Geschichten aus Tausend und einer Nacht

Geschichten aus Tausend und einer Nacht
Scheherazade und König Scharyâr, die Hauptfiguren der Rahmenhandlung

Tausendundeine Nacht (persischهزار و يک شبḥazār-o-yak šab, arabischألف ليلة وليلة‎ alf laila wa-laila) ist eine Sammlung morgenländischer Erzählungen und zugleich ein Klassiker der Weltliteratur. Typologisch handelt es sich um eine Rahmenerzählung mit Schachtelgeschichten.

Inhaltsverzeichnis

Geschichtliche Herkunft

Tausendundeine Nacht von Gustave Boulanger (1873)

Indischer Ursprung

Aus Sicht der frühesten arabischen Leser hat das Werk den Reiz der Exotik, es stammt für sie aus dem „Orient“. Das Strukturprinzip „Rahmen + Geschichten“ sowie einige Motive der Rahmengeschichte sind indischen Ursprungs. Eine indische schriftliche Vorlage ist nicht erhalten.

Persische Übertragung

Die indischen Erzählungen wurden ins Mittelpersische übertragen und durch alt-persische Märchenerzählungen erweitert.[1][2] Das altpersische Buch "1000 Erzählungen" (persischهزار افسان‎ - haẓār afsān), der Vorgänger der arabischen Sammlung, ist noch in zwei arabischen Quellen des 10. Jahrhunderts erwähnt.

Übertragung ins Arabische

Vermutlich im 8. Jahrhundert entstand die Übersetzung aus dem Persischen ins Arabische, Alf Layla (Tausend Nächte). Dabei wurde das Werk „islamisiert“, das heißt mit islamischen Formeln und Zitaten angereichert.

Im Laufe der Zeit wurden in die Rahmenerzählung weitere Erzählungen verschiedener Herkunft eingefügt, so aus arabischen Quellen Geschichten um den Kalifen Harun ar-Raschid und im 11. und 12. Jahrhundert phantastische Geschichten aus Ägypten. „Vollständige“ Sammlungen, d.h. Sammlungen, in denen ein Geschichtenrepertoire auf 1001 Nächte verteilt war, werden in einer der oben genannten arabischen Quellen des 10. Jahrhunderts erwähnt, aber es ist wenig wahrscheinlich, dass davon mehr erhalten ist als der Geschichtenbestand des Zyklus vom „Kaufmann und Dschinni“. Im Lauf der Jahrhunderte wurden jedoch immer wieder von neuem „vollständige“ 1001 Nacht kompiliert, die jedoch rasch desintegrierten. In der Regel dürften meist nur Bruchstücke der Sammlung im Umlauf gewesen sein, die dann wieder mit anderen Geschichten zu einer neuen vollständigen 1001 Nacht zusammengestellt wurden. Somit gibt es für Tausendundeine Nacht keinen geschlossenen Urtext mit einem definierten Autor, Sammler oder Redaktor. Es ist vielmehr eine offene Sammlung mit verschiedenen Bearbeitern. Bis ins ausgehende 18. Jahrhundert lassen sich Neukompilationen nachweisen. Eine der letzten ist die von dem französischen Orientalisten H. Zotenberg als solche erkannte Ägyptische Rezension (ZÄR), von der bald nach 1800 einige Handschriften nach Europa gelangten, u.a. durch Joseph von Hammer, der 1806 in Konstantinopel eine französische Übersetzung anfertigte, die jedoch nie gedruckt wurde (dt. Übersetzung durch Zinserling, s. unten). Handschriften dieser Rezension waren auch die Vorlagen der Druckausgaben von Boulaq 1835 und Calcutta 1839-1842, deren Text wegen seiner Qualität und seiner (scheinbaren) Vollständigkeit lange Zeit als der authentische Text galt.

Der älteste erhaltene arabische Text ist die Galland-Handschrift, die frühestens um 1450 entstanden ist. Es handelt sich um einen Torso, der mitten in der 282. Nacht abbricht, benannt nach dem französischen Orientalisten Antoine Galland (1646–1715), der diese Handschrift 1701 erworben hatte.

Galland publizierte ab 1704 eine französische Übersetzung oder eher Adaptation der Geschichtensammlung und leitete damit die europäische Rezeption der Tausendundeinen Nacht ein. Die Handschrift gelangte nach seinem Tod 1715 in den Besitz der Bibliothèque du Roi, der heutigen Französischen Nationalbibliothek.

