- Erziehungsstil
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Erziehungsstile sind Methoden, Grundsätze sowie theoretische Hintergründe, die bei der Erziehung, vor allem der Kindererziehung in Elternhaus und Schule (Unterrichtsstil)[1] , bewusst oder meist unbewusst angewendet werden. Die Erziehungsstilforschung ist ein Teilgebiet der Sozialisationsforschung.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Einzelne Erziehungsstile wurden zur Zeit der Aufklärung beschrieben, wie zum Beispiel Jean-Jacques Rousseau mit seiner negativen Erziehung oder Heinrich Pestalozzi mit seiner naturgemässen Erziehung. Die wissenschaftliche Erforschung begann im 20. Jahrhundert. 1930 erschien Alfred Adlers Lehrbuch der Kindererziehung, in dem er die individualpsychologischen Konzepte auf die kindliche Entwicklung und auf die Erziehung in Schule und Elternhaus anwandte. Er hob besonders die überstrenge, die verwöhnend-verzärtelnde und die vernachlässigende Erziehung als störend bei der Charakterbildung hervor [2][3]. Im Rahmen der Wiener Schulreform schuf man ein der neuen demokratischen Republik angemessenes Schulsystem mit demokratischem Erziehungsstil.
Als Begründer der Erziehungsstilforschung gilt der Sozialpsychologe Kurt Lewin, der Ende der 1930er Jahre in den USA Feldexperimente zu den Wirkungen unterschiedlicher Führungsstils auf das Leistungsverhalten von Jugendgruppen durchführte. Dabei unterschied er zwischen dem autoritärem, dem Laissez-faire und dem demokratischen Erziehungsstil [4]. In späteren Arbeiten wurde der autoritäre Stil auch als dominativ und der demokratische Stil als sozial-integrativ (Tausch & Tausch, 1963) oder als autoritativ (Diana Baumrind, 1971) bezeichnet. Die Erziehungsstilforschung wurde stark von der Sozialpsychologie beeinflusst, weil ein bestimmter Erziehungsstil immer auch ein bestimmter Führungsstil ist. In den 1940er Jahren entwickelte Alfred L. Baldwin noch heute angewandte Untersuchungsmethoden zur Analyse von Eltern-Kind-Interaktionen in den sogenannten Fels-Studien mittels Fragebögen und langfristigen Beobachtungen. Diese bildeten die Grundlage für die umfassenden Arbeiten von Diana Baumrind in den 1960er Jahren. Ihre Untersuchungen und Kategorisierungen von Erziehungsstilen haben die moderne Forschung stark beeinflusst. Baumrind unterschied zwischen den zwei verschiedenen Dimensionen von Erziehungsstilen, der Kontrolle (Lenkung) und der Responsivität. In den 1960er untersuchten die beiden deutschen Psychologen Anne-Marie Tausch und Reinhard Tausch das Verhalten der Erziehenden mithilfe verschiedener Dimensionen. Sie erfassten das Ausmaß an Lenkung einerseits und emotionaler Wärme und Wertschätzung andererseits.
Parameter der Erziehung
Der Erziehungsstil wird in erster Linie durch die Persönlichkeitsstruktur und den Lebensstil (Individualpsychologie) der Erzieher und ihre erworbene und meist unbewusste Auffassung von Erziehung bestimmt. Der in der Herkunftsfamilie erfahrene Erziehungsstil wirkt sich nachweislich auf den eigenen Erziehungsstil aus [5]. Untersuchungen von Harry Harlow [6] zeigten, dass auch bei Primaten der Erziehungsstil erworben und nicht vererbt wird. Beim Erwerb des Erziehungsstils spielen neben der Vorbildwirkung (Lernen am Modell) der Erzieher in Elternhaus und Schule mit ihren konkreten Erziehungsinhalten und -zielen, die soziokulturelle Situation (Schichtzugehörigkeit der Familie) mit ihren spezifischen Erziehungsnormen, die Familienkonstellation und -dynamik (Geschwisterreihe) und auch die gesamtgesellschaftliche und kulturelle Situation, die auf die Familie einwirkt, eine Rolle. Walter Toman untersuchte den prägenden Einfluss der Geschwisterpositionen und begründete ihn empirisch und theoretisch [7]. In der westlichen Gesellschaft existieren verschiedene Erziehungsstile nebeneinander. Was als guter Erziehungsstil angesehen wird, ist auch gewissen gesellschaftlichen Trends unterworfen, wie die unterschiedlichen Erziehungsstile in der Kinderrechtsbewegung der 1970er Jahre und innerhalb der Gegenreaktion in den 1980ern zeigen.
