- Digitale Kinokamera
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Etwa seit der Jahrtausendwende nutzen an Filmproduktionen aller Etatgrößen Beteiligte zunehmend digitale Kinokameras, die anstelle von fotografischem Film Sensoren zur Bildaufzeichnung einsetzen - als Alternative oder Ersatz herkömmlicher 16-mm- oder 35-mm-Filmkameras. Seit 2007 ist die Mehrheit aller verkauften, seit 2008 die Mehrheit aller gelieferten 35-mm-Kameras digital.
2009 wurde erstmals der Oscar für die beste Kameraarbeit an einen größtenteils mit digitalen Kinokameras gedrehten Film vergeben. 2010 schließlich wurde ein mit digitalen Kinokameras gedrehter Film, Avatar, der einspielstärkste Film in der Kinogeschichte.
Inhaltsverzeichnis
Künstler und Pioniere
Der Einsatz von digitaler Bewegtbildproduktion wird oft von Kameramännern, Regisseuren und Produzenten vorangetrieben. Neben weniger bekannten Filmschaffenden und unabhängigen Produktionsfirmen nutzen zahlreiche namhafte Vertreter digitale Kinokameras, zum Beispiel:
- Alex Proyas: Knowing
- Andy Wachowski und Larry Wachowski: Speed Racer
- Anthony Dod Mantle: Slumdog Millionär
- Anthony Hopkins: Slipstream
- Bryan Singer: Superman Returns
- Danny Boyle: Slumdog Millionär
- David Fincher: Zodiac – Die Spur des Killers, Der seltsame Fall des Benjamin Button, The Social Network
- David Lynch: Inland Empire
- David Zucker: Scary Movie 4
- Doris Dörrie: Kirschblüten – Hanami
- Doug Liman: Jumper
- Francis Ford Coppola: Jugend ohne Jugend
- Frank Miller: The Spirit
- George Lucas: Star Wars: Episode II und III
- Guy Ritchie: RocknRolla
- Hans Weingartner: Deutschland 09, Free Rainer
- Jamie Blanks: Long Weekend
- James Cameron: Ghosts of the Abyss, Aliens of the Deep, Avatar – Aufbruch nach Pandora
- Jean-Jacques Annaud: Zwei Brüder
- Joe Dante: The Hole 3D
- Lars von Trier: Dogville, Manderlay, Antichrist
- Lee Tamahori: Next
- Martin Scorsese: Shine a Light, Hugo Cabret
- Mel Gibson: Apocalypto
- Michael Mann: Miami Vice, Collateral
- Michael Moore: Bowling for Columbine
- Peter Greenaway: Nightwatching
- Peter Jackson: Crossing the line
- Peter Segal: Get Smart
- Pitof: Vidocq
- Rob Minkoff: The Forbidden Kingdom
- Robert Altman: A Prairie Home Companion, The Company – Das Ensemble
- Robert Luketic: 21
- Robert Rodriguez: Sin City, Planet Terror
- Roland Emmerich: 2012
- Sidney Lumet: Tödliche Entscheidung – Before the Devil Knows You’re Dead
- Steven Soderbergh: Che – Revolución, Che – Guerrilla, Der Informant!
- Sylvester Stallone: Rocky Balboa
- Tim Burton: Corpse Bride
- Tony Scott: Déjà Vu – Wettlauf gegen die Zeit
- Wolfgang Becker: Deutschland 09
Die sechs Filmemacher James Cameron, Robert Zemeckis, David Lynch, Jean-Jacques Annaud, Tim Burton und Anthony Dod Mantle nutzten spezielle Vorteile der digitalen Kinoproduktion und demonstrierten damit deren vielseitige Einsetzbarkeit. Annaud mischte 35-mm-Film und HDCAM. Burton produzierte mit einer äußerst günstigen digitalen Spiegelreflexkamera Animation und James Cameron machte Unterwasser-3-D-Aufnahmen. David Lynch produzierte mit einer digitalen Kleinkamera. Robert Zemeckis produziert seine Filme mit Motion Capture. Anthony Dod Mantle produzierte mit dem besonders kompaktem Kamerakopf der SI-2K von P+S Technik authentische Bilder realer Szenen auf Mumbais Straßen.
