Die zehn Jungfrauen

Die zehn Jungfrauen

Das von Jesus von Nazaret erzählte sog. Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen[1] (Matthäus 25, 1-13) beschäftigt sich als Parabel mit der Vorbereitung auf das Reich Gottes, die den Unterschied zwischen Auserwählung und Verdammung machen kann.

Das Gleichnis wurde in der alten katholischen und wird in der lutherischen Leseordnung am letzten Sonntag des Kirchenjahres (Ewigkeitssonntag) als Sonntagsevangelium gelesen.

Drei der fünf törichten Jungfrauen zeigen ihren Kummer (Magdeburger Dom)
Drei der fünf klugen Jungfrauen zeigen ihre Freude (Magdeburger Dom)
Törichte Jungfrauen in Lübeck
Kluge Jungfrauen in Lübeck

Inhaltsverzeichnis

Text

Peter von Cornelius, Öl auf Leinwand, 1813–19, Düsseldorf, Kunstmuseum Die klugen und törichten Jungfrauen

Das Gleichnis gehört zum Sondergut des Matthäusevangeliums.

Text nach der Einheitsübersetzung:

Dann wird es mit dem Himmelreich sein wie mit zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen und dem Bräutigam entgegengingen. Fünf von ihnen waren töricht und fünf waren klug. Die törichten nahmen ihre Lampen mit, aber kein Öl, die klugen aber nahmen außer den Lampen noch Öl in Krügen mit. Als nun der Bräutigam lange nicht kam, wurden sie alle müde und schliefen ein. Mitten in der Nacht aber hörte man plötzlich laute Rufe: Der Bräutigam kommt! Geht ihm entgegen! Da standen die Jungfrauen alle auf und machten ihre Lampen zurecht. Die törichten aber sagten zu den klugen: Gebt uns von eurem Öl, sonst gehen unsere Lampen aus. Die klugen erwiderten ihnen: Dann reicht es weder für uns noch für euch; geht doch zu den Händlern und kauft, was ihr braucht. Während sie noch unterwegs waren, um das Öl zu kaufen, kam der Bräutigam; die Jungfrauen, die bereit waren, gingen mit ihm in den Hochzeitssaal und die Tür wurde zugeschlossen. Später kamen auch die anderen Jungfrauen und riefen: Herr, Herr, mach uns auf! Er aber antwortete ihnen: Amen, ich sage euch: Ich kenne euch nicht. Seid also wachsam! Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde.(Mt 25,1-13 EU)

Deutungen

Zuhörer Jesu

Für das Verständnis der damaligen Zuhörer spielte die Tradition der rabbinischen Gleichnisse eine wesentliche Rolle. Solche Gleichnisse zur Schriftauslegung finden sich häufig in Talmud und Midrasch, und sie waren bereits in neutestamentlicher Zeit beliebt und typisch für das rabbinische Judentum. Diese Gleichnisse enthielten stilisierte Elemente aus dem Alltag, denen regelmäßig die gleichen geistlichen Motive entsprachen, so dass die Zuhörer die entsprechenden Assoziationen machten. So war mit dem König oder Gastgeber Gott gemeint, Kluge und Törichte entsprachen Gerechten und Sündern, das festliche Kleid war ein gerechtes Leben vor Gott, mit Wasser oder Brot war die Torah gemeint, mit Öl gute Taten (auch als Sühnehandlung), Gastmahl bedeutete eine enge Beziehung, Acker oder Weinberg war Israel.[2]

Ein rabbinisches Gleichnis, das teilweise ähnliche Motive verwendet, ist beispielsweise das Gleichnis von den klugen und törichten Gästen:

Rabbi Elieser sagte: Tue Buße einen Tag vor deinem Tode. Die Schiiler sprachen zu Rabbi Elieser: Weiß denn der Mensch, an welchem Tage er sterben wird? Dieser erwiderte: Um so mehr muss er heute also Buße tun, vielleicht stirbt er morgen, es ergibt sich also, dass er all seine Tage in Buße verbringt. Ebenso sagte Salomo in seiner Weisheit: "Zu jeder Zeit mögen deine Kleider weiß sein, und deinem Haupte mangle es nie an Öl." (Pred. 9,8)
Rabbi Jochanan Ben Zakkai sagte ein Gleichnis: Gleich einem König, der seine Gäste einlud, ohne ihnen eine bestimmte Zeit festzusetzen. Die Klugen schmückten sich und setzten sich vor die Tür des Königs, indem sie sprachen: Fehlt denn etwas im Hause des Königs? Die Toren dagegen gingen zur Arbeit fort, indem sie sprachen: Gibt es denn eine Mahlzeit ohne Vorbereitung? Als der König plötzlich nach seinen Dienern verlangte, traten die Klugen geschmückt ein, die Toren dagegen traten in ihrem Schmutz ein. Da freute sich der König über die Klugen und zürnte über die Toren und sprach: Diese da, die sich zur Mahlzeit geschmückt haben, mögen sich setzen und essen und trinken; jene aber, die sich zur Mahlzeit nicht geschmückt haben, mögen stehen bleiben und zuschauen, wie es heißt: Siehe, meine Knechte werden trinken, Ihr aber sollt dürsten. Siehe, meine Knechte werden vor Fröhlichkeit jubeln, ihr aber sollt vor Herzweh aufschreien. (Jes. 65,13f, Babylonischer Talmud, Traktat Schabbat. Blatt 153 Vorderseite.)