In der Praxis ist die Unterscheidung eines Erziehungsstils und der damit verbundenen Erziehungsmethoden nicht eindeutig, da zum einen nicht immer eine klare Trennung möglich ist, zum anderen weil häufig Mischformen auftreten. So kann es zum Beispiel sein, dass Erzieher mit überwiegend demokratischem Stil in einigen Situationen autoritäre Methoden anwenden. Bei Diana Baumrind wird psychologisch zwischen den zwei Dimensionen 'Kontrolle/Lenkung' und 'Responsivität' unterschieden. Daraus ergeben sich die folgenden Erziehungsstile: permissiv ‒ autoritativ ‒ vernachlässigend ‒ autoritär (vgl. Grafik).
Erziehungsstile von „autoritär“ bis „anti-autoritär" autokratisch autoritär demokratisch egalitär permissiv laissez-faire negierend Diese Haupterziehungsstile können noch weiter unterteilt werden, so fügt Glen Elder autokratische, egalitäre, negierende und flexible Erziehungsstile hinzu (siehe Grafik).[8]
Hohe Kontrolle
Autoritärer Erziehungsstil
Er zeichnet sich durch hohe Kontrolle und geringe Responsivität aus. Die Erzieher sind hierbei dem zu Erziehenden gegenüber sehr zurückweisend und stark kontrollierend. Es werden strenge Regeln aufgestellt und die Autorität darf nicht hinterfragt werden. Bei unerwünschtem Verhalten wird harte Bestrafung angewendet, die auch physisch sein kann. Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass autoritär erzogene Kinder eher später selbst zu Aggressionen neigen und sich durch eine geringe soziale Kompetenz und ein geringes Selbstwertgefühl auszeichnen. Der autoritäre Stil, der mit einem interventionalen Erziehungsbegriff einhergeht, setzt stark auf die Erziehungsmittel Belohnung und Bestrafung und weniger auf Überzeugung, vermittelt aber meist Sicherheit. Die Meinung des zu Erziehenden wird akzeptiert, zum Schluss bestimmt jedoch der Erzieher, der erst später in den Hintergrund tritt.
Wie Ruth K. Chao aufgewiesen hat, ist Baumrinds Klassifikation ‒ insbesondere ihre Unterscheidung von „autoritär“ und „autoritativ“ ‒ ethnozentrisch und eventuell nur für die Beschreibung moderner westlicher Erziehungsstile geeignet. In kollektivistischen Kulturen wie z. B. China sind Erziehungssstile beheimatet, die hohe Kontrolle problemlos mit hoher Responsivität vereinen, westlichen Vorstellungen von autoritativer Erziehung aber ebenso wenig entsprechen, weil Bildung und Leistung in diesem Fall höher bewertet werden als soziale Kompetenzen und Selbstwertgefühl. (Einzelheiten siehe weiter unten.)
Autokratische Erziehungsstile Beim autokratischen Erziehungsstil wird gegenüber dem zu Erziehenden ein hohes Maß an Autorität ausgeübt. Eine mögliche Eigeninitiative und die Meinung des zu Erziehenden werden unterdrückt bzw. nicht berücksichtigt.