Anbieter und Marktsituation
Die Geschäftsmodelle der Kamerahersteller unterscheiden sich deutlich. ARRI und Panavision vermieten ihre digitalen Kameras ausschließlich selbst oder über Rentalhäuser und betreiben jeweils nur ein paar Dutzend ihrer Geräte. Sony, Red, Thomson und P+S Technik/Silicon Imaging verkaufen ihre Kameras. Die größten Stückzahlen lieferte bisher Sony aus, da das Unternehmen mit HDCAM im Jahr 2000 als erstes den Markt betrat. Indirekt verdient Sony auch am Erfolg der Panavision-Genesis mit, denn diese Kamera wurde ebenfalls von Sony entwickelt und gefertigt. Sony hat laut eigenen Angaben bisher rund 3000 HDCAM-Kameras absetzen können, von denen ein großer Teil jedoch nicht nur für Kino, sondern auch für TV-Serien, Dokumentationen und Werbung eingesetzt wird. Das 2005 in den Markt eingetretene Start-up-Unternehmen Red Digital Cinema Camera Company, das seit September 2007 die Serienversion seiner Kameras ausliefert, hat eine beachtliche Menge Vorbestellungen (mehr als 5000 Kameras weltweit, von denen rund 3000 ausgeliefert sind) sammeln können. Dieses stellt eine deutliche Vergrößerung des Marktes dar. Weitere Anbieter sind die Firmen Dalsa und Ikonoskop. Von Dalsa ist jedoch (Stand: Sept 2007) in Europa keine Kamera präsent oder angekündigt. Arri und Panavision sind als Weltmarktführer für Filmkameras weniger bemüht, digitale Kameras zu etablieren, als die Anbieter Sony, Red und Thomson, die nur digitale Kameras verkaufen.
Die relevanten digitalen Kinokameras und ihre wichtigsten Eckdaten
Die aufgeführten digitalen Kinokameras stellen über 95 Prozent des Marktes dar. Vermutlich nicht mehr zur Serienreife gelangende Kameras (z. B. Kinetta) und Spezialkameras (z. B. Speedcam, High-Speed-Kamera) wurden der Übersicht halber nicht aufgeführt.
Hersteller Modell Typus Sensor-
format/ -größeSensor-
auflösung/ MPAusgabe-
auflösungBildwiederhol-
ratenLinsen-
anschlussSucher-
optionenFarbtiefe/ -raum Gewicht Größe seit Panavision / Sony Genesis / F35 Kamera externer Rekorder
16:9 S35 CCD
~ 4600 x 2500, 12.4 MP 1080p 1920x1080, 16:9
1-50p Panaflex / Arri PL Elektronisch 10bitRGB444 >8kg 2005 ARRI Alexa Kamera interne filebasierte Aufzeichnung (SxS-Speicherkarten, Festplatten)
16:9 S35 CMOS
3392 x 2200 2880 x 1620 1920 x 1080 (HD 16:9)
0,75-60 HD-SDI und 422 0,75-30 ARRIRAW 0,77-40 ProRes4444
Arri PL Elektronisch (Optisch in Vorbereitung)
12bit RGB444 10bit YCbCr422
6,3kg (7,7kg drehfertig) 33x16x16 cm 2010 ARRI D20 Kamera externer Rekorder
4:3 35ANSI CMOS
3018 x 2200, 4:3, 6.6 MP 2880 x 1620, 16: 9, 4,7 MP
3018x2200, 4:3 1920x1080 16:9
1-60p Arri PL Optisch 10bit RGB444 12bit RAW
>7kg 39x19x30 cm 2005 P+S Technik / Silicon Imaging SI-2K Camcorder oder extern mit abgenommenem Kamerakopf
16:9 2/3" CMOS
2048 x 1152, 2.4 MP 2K 2048 x 1152 1920 x 1080
oder kleiner
25p 30p
bis zu 150p
Interchangeable Mount System: B4 2/3, C, Arri PL, Canon EF und FD, Nikon F und Professional F, Leica R und M, Panavision Elektronisch und Optisch 10bit log RAW 12bit lin RAW
7,25kg 0,6kg (Kamerakopf)
29x21x16 cm 10,5x7x4,5 cm (Kamerakopf)
2007 Red One Camcorder oder extern
16:9 S35 CMOS
4900 x 2580, 12,6 MP
2540p , 4K 4520 x 2540 16:9
<1-120p Arri PL, Canon Nikon, B4 2/3
Elektronisch und Optisch 10bitRGB444 12bit RAW
>4.5 kg 30x13x16 cm 2007 Dalsa Origin Kamera externer Rekorder
16:9 S35 single CCD
4096 x 2048, 8.2 MP
4K 4096 x 2048 16:9
24-30p Arri PL Optisch 16bit lin RAW >10 kg 2006 Sony 900R Camcorder oder extern
16:9 2/3 3 * CCD
3 * 2,2, 6,6 MP 1080p 1920x1080 16:9
24,25,30p 50, 60i, slowshutter
