Ideeller Wert

Ideeller Wert

Der Ideelle Wert ist eine subjektive [das heißt auf die Wertvorstellung der einzelnen Person bezogene] Wertform, die aufgrund einer emotionalen Bindung zur Sache unter Umständen einen höheren Wert darstellt, als dies finanziell gemessen tatsächlich der Fall ist.

Für sein Auftreten im Handel ist eine von zwei Bedingungen erforderlich:

  • entweder eine höher entwickelte Gesellschaft trifft auf eine Gesellschaft niedrigerer Kulturstufe und treibt mit dieser Handel (Glasperlen gegen Gold)
  • oder eine relativ hoch entwickelte Gesellschaft ist noch nicht in der Lage oder nicht (mehr) willens, den Tauschwert exakt zu berechnen.

Letzteres trifft auf die heutige Gesellschaft zu.

Inhaltsverzeichnis

Beschreibung und Entstehungszeit

Der ideelle Wert wird schon von Plutarch beschrieben, wenn er sagt:

„Mancher fragt: Was haben wir denn im Grunde eigentlich? Was haben wir denn nicht? Der eine Ruhm und Ehre, der andere Haus und Hof, ein anderer eine liebe Gattin oder einen treuen Freund.“

Plutarch „Von der Heiterkeit der Seele“ 9 (Text redigiert)

„Ruhm und Ehre“, „eine liebe Gattin“ oder ein treuer „Freund“ sind hier als ideelle Werte aufzufassen, während „Haus und Hof“ Gebrauchswerte bzw. Tauschwerte darstellen. Plutarch setzt hier also - jedoch zunächst nur für den privaten Bereich - den Gebrauchs- und Tauschwerten die ideellen Werte gleich. Kurz darauf sagt er dann noch weiter:

„Man soll dabei aber auch nicht vergessen, wie es schmerzt, solche Güter zu verlieren, wenn man sie besessen hat. Denn es ist nicht so, daß sie erst im Augenblick des Verlustes Größe und Wert erhalten, vorher aber nichts bedeuten.“ „Das Nichtsein kann keiner Sache einen Wert geben.“ [1] „Es ist aber doch auch ein Widerspruch, wenn wir diese Dinge zunächst für so wichtig halten, daß wir uns um sie bemühen und vor ihrem Verlust furchtsam zittern, als seien sie unersetzlich, wenn wir aber als glückliche Besitzer kaum Wert auf sie legen und sie als unbedeutend verachten.“

Der ideelle Wert war also schon in der Antike bekannt. Er trat vermutlich auch bei der Festlegung der Edelmetalle als Geld in Erscheinung, denn es ist mehr als wahrscheinlich, dass diese Festlegung wegen der allgemeinen Wertschätzung dieser Metalle erfolgte, also wegen ihres ideellen Wertes, der sie auch über enge regionale Grenzen hinaus als „allgemeines Äquivalent“ zur Ablösung des vorher verwendeten, aber schlecht transportierbaren Viehs brauchbar machte. Siehe dazu schon John Locke in „Some Considerations etc.“ in: Works Ed.1777, Vol.II, Seite 15:

„Da die Menschen übereingekommen sind, Gold und Silber einen vorgestellten“ [wörtlich: „imaginären“] „Wert“ [= ideellen (Tausch-)Wert] „zu verleihen … “ [2]

Seine Erscheinung im Handel

Die nächste Erscheinungsweise war die im Handelsprofit, der sich in jener Zeit auch nicht an den Ausgaben der Händler für Lager, Transport usw. vermehrt um den Neuwert orientierte (siehe Aristoteles' Forderung des gerechten Preises), sondern daran, welche Wertschätzung die Waren von Seiten der Konsumenten genossen und daher auch den ideellen Wert betraf, was im Wesentlichen von ihrer Seltenheit abhing. Dies schreibt auch Marx im Band III des „Kapital[3]:

„Solange das Handelskapital den Produktaustausch unentwickelter Gemeinwesen vermittelt, erscheint der kommerzielle Profit“ [= Handelsprofit] „nicht nur als Übervorteilung und Prellerei, sondern entspringt grossenteils aus ihr“.

Was Marx hier als „Übervorteilung und Prellerei“ bezeichnet, ist der Verkauf der Waren zu ihrem ideellen Wert statt zu ihrem Tauschwert. Genau dies berichtet auch Herodot [4] anhand eines historischen Beispiels:

„Dann wurde aber ein samisches Schiff“ [= ein Schiff von der Insel Samos], „dessen Eigentümer ein gewisser Kolaios war und das nach Ägypten fuhr, nach diesem Platea“ [der Name einer anderen Insel im Mittelmeer] „verschlagen, und als die Samier von Korobios die ganze Geschichte erfuhren, lassen sie ihm Vorräte für ein ganzes Jahr <auf der Insel> zurück. Sie selber stachen von der Insel in See und hielten auf Ägypten zu, wurden aber durch einen Ostwind von ihrem Kurs abgetrieben. Und sie fuhren durch die Säulen des Herakles, - denn der starke Wind ließ nicht nach - ,und kamen nach Tartessos, und das war Gottesgeleit. Dieser Handelsplatz war nämlich zu der Zeit noch unberührt, so daß diese Leute bei ihrer Heimkehr aus ihren Warenprodukten tatsächlich von allen Hellenen, von denen wir es mit Genauigkeit wissen, den größten Gewinn geschlagen haben ...“ (nämlich 60 Talente, wie sich aus dem bei Herodot Folgenden ergibt).

