Ijob

Ijob
Lehr- bzw. Weisheitsbücher
des Alten Testaments

Namen nach dem ÖVBE. Pseudepigraphen
der Septuaginta sind kursiv gesetzt.

Ijob (Job, Hiob); (hebr. אִיּוֹב Ijov; arab. أيوب Aiyub oder Ayyub) ist ein frommer Mann aus dem Land Uz, dessen Geschichte und Gottesverhältnis das nach ihm benannte Buch im jüdischen Tanach bzw. im christlichen Alten Testament darstellt. Von diesem Namen und seiner biblischen Geschichte sind die sprichwörtlichen Hiobsnachrichten oder Hiobsbotschaften abgeleitet.

Inhaltsverzeichnis

Stellung im Bibelkanon

Das Buch Ijob ist ein Buch des jüdischen Tanach und des christlichen Alten Testamentes. Es wird mit den Bibelbüchern Kohelet (Prediger) und dem Buch der Sprichwörter (Sprüche, Spruchweisheit) zur biblischen Weisheitsliteratur gezählt, für die der enge Zusammenhang von Tun und Ergehen als Grundüberzeugung konstitutiv ist. Das Buch Ijob gehört somit zur sogenannten Krise der Weisheit in Israel.

Das hebräische Buch trägt seinen Namen nicht nach seinem Verfasser, sondern heißt nach seiner Hauptfigur אִיּוֹב, Ijov. Die Septuaginta hat diesen mit „Iob“ wiedergegeben, die Vulgata mit „Iob“ bzw. „Job“. Luther versuchte die hebräische Schreibweise nachzuempfinden und schrieb „Hiob“.

Im hebräischen Kanon befindet es sich mit seinen 42 Kapiteln unter den Schriften (Ketubim oder Hagiographen). Die genaue Positionierung innerhalb der Hagiographen differeriert, doch zumeist steht es als Bindeglied zwischen den Geschichtsbüchern und den poetischen Schriften vor den Psalmen oder nach den Psalmen und vor dem Buch der Sprüche Salomos (Proverbia).

Im Kanon der römisch-katholischen und der evangelischen Kirchen steht das Buch Ijob im Anschluss an die Geschichtsbücher nach dem Buch Ester vor dem Psalter. Es eröffnet hiermit den zweiten Teil des Alten Testaments, den Abschnitt der Lehrbücher, denen sich die prophetischen Bücher anschließen.

In den Bibeln der meisten orthodoxen Kirchen steht das Buch nach den Psalmen und vor den Sprüchen Salomos. In der Bibel der syrisch-orthodoxen Kirche folgt das Buch unmittelbar auf die fünf Bücher Mose (Tora). Dies entspricht der früheren christlichen Auffassung, dass die im Buch geschilderten Ereignisse in einer sehr alten Zeit, irgendwann zwischen der Sintflut und dem Auszug aus Ägypten, stattfanden.

Entstehung

Rahmenerzählung und Versdichtung

Eine kritische Betrachtung der heutigen Textgestalt lässt bereits auf den ersten Blick eine gewisse Uneinheitlichkeit erkennen: Der größere Teil des Buches besteht aus einer Reihe von in Versform formulierten Reden Ijobs, seiner Freunde und Gottes. Diese Reden, die insgesamt ein großes Streitgespräch bilden, sind eingerahmt von einer knappen, in Prosa abgefassten Erzählung.[1] Da es auch inhaltlich zwischen diesen beiden Teilen Spannungen gibt, nimmt man allgemein an, dass sie von unterschiedlichen Verfassern stammen. Vermutlich hat der Dichter des poetischen Streitgespräches die Prosaerzählung vorgefunden und sie zum Anlass für sein eigenes Werk genommen, das er in die ältere Erzählung einbettete.

Dies kann als Konsens der biblischen Wissenschaft gelten. Daneben werden von vielen Forschern zusätzlich sowohl die Prosaerzählung als auch die Versdichtung als in sich nicht einheitlich betrachtet. Sehr deutlich scheinen sich zum Beispiel die Reden des vierten Freundes Elihu (Kap. 32–37[2]), dessen Auftreten insgesamt als durch die bisherige Handlung nicht motiviert erscheint, inhaltlich vom restlichen poetischen Streitgespräch zu unterscheiden, so dass sie zumeist einem anderen Verfasser zugeschrieben werden. In ähnlicher Weise wird von manchen Forschern die in der Rahmenerzählung berichtete „Wette“ zwischen dem Satan und Gott als spätere Einfügung betrachtet.[3] Solche literarkritischen Einzelfragen werden in der wissenschaftlichen Exegese allerdings oft unterschiedlich beantwortet.