B4 2/3 Elektronisch 10bitYUV422 8bit YUV311
>4.5 kg 2006 Sony 750P Camcorder oder extern
16:9 2/3 3 * CCD
3 * 2,2, 6,6 MP 1080p 1920x1080 16:9
25p 50i, slowshutter
B4 2/3 Elektronisch 10bitYUV422 8bit YUV311
>4.5 kg 2003 Sony F23 Kamera externer Rekorder
16:9 2/3 3 * CCD
3 * 2,2, 6,6 MP 1080p 1920x1080 16:9
1-60p B4 2/3 Elektronisch <30p 10bitRGB444 >30p 10bitYUV422
>5 kg 2007 Thomson Viper Kamera externer Rekorder
16:9 2/3 3 * CCD
3 * 9,2, 27,6 MP 1080p 1920x1080 16:9
24,25,30p1080 50,60p720
B4 2/3 Elektronisch nur schwarz/weiß
10bitRGB444 10bitYUV422
>4.2 kg 21x13x24 cm 2003 Die Kriterien für die Aufnahme in die Tabelle:
- Mindestens 1920x1080 Pixel physikalische Auflösung der Sensoren, 24 beziehungsweise 25 progressive Bilder pro Sekunde, unkomprimierte Aufzeichnungsmöglichkeit, 2/3-Zoll-Sensor oder größer, B4, Panavision- oder Arri PL-Objektivfassung
- Nutzung durch mindestens einen namhaften internationalen Regisseur für öffentliche projizierte Aufführung
- kauf- oder mietbar in der Europäischen Union
- vermutliche Kandidaten für eine Aufnahme in die Tabelle: Phantom 65, Weisscam, PScamX35, Indicam POV, A-cam dll.
Auflösungsvergleich beim Seitenverhältnis 16:9
Auflösungsvergleich von normaler TV- (PAL, NTSC, SD) über 1080p- (Sony, Panavision, Thomson, P+S Technik/Silicon Imaging) bis hin zu 2540P-Auflösung (RED)
Gründe für den Einsatz, Pro und Contra
Auch wenn, insbesondere in Deutschland, noch viel Unsicherheit und kontroverse Diskussionen hinsichtlich der digitalen Kinoproduktion existieren, sind doch Pro und Contra leicht zu trennen. Die Bedenken bei der Transformation von chemisch-mechanischen Methoden hin zur digitalen sind klassische Kritik ähnlich beispielsweise dem Übergang von der traditionellen Fotografie zur elektronischen, vom Tonband zum Hard-Disk-Rekorder, vom Bleisatz zu Desk Top Publishing, von der Rillenschallplatte zur Compact Disc usw.
Die Hauptgründe für den Einsatz von digitaler Kinoproduktion sind
- Sofortige Prüfung des Ergebnisses am Drehort. Bei der Aufzeichnung auf Negativ kann erst nach der Entwicklung und Abtastung überprüft werden, ob die Aufnahmen technisch und inhaltlich einwandfrei sind.
- Geräuschentwicklung. Analoge Filmkameras verursachen aufgrund des sich bewegenden Filmmaterials eine bisweilen deutliche Geräuschentwicklung, was bei Tonaufnahmen wichtig sein kann.
- Größere Produktionssicherheit. Digitale Daten können sofort dupliziert werden.
- Effizienterer Workflow. Bestimmte Arbeitsschritte entfallen ganz (Filmabtastung) oder rücken zeitlich näher zusammen (Videomuster sind u. U. bereits am Set verfügbar).
- Senkung der Aufnahmekosten. Filmnegativ als Rohmaterial ist im Vergleich zu Videobändern relativ teuer. Gleiches gilt für Weiterverarbeitung (Entwicklung, Video-Abtastung, Kopierung, Schnitt usw.).
- Längere Laufzeit. Aufgrund der endlichen Rollenlänge sind Aufnahmen auf Negativmaterial zeitlich begrenzt. Bei Aufnahmen auf 35-mm-Negativ lassen sich beispielsweise Aufnahmezeiten ohne Unterbrechung von ca. 11 Minuten (4-Perf) bis zu 22 Minuten (2-Perf) realisieren. Bei der digitalen Aufzeichnung sind deutlich höhere Aufnahmezeiten von bis zu 50 Minuten möglich (z. B. mit dem Sony SRW-1 Fieldrecorder). In der Praxis sind noch längere Zeiten üblich, vor allem auf Festplatten, und werden oft eingesetzt, insbesondere für Dokumentationen. Die 2008 und 2009 meistverkaufte 35-mm-Kamera bspw. ist digital und bietet derzeit 320 Minuten in 4K- und rund 1200 Minuten in 2K-Auflösung ununterbrochene Aufzeichnungskapazität pro digitalem Magazin.