Autoritative Erziehungsstile
Der autoritative Erziehungsstil zeichnet sich durch hohe Kontrolle und hohe Responsivität (Akzeptanz) der Erziehenden aus und kann deshalb als kinderzentrierter Erziehungsstil bezeichnet werden. Die Eltern haben hohe Erwartungen an das kindliche Verhalten, sie setzen klare Standards und Regeln, auf deren strikte Einhaltung geachtet wird. Generell herrscht eine offene Kommunikation, wobei der kindliche Standpunkt geachtet, der eigene aber auch vertreten wird. Die Kinder zeigen eher hohe soziale und intellektuelle Kompetenzen und besitzen ein hohes Maß an Eigenkontrolle. Nach Baumrind zeichnet sich dieser Erziehungsstil einerseits durch hohe Anforderungen und andererseits durch einen hohen Grad an Unterstützung durch die Erzieher aus. Eltern müssen auf einer Forderung beharren und/oder einem Wunsch ihres Kindes entgegentreten, auch wenn dieses den Widerstand des Kindes hervorruft. Wenn die dabei entstehende Konfrontation zu einem zwangsfreien Aushandeln oder zu einer gemeinsam erarbeiteten Lösung führt, fördert dies die Selbstsicherheit eines Kindes und erweitert sein Repertoire an Kommunikationsmöglichkeiten. Dieser Erziehungsstil fördert die optimale Kompetenz, als höchstmöglicher Grad an Verbundenheit und Selbständigkeit, der Kinder am stärksten. Nach ihren Forschungsergebnissen sind die Entwicklung von Fertigkeiten, von positiven Selbstzuschreibungen und von sozial verantwortungsvollen Problembewältigungsstrategien ein Ausdruck dieser optimalen Kompetenz.
Varianten
Sozial-Integrativer Erziehungstil
Der sozial-integrative Erziehungsstil zeichnet sich durch eine hohe Wertschätzung und Zuneigung bei mittlerer Lenkung und Kontrolle aus. (Tausch&Tausch)
Demokratischer Erziehungsstil
Der demokratische Erziehungsstil lässt sich mit dem reformpädagogischen Erziehungsbegriff verbinden. Hier spielen Konsens und Partizipation beim Einsatz von Erziehungsmaßnahmen eine größere Rolle. Erziehungshandeln soll für alle Beteiligten transparent sein. Der zu Erziehende wird als ernster Gesprächspartner betrachtet und soll mit steigendem Alter selbstständiger und eigenverantwortlicher handeln. Die Notwendigkeit, manchmal Grenzen zu setzen, wird im Regelfall besprochen.
Egalitärer Erziehungsstil
Beim egalitären Erziehungsstil haben Erzieher und zu Erziehender dieselben Rechte und Pflichten. Die Meinung des zu Erziehenden wird nicht nur eingeholt und berücksichtigt, sondern besitzt das gleiche Gewicht wie die des Erziehenden. Dieser Erziehungsstil berücksichtigt nicht oder zu wenig, dass Kinder teilweise andere natürliche Bedürfnisse (Schutz, Erziehung, Ausbildung usw.) haben als Erwachsene, weil sie sich noch in Entwicklung befinden.
Flexibler Erziehungsstil
Der Flexible Erziehungsstil akkumuliert Tendenzen der vorhandenen Erziehungsstile. Er unterscheidet sich insofern von anderen Erziehungsstilen, als dass er fordert, den jeweils 'richtigen' Erziehungsschritt situationsabhängig abzuleiten. Eine angemessene Interaktion mit dem zu Erziehenden steht dabei im Vordergrund.
Forschung
Es gibt inzwischen eine große Zahl von Forschungsbefunden aus dem amerikanischen oder dem europäischen Raum zu den Auswirkungen elterlicher Erziehungsstile auf die Kinder und Jugendlichen. Danach weisen in der Gesamtschau Kinder und Jugendliche, die in einem autoritativen Elternhaus aufwachsen, eine Reihe von Eigenschaften auf, die heute als wünschenswert angesehen werden. Hierzu gehören Eigenschaften wie: Leistungsbereitschaft, Selbstvertrauen, Eigenständigkeit, psychosoziale Reife und Selbstkontrolle. [9] Längsschnittstudien kommen zu dem Ergebnis, dass diese positiven Effekte auf die autoritative Haltung und die daraus abgeleiteten Verhaltensweisen der Eltern zurückzuführen sind und nicht etwa auf andere Einflussgrößen. [10] Auch wenn die Kinder sich mit zunehmendem Alter mehr und mehr von den Eltern ablösen und in selbst gewählten Gleichaltrigengruppen leben, geben die Eltern mit ihrem Erziehungsverhalten die Richtung für die weitere Selbstentwicklung ihrer Kinder vor. [11] Ferner gibt es Zusammenhänge zwischen elterlichem Erziehungsstil, kognitiver Leistungsfähigkeit und schulischer Kompetenz. [12]. Ein autoritativer Stil der Lehrer trägt dazu bei, dass Kinder sich zu emotional angepassten, eigenständigen, leistungsfähigen und sozial kompetenten Personen entwickeln,[13] während sich der autoritäre und der permissive Stil eher negativ auf Schulleistungen auswirken. In Untersuchungen bei englischen Jugendlichen[14] wurde festgestellt, dass nicht-autoritatives Erziehungsverhalten mit einer höheren Tendenz zu abweichendem und störendem Verhalten in der Schule einhergeht. Auch neigten Jugendliche aus diesen Elternhäusern weniger dazu, ihre schulischen Leistungen auf eigene Fähigkeiten und Ausdauer zurückzuführen. Verglichen mit ihren Mitschülern nannten sie häufiger externale Ursachen als Begründung für gute Noten. Schlechtes Abschneiden führten sie jedoch auf internale Ursachen wie mangelnde Fähigkeiten zurück.