Aufbau

Die Rahmenerzählung umfasst die in Prosa geschriebenen Teile des Buches:

  • Prolog[4]: Auf Betreiben Satans wird der vermögende und fromme Ijob ins Unglück gestürzt. Auf die Frage Gottes an Satan: „Hast du auf meinen Knecht Ijob geachtet? Seinesgleichen gibt es nicht auf der Erde, so untadelig und rechtschaffen, er fürchtet Gott und meidet das Böse.“ (Ijob 1,8) antwortet der Satan, Ijob sei nur solange fromm, wie er in angenehmen Verhältnissen lebe: „Geschieht es ohne Grund, dass Ijob Gott fürchtet?“ (Ijob 1,9-11) und schlägt vor, Ijobs Gottesfurcht auf die Probe zu stellen. Gott lässt den Verlust allen Besitzes Ijobs zu sowie den plötzlichen Tod seiner zehn Kinder. Ijob nimmt die Schicksalsschläge an, ohne Gott zu verfluchen. Als Gott daraufhin dem Satan gegenüber die Frömmigkeit Ijobs rühmt, verlangt der Versucher, dass er Ijobs Gesundheit schädigen darf. Gott lässt auch das zu und Ijob erkrankt an einem bösartigen Geschwür „von der Fußsohle bis zum Scheitel“. Obwohl ihn seine Frau nun auffordert, diesen Gott, der so etwas zulässt, zu verfluchen, bleibt Ijob bei seiner gottesfürchtigen Einstellung: „Nehmen wir das Gute an von Gott, sollen wir dann nicht auch das Böse annehmen?“ (Ijob 2,10).
  • Im Epilog[5] belohnt Gott Ijobs Treue, indem er ihm zweimal so viel gibt, wie ihm vorher auf Anraten Satans genommen wurde.

Die dichterischen Teile, die fast den gesamten Inhalt des Buchs ausmachen, werden folgendermaßen gegliedert:

  • Dialog[6]. In einem Streitdialog zwischen Ijob und drei weiteren Personen, Elifas, Bildad und Zofar, die im Prolog als Freunde Ijobs vorkommen, klagt Ijob über sein eigenes Leiden, beteuert, es nicht verdient zu haben, und fordert schließlich Gott selbst heraus. In dreimal drei Reden, denen jeweils Ijobs Entgegnung folgt, versuchen dagegen die Freunde, Ijob zum Geständnis seiner Schuld zu bewegen. Sie sind typische Vertreter der Weisheitslehre: Dem Gerechten geht es gut, dem Gottlosen schlecht. Demzufolge muss Ijobs Leiden durch seine Schuld verursacht sein. Die Reden steigern sich und die beiden Parteien reden immer mehr aneinander vorbei, bis sie sich am Ende nichts mehr zu sagen haben. Es zeigt sich, dass die Freunde Ijob nicht mit ihrer Weisheit weiterhelfen können. Diesem Abschnitt werden auch Teile zugerechnet, die eigentlich Monologe sind, so Ijob 3[7] und Ijob 29–31[8], oder keinem Redner zugewiesen werden können, so das so genannte Lied von der Weisheit in Ijob 28[9].
  • Elihureden[10]. Als vierter Redner betont Elihu als Anwalt Gottes in vier Reden Gottes Allmacht und Größe und stellt das Recht des Menschen, göttliches Wirken zu beurteilen, grundsätzlich in Abrede. Darüber hinaus meint er, dass Gott aufgrund seiner Allmacht auch gütig sein müsse. Dabei lenkt er den Blick weg von der Frage nach dem Grund für das Leid hin zu dem Zweck des Leids.
  • Gottesreden[11]. Letztendlich wendet sich Gott selbst aus einem Gewitter heraus an Ijob. In zwei Reden betont Gott seine Macht und die Herrlichkeit seiner eigenen Schöpfungswerke, zum Beispiel den Wasserkreislauf. Lang redet er über die Großartigkeit der von ihm erschaffenen Tiere und Naturgewalten, über den Leviathan und den Behemoth, woraufhin Ijob in zwei kurzen Antworten[12] seine Klagen einstellt. Wichtig dabei ist, dass Gott nicht etwa Ijobs Unschuld in Frage stellt, also den Freunden nicht recht gibt, sondern die unbegreifliche Größe seines göttlichen Handelns darstellt.

