus Chemnitz, konnten schließlich am 17. Juli 1922 auf der Burg Saaleck nahe Bad Kösen, damals in der preußischen Provinz Sachsen, gestellt werden. Bei dem Schusswechsel wurde Kern durch eine Polizeikugel tödlich getroffen, Fischer nahm sich daraufhin das Leben. Ernst Werner Techow, der den Wagen fuhr, wurde mit fünfzehn Jahren Zuchthaus bestraft. An der Planung des Mordes war neben anderen auch Ernst von Salomon beteiligt, der zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt wurde und sich in dem Roman Die Geächteten (1929) später kritisch mit der Tat auseinandersetzte. Nach Salomon wollten die Attentäter vor allem eine nationale Revolution.[12]

Motive der Attentäter und die Justizverfahren gegen die Mittäter

Die Ermordung Walther Rathenaus war der erste politische Fememord der Weimarer Republik, der auch dezidiert antisemitisch motiviert war.[13] So kursierte seit etwa 1920 ein antisemitisches Stammtischlied, das gegen ihn hetzte:[14]

„Knallen die Gewehre – tak, tak, tak
Aufs schwarze und aufs rote Pack.
Auch Rathenau, der Walther,
Erreicht kein hohes Alter,
Knallt ab den Walther Rathenau,
Die gottverdammte Judensau!“

Daneben richtete sich die Tat gegen Rathenau als den Inbegriff des Erfüllungspolitikers. Sie war Bestandteil einer ganzen Anschlagsserie, die mit dem Attentat auf Philipp Scheidemann 1922 begann und die Republik destabilisieren sollte.[15]

Die Staatsanwaltschaft hat sich mit den Motiven der Attentäter kaum befasst, es wurde nur auf „blindwütigen Judenhass“ hingewiesen.[16] Die Justiz hatte ein Interesse daran, durch schnelle einfache Klärung des Falls die Öffentlichkeit zu beruhigen. Motive und weitere Hintermänner wurden nicht gesucht.[17] Die Urteilsbegründung führte dann das Verbrechen auf die Wirkung antisemitischer Hetzparolen zurück, um den Mord als isolierte Tat junger unreifer Fanatiker zu deuten. Zweifellos waren viele Offiziere Hermann Ehrhardts „von tiefem Hass auf den Juden und Erfüllungsgehilfen Rathenau erfüllt“. Dennoch wehrten sich Salomon und die Brüder Techow gegen die Zuschreibung judenfeindlicher Tatmotive.[18] Martin Sabrow zieht die Annahme, Judenhass sei der treibende Beweggrund des Anschlags gewesen, in Zweifel.[19] Vielmehr sollten durch Rathenaus Tod die Linken, vor allem Kommunisten zum Losschlagen bewegt werden, damit die Freikorps im Gegenschlag die Macht an sich reißen und eine rechte Diktatur errichten könnten. Rathenaus Tod, der nach Ansicht der Attentäter „alle Fäden in der Hand habe“, würde den Sturz der gesamten Regierung nach sich ziehen und die Linksradikalen zu Aktionen veranlassen.[20] Letztlich scheiterte die „terroristische Provokationsstrategie“, der Versuch einer nationalen Gegenrevolution der Organisation Consul gegen die Weimarer Republik.[21]

Folgen des Mordes und Nachleben

Staatsakt für Walther Rathenau im Reichstag am 12. Juli 1922
Berliner Gedenktafel am Haus Hedemannstraße 12, in Berlin-Kreuzberg

Entgegen den Erwartungen der Attentäter löste der Mord parteiübergreifende Bestürzung und landesweite Demonstrationen aus.

