Klaus Mertes

Klaus Mertes
Pater Klaus Mertes, August 2005

Klaus Mertes SJ (* 18. August 1954 in Bonn) ist ein deutscher Jesuit, Gymnasiallehrer, Autor und Chefredakteur. Von 2000 bis 2011 war er Rektor des Jesuitengymnasiums Canisius-Kolleg Berlin. Seit September 2011 ist er Direktor des Kollegs St. Blasien.[1]

Inhaltsverzeichnis

Familie

Klaus Mertes wurde 1954 als das zweite von insgesamt fünf Kindern des Ehepaares Hiltrud und Alois Mertes in Bonn geboren.

Leben

Ausbildung

Als Sohn einer Diplomatenfamilie verbrachte er die ersten elf Lebensjahre im Ausland (Marseille, Paris, Moskau). Von 1966 bis 1973 besuchte er das Aloisiuskolleg in Bonn-Bad Godesberg und engagierte sich dort im ND (Bund Neudeutschland – Katholische Studierende Jugend). Seinen Wehrdienst 1973 bis 1975 absolvierte er beim Stabsmusikkorps der Bundeswehr in Siegburg. Zwischen 1975 und 1977 studierte er Slawistik und Klassische Philologie in Bonn. Er wurde Mitglied des Katholischen Studentenverein Flamberg im KV. 1977, mit 23 Jahren, trat Mertes in den Jesuitenorden in Münster ein. Nach dem Noviziat studierte er Philosophie in München sowie Theologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main. 1986 empfing er die Priesterweihe.

Beruflicher Werdegang

Nach seinem Referendariat in Frankfurt am Main war er seit 1990 im Schuldienst tätig, zunächst an der Sankt-Ansgar-Schule in Hamburg. 1994 wurde er nach einem Auslandsjahr in Nordirland Lehrer am katholischen Gymnasium Canisius-Kolleg Berlin. Von 2000 bis Mai 2011 war er dessen Rektor. Daneben unterrichtete er weiterhin Latein und Religion. Seit 2008 ist der Rektor des Canisius-Kollegs qua Amt zugleich Rektor der Kirche Maria Regina Martyrum, der Gedenkkirche der Katholiken in Deutschland für die Opfer des Nationalsozialismus. Zum 1. September 2011 wurde Mertes Kollegsdirektor des Kolleg St. Blasien im Schwarzwald.[2] Sein Nachfolger ist Pater Tobias Zimmermann SJ.[3]

Schriftstellerische Tätigkeit

Mertes ist Autor mehrerer Bücher und schreibt in unregelmäßigen Abständen Kolumnen im „Tagesspiegel“. Seit 2007 ist er Chefredakteur der Informationsschrift „Jesuiten“, einer quartalsweise erscheinenden Publikation der deutschsprachigen Jesuiten.[4] In seinem Buch „Verantwortung lernen. Schule im Geist der Exerzitien“ (2004) arbeitet er als Ziel „ignatianischer Pädagogik“ heraus, dass die Schülerinnen und Schüler sich „durch freies und reifes Urteil in ein eigenes Verhältnis zum Gelernten … setzen“. Im Juli 2009 veröffentliche Mertes das Buch „Widerspruch aus Loyalität“, in dem er die Frage untersucht, was „die rechte Loyalität“ sei und wie ein Kritiker sich selbst prüfen könne, ob er die eigene Gruppe oder die Instituition, zu der er gehört, „im rechten Geist kritisiert“.

Öffentliches Engagement

Ehrenamtlich engagiert sich Mertes in Fragen der Ausländerpolitik, besonders in Bezug auf Abschiebung. Er ist häufig Gast in Diskussionsrunden. 2001 gehörte er zu den Mitbegründern des Interreligiösen Gebetes Berlin auf dem Gendarmenmarkt.[5] Von 2003 bis 2007 vertrat er die Berliner Erzdiözese in der Härtefallkommission des Senates.

Aufdeckung von Missbrauchsfällen

Anfang 2010 löste Mertes eine Welle von Aufdeckungen sexuellen und physischen Missbrauchs junger Menschen an kirchlichen – und später auch an nichtkirchlichen – Bildungseinrichtungen in Deutschland aus.

Nachdem mehrere Altschüler des Canisius-Kollegs Berlin sich ihm vertraulich als Missbrauchsopfer offenbart hatten, richtete er im Januar 2010 an die rund 600 Angehörigen der betroffenen Jahrgänge aus den 1970er und 1980er Jahren einen Brief[6], der mit den Worten endete: „Seitens des Kollegs möchte ich (…) dazu beitragen, dass das Schweigen gebrochen wird (…). In tiefer Erschütterung und Scham wiederhole ich zugleich meine Entschuldigung gegenüber allen Opfern von Missbräuchen durch Jesuiten am Canisius-Kolleg.“

Dieser Brief und erste Missbrauchsfälle wurden am 28. Januar 2010 über die Berliner Medien öffentlich bekannt.[7] Durch die Berichterstattung ermutigt, meldeten sich bald weitere Opfer in der ganzen Bundesrepublik – nicht nur aus Jesuitengymnasien wie dem Canisiuskolleg, sondern auch aus anderen Schulen. Die für das Thema sensibilisierten Medien griffen nunmehr Fälle wieder auf, über die sie schon vor Jahren folgenlos berichtet hatten.[8]

Vorgeschichte und Motive seiner Entscheidung, dem Schweigen über sexuellen und physischen Missbrauch ein Ende zu setzen und den Opfern Gehör zu verschaffen, erläuterte Mertes in mehreren Interviews, unter anderem in der Würzburger Tagespost[9], in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung[10] im Berliner Tagesspiegel[11] und in der taz[12].