Es ergibt sich somit – zumindest für den westlichen Kulturkreis – eine Konvergenz der Forschungsbefunde [15], die unabhängig von theoretischen Positionen und den gewählten methodischen Zugangsweisen ist. Wenn Eltern einen autoritativen Erziehungsstil praktizieren, wird die Entwicklung ihrer Kinder zu selbstbewussten, emotional stabilen, sozial kompetenten, selbstverantwortlichen und leistungsfähigen Personen gefördert.[16] In neuerer Zeit hat sich in der Erziehungspsychologie ein ökologisch-systemischer Forschungsansatz durchgesetzt[17], der von den Wechselbeziehungen aller am Erziehungsprozess beteiligten Personen und ihrem Lebenskontext ausgeht. [18]
Geringe Kontrolle
Permissive Erziehungsstile
Beim permissiven Erziehungsstil herrschen Akzeptanz und Responsivität vor und die Kontrolldimension wird niedrig gehalten. Die Erziehenden zeichnen sich durch hohe Toleranz und Akzeptanz des kindlichen Verhaltens aus. Es werden selten Kontrolle oder Bestrafung ausgeübt. Der permissive Erziehungsstil ist eine gemäßigte Form des Laissez-faire-Erziehungsstils. Der Erziehende hält sich bei der Erziehung eher zurück, ein Setzen von Grenzen findet selten statt.
Verwöhnend-verzärtelnder Erziehungsstil
Der verwöhnende Erziehungsstil und seine Auswirkungen wurden 1904 erstmals vom Wiener Arzt Alfred Adler [19] beschrieben. Charakteristisch an diesem Erziehungsstil ist eine überbeschützende Fürsorge und Handeln für das Kind in Situationen, in denen es darum ginge, die Fähigkeit des Kindes zur Selbständigkeit und Kooperation mit anderen zu stärken. Kinder und Jugendliche, die mit diesem Erziehungsstil erzogen wurden, zeigen hohe Ansprüche an die Umgebung, die in ungeduldig-forderndem Ton vorgetragen werden, quengelige Unzufriedenheit, gepaart mit geringem Selbstvertrauen und unterentwickelter Leistungsbereitschaft. Sie werden ebenso lebensuntüchtig wie tyrannisch. Der verzärtelnde oder verwöhnende Lebensstil eines Menschen kann gemäß Adler sowohl das Resultat des verwöhnenden als auch des vernachlässigenden Erziehungsstils sein.
Vernachlässigende Erziehungsstile
Hierbei verhalten sich die Eltern zurückweisend und nicht kontrollierend. Das Ausmaß, in dem sich die Eltern für das Kind verpflichtet fühlen, ist sehr gering, sie investieren nur minimale Kosten an Zeit und Anstrengungen in das Kind und sind sehr stark distanziert. Insgesamt kann dieser Erziehungsstil als der für ein Kind unangenehmste bezeichnet werden. Dies kann unter anderem darin resultieren, dass die Kinder Störungen im Bindungsverhalten aufweisen und starke Defizite in verschiedenen Bereichen (Selbstwert, Selbstkonzept, intellektuelle Entwicklung) haben. Auffallend ist der geringe Grad der Selbstkontrolle und die mangelnde Aggressionskontrolle.