Die dichterischen Teile weisen einen oft losen Zusammenhang miteinander und mit der Rahmenerzählung auf. So ist im Dialog von den Umständen, die in dem Prolog erzählt wurden, keine Rede. Hier klagt Ijob nicht über den Verlust seiner Reichtümer und seiner Söhne: Er klagt über die Verachtung seiner Mitmenschen, deren Objekt er geworden ist. Das Auftreten von Elihu geschieht plötzlich, er wird weder davor noch danach noch einmal erwähnt. Die Gottesreden danach thematisieren weder die Argumente der Freunde noch Ijobs Anschuldigungen. Anders die Rahmenerzählung: während der Prolog dafür geeignet ist, den Rahmen für eine theologische Deutung des nachfolgenden Dialogs zu schaffen, wird im Epilog eine Deutung explizit vollzogen, indem die Anklagereden der Freunde verurteilt werden. Darüber hinaus werden im Prolog und im Epilog die gleichen Umstände der Schicksalsschläge angesprochen, die Ijob getroffen haben.

Datierung

Da im Text auf keine historischen Gegebenheiten verwiesen wird, ist eine genaue Datierung nicht möglich. Aufgrund sprachlicher und inhaltlicher Argumente ist man allgemein der Ansicht, dass das Ijob-Buch erst entstand, nachdem Israel aus dem babylonischen Exil zurückgekehrt war: Das Vokabular deutet nämlich auf ein verhältnismäßig spätes Entstehungsdatum, u.a. weil sich Einflüsse des Aramäischen feststellen lassen. Außerdem gehört die Gestalt des Satans noch nicht zum vorexilischen Glauben Israels. Auch die kritische Frage nach der Gerechtigkeit Gottes angesichts des Leidens Unschuldiger spricht gegen ein höheres Alter. Das Ijob-Buch als Gesamtschrift muss irgendwann zwischen dem 5. und dem 3. Jahrhundert vor Christus entstanden sein. Trotzdem ist denkbar, dass die Rahmenhandlung älter ist oder zumindest auf ältere Traditionen zurückgeht, wie verschiedentlich angenommen wird.

Altorientalische Paralleltexte

Wegen der thematischen oder strukturellen Analogien werden einige Texte aus Mesopotamien von Exegeten in Verbindung mit dem Buch Ijob gesetzt[13]:

  • Sumerischer Ijob (TUAT III, 102ff): Es handelt sich um einen Text, der aus sumerischen und sumerisch-akkadischen Fragmenten aus Nippur rekonstruiert worden ist. Das ältere Fragment wird um 2000 vor Chr. datiert. Die Analogie mit dem Buch Ijob ist in dem Umstand gesehen worden, dass in Teilen dieses Textes der Betende einem persönlichen Gott gegenüber steht, der Ähnlichkeiten mit dem „Fürsprecher“ oder dem „Erlöser“ haben soll.[14] [15]
  • Ludlul bel nemeqi (TUAT III, 110ff) (Alternativtitel: der rechtschaffen Leidende): Ich will den Herrn der Weisheit preisen ist eine Dichtung in akkadischer Sprache, die auf vier in Ninive gefundenen Tafeln mit jeweils 120 Zeilen geschrieben ist. Ihre Entstehungszeit wird meistens um 1200 vor Chr. fixiert. Die Dichtung ist ein monologischer Rückblick auf erlittenes vielfaches Leid, bevor Marduk den rechtschaffen Leidenden schließlich davon erlöst hat. Von dem Preisenden hatten sich vorher alle Menschen vom König bis zu den eigenen Sklaven abgewandt und jede Art von Übel ist ihm widerfahren. Ohne die Einzelheiten der biblischen Erzählung behandelt auch diese babylonische Dichtung den Sinn scheinbar unverdienten Leidens angesichts einer souveränen und keiner Rechenschaft¨über das Handeln pflichtigen Gottheit - hier von Marduk, in der Bibel von JHWH.
  • Babylonische Theodizee (TUAT III, 143ff): Es handelt sich hier um ein in 27 Strophen geteiltes Akrostikon. Die Dichtung ist in akkadischer Sprache verfasst und wird um 1000 vor Chr. datiert. Sie gibt einen Dialog zwischen einem Leidenden und seinem Gesprächspartner wieder, der die Götter verteidigt, indem er Ansichten einer traditionellen Theologie verteidigt. Für den Leidenden ergibt sich hier keine Schicksalswende.
  • Ein Mann weint für seinen Freund (TUAT III, 135ff): (…)

Die Analogien sind aber meist schwach und direkte Entlehnungen können nicht belegt werden.

Inhalt

Rahmenhandlung

Satan erscheint vor Gott

Gemäß der biblischen Erzählung des Tanach lebte Ijob mit seiner Frau und zehn Kindern als wohlhabender Mann im Land Uz. Er besaß 11.000 Tiere (Kamele, Schafe, Rinder und Esel) und hatte zahlreiche Knechte und Mägde.[16] Er wird als frommer Mann geschildert, dessen Glaube aufgrund einer Wette zwischen Satan und Gott schwer geprüft wird: Denn eines Tages habe Satan Gott gegenüber behauptet, Ijobs Frömmigkeit komme nur daher, dass Gott ihn und seinen Besitz beschützt und ihn gesegnet habe. Daraufhin habe Gott es Satan erlaubt, Ijob zu prüfen.

