- Juli Zeh
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Juli Zeh (* 30. Juni 1974 in Bonn) ist eine deutsche Juristin und Schriftstellerin.
Inhaltsverzeichnis
Leben
Zeh ist die Tochter des ehemaligen Direktors beim Deutschen Bundestag, Wolfgang Zeh.
Sie besuchte das Pädagogium Otto-Kühne-Schule in Bonn und legte dort das Abitur ab. Anschließend studierte sie Rechtswissenschaften mit Studienschwerpunkt Völkerrecht in Passau, Krakau, New York und Leipzig. Nach einem Praktikum bei der UNO in New York folgte ein juristischer Aufbaustudiengang „Recht der Europäischen Integration“, den sie mit dem Magister der Rechte (LL.M.Eur.) abschloss.
Das Studium am Deutschen Literaturinstitut Leipzig hatte Zeh 1996, noch vor Abschluss des Jurastudiums, begonnen und im Jahr 2000 mit dem Diplom abgeschlossen. Ihren literarischen Ruf setzt Juli Zeh mittlerweile auch politisch ein. Im Bundestagswahlkampf 2005 gehörte sie zu den Autoren, die den Aufruf von Günter Grass zur Unterstützung der rot-grünen Koalition unterschrieben haben. Außerdem leiht sie als „Tierschutzbotschafterin“ der Stiftung Vier Pfoten ihre Stimme.
Im Januar 2008 reichte Zeh beim Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde gegen den biometrischen Reisepass ein,[1][2] da nach ihrem Dafürhalten die obligatorische Erfassung von Fingerabdrücken in Reisepässen keine wirksame Maßnahme der Sicherheitspolitik, sondern als „sinnlose[r] Grundrechtseingriff“[3] ein „grundsätzliches Problem in einer freiheitlichen Gesellschaft“[1] darstelle. Bislang habe noch kein Politiker erklären können, wie die Erfassung einen Terroranschlag verhindern solle, da in keinem der bisher durchgeführten oder geplanten Attentate gefälschte Pässe eine Rolle gespielt hätten.[3] Sie plädiert „für ein Menschenbild, das den Menschen nicht grundsätzlich als potenzielle Gefahr für sich und andere betrachtet“.[4]
2010 wurde Zeh an der Universität Saarbrücken zum Dr. jur. promoviert. Ihre Dissertation behandelt die Rechtsetzungstätigkeit von UN-Übergangsverwaltungen.[5] Sie wurde dafür mit dem Deutschen Studienkreis der Hamburger Körber-Stiftung ausgezeichnet, der jährlich durch den Bundestagspräsidenten verliehen wird.[6]
Seit 2007 lebt Zeh in Barnewitz im Landkreis Havelland, Brandenburg.
Künstlerisches Werk
Juli Zehs Debütroman Adler und Engel – in 29 Sprachen übersetzt – spielt im Milieu international tätiger Juristen und der Drogenmafia. Der Biographie der Autorin entsprechend hat der Roman einen juristischen Gehalt: Er thematisiert das Völkerrecht und damit eine „sehr spezielle Rechtsform, die eigentlich den Charakter oder den Namen Recht nur zur Hälfte verdient,“ weil es in „jeder Sekunde immer noch im Entstehen begriffen“ sei, sich „ständig mit [seinem] eigenen Untergang konfrontiert“ sehe und „mit [seiner] eigenen Wirkungslosigkeit.“[7]
Der Schauplatz von Spieltrieb ist ein Gymnasium in Zehs Heimatstadt Bonn. Die Protagonisten sind Schüler und Lehrer der Schule, an deren Verhalten und Einstellungen exemplarisch die rechtsphilosophische Frage nach der objektiven Existenz von Recht und Unrecht thematisiert wird. Mit einem Auszug aus dem Roman nahm Juli Zeh 2004 am Ingeborg-Bachmann-Preis teil. Ihr Text stieß auf geteiltes Echo bei der Jury. Der Roman erreichte allerdings ein breites Publikum und erhielt überwiegend positive Rezensionen in den deutschen Feuilletons. Bernhard Studlar erarbeitete aus diesem Roman ein gleichnamiges Bühnenstück, welches am 16. März 2006 im Deutschen Schauspielhaus Hamburg uraufgeführt wurde und seit Anfang 2007 auch am Jungen Theater Bremen läuft.
