Hermann Scheer

Hermann Scheer
Hermann Scheer (2008)

Hermann Scheer (* 29. April 1944 in Wehrheim; † 14. Oktober 2010 in Berlin) war ein deutscher Politiker und Mitglied des Bundesvorstandes der SPD. 1999 wurde ihm der Right Livelihood Award für sein Engagement für die Solarenergie verliehen.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Beruf

Nach dem Abitur 1964 in Berlin ging Scheer als Soldat auf Zeit zur Bundeswehr und wurde 1966 zum Leutnant befördert. Von 1967 bis 1972 absolvierte er ein Studium der Wirtschafts- und Rechtswissenschaften sowie der Politikwissenschaft an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und der Freien Universität Berlin. Anschließend war er von 1972 bis 1976 wissenschaftlicher Assistent an der Universität Stuttgart und von 1976 bis 1980 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Kernforschungszentrum Karlsruhe. 1979 erfolgte an der FU Berlin seine Promotion zum Dr. rer. pol. mit der Arbeit Parteien kontra Bürger? Die Zukunft der Parteiendemokratie.

Hermann Scheer war seit 1970 verheiratet. Seine Tochter Nina Scheer ist Geschäftsführerin von UnternehmensGrün e.V.[1] In seiner Jugend war er ein exzellenter Schwimmer und Mitglied der Nationalmannschaft im Modernen Fünfkampf.[2]

Er zählte zu den Mitbegründern und war Kurator des Institutes Solidarische Moderne.[3] Außerdem war er Mitglied im Stiftungsrat der Stiftung Energiewerk und Ratsmitglied beim World Future Council.

Hermann Scheer starb am 14. Oktober 2010 nach kurzer schwerer Krankheit in einem Berliner Krankenhaus an Herzversagen.[4]

Partei

Scheer wurde 1965 Mitglied in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Als Student war er an der Neugründung des Sozialdemokratischen Hochschulbund in Heidelberg beteiligt.[5] Bei den Jungsozialisten unterstütze Scheer 1969 auf dem Münchner Bundeskongress den neuen, von der Studentenbewegung geprägten, betont sozialistischen Kurs der SPD-Jugendorganisation. Als stellvertretender Juso-Bundesvorstitzender war Scheer seit 1974 Anhänger einer „reformistischen“ Linie, die sich dezidiert von dem „Stamokap“-Flügel und den sogenannten „Antirevisionisten“ abgrenzte (siehe zur Flügelbedeutung den Hauptartikel: Geschichte der Jusos). 1973 wurde er Landesvorsitzender der baden-württembergischen Jusos und 1974 deren stellvertretender Bundesvorsitzender.[5]

Im Zusammenhang der Landtagswahl in Hessen 2008 stand er in dem Schattenkabinett Andrea Ypsilantis als designierter Wirtschafts- und Umweltminister und trat im Wahlkampf für eine Erneuerung der Energie- und Wirtschaftspolitik auf Basis erneuerbarer Energien ein. Zuletzt war er im Rahmen einer rot-grünen Minderheitsregierung als Wirtschaftsminister vorgesehen und sollte auch die landesplanerischen Kompetenzen für die Umsetzung der vorgesehenen „Energiewende“ erhalten. Nachdem vier Abgeordnete der SPD-Landtagsfraktion erklärten, nicht für Andrea Ypsilanti als Ministerpräsidentin in einer rot-grünen Minderheitsregierung zu stimmen, wurde die Regierung unter Ypsilanti jedoch nicht gebildet und im neuen Schattenkabinett unter Thorsten Schäfer-Gümbel zur folgenden Neuwahl war er nicht mehr vertreten.[6]

Von 1993 bis 2009 gehörte er dem SPD-Bundesvorstand an. Er beeinflusste die Umwelt- und Energiepolitik der SPD maßgeblich mit. 2009 kandidierte er nicht mehr für den Bundesvorstand und begründete dies in einem Brief unter anderem damit, dass „es allzu üblich geworden“ sei, „politische Machtspiele auszutragen“ und „Scheinlösungen zu produzieren“ und er darin nicht involviert sein wolle.[7]

Abgeordneter

Scheer war seit 1980 Mitglied des Deutschen Bundestages. Er war dort von 1982 bis 1990 Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion für Abrüstung und Rüstungskontrolle und danach von 1991 bis 1993 Vorsitzender des Unterausschusses Abrüstung und Rüstungskontrolle des Deutschen Bundestages.