Ein anderes rabbinisches Gleichnis konstrastiert kluge und törichte Gäste, die zu einem Festmahl geladen sind. Die klugen Gäste gingen nach Hause, so lange ihre Lampen noch brannten, die törichten betranken sich und begannen zu streiten und sich gegenseitig umzubringen.[3] Die Mischna erzählt (mTaan 4, 8), was Rabban Simon ben Gamaliel berichtet: Von der Solidarität der Mädchen, die in den Weinbergen vor den Augen möglicher Bräutigame tanzten, doch alle in geborgten Kleidern, um die nicht zu beschämen, die keine schönen Kleider besaßen. Dies sei einer der beiden fröhlichen Tage im Jahr gewesen - ein Kontrast zum Verhalten der biblischen, vermeintlich klugen Mädchen.[4]

Kirchenväter

Von den Kirchenvätern wurde das Gleichnis stark allegorisiert, wobei die Interpretationen sehr unterschiedlich waren. Hier einige von denen, die Thomas von Aquin in der Catena aurea gesammelt hat:

  • Jungfrauen: Hieronymus gibt an, dass manche die Jungfrauen buchstäblich als Jungfrauen interpretieren, wobei einige körperlich und in Gedanken jungfräulich seien, andere aber nur körperlich und in Gedanken verheiratet. Er selbst bezieht das Gleichnis auf die ganze Menschheit. Hilarius von Poitiers interpretiert die Lampen als das Licht der hellen Seelen die im Sakrament der Taufe strahlen. Augustinus von Hippo bezieht die zehn Jungfrauen auf die fünf Sinne, die töricht und weise verwendet werden können.
  • Öl: Das Öl bedeutet bei Hilarius gute Werke, bei Chrysostomos Nächstenliebe, Almosen und jede Hilfe, die Notleidenden gegeben wird, bei Origenes das Wort der Lehre, mit dem die Gefässe der Seele gefüllt sind.

Mittelalter

Tympanon der Galluspforte des Basler Münsters

Das Gleichnis ist eines der populärsten Gleichnisse des Mittelalters. Nach der Deutung der glossa ordinaria.[5] symbolisieren die klugen Jungfrauen, die sich rechtzeitig mit Öl für ihre Öllampen versorgt haben, die christliche Seele, die sich in fünffacher Weise tugendhaft Gott zuwendet; die törichten Jungfrauen, die zwar Öllampen haben, aber kein Öl, symbolisieren fünf Arten der fleischlichen Lust und Verdammnis.

In der Bildenden Kunst Europas wurden die zehn Jungfrauen vielerorts thematisiert, insbesondere im Bildwerk der gotischen Kathedralen. Häufig wurden sie am Westportal aufgestellt, zusammen mit Statuen, die Ecclesia und Synagoge symbolisieren.

Neuzeitliche Auslegungen

Joachim Jeremias hat herausgearbeitet, dass Jesus nicht vom endzeitlichen Kommen eines Messias, sondern schlicht von einer Hochzeit erzählt hat. Nicht die Jungfrauen, sondern die Hochzeit werde mit der Königsherrschaft Gottes verglichen. Die Plötzlichkeit sei der Kernmoment, um den es gehe; er solle aufschrecken und auffordern, für anstehende Veränderungen wach zu bleiben. [6] Luise Schottroff richtet das Augenmerk auf die Jungfrauen, womit etwa 12-jährige Mädchen bezeichnet würden, von denen erwartet werde, dass sie sich heiratsfähig präsentierten. Das Gleichnis zeige die harte Realität einer patriarchalen Gesellschaft: Mädchen, die die gesellschaftlichen Erwartungen nicht erfüllen, würden von denen ausgeschlossen, die sie erfüllen. Das könne zum Umdenken herausfordern.[7]