Das Reisetagebuch Die Stille ist ein Geräusch ist Produkt einer Reise nach Bosnien und Herzegowina im Sommer 2001. Es geht um die tiefe Verstörung der Menschen angesichts der Nichtbeachtung des Landes durch die Völkergemeinschaft, das Nicht-Gesehenwerden durch Europa. Ein Hund läuft durch die Republik ist eine gemeinsam mit David Finck und Oskar Ters herausgegebene Anthologie mit Erzählungen junger Bosnier in deutscher Sprache über die Situation in ihrem Land. Das Kleine Konversationslexikon für Haushunde mit Photographien von David Finck erschien 2005. Darin erklärt Othello, der Haushund einer Schriftstellerin, die Welt, wie sie wirklich ist – aus dem Blickwinkel eines Hundes. Alles auf dem Rasen, erschienen im März 2006, ist ein Sammelband von 30 Essays.
Der im Jahr 2007 veröffentlichte Roman Schilf verbindet eine Kriminalhandlung um zwei elitäre Physiker mit Reflexionen zum Phänomen der Zeit. Er wurde bereits im Erscheinungsjahr von Bettina Bruinier und Katja Friedrich dramatisiert und am 13. Dezember 2007 am Münchner Volkstheater uraufgeführt. Für ihre Inszenierung wurde Bettina Bruinier mit dem Stern des Jahres der Münchner Abendzeitung ausgezeichnet.
Das Theaterstück Corpus Delicti[8] spielt im Jahr 2057. Grundlage des gesamten Staatswesens ist die Methode geworden, das heißt, der Staat zwingt seine Bürger zu gesundheitlicher Prävention und behandelt selbst das Rauchen einer Zigarette als Delikt. Das Drama wurde bei der Ruhrtriennale 2007 uraufgeführt. Der gleichnamige Roman Corpus Delicti erschien 2009. Corpus Delicti – Eine Schallnovelle entwickelte sie zusammen mit der Band Slut 2009 als eine Mixtur aus Hörspiel und Musik. Die Live-Umsetzung enthielt zusätzlich noch Elemente aus Videokunst und Theater.
Ebenfalls 2009 veröffentlichte Zeh zusammen mit Ilija Trojanow das Buch Angriff auf die Freiheit: Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und der Abbau bürgerlicher Rechte. Im Rahmen der Buchvorstellung kritisierten die beiden Autoren, dass der Staat unter dem Deckmantel der Terrorabwehr immer weiter in die Privatsphäre seiner Bürger vordringe.[9]
Im Jahr 2010 wurde sie im Dokumentarfilm Amok – Anatomie des Unfassbaren zu den Ursachen von Amokläufen befragt.
Motive
Das Schreiben Zehs dreht sich um den Antagonismus von Chaos und Ordnung; sie fragt, ob und wie sich Sinn und Moral neu aufbauen lassen, wenn tradierte Werte bedeutungslos wurden. Wiederkehrende Motive sind die Fragen des Verlorengehens des Zusammenhalts und der tragenden Normen und die Lebenswelt in einer Gesellschaft der Individualisierung und Globalisierung, in der keine gemeinsame Verantwortung für die Zukunft einer Weltgemeinschaft mehr erkennbar wird.