„Die Ermordung Rathenaus löste ein politisches Erdbeben aus, das in der Republik kaum seinesgleichen hatte, und über Jahrzehnte blieb das Datum der Ermordung Rathenaus für die Zeitgenossen ein Markstein der Erinnerung und des Entsetzens. … Als die Nachricht vom Tode des Außenministers im Reichstag einlief, verwandelte sich das Hohe Haus in ein Tollhaus, in dem Reichstagspräsident Löbe stundenlang vergeblich an Würde und Beherrschung appellierte. Abgeordnete der Linken stürzten sich auf Deutschnationale und drängten sie unter Schlägen aus dem Plenarsaal; „Mörder! Mörder!“ gellten die Rufe gegen den scheinbar ungerührt in seiner Abgeordnetenbank sitzenden Helfferich, dessen maßlose Kampagnen erst Erzberger und nun Rathenau zur Strecke gebracht hätte.[22]

Reichskanzler Joseph Wirth hielt einen Tag nach dem Attentat eine Gedenkrede im Reichstag, in der er den Satz prägte: Der Feind steht rechts.[23] Die Ermordung Rathenaus war der Anlass, am 21. Juli 1922 das Republikschutzgesetz zu erlassen. Dieses wurde jedoch fast ausschließlich gegen linke, bürgerlich-liberale, sozialistische und kommunistische Gesinnungstäter angewandt. Gegen Täter, die sich zum Konservatismus, den Deutschnationalen oder gar dem Nationalsozialismus bekannten, kam das Gesetz in der Regel nicht zum Tragen.

Der Publizist Sebastian Haffner schreibt in seinem 1939 geschriebenen, aber erst 2000 erschienenen Werk Geschichte eines Deutschen über Rathenau:

„Er gehört ohne jeden Zweifel zu den fünf, sechs großen Persönlichkeiten dieses Jahrhunderts. Er war ein aristokratischer Revolutionär, ein idealistischer Wirtschaftsorganisator, als Jude deutscher Patriot, als deutscher Patriot liberaler Weltbürger, und als liberaler Weltbürger wiederum ein Chiliast und strenger Diener des Gesetzes.“

Sebastian Haffner: Geschichte eines Deutschen

Der mit Rathenau befreundete Schriftsteller Stefan Zweig folgerte bereits kurz nach dessen Tod in einem Aufsatz auch Vorhersagen über die weitere Entwicklung der Weimarer Republik:

„Gerade seit ihn mißleitete Leidenschaft von seiner Stelle stieß, steht Walther Rathenau am stärksten in Unvergeßlichkeit deutscher Geschichte, und sein Fehlen ist heute sinnlich fühlbarer als seiner Nachfolger unpersönliche Gegenwärtigkeit. […] Nie war er größer als in seinem Tod, nie sichtbarer als heute in seinem Fernesein: Klage um ihn ist zugleich Klage um das deutsche Schicksal, das in entscheidender Stunde seine stärkste und geistigste Tatkraft verstieß und wieder hinabrollte in die alte verhängnisvolle Wirrsäligkeit, in die wütige Ungeschicklichkeit seiner beharrlich unwirklichen und darum ewig unwirksamen Politik.“

Stefan Zweig: Walther Rathenau – Gedächtnisbild (1922), In: Menschen und Schicksale

Gustav Stresemann setzte später Rathenaus Verständigungspolitik fort.

In der Zeit des Nationalsozialismus kam die Erinnerung an Rathenau zum Erliegen, eine Gedenktafel am Ort seiner Ermordung wurde entfernt. Stattdessen verehrte man nun die Mörder als Helden: Am 17. Juli 1933 wurde auf Burg Saaleck eine (im Jahr 2000 entfernte) Gedenktafel enthüllt, die deren „Heldentod“ pries. Zur Einweihung legten Mitglieder der thüringischen Staatsregierung Kränze nieder, Ernst Röhm und Heinrich Himmler feierten die Mörder als Vorkämpfer der nationalen Erhebung.[24]

An die Ermordung Rathenaus, der von dem Schriftsteller Gustav Frenssen als der „vornehmste Kopf Europas“ bezeichnet worden war, erinnert heute u. a. ein 1946 von der linksliberalen Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands gesetzter Gedenkstein in der Koenigsallee in Berlin-Grunewald.