Laissez-faire-Erziehungsstil
Der Laissez-faire-Erziehungsstil korrespondiert mit dem antipädagogischen Erziehungsbegriff. Erziehung wird hier als ein nicht legitimer bzw. unnötiger Eingriff in die kindliche Entwicklung aufgefasst, und dementsprechend unterbleiben zielgerichtete Erziehungsversuche. Bei diesem Erziehungsstil verhält sich der Erzieher dem zu Erziehenden gegenüber eher passiv. Es werden nur minimale bis keine Vorgaben gemacht, so dass das Kind im Wesentlichen sich selbst überlassen wird.
Negierender Erziehungsstil
Beim negierenden Stil kann nicht von bewusster Erziehung gesprochen werden; das Verhalten des zu Erziehenden wird vom Erzieher nicht beeinflusst. Es gibt keine Erziehungsbemühungen und kein Interesse gegenüber der Entwicklung des zu Erziehenden.
Weitere Dimensionen der Erziehung
Das Maß der Kontrolle und der Responsivität, die Eltern in ihrer Erziehung walten lassen, sind nicht die einzigen möglichen Kriterien, nach denen Erziehungsstile klassifiziert werden können.
Ein weiteres Kriterium sind die Dimensionen des kindlichen Verhaltens, denen die Eltern besondere Beachtung schenken. Ein Beispiel: Als „Overparenting“ (deutsch etwa: „Übererziehen“, „Überbehüten“) wird im englischen Sprachraum ein Erziehungsstil bezeichnet, der durch exzessives, einmischendes Mikromanagement der Eltern im Bereich der Stimmungen und Befindlichkeiten des Kindes gekennzeichnet ist. Derartige Eltern fixieren ihre Wahrnehmung und ihr Verhalten darauf, ihr Kind möglichst pausenlos glücklich und unbeschwert zu halten, und intervenieren als Lobbyisten ihres Kindes unentwegt z. B. bei Schulleitern und Lehrern, aber auch bei Eltern von Freunden des Kindes, was zur Folge hat, dass diese Kinder kaum lernen, sich selbst zu helfen oder sich aus eigener Kraft emotional zu stabilisieren. Obwohl solche Eltern ihr Kind beständig beobachten ‒ sie werden deshalb umgangssprachlich auch als Helicopter parents („Hubschrauber-Eltern“) bezeichnet[20] ‒, entgeht ihnen oft vollständig, welche Kapazitäten das Kind im Bereich z. B. der Self-help skills oder des verantwortungsvollen sozialen Miteinanders entwickelt. Die Familientherapeutin Wendy Mogel hat über diesen in der amerikanischen Mittelschicht überaus verbreiteten Erziehungsstil ein viel beachtetes Buch The Blessings of a Skinned Knee (2001) publiziert.
Erziehungsstile in verschiedenen Kulturen
China
Das Familiensystem und die Erziehung in China waren traditionell von der konfuzianischen Philosophie geprägt. Eltern hatten große Autorität über ihre Kinder, und von diesen wurde Gehorsam erwartet.[21] Das westliche Lesepublikum hat sich mit dem Erziehungsstil der chinesischen Kaiserzeit u. a. durch Romane wie Der Seidenfächer von Lisa See vertraut machen können.