Inhalt

Prinz Kamar es-Saman, Prinzessin Budur und die Ifritin Maimune, Illustration von Franz von Bayros, 1913

Schahriyâr, König einer ungenannten Insel „zwischen Indien und Kaiserreich China“, ist so schockiert von der Untreue seiner Frau, dass er sie töten lässt und seinem Wesir die Anweisung gibt, ihm fortan jede (in einigen Versionen: jede dritte) Nacht eine neue Jungfrau zuzuführen, die jeweils am nächsten Morgen ebenfalls umgebracht wird.

Nach einiger Zeit will Scheherazade, die Tochter des Wesirs, die Frau des Königs werden, um das Morden zu beenden. Sie beginnt, ihm Geschichten zu erzählen; am Ende der Nacht ist sie an einer so spannenden Stelle angelangt, dass der König unbedingt die Fortsetzung hören will und die Hinrichtung aufschiebt. In der folgenden Nacht erzählt Scheherazade die Geschichte weiter, unterbricht am Morgen wieder an einer spannenden Stelle, usw. Nach tausend und einer Nacht hat sie ihm in den orientalischen Druckfassungen drei Kinder geboren, und der König gewährt ihr Gnade.

In der ebenfalls aus dem Orient stammenden Schlussfassung der Druckausgabe Breslau 1824–1843 hat sie dem König das Unrecht seines Tuns vor Augen geführt und ihn „bekehrt“; er dankt Gott, dass er ihm Scheherazade gesandt hat, und feiert richtig Hochzeit mit ihr (Kinder kommen in dieser Fassung nicht vor). Dieser Schluss findet sich auch in Habichts deutscher Übersetzung (Breslau 1824).

Galland hatte keine Textvorlage für seine eher schlichte Ausformung des Schlusses, die aber alles in allem der des Breslauer Druckes am ehesten entspricht (der König bewundert Scheherazade, rückt innerlich ab von seinem Schwur, seine Frau nach der Hochzeitsnacht töten zu lassen, und gewährt ihr Gnade); in einem Brief von 1702 skizziert er jedoch bereits dieses Ende der Tausendundeinen Nacht, das er wohl durch seine Freunde kannte, die ihn überhaupt erst auf die Existenz der Sammlung hingewiesen hatten.

Formbeschreibung

Die Geschichten unterscheiden sich stark; es gibt historische Erzählungen, Anekdoten, Liebesgeschichten, Tragödien, Komödien, Gedichte, Burlesken und religiöse Legenden. In manchen Geschichten spielen auch historisch belegte Personen eine Rolle, wie etwa der Kalif Harun ar-Raschid selbst. Oftmals sind die Geschichten in mehreren Ebenen miteinander verknüpft. Der Sprachstil ist oft sehr blumig und verwendet an einigen Stellen Reimprosa.[3]

Übersetzungs- und Wirkungsgeschichte

In Europa wird Tausendundeine Nacht häufig fälschlich gleichgesetzt mit Märchen für Kinder, was der Rolle des Originals als Geschichtensammlung für Erwachsene mit zum Teil sehr erotischen Geschichten in keiner Weise gerecht wird. Ursache für dieses Missverständnis ist vermutlich die erste europäische Übersetzung des französischen Orientalisten Antoine Galland, der die Geschichten 1704–1708 übertrug und dabei die religiösen und erotischen Komponenten des Originals entschärfte oder tilgte, übrigens ähnlich wie die Brüder Grimm im Deutschland des 19. Jahrhunderts mit den überlieferten Volksmärchen verfuhren. Galland fügte zudem seiner Übersetzung einige in seinen arabischen Vorlagen nicht vorhandene Geschichten hinzu, z. B. Sindbad der Seefahrer, nach einer allein stehenden Vorlage aus seinem Besitz, die er schon übersetzt hatte, bevor er von der Existenz der Sammlung Tausendundeine Nacht erfuhr, oder Aladin und die Wunderlampe und Ali Baba und die 40 Räuber, die er 1709 in Paris von einem aus Syrien stammenden Märchenerzähler gehört hatte. Seine Veröffentlichung hatte eine unerwartet große Wirkung. August Ernst Zinserling übersetzte den Text nach der französischen Übertragung von Joseph von Hammer ins Deutsche (Stuttgart und Tübingen 1823-1824).