Seit 1983 gehörte er der Parlamentarischen Versammlung des Europarates an. Dort war er von 1994 bis 1997 Vorsitzender des Landwirtschaftsausschusses. Im Deutschen Bundestag gehörte er zu den Initiatoren vieler Gesetze zur Förderung erneuerbarer Energien, u. a. des Stromeinspeisegesetzes für erneuerbare Energien (1991) und des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (2000), die Änderung des Bundesbaugesetzes zur Privilegierung erneuerbarer Energien (1996), das 100.000-Dächer-Programm (1999), das Marktanreizprogramm Erneuerbare Energien (2000) und das Gesetz zur Steuerbefreiung für Biokraftstoffe (2003). Er war Vorsitzender des Internationalen Parlamentarier-Forums für Erneuerbare Energien. Als sein größter Durchsetzungserfolg gilt die Gründung der Internationalen Organisation für Erneuerbare Energien (International Renewable Energy Agency, IRENA), die er seit 1990 vorangetrieben hat. IRENA wurde am 26. Januar 2009 in Bonn gegründet.

Hermann Scheer wurde stets über die SPD-Landesliste von Baden-Württemberg in den Bundestag gewählt. Nach seinem überraschenden Tod rückte Rita Schwarzelühr-Sutter für den Wahlkreis Waldshut über die Landesliste nach.

Politische Positionen

Seit Ende der 1980er Jahre setzte sich Scheer auf nationaler und internationaler Ebene für die generelle Ablösung atomarer und fossiler Energien ein,[8] auch Konflikte und Krieg um Energieressourcen könnten so beendet werden.[9] 1999 distanzierte sich Hermann Scheer vom Nato-Einsatz der Bundeswehr während des Kosovo-Konflikts, der von der Rot-Grünen Koalition gebilligt worden war. 1988 gehörte er zu den Mitbegründern der gemeinnützigen Vereinigung für Erneuerbare Energien EUROSOLAR. Scheer war seitdem deren ehrenamtlicher Präsident, seine Ehefrau hauptamtliche Geschäftsführerin.[10] Seit Juni 2001 war Scheer ehrenamtlicher Vorsitzender des neu gegründeten Weltrats für Erneuerbare Energien (World Council for Renewable Energy, WCRE).[11]

Scheer kritisierte die Kapitalprivatisierung der Deutschen Bahn AG[12] und engagierte sich in der Initiative Bürgerbahn statt Börsenbahn. Er warf der SPD-Führung 2007 vor, die Privatisierung ohne demokratische Diskussion voranzutreiben,[13] gab dem Kompromissvorschlag einer Bahn-Teilprivatisierung während späterer Verhandlungen (2008) jedoch nach.[14]

Im Dokumentarfilm Let’s Make Money (2008) zu verschiedenen Aspekten der Entwicklung des weltweiten Finanzsystems, waren Redebeiträge von Scheer zu sehen, so äußerte er u.a.: „Wenn wir so weiter machen, dann kommen neue Selektionsmechanismen zwischen Staaten, zwischen Rassen, zwischen Religionen, zwischen berechtigten Menschen und unberechtigten, zwischen wertvollen und nicht wertvollen Menschen, dann wird der monetäre Wert des Menschen irgendwann in den Vordergrund geschoben und dann beginnt ein neues Zeitalter der Barbarei. Das ist unausweichlich.“[15] Außerdem spielte er eine zentrale Rolle im Film Die 4. Revolution – Energy Autonomy (2010), wo er sich für den weltweiten Einsatz erneuerbarer Energien einsetzte.[16]

Hermann Scheer war Kritiker des Wüstenstrom-Projektes Desertec, er sah in dem Projekt eine Verstärkung der Monopole der Energiekonzerne und die Transport- und Investitionskosten als zu hoch an.[17] Im Rahmen der Diskussion und der Proteste um das Bauprojekt Stuttgart 21 sprach sich Scheer für mehr direkte Demokratie aus und sah „eine Entfremdung zwischen Bürgern und gewählten Repräsentanten“.[18]

