Heinrich Dürmayer

Heinrich Dürmayer

Heinrich Dürmayer, genannt Heinz Dürmayer (* 10. April 1905 in Wien; † 22. September 2000 ebenda) war ein österreichischer Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus, Funktionshäftling in Konzentrationslagern, Funktionär der KPÖ, Rechtsanwalt und Polizist.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Dürmayer studierte nach dem Abschluss seiner Schullaufbahn Rechtswissenschaften und promovierte später. Während des Studiums trat er der schlagenden Studentenverbindung Corps Marchia Wien bei. Diese Verbindung galt als paritätisch-liberal und nahm auch jüdische Studenten als Mitglieder auf.[1] Als Angehöriger des sozialistischen Schutzbundes beteiligte er sich an den Februarkämpfen 1934 und wurde danach Mitglied der KPÖ. Dürmayer musste 1935/1936 eine mehrmonatige Haftstrafe im Anhaltelager Wöllersdorf wegen kommunistischer Betätigung in Österreich verbüßen.[2]

Ab 1937 kämpfte Dürmayer im spanischen Bürgerkrieg in den Internationale Brigaden auf seiten der Republik gegen die Errichtung einer Diktatur unter Franco.[3] Zuletzt bekleidete Dürmayer den Posten eines Politkommissars bei der 35. Division der Interbrigaden.[2] Nach der Niederlage der Republikaner floh Dürmayer nach Frankreich, wo er im Februar 1939 in französische Internierungshaft geriet. Nach der Niederlage Frankreichs im Zweiten Weltkrieg wurde er am 4. September 1940 an das „Großdeutsche Reich" ausgeliefert, von der Gestapo in Wien verhört und erkennungsdienstlich erfasst. Nach einem Jahr Untersuchungshaft wurde er nach einem Prozess in Wien in das KZ Dachau eingeliefert und im Januar 1942 erneut der Gestapo in Wien überstellt.[3]

Mitte März 1942 wurde Dürmayer von dort in das KZ Flossenbürg verbracht.[3] Dort war Dürmayer neun Monate im Steinbruch eingesetzt.[4] Im KZ Flossenbürg gehörte er dem bedingt organisierten Lagerwiderstand um Karl Fugger an.[5]

Von Flossenbürg wurde er im Januar 1944 in das KZ Auschwitz überstellt, fungierte zunächst als Kapo der SS-Bekleidungskammer und war ab August 1944 bis zur Evakuierung im Januar 1945 Lagerältester des KZ Auschwitz I (Stammlager). Dürmayer, der in diesen Funktionen zwangsläufig engen Kontakt mit der Lagerprominenz und auch der SS hatte, war auch in Auschwitz führendes Mitglied des internationalen Lagerwiderstandes. Im Stammlager gehörte er der Kampfgruppe Auschwitz an und nutzte seine Position als Funktionshäftling auch effizient für diese Organisation.[6] Seine spätere jüdische Ehefrau Judith Dürmayer, Blockälteste in Auschwitz, wird von Bruno Baum ebenfalls als im Lagerwiderstand aktiv benannt.[7] Hermann Langbein, ebenso wie Heinrich Dürmayer politischer Häftling in Auschwitz, hielt diesem dennoch vor, dass er zu engen Kontakt mit den sogenannten kriminellen Häftlingen sowie der SS gepflegt und sich somit von anderen Häftlingen entfremdet hätte. Während der Evakuierung des KZ Auschwitz im Januar 1945 soll Dürmayer, laut Langbein, mit anderer Lagerprominenz das Lager im Auto des Schutzhaftlagerführers Franz Hößler verlassen haben.[6]

Von Wodzisław Śląski gelangte Dürmayer mit einem Transport am 25. Januar 1945 in das KZ Mauthausen.[8] Im KZ Mauthausen hatte er als Präsident des Internationalen Komitees erneut eine führende Position im Lagerwiderstand inne.[9] Nach dem bis zum 3. Mai 1945 erfolgten Abzug der Lager-SS aus dem Stammlager des KZ Mauthausen übernahm das Internationale Lagerkomitee die Lagerleitung. Die Hauptaufgabe des Komitees nach dem Abzug der Lager-SS bestand darin, die Versorgung der Häftlinge mit Nahrung zu gewährleisten.[10] Im Stammlager des KZ Mauthausen wurde Dürmayer offiziell noch am 4. Mai 1945 - einen Tag vor der Befreiung des Lagers - letzter Lagerältester.[11]