Auf die Frage, ob sein Vorgehen nicht gegen die Unschuldsvermutung zugunsten der Beschuldigten verstoße, antwortete er, man müsse erst einmal die Missbrauchsopfer ermutigen, überhaupt zu sprechen: „Die Opfer brauchen ein Grundvertrauen, mit dem wir ihnen entgegenkommen, nicht umgekehrt.“ Man könne nämlich nicht ohne weiteres voraussetzen, dass die Missbrauchsopfer einer Institution vertrauen, „von deren Repräsentanten sie ja gerade auf schlimmste Weise verletzt worden sind. Sexueller Missbrauch ist ja immer auch Vertrauensmissbrauch.“[13]

Die vom Jesuitenorden 2007 als externe Sachverständige mit der Untersuchung von Missbrauchsfällen beauftragte Anwältin Ursula Raue stellte in ihrem Abschlussbericht Ende Mai 2010 205 Meldungen über Missbrauchsfälle an Einrichtungen des Jesuitenordens fest. Diese betrafen vor allem das Canisius-Kolleg, aber auch das Kolleg St. Blasien, das Aloisiuskolleg in Bonn, die St. Ansgar-Schule in Hamburg sowie Jugendeinrichtungen in Göttingen und Hannover und ein heute nicht mehr von den Jesuiten geleitetes Kolleg in Büren. Zusätzlich zu den 205 Meldungen erhielt Raue 50 Meldungen von Opfern an anderen Einrichtungen. Insgesamt wurden 12 Patres, von denen sechs bereits verstorben waren, und zwei weltliche Mitarbeiter von mehr als einem Opfer benannt. 32 weitere Patres, weltliche Lehrer oder Erzieher wurden von nur einem Opfer genannt.[14]

In einer Pressekonferenz am 30. März 2010 dankte der Trierer Bischof Stephan Ackermann, Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz für Fragen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger im kirchlichen Bereich, Mertes dafür, dass er mit seinem Vorgehen „eine Tür geöffnet und eine bisher vorherrschende Sprachlosigkeit überwunden“ habe.[15]

Mitgliedschaften

Mertes ist als gewählte „Einzelpersönlichkeit“ Mitglied in der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Er ist Mitglied im Priesterrat der Erzdiözese Berlin, im wissenschaftlichen Beirat der Katholischen Akademie in Berlin und im Bund Neudeutschland (KMF – Gemeinschaft katholischer Männer und Frauen). Klaus Mertes ist Mitglied der Studierendenvereinigug Flamberg.

Veröffentlichungen

Bücher

Als Autor:

Als Herausgeber:

Als Übersetzer:

Tagesspiegel-Kolumnen

Weblinks

Einzelnachweise

  1. P. Mertes SJ neuer Direktor am Kolleg.
  2. Rektorenkarusell - Deutsche Jesuitenschulen unter neuer Leitung Domradio.de, 12. Januar 2011.
  3. Pater Mertes aus Berlin verabschiedet, KNA-Meldung vom 7. Mai 2011.
  4. Siehe http://www.jesuiten.org/Jesuiten-Deutschland/index.htm.
  5. Siehe http://www.friedensgebet-berlin.de./
  6. Dokumentiert: Der Brief des Canisius-Rektors, Der Tagesspiegel, 29. Januar 2010
  7. Siehe z.B. Susanne Vieth-Entus: Schüler an Jesuiten-Gymnasium jahrelang missbraucht, Der Tagesspiegel vom 28. Januar 2010
  8. Arno Widmann: Wir wollen nicht wissen. In: Frankfurter Rundschau vom 17. März 2010
  9. Regina Einig: „Leitlinien setzen letztlich das Vertrauen des Opfers in die Institution voraus“ – Interview, Die Tagespost vom 6. Februar 2010, Online bei wir-sind-kirche.at.
  10. Antje Schmelcher: Missbrauch an Jesuitenschulen – „Die Kirche hat nicht zugehört“ – Interview, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 6. Februar 2010.
  11. Claudia Keller: „Der Mythos Canisius-Kolleg hat etwas so Lächerliches“ – Interview, Der Tagesspiegel vom 7. Februar 2010.
  12. Felix Lee, Plutonia Plarre: Pater Mertes über Missbrauch – „Die Opfer stehen im Mittelpunkt“ – Interview, die tageszeitung vom 7. Februar 2010.
  13. Siehe Einzelnachweis 8.
  14. Zeit Online: Jesuiten räumen Missbrauchs-Vertuschung ein, 27. Mai 2010, online
  15. Daniel Deckers: Katholische Beratungsstelle für Missbrauchsopfer. In: FAZ vom 31. März 2010, S. 4.

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