Eine auf der Übertragung von Galland fußende vollständige Übersetzung („Zum erstenmal aus einer Tunesischen Handschrift ergänzt und vollständig übersetzt“) lieferte Max Habicht zusammen mit Friedrich Heinrich von der Hagen und Karl Schall (Breslau 1825). Die erste deutsche Übersetzung aus arabischen Originaltexten, werkgetreu nur cum grano salis (Poesie- und Reimprosapartien nicht formgetreu, Repertoire einer Auswahl aus verschiedenen Versionen), stammt von dem Orientalisten Gustav Weil, veröffentlicht 1837-1841. Die erste wirklich werkgetreue Übersetzung stammt von Richard Francis Burton, der die Geschichten in 16 Bänden 1885-1888 unter dem Titel The Book of the Thousand Nights and a Night veröffentlichte und damit im viktorianischen England einen Skandal auslöste. Auf der Grundlage der Burtonschen Übersetzung erfolgte eine deutsche Übersetzung von Felix Paul Greve.

Gustav Weils Übersetzung erschien ab 1837 (vollständig umgearbeitet 1865) und basierte auf den Texten der ersten Bulaker Ausgabe von 1835 und der Breslauer Ausgabe. Eine weitere deutsche Übersetzung besorgte Max Henning für die Reclams Universal-Bibliothek in 24 Bänden. Sie erschien ab 1896 und stützte sich auf eine spätere Bulaker Ausgabe sowie auf eine Auswahl weiterer Ausgaben und Quellen.

1918 wurde der Tübinger Orientalist Enno Littmann vom Insel Verlag mit einer Überarbeitung der Greveschen Übersetzung beauftragt. Er entschloss sich jedoch zu einer fast völligen Neuübersetzung, der er die redigierte, in Indien gedruckte arabische Ausgabe von 1839–1842 (Calcutta II) zugrunde legte.[4]

Die erste Übersetzung aus dem arabischen Text der Wortley Montagu-Handschrift (eine 1764 in Ägypten entstandene und wenig später in die Oxforder Bodleian Library gebrachte Sammlung) schuf Felix Tauer. Sie wird als Ergänzungsband zur Littmanschen Übertragung betrachtet.

Der 1926 geborene Arabist und Islamwissenschaftler Muhsin Mahdi legte im Jahr 1984 nach fünfundzwanzigjähriger Arbeit eine kritische Edition der Galland-Handschrift vor. Damit ist der Text der ältesten erhaltenen arabischen Fassung in seiner ursprünglichen Form verfügbar. Im Jahr 2004 erschien von der Arabistin Claudia Ott erstmalig eine deutsche Übersetzung dieser Edition.[5] Ott erreichte in jahrelanger Detailarbeit eine bis in die Klanggestalt und Metrik textgetreue Übertragung. Der Rezensent der Zeit hebt ihr „klares, lebhaftes Deutsch“ hervor und dass sie auf „orientalisierende Ausschmückungen“ verzichtet habe. Vom aufgesetzten europäischen Märchentonfall befreit, enthalten diese in den 282 Nächten der Handschrift enthaltenen Geschichten u. a. auch die bukolische, unverblümte Erotik des Originals.[6]

Einzelne Figuren aus Tausendundeiner Nacht

Ausgaben

Arabischer Text

  • Calcutta I: The Arabian Nights Entertainments. In the Original Arabic. Published under the Patronage of the College of Fort William. By Shuek Uhmud bin Moohummud Shirwanee ul Yumunee. 2 Bde. Calcutta 1814-1818.
  • Bulak-Ausgabe: 2 Bde. Bulaq (Kairo) 1835. Erste nichteuropäische Druckedition. Textgrundlage ist eine sprachlich bearbeitete Handschrift der von Hermann Zotenberg erkannten um 1775 kompilierten Egyptian Recension (ZER). Weitere Ausgaben erschienen in den folgenden Jahren.
  • Calcutta II: The Alif Laila or Book of the Thousand Nights and one Night, Commonly known as „The Arabian Nights Entertainments“, now, for the first time, published complete in the original Arabic, from an Egyptian manuscript brought to India by the late Major Turner. Edited by W. H. Macnaghten, Esq. 4 Bde., Kalkutta 1839-1842.
  • Breslauer bzw. Habicht-Ausgabe: TausendUndEineNachtArabisch. Nach einer Handschrift aus Tunis herausgegeben von Dr. Maximilian Habicht. Nach seinem Tod fortgesetzt von M. Heinrich Leberecht Fleischer. 6 Bde. Breslau 1825-1843.