Auszeichnungen

Werke

  • Parteien kontra Bürger? Die Zukunft der Parteiendemokratie, München 1979 (=Diss. rer. pol., FU Berlin)
  • Die Befreiung von der Bombe. Weltfrieden, europäischer Weg und die Zukunft der Deutschen, Köln 1986
  • Die gespeicherte Sonne. Wasserstoff als Lösung des Energie- und Umweltproblems, München 1987
  • Das Solarzeitalter, Heidelberg 1989
  • Sonnen-Strategie. Politik ohne Alternative, München 1993
  • Zurück zur Politik. Die archimedische Wende gegen den Zerfall der Demokratien, München 1995
  • Solare Weltwirtschaft. Strategie für die ökologische Moderne, München 1999, ISBN 3-88897-314-7
  • Klimawechsel, zusammen mit Carl Amery und Christiane Grefe, München 2001, ISBN 3-88897-266-3
  • Die Politiker, München 2003, ISBN 3-88897-343-0
  • Energieautonomie. Eine neue Politik für erneuerbare Energien, München 2005, ISBN 3-88897-390-2
  • Herausgeber der Zeitschriften Zeitschrift für Neues Energierecht (ZNER) und Solarzeitalter (SZA) sowie des Yearbook of Renewable Energies.
  • Der energethische Imperativ. Wie der vollständige Wechsel zu erneuerbaren Energien zu realisieren ist; München 2010, ISBN 978-3-88897-683-4

Literatur

Weblinks

 Commons: Hermann Scheer – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Nina Scheer bei UnternehmensGrün e.V.
  2. SPD: Hermann Scheer ist tot. Sie nannten ihn „Sonnengott“; Süddeutsche.de, 14. Oktober 2010
  3. Wählermobilisierung: Ypsilanti meldet sich mit linker „Denkfabrik“ zurück; Handelsblatt, 1. Februar 2010
  4. Bundestagsmandat: Scheers Nachfolgerin; Frankfurter Rundschau, 15. Oktober 2010
  5. a b Sigrid Henke: Biographisches über Hermann Scheer; In: Joachim Bücheler (Hrsg.): Praktische Visionen. Festschrift zum 60. Geburtstag von Hermann Scheer; Bochum: Ponte Press, 2004; ISBN 3-920328-48-5.
  6. Umweltpolitiker Scheer nicht mehr im Schattenkabinett; Spiegel, 13. November 2008
  7. Stern: SPD-Vorstand: Auch Scheer schmeißt die Brocken hin; 24. Oktober 2009
  8. Memorandum Jenseits von Kohle und Atom; eurosolar.de, 9. März 2007
  9. Muslim-Markt interviewt Dr. Hermann Scheer, Träger des Alternativen Nobelpreises; Muslim-Markt, 22. August 2008
  10. Jan-Philipp Hein: Der Windmacher; Welt vom 14. April 2008
  11. http://www.wcre.org
  12. Hermann Scheer/Peter Friedrich: Memorandum gegen die geplante Privatisierung der Bahn; Zusammenfassung auf Nachdenkseiten, 19. April 2007
  13. Ursel Sieber: Demokratie in der SPD – Kritiker der Bahn-Privatisierung ruhig gestellt; RBB, 11. Oktober 2007
  14. Malte Kreutzfeldt: Der letzte basistreue Sozialdemokrat; taz, 17. April 2008
  15. Hermann Scheer im Film „Let’s Make Money“; Zitate Hermann Scheers im Film; eurosolar.de, gesehen 15. Oktober 2010
  16. Informationen zu seiner Rolle im Film Die 4. Revolution
  17. Matthias Kaufmann: Wüstenstrom: „Die Kalkulation von Desertec ist absurd“; Interview im manager magazin vom 13. Juli 2009
  18. Michael Isenberg: Stuttgart 21: „Den Konflikt entschärfen“; Interview mit Hermann Scheer in den Stuttgarter Nachrichten vom 18. September 2010
  19. EUROSOLAR hat neuen Präsidenten: Professor Peter Droege Pressemitteilung vom 5. April 2011

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