Gedenkstein für Walther Rathenau in der Koenigsallee

Die Liberal-Demokratische Partei Deutschlands
Dem Andenken an
WALTHER RATHENAU
Reichsaußenminister der deutschen Republik
Er fiel an dieser Stelle durch Mörderhand
am 24. Juni 1922
Die Gesundheit eines Volkes
kommt nur aus seinem inneren Leben
Aus dem Leben seiner Seele und seines Geistes
Oktober 1946
Inschrift auf der Bronzeplatte

Bestattet wurde Walther Rathenau im Familiengrab auf dem in der Wuhlheide gelegenen landeseigenen Waldfriedhof des Berliner Ortsteils Oberschöneweide. Die Grabstätte wurde von seinem Vater, dem AEG-Gründer Emil Rathenau, dort angelegt, wo er auch selbst begraben liegt. Das Grab von Walther Rathenau ist als Ehrengrab gekennzeichnet und mit einer Gedenktafel versehen. Die Familien-Grabanlage befindet sich im Feld I/1.[25]

Würdigungen

Briefmarke (1952) der Serie Männer aus der Geschichte Berlins

Trivia

1909 erwarb Rathenau das verfallene Schloss Freienwalde (heute Bad Freienwalde (Oder)), welches er vorwiegend als Sommersitz nutzte.[26] Es beherbergt heute eine Rathenau-Ausstellung. Er hatte das heruntergekommene Anwesen der preußischen Krone abgekauft und es im Stil des Frühklassizismus aufwändig renovieren lassen. Obwohl mehr Museum als Wohnhaus, nutzte es Rathenau als Refugium zum Malen und Schreiben.[27] 1910 bis 1922 wohnte Rathenau in seinem von ihm selbst entworfenen Haus in der Koenigsallee 65, Berlin-Grunewald.[28]

Große Teile des Nachlasses Walther Rathenaus befinden sich als Beuteakten im „Sonderarchiv“ in Moskau.[29] Über die Rückgabe dieser Bestände wird zwischen Deutschland und Russland verhandelt. Teile seiner Gemäldesammlung gingen als Stiftung an das Frankfurter Städel.

Zitate

„Ich kämpfe gegen das Unrecht, das in Deutschland geschieht, denn ich sehe Schatten aufsteigen, wohin ich mich wende. Ich sehe sie, wenn ich abends durch die gellenden Straßen von Berlin gehe; wenn ich die Indolenz unseres wahnsinnig gewordenen Reichtums erblicke, wenn ich die Nichtigkeit kraftstrotzender Worte vernehme oder von pseudogermanischer Ausschließlichkeit berichten höre. […] Eine Zeit ist nicht deshalb sorgenlos, weil der Leutnant strahlt und der Attaché voll Hoffnung ist. Seit Jahrzehnten hat Deutschland keine ernstere Periode durchlebt als diese; das stärkste aber, was in solchen Zeiten geschehen kann, ist: das Unrecht abtun.“

Walther Rathenau, 1911[30]

„Der Antisemitismus ist die vertikale Invasion der Gesellschaft durch die Barbaren.“

Walther Rathenau[31]

„Dreihundert Männer, von denen jeder jeden kennt, leiten die wirtschaftlichen Geschicke des Kontinents und suchen sich Nachfolger aus ihrer Umgebung. Die seltsamen Ursachen dieser seltsamen Erscheinung, die in das Dunkel der künftigen sozialen Entwicklung einen Schimmer wirft, stehen hier nicht zur Erwägung.“

Walther Rathenau, 1909[32]