Dieser verliert daraufhin durch das Wirken des Satan zuerst seinen ganzen Besitz, dann alle seine Kinder – seine sieben Söhne und drei Töchter kommen durch einen Hauseinsturz ums Leben.[17] All dies bringt Ijob nicht dazu, Gott zu verfluchen: „Und er sagte: ‚Nackt bin ich aus meiner Mutter Leib gekommen, und nackt kehre ich dahin zurück. Der Herr hat gegeben und der Herr hat genommen, der Name des Herrn sei gepriesen!‘“.[18] Da tritt Satan ein weiteres Mal vor Gott und behauptet, Ijob verfluche Gott nicht, weil er sich noch bester Gesundheit erfreue. Dann zerstört der Satan sogar seine Gesundheit, indem er eine schlimme, äußerst schmerzhafte Krankheit mit Geschwüren am ganzen Körper Ijobs von diesem Besitz ergreifen lässt.

Satan schüttet die Plagen über Hiob aus (Gemälde von William Blake)

Die Nachrichten von den Katastrophen, die Ijob in kurzer Folge ereilen, werden ihm jeweils von einem seiner Knechte, dem einzigen Überlebenden der jeweiligen Katastrophe, überbracht. In Anlehnung daran bezeichnen die umgangssprachlichen Begriffe „Hiobsnachricht“ oder „Hiobsbotschaft“ eine schlimme Unglücksnachricht, wie den plötzlichen Tod eines Angehörigen oder engen Freundes.

Die Auseinandersetzungen mit seinen Freunden werden ausführlich geschildert. Gott hatte Satan erlaubt, Hiob in allen Bereichen zuzusetzen, nur sein Leben musste er verschonen. Während Hiobs Freunde Sünde als Grund für seine vermeintliche Bestrafung vermuten, beteuert Hiob stets seine Unschuld und seine Treue zu Gott.


Nachdem drei seiner Freunde erfolglos versucht hatten, Ijob von seiner Schuld zu überzeugen, erscheint ein jüngerer Mann namens Elihu.[19] Dieser versucht dasselbe, gibt aber auch auf, nachdem Ijob auf niemanden hörte und sich gegen Gott recht gab.

Doch dann spricht Gott zu Ijob.[20] Durch rhetorische Fragen hilft er ihm, wahrzunehmen, dass er der Schöpfer von allem sei und Gut und Böse ausschließlich in seinen Händen liege. Weiter erkennt Gott an, dass Ijob entgegen seiner Freunde Behauptungen unschuldig an seinen Leiden gewesen sei.

Weil Ijob in all seinem Leid, seiner Armut und seiner Trauer seinem Gott dennoch die Treue hielt und ihn nicht verfluchte, wie seine Ehefrau es ihm nahegelegt hatte, und weil er später auf die Belehrungen Gottes mit großer Demut reagiert, erlöst Gott ihn schließlich von der Krankheit und segnet sein weiteres langes Leben damit, dass er ihm das Doppelte seines früheren Besitzes erwerben lässt. Auch bekommt Ijob sieben neue Söhne und drei Töchter – wie vor seinen Unglücksschlägen. Die Töchter heißen Jemima, Kezia und Keren-Happuch.[21]

Theologisches Thema

Die Geschichte von Ijob behandelt die Frage, wie es sein kann, dass der gerechte Gott duldet, dass guten Menschen Böses widerfährt. Sie versucht zu beantworten, weshalb trotz Gottes Allmacht und Güte auch ein gerechter Mensch leiden kann. Sie wehrt sich gegen die fromme und einfache Annahme, dass das Leiden eine Strafe Gottes sei.

In der theologischen Fachsprache hat sich dafür der Ausdruck „Theodizee“, also Frage nach der Rechtfertigung Gottes angesichts des Leidens, eingebürgert.