Die Politik der 1949 gegründeten Volksrepublik China hatte tiefgreifende Veränderungen der alten Familienordnung zum Ziel, insbesondere eine Ablösung der patriarchalischen Strukturen durch egalitäre Beziehungen. Wie der amerikanische Soziologe William J. Goode aufgewiesen hat, war dieser Wandel zum Teil schon vor 1949 auf dem Wege.[22] Die 1979 eingeführte Ein-Kind-Politik hatte weitere Veränderungen der Familienstruktur und des Erziehungsstils zur Folge.[23] Drastisch zugenommen hat seitdem auch die Zahl der Elternbildungsprogramme; im Jahre 2001 bestanden in der Volksrepublik China etwa 240.000 Elternschulen.[24] Viele jüngere Entwicklungen im Verhältnis zwischen chinesischen Eltern und Kindern sind bisher jedoch noch kaum dokumentiert.[25]
Chinesische Amerikaner
Weitaus besser als die jüngeren Entwicklungen in China ist der Erziehungsstil der chinesischen Amerikaner untersucht; dieser hat u. a. durch Amy Chuas Buch Battle Hymn of the Tiger Mother hohe Aufmerksamkeit auch bei den Teilnehmern des allgemeinen Erziehungsdiskurses gefunden. Wie die Psychologin Ruth K. Chao aufgewiesen hat, unterscheiden chinesisch-amerikanische Eltern sich von europäisch-amerikanischen Eltern u. a. hinsichtlich der Wertvorstellungen, die sie erzieherisch umzusetzen versuchen. So legen sie mehr Wert als die europäisch-amerikanische Vergleichsgruppe auf Bildung und sind, wenn es um die Bildung ihrer Kinder geht, eher bereit, eigene Interessen zu opfern; weniger wichtig als europäisch-amerikanischen Eltern ist es ihnen dagegen, dass ihre Kinder soziale Kompetenzen und ein hohes Selbstwertgefühl entwickeln.[26]
Chao weist darauf hin, dass die Fachliteratur, die sich mit dem Erziehungsstil der chinesischen Amerikaner auseinandersetzt, von einem Paradox geprägt ist. Da chinesisch-amerikanische Eltern an ihre Kinder im allgemeinen hohe Forderungen stellen, strikte Verhaltensregeln aufstellen und diese mit den Kindern kaum diskutieren, wird ihr Erziehungsstil meist als „leistungsorientiert“, „streng“, „kontrollierend“ oder „autoritär“ beschrieben.[27] Während bei europäischstämmigen Amerikanern hoher Schulerfolg tendenziell an einen autoritativen Erziehungsstil gebunden ist, ist der Schulerfolg chinesisch-amerikanischer Kinder auffällig hoch, obwohl diese nach dem Eindruck der Forscher autoritär erzogen sind und die Eltern ‒ nach einem kurzen, aber intensiven Engagement in der Vorschulbildung[28] ‒ in das Lernen der Kinder weniger involviert sind als europäisch-amerikanische Eltern.
Es gibt in der Fachliteratur verschiedene Ansätze, dieses Paradoxon zu erklären. Stanley Sue und Sumie Okazaki haben vermutet, dass die Nachteile, die jungen chinesischen Amerikanern aus einer strengen Erziehung ihrer Meinung nach erwachsen, kompensiert werden durch den Leistungswillen, der aus der Furcht vor sozialem Misserfolg und Diskriminierung genährt wird ‒ einer Empfindlichkeit, die in dieser Minderheit besonders ausgeprägt ist.[29] Laurence Steinberg et al. dagegen nehmen an, dass das „Kompensat“ in der massiven Unterstützung liege, die chinesisch-amerikanische Schüler sich in ihrer Peergroup verschaffen.[30]
Eine grundsätzlich andere Erklärung bietet Ruth Chao an, die sich dagegen wehrt, den chinesisch-amerikanischen bzw. chinesischen Erziehungsstil als schwarze Pädagogik zu brandmarken. Chao bemängelt, dass der von Diana Baumrind definierte Begriff „autoritär“ im Kontext des chinesisch-amerikanischen Erziehungsdiskurses Schwächen und einen folgenschweren Ethnozentrismus erkennen lasse; er trage nicht den besonderen Implikationen Rechnung, die die konfuzianisch geprägten Begriffe 管 (guǎn; „leiten“, „lieben“, „versorgen“) und 教训 (jiāo xùn; „Training“) in der chinesischen Kultur besitzen.[31] Dabei geht es nämlich nicht um eine auf Kosten der Kindesautonomie praktizierte Selbsterhöhung der Eltern, sondern um den Beitrag, den die Eltern leisten, um ihr Kind in die Verhaltensweisen einzuüben, die in ihrer Kultur als wichtig erachtet werden, insbesondere gute Schulleistungen. Die starke Bildungsorientierung wurzelt im konfuzianischen Meritokratie-Konzept, das seinen weltlichen Niederschlag über viele Jahrhunderte hinweg in der chinesischen Beamtenprüfung gefunden hat. Während die westliche Pädagogik traditionell davon ausgeht, dass ein autoritärer Erziehungsstil mit häufigen Strafen und einem abweisenden Verhalten gegenüber dem Kind einhergeht, kann dies in kollektivistischen Kulturen wie der chinesischen tatsächlich ganz anders aussehen.