Literarisches Schreiben sei, so Zeh, im Zeitpunkt des Entstehens der Texte ausschließlich Kommunikation mit sich selbst.[7] Literaturtheoretisch sieht sich die Autorin im Einklang mit der „Mode“, nicht als Anhängerin „intentionale[n] Schreiben[s] mit Hinblick auf eine bestimmte Botschaft“, sondern gibt auf die „berühmte Frage“, die man im Deutschunterricht immer noch stelle – „Was will uns der Autor damit sagen?“ – die Antwort „Gar nichts!“[7] Zugleich geht die Autorin indes davon aus, dass man Geschichten nicht schreibe, weil „irgend etwas gut funktioniert“, sondern immer nur über das, was „nicht klappt.“[7] Für sie sei „prägend“, dass sie den „Unterschied zwischen Fiktion und Wirklichkeit marginal“ finde. Zeh habe immer viel gelesen und sich als Kind „selbst als Romanfigur betrachtet“. Sie bekennt: „Bei mir ist auch einmal eine schizoide Störung diagnostiziert worden.“[10]
Auszeichnungen
- 1999 Preis der Zeitschrift Humboldt Forum Recht
- 2000 Caroline-Schlegel-Preis für Essayistik
- 2002 Deutscher Bücherpreis
- 2002 Rauriser Literaturpreis des österreichischen Bundeslands Salzburg
- 2002 Förderpreis des Bremer Literaturpreises
- 2003 Ernst-Toller-Preis
- 2003 Hölderlin-Förderpreis
- 2004 Inselschreiber
- 2005 Per-Olov-Enquist-Preis
- 2005 Literaturpreis der Bonner LESE
- 2008 Jürgen Bansemer & Ute Nyssen-Dramatikerpreis
- 2008 Prix Cévennes
- 2009 Carl-Amery-Literaturpreis
- 2009 Solothurner Literaturpreis
- 2009 Gerty-Spies-Literaturpreis
- 2010 Tübinger Poetik-Dozentur[11]
Einzelwerke
Bücher
- Adler und Engel. Schöffling, Frankfurt/Main 2001 (auch btb / Goldmann 2003), ISBN 3-442-72926-2.
- Die Stille ist ein Geräusch. Schöffling, Frankfurt/Main 2002 (auch btb / Goldmann), ISBN 3-442-73104-6.
- Recht auf Beitritt? Ansprüche von Kandidatenstaaten gegen die Europäische Union. Nomos, Baden-Baden 2002, ISBN 3-7890-8266-X.
- Spieltrieb. Schöffling, Frankfurt/Main 2004, ISBN 3-89561-056-9.
- Ein Hund läuft durch die Republik. Schöffling, Frankfurt/Main 2004, ISBN 3-89561-057-7.
- Kleines Konversationslexikon für Haushunde. Schöffling, Frankfurt/Main 2005, ISBN 3-89561-058-5.
- Alles auf dem Rasen. Schöffling, Frankfurt/Main 2006, ISBN 3-89561-059-3.
- Schilf. Schöffling, Frankfurt/Main 2007, ISBN 3-89561-431-9.
- Corpus Delicti. Ein Prozess. Schöffling, Frankfurt/Main 2009, ISBN 978-3-89561-434-7.
- Angriff auf die Freiheit. Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und der Abbau bürgerlicher Rechte. Mit Ilija Trojanow. Hanser, München 2009, ISBN 978-3-446-23418-5.
- Das Mögliche und die Möglichkeiten. Rede an die Abiturienten des Jahrgangs 2010. Gollenstein, Merzig 2010, ISBN 978-3-938823-72-9.
- Das Übergangsrecht. Zur Rechtsetzungstätigkeit von Übergangsverwaltungen am Beispiel von UNMIK im Kosovo und dem OHR in Bosnien-Herzegowina. Nomos, Baden-Baden 2011, ISBN 978-3-8329-6185-5 (Saarbrücker Studien zum internationalen Recht; Bd. 48; zugleich Dissertation, Universität Saarbrücken 2010)
- Aufgedrängte Bereicherung. Tübinger Poetik-Dozentur 2010. Mit Georg M. Oswald, hg. von Dorothee Kimmich und Philipp Ostrowicz. Swiridoff, Künzelsau 2011, ISBN 978-3-89929-219-0.