Tun-Ergehen-Zusammenhang

Das Buch Ijob muss vor dem Hintergrund des altorientalischen Glaubens an den Tun-Ergehen-Zusammenhang interpretiert werden. In Israel und ebenso in den benachbarten Regionen war man der Überzeugung, dass es einem Mensch, der Gutes tut, auch in seinem eigenen Leben gut ergeht und umgekehrt ein böser Mensch ein schlechtes Leben zu erwarten hat. Grund dafür war der Glaube an eine sich unmittelbar auswirkende göttliche Gerechtigkeit. Die Existenz dieses Tun-Ergehen-Zusammenhangs war eine Grundüberzeugung der so genannten älteren „Weisheitsliteratur“. In der Bibel wird diese Überzeugung unter anderem in vielen Psalmen formuliert, so etwa in Psalm 1: „Wohl dem Mann, der nicht dem Rat der Frevler folgt … Alles, was er tut, wird ihm gut gelingen.“ Diese Annahme wurde im Laufe der Zeit brüchig, es kam zur so genannten „Krise der Weisheit“, was vermutlich sozialgeschichtlich zu erklären ist: Die großen, durch Kriege verursachten gesellschaftlichen Umwälzungen der Zeit konfrontierten die Menschen mit Unsicherheit und Leid, das sich nicht mehr ohne Weiteres auf individuelles Fehlverhalten zurückführen ließ. Deswegen stellte sich die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes angesichts des Leidens Unschuldiger, was sich in verschiedenen literarischen Zeugnissen – neben Ijob auch das biblische Buch Kohelet und außerbiblische Paralleltexte – niederschlug.

Die Rahmenerzählung

Das Ijobbuch gibt auf diese Frage mindestens zwei verschiedene Antworten: In der Rahmenhandlung wird das Leid Ijobs damit erklärt, dass Gott ihn auf die Probe stellen wollte. Da Ijob diese Probe besteht, geduldig und gottesfürchtig bleibt, wird das Leid wieder von ihm genommen. Hier wird Ergebenheit im Leid gefordert und der Tun-Ergehen-Zusammenhang wird nicht ganz aufgehoben, da Ijob letztlich für sein richtiges Verhalten belohnt wird. Trotzdem wird deutlich: Nicht immer ist Leid Strafe für eine Sünde. Der Umkehrschluss „Wer leidet, muss eine Schuld auf sich geladen haben“ ist nicht zulässig.

Das Streitgespräch in Versform

Das poetische Streitgespräch, das den Hauptteil des Ijobbuches bildet, ist dagegen nicht so eindeutig und wird deswegen auch sehr unterschiedlich interpretiert. Auffallend ist, wie aggressiv Ijob sich hier gegenüber Gott äußert, dem er tyrannische Ungerechtigkeit vorwirft und den er am liebsten verklagen würde, wüsste er nicht, dass Gott sich aufgrund seiner Macht jeder Gerechtigkeit entziehen kann. Zentral für die Interpretation ist das Verständnis der Gottesreden, mit denen Gott auf Ijobs Anklage antwortet. Gott erklärt hier nämlich nichts, er redet nicht davon, dass er Ijob nur auf die Probe stellen wollte, schon gar nicht bezieht er sich auf die „Satanswette“ aus der Rahmenhandlung. Außerdem verspricht er nicht, dass er Ijob entschädigen wird und gibt dem Leid auch sonst keinen tieferen Sinn. Inhalt der Gottesrede ist ausschließlich eine ausführliche Beschreibung der Großartigkeit der von Gott geschaffenen Natur, vor der alles menschliche Verstehen verstummt. Erstaunlicherweise gibt sich Ijob mit dieser Antwort zufrieden, obwohl sie seine Anklage Gottes eigentlich bestätigt: Er ist unschuldig und sein Leiden unerklärlich. Möglicherweise will das Ijobbuch eben das sagen, dass der Sinn von Gottes Handeln den Menschen nicht zugänglich und eine Antwort auf die Theodizeefrage nicht möglich ist. Vielleicht ist die Pointe auch, dass Gott Ijob überhaupt erscheint, also dem Leidenden gerade auch im tiefsten Leid erfahrbar wird. Sicher ist jedenfalls, dass der Tun-Ergehen-Zusammenhang aufgehoben wird: Leid ist nicht durch Schuld verursacht, die Freunde Ijobs, die den Leidenden zur Gewissenserforschung auffordern, haben Unrecht.

Franz Delitzsch schreibt in seinem bekannten Kommentar, es gebe im gesamtbiblischen Zusammenhang verschiedene Ursachen für Leid: Nur das Strafleiden des Gottlosen habe Gottes Zorn als Ursache. Das Leid des Gerechten habe seinen Grund immer in Gottes Liebe. Es könne Zeugnisleiden oder Prüfungsleiden sein. Zeugnisleiden wie Verfolgung und Märtyrertod widerfahre dem Gläubigen wegen seiner Treue Gott gegenüber allein um Gottes willen zu seiner Ehre. Sie haben mit der Sünde des Menschen nichts zu tun. Als Beispiele nennt Delitzsch Joh 21,19 und Mt 5,11–12.[22] Prüfungsleiden hingegen sollen drei Ziele erreichen:

  1. Bewährung von Gottvertrauen und Geduld,
  2. Rechtfertigung der Erwählung
  3. Offenbarwerden, dass Satan mit seinen Anklagen unrecht hat und es eine Liebe gibt, die Gott um seiner selbst Willen und nicht wegen dinglicher Vorteile liebt.