Übersetzungen

  • Tausendundeine Nacht. Übersetzt von Claudia Ott. 685 S. Beck, München 2004. ISBN 3-406-51680-7. Vollständige Hörbuchausgabe: Lesung von Claudia Ott. 24 CDs. Hörbuch Verlag, Hamburg 2004. ISBN 3-89903-200-4
  • Die Erzählungen aus den Tausendundein Nächten. Vollständige deutsche Ausgabe in sechs Bänden. Nach dem arabischen Urtext der Calcuttaer Ausgabe aus dem Jahr 1839. Übertragen von Enno Littmann. KOMET Vlg. ISBN 3-89836-308-2. Neuausgabe der 6-bändigen Insel-Ausgabe. Redigierter Text.
  • Die Erzählungen aus den tausendundein Nächten. Vollständige deutsche Ausgabe in zwölf Bänden aufgrund der Burton'schen englischen Ausgabe besorgt von Felix Paul Greve. 12 Bde. Insel, Leipzig 1907-1908. Neuausgabe in elektronischer Form: Digitale Bibliothek Bd. 87. Directmedia, Berlin 2003. ISBN 3-89853-187-2.
  • Tausend und eine Nacht. Aus dem Arabischen übertragen von Max Henning. 24 Bde. Reclam, Leipzig 1896 - 1900.
  • Tausend und eine Nacht. Arabische Erzählungen zum ersten Male aus dem arabischen Urtext treu übersetzt von Dr. Gustav Weil. Mit 2000 Bildern und Vignetten von F. Groß. Herausgegeben und mit einer Vorhalle von August Lewald. 4 Bde. Verlag der Classiker, Stuttgart & Pforzheim 1839 - 1841.
  • Das Buch der tausend Nächte und der einen Nacht. Vollständige und in keiner Weise gekürzte Ausgabe nach den vorhandenen orientalischen Texten, herausgegeben von Cary von Karwath und Adolf Neumann. 18 Bde. C.W.Stern Wien 1906-1914 (Mit Illustrationen von Fanz von Bayros, Raphael Kirchner u.a.)

Verfilmungen

Dramatisierungen

Literatur

  • Adolf Gelber: 1001 Nacht. Der Sinn der Erzählungen der Scheherazade. M. Perles, Wien 1917
  • Stefan Zweig: Das Drama in Tausendundeiner Nacht in Europäisches Erbe Fischer-Verlag, Frankfurt 1981
  • Abdelfattah Kilito: Welches ist das Buch der Araber? in Islam, Demokratie, Moderne. C. H. Beck, München 1998
  • Grotzfeld, Heinz: Neglected Conclusions of the Arabian Nights: Gleanings in Forgotten and Overlooked Recensions. In: Journal of Arabic Literature 16, 1985
  • Katharina Mommsen: Goethe und 1001 Nacht. Bonn 2006
  • Wiebke Walther: Tausend und eine Nacht. Artemis, München und Zürich 1987
  • Wiebke Walther: Die kleine Geschichte der arabischen Literatur. Von der vorislamischen Zeit bis zur Gegenwart. Beck, München 2004
  • Johannes Merkel (Hrsg.): Eine von tausend Nächten. Märchen aus dem Orient. Weismann, München 1987
  • Robert Irwin: Die Welt von Tausendundeiner Nacht. Insel, Frankfurt am Main und Leipzig 1997

Verschiedenes

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Jacob W. Grimm (1982). Selected Tales pg 19. Penguin Classics
  2. Zipes, Jack David; Burton, Richard Francis (1991). The Arabian Nights: The Marvels and Wonders of the Thousand and One Nights pg 585. Signet Classic
  3. A. Gelber vertritt allerdings die These die Reihenfolge der Geschichten folge einem wohldurchdachten dramatischen Aufbau. Dabei bleibt freilich unklar, wie lange dieser Formwille auf die Gestaltung eingewirkt haben müsste.
  4. Littmann: 1001 Nacht. Bd. 6. Insel, Wiesbaden 1953. S. 649
  5. Tausendundeine Nacht – das unbekannte Original (Webseite zum Buch)
  6. Perlentaucher: Zusammengefasste Rezensionen der Übersetzung Claudia Otts aus NZZ, FR, SZ, Zeit, taz und FAZ
  7. Tausendundeine Nacht in der deutschen und englischen Version der Internet Movie Database


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