Werke

Walther Rathenau: Vom Aktienwesen. Eine geschäftliche Betrachtung
  • Reflexionen, 1908
  • Zur Kritik der Zeit, 1912
  • Zur Mechanik des Geistes, 1913
  • Vom Aktienwesen. Eine geschäftliche Betrachtung, Berlin 1917
  • Von kommenden Dingen, 1917
  • An Deutschlands Jugend, 1918 (überarbeitete Ausgabe: Maximilian Hörberg (Hrsg.), München 2009, ISBN 978-3-00-023407-1).
  • Die neue Gesellschaft, 1919
  • Der neue Staat, 1919
  • Der Kaiser, 1919
  • Kritik der dreifachen Revolution, 1919
  • Was wird werden? 1920 (Digitalisat)
  • Gesammelte Reden, 1924 (Digitalisat)
  • Briefe, 2 Bände, 1926
  • Neue Briefe, 1927
  • Briefe an eine Liebende, Dresden, Reißner, 1931.
  • Politische Briefe, 1929 (Digitalisat)

Werkausgaben:

  • Gesammelte Schriften in 6 Bänden, (Band 1-5 Digitalisat)
  • Gesamtausgabe seiner Werke ab 1977, hrsg. durch D. Hellige und E. Schulin
  • Schriften und Reden, Auswahl und Nachwort von Hans Werner Richter, S. Fischer Verlag, 1964, Frankfurt Main, ISBN 3-10-062904-3 (Politische Schriften, Reden, Philosophie, Aphorismen, Talmudische Geschichten)

Literatur

Zeitgenössische Erinnerungsschriften

Wissenschaftliche Arbeiten

  • Peter Berglar: Walther Rathenau: Ein Leben zwischen Philosophie und Politik. Verlag Styria, Graz 1987, ISBN 3-222-11667-9.
  • Wolfgang Brenner: Walther Rathenau. Deutscher und Jude. Piper-Verlag, München 2005, ISBN 3-492-04758-0.
  • Walter Delabar, Dieter Heimböckel (Hrsg.): Walther Rathenau. Der Phänotyp der Moderne. Literatur- und kulturwissenschaftliche Studien. Moderne-Studien 5, Aisthesis, Bielefeld 2009, ISBN 978-3-89528-716-9 (Inhaltsverzeichnis).
  • David Felix: Walther Rathenau and the Weimar Republic. The Politics of Reparations. Johns Hopkins University Press, Baltimore 1971, ISBN 0-8018-1175-9.
  • Jörg Hentzschel-Fröhlings: Walther Rathenau als Politiker der Weimarer Republik. Matthiesen Verlag, Husum 2007 (Historische Studien 490), ISBN 978-3-7868-1490-0.
  • Alexander Jaser, Clemens Picht und Ernst Schulin (Hrsg.): Walther Rathenau – Briefe 1871–1922. 1. Auflage. Droste Verlag, Düsseldorf 2006, ISBN 3-7700-1620-3 (2 Bände).
  • Lothar Gall: Walther Rathenau. Portrait einer Epoche, C.H. Beck, München 2009, ISBN 978-3-406-57628-7
  • Markus Krajewski: Restlosigkeit. Weltprojekte um 1900. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2006, ISBN 978-3-596-16779-1. - Beleuchtet auf der Basis neuer Archivrecherchen Rathenaus Rolle in der Kriegsrohstoffabteilung und würdigt Rathenau als „Projektemacher“ um 1900.
  • Christian Graf von Krockow: Walther Rathenau, In: Porträts berühmter deutscher Männer – Von Martin Luther bis zur Gegenwart. List-Verlag, München 2001, S. 289-336, ISBN 3-548-60447-1.
  • Walther Rathenau, Wilhelm Schwaner: Eine Freundschaft im Widerspruch. Der Briefwechsel 1913–1922. Berlin 2008, ISBN 978-3-86650-271-0.
  • Martin Sabrow: Rathenau, Walther. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 21, Duncker & Humblot, Berlin 2003, S. 174–176.
  • Martin Sabrow: Die Macht der Mythen – Walther Rathenau im öffentlichen Gedächtnis – sechs Essays. Verlag Das Arsenal, Berlin 1998, ISBN 3-931109-11-9.
  • Martin Sabrow: Die verdrängte Verschwörung. Der Rathenau-Mord und die deutsche Gegenrevolution. Fischer Taschenbuch-Verlag, Frankfurt 1999, ISBN 3-596-14302-0. - Ausführlich recherchierte Hintergründe des Mordes an Walther Rathenau und der folgenden Gerichtsverfahren.
  • Christian Schölzel: Walther Rathenau. Eine Biographie. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2006, ISBN 3-506-71393-0.
  • Christian Schölzel: Walther Rathenau. Industrieller, Schriftsteller, Politiker. (=Jüdische Miniaturen 2) Hentrich & Hentrich, 63 S., Berlin 2003, ISBN 978-3-933471-44-4.
  • Ernst Schulin: Walther Rathenau. Repräsentant, Kritiker und Opfer seiner Zeit. Verlag Muster-Schmidt, Göttingen 1992, ISBN 3-7881-0104-0.
  • Ernst Schulin: Gespräche mit Rathenau. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1980, ISBN 3-423-02922-6 - die Gespräche wurden der Walther-Rathenau Gesamtausgabe Band II: Hauptwerke und Gespräche herausgegeben von Ernst Schulin und Dieter Hellige entnommen und zusätzlich durch dreizehn Gespräche ergänzt.
  • Hans Wilderotter (Hrsg.): Ausstellung des Deutschen Historischen Museums in Zusammenarbeit mit dem Leo Baeck Institute: Walther Rathenau 1867-1922, Die Extreme berühren sich. Argon Verlag, New York/Berlin 1993, ISBN 3-87024-250-7.