Prüfungsleiden lasse sich weiter unterteilen in reines Prüfungsleiden zur Bestärkung der bereits vorhandenen Gerechtigkeit.[23] Daneben gibt es Züchtigungsleiden zum Abschmelzen noch vorhandener Sünde.[24] Bei Hiob gehe es primär um reines Prüfungsleiden, sekundär auch um Züchtigungsleiden, denn auch Hiob muss am Ende zugeben, vermessen gegen Gott geredet zu haben.[25] Die Freunde werfen Hiob jedoch zu unrecht mal Straf- mal Züchtigungsleiden vor.[26]

Rezeption in Judentum, Christentum, Islam

Neues Testament

Im Neuen Testament wird Ijob viermal erwähnt.[27]

Im Brief des Jakobus wird das Ausharren und die Treue Ijobs zu seinem Gott als Vorbild für Christen hervorgehoben:[28]

„Wer geduldig alles ertragen hat, den preisen wir glücklich. Ihr habt von der Ausdauer des Hiob gehört und das Ende gesehen, das der Herr herbeigeführt hat. Denn der Herr ist voll Erbarmen und Mitleid.“

In der christlichen Tradition und Frömmigkeit spielen die Verse 25 und 26 aus Kapitel 19 eine besondere Rolle, da sie auf Christus und die christliche Auferstehungshoffnung bezogen werden. In dieser Auslegungstradition finden sie sich auf zahlreichen Grabmonumenten und auch in Händels Oratorium Der Messias, wo die Sopranarie I know that my Redeemer liveth/Ich weiss, dass mein Erlöser lebt den dritten Teil eröffnet.

Apokryphen

Eine Parallele zu Ijobs Geschichte findet sich im deuterokanonischen Buch Tobit.[29] Im so genannten Testament Hiobs gilt Ijob als Sohn Esaus; seine zweite Frau ist Dina, die Tochter Jakobs.

In der christlich-apokryphenApokalypse des Paulus“ wird Paulus in einer Vision an den Fluss aus Wein im Norden der Stadt Christi geführt. Dort sieht er Ijob zusammen mit Abraham, Isaak und anderen Heiligen (Kapitel 27). Später wird Paulus von einem Engel in das Paradies geführt. Dort wird ihm von Ijob erzählt, alles Leid in der Welt auf sich zu nehmen, sei den Lohn am Ende wert (Kapitel 49).

Koran

Auch im Koran wird Ijobs Geschichte (arabisch ‏أيوب‎ Aiyub, Ayub, Ayyub, DMG Aiyūb) erwähnt. Sie gleicht der biblischen Rahmenerzählung; siehe die Suren 6,84; 21,83–84; 38,41–43: „Wir fanden, dass Aiyub geduldig war.“ Dazu beschreiben Hadithe, wie geduldig und gottesfürchtig Ijob war. Der bis heute im Arabischen und anderen orientalischen Sprachen gängige Vorname Aiyub ist deshalb ein Symbol für Geduld und Demut geworden.

Rezeption in den Künsten und der Wissenschaft

Hiob-Skulptur (Pfarrkirche St. Luzia, Ostrach-Levertsweiler, Landkreis Sigmaringen)
Skulptur (1957) von Gerhard Marcks in Nürnberg

Die Motive des Buches Ijob sind Gegenstand zahlreicher künstlerischer und wissenschaftlicher Bearbeitungen.