Manche Ausleger, die weiterhin eine allegorische Deutung befürworten, führen das Gleichnis als Beispiel auf, wie Matthäus auch Frauen (und nicht nur Männer) mit dem zukünftigen Reich Gottes in Beziehung setzt.[8] Manche Ausleger, die Impulse der Erweckungsbewegungen aufnehmen, betonen, die Mitternacht im Gleichnis gehe nicht dem Gericht, sondern der Hochzeit voraus, die als Entrückung der Gläubigen und ihre endzeitliche Vereinigung mit Jesus Christus gedeutet werden dürfe.[9] Der Dispensationalist John F. Walvoord sieht darin konkret einen Antisemitismus: das Gericht über die Juden (mit positivem und negativem Ausgang) nach der Zeit der großen Trübsal werde beschrieben, bevor Jesus mit seiner Braut, der Kirche, zurückkomme, um das tausendjährige Reich anzutreten.[10]

Darstellungen in der Kunst

Skulpturen

Törichte Jungfrauen mit Verführer (Straßburger Münster)
Christus mit den klugen Jungfrauen (Straßburger Münster)

Darstellungen als Skulpturen finden sich insbesondere an den Portalen aber auch in mittelalterlichen Kathedralen wie in:

Bilder

In alten Kirchen ist das Gleichnis in Fresken zu sehen. Die Darstellung findet sich dort auch häufig im Chorbogen. Das Motiv wurde von Tirol, über Süddeutschland bis nach Skandinavien verwendet. In Skandinavien fand das Motiv vor allem Eingang in Kirchenbänke und Chorgestühle als Ölbilder. So finden sich auf der schwedischen Insel Gotland in den mittelalterlichen Kirchen von Gothem und Stenkyrka kluge Jungfrauen als Bilddarstellung auf dem Chorgestühl. Selbstverständlich konnten in der Kirche nur die klugen Jungfrauen abgebildet werden, die anderen waren ja gerade vor der Tür geblieben.

Die Nazarener um Friedrich Overbeck griffen im 19. Jahrhundert religiöse Themen wieder auf, so dass die Jungfrauen auch in dieser Phase wieder verstärkt zum Thema der Darstellung in der Kunst wurden.

Kirchenfenster (Glasmalerei)

Kirchenmusik

Es bildet die Grundlage für den Choral von Philipp Nicolai Wachet auf, ruft uns die Stimme (EG 147) und die darauf aufbauende Bachkantate gleichen Namens (BWV 140).

Literatur

→ siehe auch die Abschnitte in den einschlägigen Kommentaren (v.a. Luz, Gnilka) und den Werken zu biblischen Gleichnissen

  • Joachim Jeremias: Die Gleichnisse Jesu. Göttingen 9. Aufl. 1984, S. 34f.116f, ISBN 3-525-33498-2.
  • Armand Puig i Tárrech: La parabole des dix vièrges Mt. 25, 1-13, Rom 1993.
  • Susanne Schmid-Grether: Gleich einem tiefen Brunnen voll Wasser. Neutestamentliche Gleichnisse auf dem jüdischen Hintergrund neu gelesen und verstanden, 5.4 Gleichnis von den zehn Mädchen (S 85-92), ISBN 3-9521622-1-3.
  • Luise Schottroff: Die Gleichnisse Jesu. Gütersloh 2005, S. 44-53, ISBN 3-579-05200-4.

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Andere Überschrift: Die geschlossene Tür, Schottroff, S. 44.
  2. Susanne Schmid-Grether, Gleich einem tiefen Brunnen voll Wasser... Neutestamentliche Gleichnisse auf dem jüdischen Hintergrund neu gelesen und verstanden, Wetzikon, 1998
  3. Craig Blomberg: Die Gleichnisse Jesu
  4. Text bei Schottroff: Gleichnisse, S.45.
  5. Siehe dazu etwa Émile Mâle: Die Gotik. Die französische Kathedrale als Gesamtkunstwerk. Stuttgart, Zürich: Belser, 2. Aufl. 1994, S. 190
  6. Jeremias: Gleichnisse, S. 35.116.
  7. Schofftroff: Tür, S. 44ff.
  8. D. M. Scholer: Women (Gospels) in IVP Dictionary of the New Testament
  9. so Fritz Rienecker: Das Evangelium des Matthäus (Wuppertaler Studienbibel) und Friedrich Eichler: Die Entrückung kurz vor der grossen Trübsal: in allgemeinverständlicher Form biblisch-philologisch begründet, 1924 (zitiert bei Rienecker)
  10. John Walvoord: Das Neue Testament erklärt und ausgelegt, Bnd 4, 1983

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