[32] Da der chinesisch-amerikanische Erziehungsstil mit dem westlichen Konzept eines autoritativen Erziehungsstils in weiten Teilen offensichtlich nicht übereinstimmt, fällt er, wenn das Messinstrument zu grob justiert ist, allzu leicht auch dann in die Kategorie „autoritär“, wenn er dem westlichen Konzept von „autoritärer Erziehung“ eigentlich ebensowenig entspricht. In ihren eigenen Untersuchungen hat Chao das Messinstrument entsprechend differenziert und nachweisen können, dass chinesisch-amerikanische Kinder weitaus weniger grob unterdrückerisch und hartherzig erzogen werden, als dies auch von Fachkollegen bis dahin angenommen worden ist; auch reagieren diese Kinder auf elterliche Kontrolle im allgemeinen weniger wütend als europäisch-amerikanische Kinder.[33] Chao hat sogar nachgewiesen, dass die liebevolle Zuwendung zum Kind bei chinesisch-amerikanischen Müttern ebenso hoch ist wie in der europäischstämmigen Vergleichsgruppe.[34] Den hohen Schulerfolg chinesisch-amerikanischer Kinder erklärt sie mit dem leistungsfördernden Umfeld, das chinesische Familien ihren Kindern bieten; insbesondere hebt sie die Hingabe und das Engagement der Mütter hervor.[35]
Literatur
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- Heinrich Pestalozzi, Wie Gertrud ihre Kinder lehrt (1820), Wfb Verlagsgruppe, ISBN 3866720246
- Kurt Lewin, Feldtheorie in den Sozialwissenschaften. Ausgewählte theoretische Schriften, Hans Huber Verlag, Bern 1963.
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Weblinks
Wikiquote: Erziehung – Zitate- Projekt Gutenberg: Pestalozzi, Wie Gertrud ihre Kinder lehrt
- „Freiheit in Grenzen“ – Begründung eines integrativen Medienkonzepts zur Stärkung elterlicher Erziehungskompetenzen von Dr. Klaus A. Schneewind, Universität München
- Forschungsbericht von Armin Castello & Susanne Hubmann, Entwicklung und Validierung einer deutschsprachigen version des "Parental Authority Questionnaire" (PAQ) zur Erhebung von Erziehungsstilen
Einzelnachweise
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- ↑ Alfred Adler, Wozu leben wir? (1931), Fischer Taschenbuch Verlag : Frankfurt am Main 1976, ISBN 3-596-26708-0, S. 24
- ↑ Kurt Lewin u.a.: Patterns of aggressive behavior in experimentally created “social climates”. In: Journal of Social Psychology 9 (1939), 10, S. 271-299, ISSN 0022-4545.
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- ↑ Harry Harlow: The development of affectional patterns in infant monkeys. Determinants of infant behaviour, B.M. Foss, ed., Methuen, London 1961
- ↑ Walter Toman: Familienkonstellationen. Ihr Einfluss auf den Menschen.(EA 1961) München: Beck, 7. Aufl. 2002 , ISBN 3-406-32111-9
- ↑ Glen H. Elder: Structural variations in the child rearing relationship. In: Sociometry 25 (1962), 25, S. 241-262, ISSN 0038-0431.
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- ↑ Hofer et al., 1992; Lamborn et al. 1991.
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- ↑ Klaus Schneewind: Familienpsychologie (2., überarb. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer, 1999
- ↑ Siehe hierzu: Forschungsbericht von Armin Castello & Susanne Hubmann, 2009, Pädagogische Hochschule Freiburg.
- ↑ Nickel, 2000.
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- ↑ Ruth K. Chao: Beyond Parental Control and Authoritarian Parenting Style: Understanding Chinese Parenting through the Cultural Notion of Training, in: Child Development, Band 65, August 1994, Heft 4, S. 1111-1119; Ruth K. Chao, Stanley Sue: Chinese Parental Influence and Their Children's School Success: A Paradox in the Literature on Parenting Styles, in: Sing Lau (Hrsg.): Growing up the Chinese way: Chinese child and adolescent development, Hongkong: The Chinese University Press, 2. Auflage, 1997, ISBN 962-201-659-6, S. 93-120 (eingeschränkte Online-Version in der Google Buchsuche-USA)
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