Kinderbücher
- Das Land der Menschen. Schöffling, Frankfurt/Main 2008, ISBN 978-3-89561-432-3
Theaterstücke
- Corpus Delicti
- Der Kaktus
- Good Morning Boys and Girls
- 203, UA: 22. April 2011, Kleines Haus, Schauspielhaus Düsseldorf
Hörspiele
Kurzgeschichten
- Do ut des. In: Bettina Hesse (Hrsg.): Von Sinnen. Ein erotisches Lesebuch, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 2001, ISBN 3-499-23037-2, S. 84–91
- Der Hof. In: Martin Brinkmann, Werner Löcher-Lawrence (Hrsg.): 20 unter 30. Junge deutsche Autoren, DVA, Stuttgart München, 2002
- Feindliches Grün. In: Else Buschheuer (Hrsg.): Hochzeitstanz. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 2003, ISBN 3-499-23368-1, S. 127–144
Weblinks
Commons: Juli Zeh – Sammlung von Bildern, Videos und AudiodateienWikiquote: Juli Zeh – Zitate- juli-zeh.de – offizielle Webpräsenz der Autorin
- Literatur von und über Juli Zeh im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Biographische Angaben, Werke und Hörproben von Juli Zeh bei Literaturport
- Juli Zeh in der deutschen und englischen Version der Internet Movie Database
- 8 Videoclips Antworten zu Fragen zur Kunst – im Rahmen von documenta-dock.net
- „Die Allerunausstehlichste – Ein unerledigter Fall in gebotener Kürze“ – Kritik in der Titanic
- „Peter Voß fragt die Schriftstellerin Juli Zeh: Freiheit, Freiheit über alles?“ (mit 45 min Video) – Aus der Sendereihe Bühler Begegnungen auf 3sat
Einzelnachweise
- ↑ a b Vollständiger Text der Verfassungsbeschwerde (PDF)
- ↑ Jochen Bittner: „Finger weg, Otto!“ In: Die Zeit, Nr. 6/2008, S. 10; Bericht zur Verfassungsbeschwerde
- ↑ a b Juli Zeh: Interview – Biometrischer Fingerabdruck auf Reisepass. In: Neue Juristische Wochenschrift, Heft 35/2008, S. XIV.
- ↑ „Jeder ist verdächtig“ – Interview mit Juli Zeh, Deutsch-chinesisches Kulturnetz, Juni 2010
- ↑ http://europainstitut.de/europa-institut/news/zeh.html
- ↑ Meldung auf moz.de vom 6. November 2011, abgerufen am 7. November 2011
- ↑ a b c d Über Recht und Literatur. Ein Gespräch mit Juli Zeh und Martin Mosebach, geführt von Britta Lange und Hermann Weber, abgedruckt in: Hermann Weber (Hrsg.): Literatur, Recht und Musik. Tagung im Nordkolleg Rendsburg vom 16. bis 18. September 2005, Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2007, ISBN 978-3-8305-1339-1, S. 183–204 (189)
- ↑ Christopher Schmidt: Die Erfindung der Realität. Über Juli Zehs Theaterstück Corpus delicti. In: Sprache im technischen Zeitalter 46 (2008), H. 187, S. 263–269
- ↑ Neues Buch: „Angriff auf die Freiheit“. heise.de, 12. August 2009
- ↑ Juli Zeh: Der Unterschied zwischen Realität und Fiktion ist marginal. Werkstattgespräch mit Birte Lipinski u. a. in der Reihe: Sabine Doering, Monika Eden (Hrsg.): Im Atelier. Beiträge zur Poetik der Gegenwartsliteratur, Fruehwerk Verlag, Oldenburg 2008, S. 26.
- ↑ wuerth
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