Diese Praxis blieb zumindest bis in das Mittelalter erhalten, wie Adam Smith andeutet, wenn er von Marx [5] zitiert wird:

„Die Bewohner der Handelsstädte führten aus reichen Ländern verfeinerte Manufakturwaren- und kostspielige Luxusartikel ein und boten so der Eitelkeit der großen Grundeigentümer Nahrung, die diese Waren begierig kauften und dafür große Mengen von Rohprodukt ihrer Ländereien bezahlten“.

Zur Zeit des Merkantilismus, der Herrschaft des Handelskapitals innerhalb des Bürgertums, wurde von Etienne-Bonnott de Condillac 1795 in seinem Werk „Le Commerce et le Gouvernement“ der subjektive Charakter des Tauschwertes betont und auf das persönliche Urteil zurückgeführt, das sich auf

  • die Nützlichkeit und
  • die Seltenheit

der Ware gründe. Er unterschied sogar schon zwischen „gegenwärtigen“ und „zukünftigen“ Bedürfnissen, was allerdings in Anbetracht der damaligen langen Transportzeiten nicht verwundern kann. Eine ähnliche Bestimmung findet sich etwa gleichzeitig beim italienischen Ökonomen Graf Verri. [6].

Seine Erscheinung in der Landwirtschaft

Während diese Praxis aber seit der Antike „nur“ den Handel betraf, fand zu einem nicht genau bestimmbaren Zeitpunkt offenbar auch der Großgrundbesitz ihre Bedeutung für die Profiterhöhung heraus, denn der preußische Grundbesitzer und Ökonom Johann Karl Rodbertus schrieb bereits 1851 in seinem 3.sozialen Brief („Sociale Briefe an von Kirchmann. Dritter Brief: Widerlegung der Ricardo’schen Lehre von der Grundrente und Begründung einer neuen Rententheorie“, Seite 87) über Mehrwert und Rente, dass „bei hinreichender Produktivität der Arbeit“ (so ist das Zitat von Engels eingeleitet) der Preis der von den Arbeitern geschaffenen Ware

„ ... nicht dem natürlichen Tauschwert“ „ihrer Ware gleich zu sein braucht, damit von diesem“, „noch <etwas> zu“ „Kapitalersatz und Rente übrig bleibt“.[7]

Rodbertus sagt dabei nicht, was er unter dem „natürlichen Tauschwert“ versteht, was als deutlicher Hinweis darauf zu verstehen ist, dass es hier um den schon von Adam Smith und mit der größten Klarheit von Marx definierten Tauschwert bzw. Produktionspreis der Waren geht, der von Adam Smith auch „natürlicher Preis“ genannt wurde. Der Sinn seiner Aussage ist dann, dass der Verkaufspreis der Waren über dem Tauschwert bzw. Produktionspreis liegen kann, damit von dem letzteren (bei Rodbertus: „von diesem“) mehr als nur der Mehrwert übrig bleibt, von dem normalerweise noch die Grundrente abgezogen werden und die Akkumulation des Kapitals, also die „erweiterte Reproduktion[8] bestritten werden müsste, während dies seiner Meinung nach von dem Aufschlag auf den „natürlichen Tauschwert“ geschehen soll. So ließe sich auch seine ansonsten widersinnige Aussage erklären:

„Die Bestimmung des Wertes muß aufhören, weil nur noch der Tauschwert da ist.“ [9]

Der Grundbesitzer Rodbertus vertritt also den Verkauf landwirtschaftlicher Produkte zu ihrem ideellen Wert, wobei er aber immerhin zugibt, dass in diesem noch der Tauschwert vorhanden ist und den „natürlichen Tauschwert“ darstellt.

Seine Erscheinung in der Industrie

Bereits 1836 wurde durch Nassau William Senior in Ablehnung der Ricardo'schen der Grundstein für eine psychologische Arbeitswertlehre gelegt. Er knüpfte dabei an Adam Smith an, der die Arbeit

  • einerseits als eine „objektive Verausgabung von Energie (gemessen durch Zeit)“ [10] ansah, - was sich auf die abstrakte allgemeine menschliche Arbeit in ihrem Charakter als Tauschwert schaffende Lohnarbeit bezieht - ,
  • andererseits aber als „subjektive Mühe, die man anwendet, um ein Ding herzustellen“ [11], - was sich auf die konkrete menschliche Arbeit in ihrem Charakter als Gebrauchswert schaffendes Handwerk oder private Dienstleistung [12] bezieht.