Rathenau als literarische Figur

Filme

Weblinks

 Commons: Walther Rathenau – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Walther Rathenau: Staat und Judentum. Eine Polemik. In: Walther Rathenau: Gesammelte Schriften. Band 1: Zur Kritik der Zeit. Mahnung und Warnung. Verlag S. Fischer, Berlin 1918, S. 188f.
  2. Martin Sabrow: Die verdrängte Verschwörung. Der Rathenau-Mord und die deutsche Gegenrevolution. Fischer Taschenbuch-Verlag, Frankfurt 1999, ISBN 3-596-14302-0, S. 13f.
  3. Vgl. Jens Thiel: „Menschenbassin Belgien“. Anwerbung, Deportation und Zwangsarbeit im Ersten Weltkrieg. Essen 2007, S. 118–122.
  4. Martin Sabrow: Die verdrängte Verschwörung. Der Rathenau-Mord und die deutsche Gegenrevolution. Fischer Taschenbuch-Verlag, Frankfurt 1999, ISBN 3-596-14302-0, S. 17.
  5. Bruno Thoß: Der Erste Weltkrieg als Ereignis und Erlebnis. Paradigmenwechsel in der westdeutschen Weltkriegsforschung seit der Fischer-Kontroverse. In: Wolfgang Michalka (Hrsg.): Der Erste Weltkrieg. Wirkung, Wahrnehmung, Analyse. Seehamer Verlag, Weyarn 1997, ISBN 3-932131-37-1, S. 1012-1043, hier: S. 1026.
  6. Vgl. Wolfgang Kruse: Walther Rathenau und die Organisierung des Kapitalismus. In Walther Rathenau – Die Extreme berühren sich, S. 155, erster Abschnitt.
  7. a b Erster Weltkrieg auf walther-rathenau.de
  8. Vgl. Martin Sabrow: Walther Rathenau - der Mann vieler Biographien, S. 10.
  9. Egmont Zechlin: Deutschland zwischen Kabinettskrieg und Wirtschaftskrieg. Politik und Kriegsführung in den ersten Monaten des Weltkrieges 1914. In: Historische Zeitschrift (HZ) 199 (1964), S. 347–458, hier S. 428.
  10. Fritz Klein, Willibald Gutsche, Joachim Petzold (Hrsg.): Deutschland im ersten Weltkrieg. Band 1: Vorbereitung, Entfesselung und Verlauf des Krieges bis Ende 1914.. Berlin/DDR 1970, S. 361f.
  11. Werner Hahlweg: Der Diktatfrieden von Brest-Litowsk 1918 und die bolschewistische Weltrevolution. Verlag Aschendorff, Münster 1960, S. 8f.
  12. Ernst von Salomon: Die Geächteten. rororo Taschenbuchausgabe 1962, S. 212ff.
  13. vergl. etwa: Ulrich Kluge: Die Weimarer Republik. Paderborn, 2006. S.231
  14. Ernst Toller: Eine Jugend in Deutschland. Text nach der Ausgabe von 1936 im Querido Verlag, Amsterdam, Reclam Leipzig 1990, ISBN 3-379-00558-4, S. 266.
  15. Sabrow, Rathenau, S.175