Am 16. Mai 1945, kurz nach der Befreiung des KZ-Mauthausen, verlas Dürmayer für das internationale Komitee namens aller ehemaligen politischen Mauthausenhäftlinge den sogenannten „Mauthausen-Schwur“.[12]

Nach Kriegsende

Nach der Befreiung wurde Dürmayer noch im Mai 1945 umgehend von dem österreichischen Innenminister der provisorischen Regierung, dem KPÖ-Führungsmitglied Franz Honner, mit dem Aufbau und der Leitung einer neuen und unbelasteten Staatspolizei beauftragt.[13] Als Leiter der Staatspolizei - später in Staatspolizeiliches Büro der Bundespolizeidirektion Wien umbenannt - leitete er in Personalunion auch die Abteilung zur Ermittlung von Kriegsverbrechern bei der Polizeidirektion Wien.[14] In dieser Funktion konnte Dürmayer, dessen Abteilung hauptsächlich aus Kommunisten und sogenannten Unbelasteten bestand, im August 1945 den ehemaligen Leiter der Politischen Abteilung in Auschwitz Maximilian Grabner bei der Feldarbeit verhaften. Dürmayer unterzog Grabner Anfang September 1945 einem polizeilichen Verhör, welches auch in der Wochenschau vorgeführt wurde. Zudem gelang ihm auch die Festnahme von Siegfried Seidl, dem ehemaligen Kommandanten des Ghetto Theresienstadt.[15]

Im September 1947 wurde Dürmayer aus politischen Gründen (Beginn des Kalten Krieges) von diesem Posten durch den Innenminister Oskar Helmer entbunden. Hintergrund war Dürmeyers prosowjetische Politik im sowjetischen Sektor sowie seine einflussreiche Stellung innerhalb der Verwaltung, die von Helmer als Gefahr für Österreichs Demokratie angesehen wurde. Gleichzeitig wurde Dürmayer die Versetzung nach Salzburg und seine Beförderung mitgeteilt. Dürmeyer trat die Stelle in Salzburg jedoch nicht an und schied aus dem Polizeidienst aus.[16]

Dürmayer widmete sich in der Folge der Schaffung der Gedenkstätte Mauthausen und äußerte sich schon im Mai 1947 nach einem Besuch auf dem Gelände des ehemaligen KZ Mauthausen folgendermaßen: „Ein Platz, der in jedem anderen Lande eine Weihestätte wäre, ist bei uns eine Mistgstättn und [ein] Kartoffelacker.“[17]

Dürmayer wurde im November 1948 einer der Präsidenten des KZ-Verbandes Bundesverband Österreichischer Widerstandskämpfer und Opfer des Faschismus.[18] Dürmayer begründete die Vereinigung der ehemaligen Spanienkämpfer, war langjähriger Präsident des Internationalen Mauthausenkommitees und der Österreichischen Vereinigung Demokratischer Juristen .[2] Zudem war er führend in der KPÖ tätig und arbeitete als Rechtsanwalt in Wien. Im ersten Frankfurter Auschwitzprozess sagte Dürmayer im Juni 1964 als Zeuge aus.[8]

Im Januar 1998 setzte sich Dürmayer gemeinsam mit anderen ehemaligen Flossenbürghäftlingen bei dem damaligen bayrischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber dafür ein, auf dem Gelände des früheren KZ Flossenbürg eine Forschungs- und Dokumentationsstelle dauerhaft zu etablieren.[19]

Literatur

  • Hermann Langbein: Menschen in Auschwitz. Ullstein, Frankfurt 1980 ISBN 3-54833014-2.
  • Winfried R. Garscha: Die Rolle der Sicherheitsexekutive bei der Entnazifizierung: Aktenbestände und Bestandslücken. In: Walter Schuster & Wolfgang Weber: Entnazifizierung im regionalen Vergleich. Archiv der Stadt Linz 2004 (pdf)
  • Hans-Peter Klausch: Zum antifaschistischen Widerstandskampf der deutschen, österreichischen und sowjetischen Kommunisten im Konzentrationslager Flossenbürg 1940 - 1945. Bibliotheks- u. Informationssystem der Univ. Oldenburg, Oldenburg 1990, ISBN 3-8142-0240-6. (pdf)
  • Bruno Baum: Widerstand in Auschwitz. (in allen Ausgaben, passim; "Heinz") VVN, Berlin 1949 u. ö.
  • Das erfundene Attentat. In: Der Spiegel. Nr. 2, 1958 (online).