  • Einzelne Elemente des Motivs sind im „Prolog im Himmel“ in Goethes Faust aufgegriffen.
  • In Oliver Goldsmiths The Vicar of Wakefield werden der fromme Protagonist Reverend Dr. Charles Primrose und seine Familie,ähnlich wie Hiob und seine Familie, von mehreren Schicksalsschlägen heimgesucht (Besitzverlust, Armut, Fortsendung und Verarmung seines Sohnes Entführung beider Töchter, Verlust der Familienehre,(vorgetäuschter) Tod einer Tochter, Krankheit, Gefängnis, seinem Sohn droht die Todesstrafe,...). Letztendlich klärt sich aber alles durch die Hilfe von Sir William Thornhill zum Guten und die Lebensverhältnisse der Familie verbessern sich drastisch (tot glaubte Tochter lebt, finanziell aussichtsreiche Verheiratung beider Töchter und des ältesten Sohns, Gefängnisentlassung und Freisprechung von Primrose und seinem Sohn,...).
  • Auf dem Titelbild der staatstheoretischen Schrift Leviathan von Thomas Hobbes wird die lateinisch-sprachige Bibelstelle Ijob 41,24 „Non est potestas Super Terram quae Comparetur ei“ (deutsch: „Keine Macht ist auf Erden, die ihm zu vergleichen ist“) zitiert.[30]
  • In John Steinbecks Roman The Grapes of Wrath (Die Früchte des Zorns) wird auf die Figur Ijob und seine Charaktereigenschaften angespielt.
  • 1930 erschien Joseph Roths Roman Hiob.
  • In ihrem 1946 erschienenen Werk Das Buch Hiob und das Schicksal des jüdischen Volkes bringt Margarete Susman eine kollektive Deutung des Motivs ein.
  • Die Dichterin Nelly Sachs veröffentlichte ein Gedicht namens Hiob im Ramen des Zyklus Sternverdunkelung 1949
  • Karl Wolfskehl gibt in seiner Dichtung Hiob oder Die Vier Spiegel (entstanden 1944/7; erschienen posthum 1950) eine überzeitliche "Vision vom Wesen des Judentums".
  • In Muriel Sparks Buch The Only Problem (1984) befasst sich der Hauptcharakter, Harvey, mit dem Buch Ijob in privaten wissenschaftlichen Studien. The Only Problem mit Harvey als leidender Seele ist Muriel Sparks Auseinandersetzung mit dem Buch Ijob.
  • In Anders Thomas Jensens Film Adams Äpfel, Dänemark 2005, verkörpert Pastor Ivan die Figur des von Gott geplagten Menschen, dem am Ende Wiedergutmachung zuteil wird. In diesem Film wird auch der Neonazi Adam immer wieder mit dem Buch Hiob konfrontiert, da seine Bibel zum Beispiel durch Einfluss des Windes immer wieder am Anfang dieses Textes aufgeschlagen wird.
  • Wilfried Hiller: Ijob / Hiob, Oper; UA 1979, Bayerische Staatsoper
  • Carl Loewe: Hiob, Oratorium
  • Nachtblut: Ijobs Botschaft, erschienen auf dem Album Antik im Jahre 2009.
  • George Tabori: Die Ballade vom Wiener Schnitzel (1996): Im vierten Akt der Ballade nimmt die Hauptfigur, Alfons Morgenstern, in einem Rollenspiel die Rolle des Hiob an.
  • In Mission: Impossible beauftragt „Max“ einen Agenten mit dem „Job 3.14“. Ethan Hunt, gespielt von Tom Cruise, findet später heraus, dass es sich dabei um das Buch Ijob, Kapitel 3, Vers 14, handelt.
  • Das Hyper-IgE-Syndrom wurde 1966 von den Erstbeschreibern Job's syndrome genannt. Die beschriebenen Patienten hatten wiederkehrende therapieresistente Staphylokokken-Hautinfektionen und Abszesse an verschiedenen Körperstellen. In Anlehnung an Hiobs Geschwüre schlugen sie den Namen vor. [31] 2007 konnte bei einer der 2 Patientinnen eine zugrundeliegende genetische Mutation in STAT3 beschrieben werden. [32]
  • Terrence Malick beginnt seinen Film The Tree of Life (2011) mit einem schriftlich eingeblendeten Zitat aus dem Buch Hiob (Kapitel 38, Verse 4-7) und wird im Verlauf des Films den jeweils von einer Off-Stimme eingesprochenen Weg der Natur und den Weg der Gnade als zwei mögliche Lebenswege gegeneinander stellen.