Auf dieser letzteren Bestimmung baute Senior seine Ansicht von der Arbeit als „psychisches Opfer“ auf, für das der Arbeitslohn eine „Entschädigung“ sein soll, die auch heute noch Teil der subjektiven Wertlehre ist. Darüber hinaus erklärte er den Profit des Unternehmers aus seiner „Entsagung“, seiner „Enthaltsamkeit“ („Abstinenz“) [13], also als „Entgelt für das subjektive Opfer des Sparens“ [= der Akkumulation], „der Entsagung der unmittelbaren Konsumtion von Kapital[14]. Damit wurde der Grundstein für eine subjektive Wertlehre der Industrie gelegt, die sich später in der Grenznutzentheorie ausdrückte.

Im Jahre 1854 war zunächst das Buch „Entwicklung der Gesetze des menschlichen Verkehrs und der daraus fliessenden Regeln für menschliches Handeln“ erschienen, in dem Hermann Heinrich Gossen eine mathematisch formulierte Begründung der Grenznutzentheorie gab. Diese Theorie war bei Gossen bereits vollständig entwickelt, weshalb er sich selbst den Nicolaus Copernicus der Politischen Ökonomie nannte [15]. Dieses Werk blieb dessen ungeachtet zunächst unbemerkt und wurde erst 1871 durch die Werke von Stanley Jevons („Theory of political economy“, London und New York 1871) und Carl Menger („Grundsätze der Volkswirtschaftslehre“ Wien 1871) und 1874 durch den Artikel von Léon Walras („Principe d'une théorie mathématique de l'échange“, erschienen im „Journal des Economistes“ 1874) wiederentdeckt. Dies ist die Geburtsstunde der „modernen“ Grenznutzentheorie, wobei ihre Vertreter übereinstimmend Gossen als die Quelle ihrer Theorie angaben.

Auf dieser Grundlage entdeckte dann die produzierende Industrie den ideellen Wert als scheinbare Quelle der Bereicherung endgültig für sich. Sie geht dabei noch einen Schritt weiter als Rodbertus und leugnet die Existenz des „natürlichen Tauschwertes“. Ausgangspunkt ist dabei die Erscheinung,

  • dass sich die Wertformel dann zwar aus dem Tauschwert plus dem darüber hinausgehenden Teil des ideellen Wertes zusammensetzt,
  • aber der Tauschwert selbst dann zum Bestandteil des ideellen Wertes wird, also weggelassen werden kann, wodurch der Eindruck entsteht, der Wert bestehe allein im ideellen Wert.

Das Vorhandensein des Tauschwertes tritt aber spätestens zutage, wenn man eine Ware subjektiv als „Unwert“, also als „wertlos“ einschätzt, denn die Vertreter der subjektiven Wertlehre werden sie dann kaum verschenken.

Literaturverzeichnis/Anmerkungen

  1. Man vergleiche damit die „vulgär-ökonomische“ Ansicht, der Wert (nicht der Preis) einer Ware werde von ihrer Seltenheit bestimmt, wonach nicht vorhandene Waren den höchsten Wert haben müssten.
  2. Zitiert nach: Karl Marx, „Das Kapital“ Band I (MEW 23), Seite 139, Fortsetzung der Fußnote 80 von Seite 138, Text redigiert)
  3. Karl Marx „Das Kapital“ Band III(MEW 25), Seite 343 (Text redigiert)
  4. Herodot „Historien“ IV,152 (Text redigiert)
  5. Karl Marx „Das Kapital“ Band III (MEW 25) Seite 341 Fußnote 47 (Text redigiert)
  6. Nach Nikolai Bucharin „Das Elend der subjektiven Wertlehre“ Seite 31
  7. Zitiert nach: Karl Marx: „Das Kapital“ Band I (MEW 23), Seite 15 (Text redigiert)
  8. Engels deutet den „Kapitalersatz“ von Rodbertus in „Das Kapital“ Band II (MEW 24), Seite 15 als „Ersatz der Rohstoffe und des Verschleißes der Werkzeuge“, doch zeigt Rodbertus an anderer Stelle seines 3. sozialen Briefes, dass er darunter konkreter die einfache- oder erweiterte Reproduktion des Kapitals versteht, vergleiche Rosa Luxemburg: „Die Akkumulation des Kapitals“ in: „Gesammelte Werke“ V, Seite 213.
  9. Carl Rodbertus-Jagetzow: „Schriften“ Band I, Seite 175, zitiert nach: Rosa Luxemburg: „Die Akkumulation des Kapitals“ in: Gesammelte Werke V, Seite 199
  10. Henryk Grossmann in: „Marx, die klassische Nationalökonomie und das Problem der Dynamik“, Seite 13
  11. a.a.O.
  12. Vergleiche dazu die Darstellung von Marx in „Theorien über den Mehrwert“ Band I (MEW 26.1), Seite 125 - 144
  13. Nach Karl Marx „Das Kapital“ Band I (MEW 23), Seite 243, Fussnote 33
  14. Henryk Grossmann a.a.O.
  15. Nach: Nikolai Bucharin „Das Elend der subjektiven Wertlehre“, Seite 32

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