  16. Martin Sabrow: Die verdrängte Verschwörung. Der Rathenau-Mord und die deutsche Gegenrevolution. Fischer Taschenbuch-Verlag, Frankfurt 1999, ISBN 3-596-14302-0, S. 183.
  17. Martin Sabrow: Die verdrängte Verschwörung. Der Rathenau-Mord und die deutsche Gegenrevolution. Fischer Taschenbuch-Verlag, Frankfurt 1999, ISBN 3-596-14302-0, S. 237.
  18. Martin Sabrow: Die verdrängte Verschwörung. Der Rathenau-Mord und die deutsche Gegenrevolution. Fischer Taschenbuch-Verlag, Frankfurt 1999, ISBN 3-596-14302-0, S. 184.
  19. Martin Sabrow: Die verdrängte Verschwörung. Der Rathenau-Mord und die deutsche Gegenrevolution. Fischer Taschenbuch-Verlag, Frankfurt 1999, ISBN 3-596-14302-0, S. 185.
  20. Martin Sabrow: Die verdrängte Verschwörung. Der Rathenau-Mord und die deutsche Gegenrevolution. Fischer Taschenbuch-Verlag, Frankfurt 1999, ISBN 3-596-14302-0, S. 187f.
  21. Martin Sabrow: Die verdrängte Verschwörung. Der Rathenau-Mord und die deutsche Gegenrevolution. Fischer Taschenbuch-Verlag, Frankfurt 1999, ISBN 3-596-14302-0, S. 244ff.
  22. Martin Sabrow: Die verdrängte Verschwörung. Der Rathenau-Mord und die deutsche Gegenrevolution. Fischer Taschenbuch-Verlag, Frankfurt 1999, ISBN 3-596-14302-0, S. 92.
  23. Reichskanzler Joseph Wirth hält nach dem Attentat auf Walther Rathenau eine Gedenkrede im Reichstag.
  24. Otto Friedrich: Morgen ist Weltuntergang. Berlin in den zwanziger Jahren. Ars Nicolai, Berlin 1998, ISBN 3-87584-714-8, S. 139.
  25. Familiengrab der Rathenaus auf dem Städtischen Waldfriedhof Oberschöneweide
  26. Schloss Freienwalde auf walther-rathenau.de.
  27. Martin Sabrow: Die verdrängte Verschwörung. Der Rathenau-Mord und die deutsche Gegenrevolution. Fischer Taschenbuch-Verlag, Frankfurt 1999, ISBN 3-596-14302-0, S. 16.
  28. Alte Abbildung auf walther-rathenau.de
  29. Fond 634 des Sonderarchivs: Verzeichnis des dort vorhandenen Nachlasses von Walther Rathenau (PDF)
  30. Walther Rathenau: Staat und Judentum. Eine Polemik. In: Walther Rathenau: Gesammelte Schriften. Band 1: Zur Kritik der Zeit. Mahnung und Warnung. Verlag S. Fischer, Berlin 1918, S. 206f.
  31. Ernst Simmel, Theodor W. Adorno: Antisemitismus. Die Zeit des Nationalsozialismus. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt 2002, ISBN 3-596-15530-4, S. 59; und Christian Schneider: Der Hass auf das Andere
  32. Weihnachtsausgabe 1909 der "Neue Freie Presse" Wien

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