Siehe auch

Literatur

Exegetische Kommentare

  • Franz Delitzsch: Biblischer Commentar über die poetischen Bücher des Alten Testaments. Band 2: Das Buch Iob. Leipzig 18762 (Buchauszug online).
  • Claus Westermann: Der Aufbau des Buches Hiob. Calwer Theologische Monographien/A,6, Calwer, Stuttgart 1978, ISBN 3-7668-0539-8.
  • Othmar Keel: Jahwes Entgegnung an Hiob. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1978, ISBN 3-525-53282-2.
  • Jürgen Ebach: Artikel Hiob/Hiobbuch. In: TRE 15 (1986), S. 360–380.
  • Hans-Peter Müller: Das Hiobproblem. Seine Stellung und Entstehung im alten Orient und im Alten Testament. In: Erträge der Forschung. 84; Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1995, ISBN 3-534-07265-0.
  • Jürgen van Oorschot: Tendenzen der Hiobforschung. In: ThR NF 60 (1995), S. 351–388.
  • Benedikt Peters: Das Buch Hiob. Warum müssen die Gerechten leiden? Christliche Verlagsgesellschaft, Dillenburg 2002, ISBN 3-89436-318-5.
  • Gabrielle Oberhänsli-Widmer: Hiob in der jüdischen Antike und Moderne. Neukirchener Verlag, Neukirchen-Vluyn 2003, ISBN 3-7887-1945-1.
  • Jürgen van Oorschot: Die Entstehung des Hiobbuches. In: Th. Krüger, M. Oeming, K. Schmid, Ch. Uehlinger (Hrsg.): Das Buch Hiob und seine Interpretation: Beiträge zum Hiob-Symposium auf dem Monte Verità vom 14.–19. August 2005. AThANT 88; Theologischer Verlag, Zürich 2007, ISBN 3-290-17407-7, S. 165–184.
  • Theodor Seidl, Stephanie Ernst (Hrsg.): Das Buch Ijob. Gesamtdeutungen – Einzeltexte – Zentrale Themen. Österreichische biblische Studien 31, Peter Lang, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-631-56241-3.
  • Ludger Schwienhorst-Schönberger: Ein Weg durch das Leid - Das Buch Ijob. Herder, Freiburg i.Br. 2007, ISBN 978-3-451-29672-7.
  • Raik Heckl: Hiob - vom Gottesfürchtigen zum Repräsentanten Israels. Studien zur Buchwerdung des biblischen Hiobbuches und zu seinen Quellen. Mohr Siebeck, Tübingen 2010, ISBN 978-3-16-150337-5.


Theologische und philosophische Auslegungen

Weblinks

 Commons: Job – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Bibeltexte

Exegese

Einzelbelege

  1. Hiob 1–2Hi 1 LUT und Hi 42 LUT
  2. Hi 32 LUT
  3. Hi 1,6–12 LUT; Hi 2,1–7a LUT
  4. Ijob 1–2 LUT
  5. Ijob LUT
  6. Ijob 3–31 LUT
  7. Hi 3 LUT
  8. Hi 29 LUT
  9. Hi 28 LUT
  10. Ijob 32–37 LUT
  11. Ijob 38–41 LUT
  12. Ijob 40,4–5 LUT und Hi 42,2–6 LUT
  13. H.-P. Müller, Das Hiobproblem (1995), S. 49ff.
  14. Hi 16,19 LUT
  15. Hi 19,25 LUT
  16. Hi 1,1–3 EU
  17. Hi 1,18f EU
  18. Hi 1,21 EU
  19. Hi 32 EU
  20. Hi 39 EU
  21. Hi 42,10–14 EU
  22. Joh 21,19 EU und Mt 5,11–12 EU
  23. Beispiele für diese Prüfungsleiden sind Joh 9,1–3 LUT, Jak 1,12 LUT und 1 Petr 1,6–7 LUT
  24. Beispiele für diese Züchtigungsleiden sind Spr 3,11 LUT, 1 Kor 11,32 LUT und Hebr 12 LUT
  25. Hi 42,6 LUT
  26. Franz Delitzsch: Biblischer Commentar über die poetischen Bücher des Alten Testaments; Band 2: Das Buch Hiob; Leipzig 18762 (BC), S. 91–93 (pdf)
  27. In 1 Kor 3,19 EU greift Paulus von Tarsus auf Hi 5,13 EU, in Phil 1,19 EU auf Hi 13,16 EU und in Röm 11,35 EU auf Hi 41,3 EU zurück.
  28. Jak 5,11 EU
  29. Tob 2,11 EU – 3,17
  30. dt. Bibelausgaben: 41,25 LUT
  31. http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/4161105
  32. http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/17942886

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  • Das Buch Hiob — Das Buch Ijob, hebr. אִיּוֹב‎ (auch Hiob; Job; in der arabischen Überlieferung Aiyub oder Ayub) ist ein Buch des Tanach (Altes Testament der Bibel). Es wird mit den Bibelbüchern Kohelet (Prediger) und dem Buch der Sprichwörter (Sprüche,… …   Deutsch Wikipedia

  • Hiob (Buch) — Das Buch Ijob, hebr. אִיּוֹב‎ (auch Hiob; Job; in der arabischen Überlieferung Aiyub oder Ayub) ist ein Buch des Tanach (Altes Testament der Bibel). Es wird mit den Bibelbüchern Kohelet (Prediger) und dem Buch der Sprichwörter (Sprüche,… …   Deutsch Wikipedia

  • Free-Will Defense — Theodizee [ˌteodiˈt͜seː] (frz. théodicée, v. altgriech. θεός theós „Gott“ und δίκη díke „Gerechtigkeit“) heißt „Rechtfertigung Gottes“. Das Theodizeeproblem ist ein klassisches philosophisches und theologisches Problem für diejenigen religiösen… …   Deutsch Wikipedia

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