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Martin Haidinger: Wo sind die linken Tugenden geblieben?. Gastkommentar in: Wiener Zeitung, Ausgabe vom 30. Jänner 2008
  2. a b c Hofrat Dr.Heinrich Dürmayer gestorben auf www.ots.at
  3. a b c Erkennungsdienstliche Kartei der Gestapo Wien - Foto Heinrich Dürmayer
  4. Hans-Peter Klausch: Widerstand in Flossenbürg: Zum antifaschistischen Widerstandskampf der deutschen, österreichischen und sowjetischen Kommunisten im Konzentrationslager Flossenbürg 1940 - 1945, Oldenburg 1990, S. 89.
  5. Hans-Peter Klausch: Widerstand in Flossenbürg: Zum antifaschistischen Widerstandskampf der deutschen, österreichischen und sowjetischen Kommunisten im Konzentrationslager Flossenbürg 1940 - 1945, Oldenburg 1990, S. 28f.
  6. a b Hermann Langbein: Menschen in Auschwitz. Frankfurt 1980, S. 286f.
  7. Bruno Baum: Widerstand in Auschwitz., Berlin 1949, S. 25; 1962, S. 80. Baum widmet ihm einen eigenen zusammenfassenden Abschnitt: 1949, S. 52f., 1962: S. 103f.
  8. a b Der Auschwitzprozess - Zeuge Heinrich Dürmayer auf saalbau.com
  9. Ulrich Herbert, Karin Orth, Christoph Dieckmann: Die nationalsozialistischen Konzentrationslager: Entwicklung und Struktur. Wallstein-Verlag, Göttingen 1998. ISBN 3-89244-289-4, S. 211
  10. Florian Freund, Bertram Perz: Mauthausen - Stammlager. In: Wolfgang Benz, Barbara Distel (Hrsg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 4: Flossenbürg, Mauthausen, Ravensbrück, München 2006, S. 328
  11. Florian Freund, Bertram Perz: Mauthausen - Stammlager. In: Wolfgang Benz, Barbara Distel (Hrsg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 4: Flossenbürg, Mauthausen, Ravensbrück, München 2006, S. 332
  12. Mauthausen-Schwur - im Wortlaut bei: Landesverband Oberösterreich der AntifaschistInnen, WiderstandskämpferInnen und Opfer des Faschismus (KZ-Verband/VdA OÖ)
  13. Werner Sabitzer: 60 Jahre nach Kriegsende - Schwieriger Neubeginn. In: Öffentliche Sicherheit - Das Magazin des Innenministeriums, Mai/Juni 20005, S. 73 - 75 (pdf)
  14. Winfried R. Garscha: Die Rolle der Sicherheitsexekutive bei der Entnazifizierung: Aktenbestände und Bestandslücken. In: Walter Schuster & Wolfgang Weber: Entnazifizierung im regionalen Vergleich. Archiv der Stadt Linz 2004, SD. 551ff
  15. Kurt Hacker: Im Dienste der Öffentlichkeit. In: Franz Danimann; Hugo Peppe (Hrsg.): Österreich im April 45, Europaverlag, Wien/München/Zürich, 1985, S. 173 – 176. Abegrduckt in: auschwitz information, 67. Ausgabe, Jänner 2005, Universität Linz, Institut für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Johannes Kepler (pdf)
  16. Erwin A. Schmidl: Österreich im frühen Kalten Krieg 1945-1958: Spione, Partisanen, Kriegspläne, Böhlau Verlag Wien, 2000, ISBN 978-3-205-992165, S. 108f
  17. Zitiert bei: Bertrand Perz: Die KZ-Gedenkstätte Mauthausen 1945 bis zur Gegenwart. StudienVerlag, Innsbruck 2006, ISBN 978-3-7065-4025-4, S. 64.
  18. Dokumentenarchiv des österreichischen Widerstandes: Die Opferverbände auf www.doew.at
  19. Zukunft der Gedenkstätte auf www.arge-kz-flossenbuerg.de

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