- Archivierung. Während Filmmaterial nicht verlustfrei umkopiert und absolut sicher als Original auf Dauer an verschiedenen Orten parallel gesichert werden kann, ermöglichen digitale Kinokameras wie alle Datensysteme ein unendlich oft identisch kopierbares und räumlich dezentral gleichzeitig verwahrbares Master. Alterungsprozesse des Trägermaterials, die bei chemischem Film nicht vermeidbar sind, können durch Umkopieren ohne jegliche Veränderung des Originalbildinhaltes komplett vermieden werden. Weiterhin können Originale digitaler Aufzeichnung auch Dritten zugänglich gemacht werden, ohne das Original in Mitleidenschaft zu ziehen, was bei Film nicht möglich ist.
- Höherer Kontrastumfang; Kameras wie bspw. die Spheron HDRv bieten 20 Blenden Helligkeitsumfang, erheblich mehr als typisches 35-mm-Filmnegativ.
Die Hauptgründe gegen den Einsatz von digitaler Kinoproduktion sind
- Sehr hohe Investitionen. Filmkameras sind oft schon vorhanden.
- Qualifikations- und Personalbedarf. Manchen Kameraleuten und Kameraassistenten mangelt es oft noch an Erfahrung und Berufspraxis im Umgang mit der digitalen Aufnahmetechnik. Zudem entstehen neue, zusätzliche Tätigkeitsbereiche im Hinblick auf die Verwaltung und Sicherung der digitalen Aufnahmen direkt am Set.
Inzwischen hinfällige Argumente gegen digitale Kinoproduktion sind
- Andere Schärfentiefen. Vor dem Erscheinen von Arri, Red und Panavision hatten alle digitalen Kinokameras 2/3-Zoll-Sensoren, was - aufgrund der verwendbaren Optiken - eine 16-mm-Film-Schärfentiefe im Gegensatz zu jener von 35-mm-Film erzeugte.
- Kein Zugriff auf klassische Filmoptiken. Seit dem Erscheinen der Arri-PL- und auf Panavision basierenden Kameras können nun alle Optiken verwendet werden.
- Geringerer Blendenumfang. Inzwischen stehen verschiedene digitale Kameras mit erheblich mehr Blendenumfang als bei Film zur Verfügung.
Oft angemerkt wird, dass in der Praxis digital häufig deutlich mehr Material gedreht wird, da die Kosten und die Arbeitsunterbrechung beim Materialwechsel vernachlässigbar sind. Dies begrüßen manche Filmschaffende, bspw. Dokumentarfilmer, oft, wobei mehr gedrehtes Material nicht nur einen Vorteil darstellen kann: Zwar kann gegebenenfalls die eine wichtige Aufnahme digital aufgezeichnet sein, mehr Material bedeutet meist jedoch auch erhöhte Kosten in der Postproduktion.
Derzeitige Verbreitung und Ausblick
Bei Neuverkäufen übertreffen digitale Kinokameras mechanische Kameras inzwischen erheblich, insbesondere im 35-mm-Segment. Die Verdrängung von Film durch digitale Aufzeichnung ist im Kino bei weitem noch nicht so fortgeschritten wie in der Fotografie. Hintergrund hiervon sind bzw. waren
- Die extrem hohen Investitionen, welche mit Leichtigkeit 150.000 bis 300.000 Euro pro System betragen können, da oft neue Objektive, Peripherie etc. notwendig sind.
- Die beiden traditionellen 35-mm-Film-Kamera-Hersteller und -Vermieter Arri und Panavision bieten erst seit Ende 2005/Anfang 2006 digitale Kameras an.
- Die Vorreiterrolle nahm ab 2000 Sony ein, deren 1080p-basierendes HDCAM-Format für den Löwenanteil aller digital produzierten Kinofilme eingesetzt wird, und Sony war in der Kinobranche als Kamerahersteller zuvor nicht vertreten.
- Die Qualifikation von Personal. Viele sehr gute 35-mm-Film-Kameraleute haben keinerlei Erfahrung mit digitaler Produktion.
- Die ersten digitalen Kinokameras haben 2/3-Zoll-B4-Optikanschluss. Das entspricht eher Super-16-Schärfentiefe und verhinderte die Nutzung der existierenden 35-mm-Film-Optiken, was sehr hohe Investitionen in neue 2/3-Zoll-B4-Objektive bedingte.
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