- Appendizitis
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Klassifikation nach ICD-10 K35 Akute Appendizitis K36 Sonstige Appendizitis
- chronische Appendizitis
- rezidivierende AppendizitisK37 Nicht näher bezeichnete Appendizitis ICD-10 online (WHO-Version 2011) Unter einer Appendizitis wird eine Entzündung des Wurmfortsatzes des Blinddarms verstanden. Im deutschen Sprachraum wird dieses Krankheitsbild medizinisch nicht korrekt als Blinddarmentzündung bezeichnet, im Mittelalter auch die Seitenkrankheit genannt.[1] Ist tatsächlich der Blinddarm (das Caecum) entzündet, wird in der Fachsprache von einer Typhlitis gesprochen.
Der Verlauf der Erkrankung kann von einer leichten Reizung über die schwere Entzündung bis hin zum Wanddurchbruch (Perforation in die freie Bauchhöhle) und damit zu einer Peritonitis führen.
Inhaltsverzeichnis
Anatomie, Ursachen, Häufigkeit
Der Blinddarm ist der „blinde“ Anfangsteil des im rechten Unterbauch aufsteigenden Dickdarms (Colon ascendens). Am Blinddarm befindet sich ein Anhängsel, der so genannte Wurmfortsatz (Appendix vermiformis). Der Wurmfortsatz enthält viele Lymphfollikel und kann sich durch Infektion mit Krankheitserregern, öfter jedoch durch Verlegung zum Beispiel mit Kotsteinen oder Fremdkörpern wie Kirschkernen, seltener Kernen von Weintrauben oder Melonen, entzünden. Ein Wurmbefall (Spulwürmer oder Oxyuren) des Darms ist manchmal damit assoziiert.
Die Appendizitis ist die häufigste Ursache für das akute Abdomen und tritt in westlichen Ländern mit einer Häufigkeit von etwa 100 Fällen pro 100.000 Einwohner pro Jahr auf. Das Risiko, im Laufe des Lebens an einer Appendizitis zu erkranken (Life-time-risk), liegt bei etwa 7–8 %.
Der Häufigkeitsgipfel der Appendizitis liegt zwischen dem 9. und 14. Lebensjahr. Kleinkinder erkranken seltener, haben aber eher nur geringe klinische Symptome und atypische Verläufe, so dass die Erkrankung gefährlicher ist. Bei Kindern über 2 Jahren ist die Appendizitis die häufigste Ursache des akuten Abdomens.
Beschwerden
Hauptsymptom ist der klinische Symptomwechsel: Meist sind Schmerzen in der Gegend des Bauchnabels (periumbilikal) sowie in der Magengegend spürbar, die sich innerhalb weniger Stunden in den rechten Unterbauch verlagern. Häufig leiden die Patienten unter Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen und bekommen in fortgeschrittenen Stadien eine Darmlähmung (paralytischer Ileus). Die Körpertemperatur kann auf bis zu 39 °C ansteigen (Fieber; dabei besteht eine Temperaturdifferenz zwischen rektaler und axillärer Messung von etwa 1 °C) mit entsprechend beschleunigtem Puls (Tachykardie). Durch eine Verlagerung des Wurmfortsatzes kann es bei Schwangeren zu Schmerzen im rechten Ober- oder Mittelbauch kommen. Bei älteren Patienten sind die Beschwerden nicht so deutlich ausgeprägt, sodass die Symptome nicht so leicht zugeordnet werden können (sog. Altersappendizitis). Die Symptome einer akuten Appendizitis sind nicht immer typisch, sodass die Diagnosestellung schwierig sein kann. Bei einer retrozäkalen Appendizitis kommt es sehr häufig zu einer Mitentzündung des Harnleiters. Eine hierbei auftretende Erythrozyturie und Leukozyturie darf dann nicht zu einem vorschnellen Verwerfen der Diagnose Appendizitis führen.
Diagnostik
Die Diagnose der Blinddarmentzündung wird im Rahmen der ärztlichen Untersuchung gestellt. Am wichtigsten sind dabei die Anamnese, die Laboruntersuchungen (Leukozyten, CRP), der Ultraschall und bei untersuchungstechnischen Schwierigkeiten das CT. Es gibt keinen Beweis dafür, dass eine Appendizitis vorliegt. Allerdings ist bei einem typischen Befund im Ultraschall die Diagnose mittlerweile sicher, da sich die Ultraschallauflösung in den letzten Jahren stark verbessert hat. Der Ausschluss einer Appendizitis bei überblähtem Darm oder bei adipösen Patienten ist jedoch oft schwierig. Auch die Computertomographie kann hilfreich sein, insbesondere, wenn der betroffene Patient sehr dick oder dessen Darm überbläht ist und dessen Bauch deswegen im Ultraschall und mittels Tastbefund schlecht beurteilbar ist.
Die früher übliche Temperaturdifferenzmessung Achselhöhle-Mastdarm (0,5–1 K) wird heute kaum mehr durchgeführt.
Klinische Untersuchung und Labor
Die Diagnose Wurmfortsatzentzündung erhärtet sich durch klinische Befunde:
- Erhebung der Vorgeschichte und körperliche Untersuchung des Patienten mit Abtasten von dessen Bauch
- Die Palpation des Unterbauchs McBurney-Punkt, Lanz-Punkt, retrogrades Darmausstreichen in Richtung Appendix (sog. Rovsing-Zeichen)
- Kontralateraler Loslassschmerz (Blumberg-Zeichen): Hierbei wird auf der Körpergegenseite (kontralateral, also links) ein manueller Druck auf den Unterbauch ausgeübt und plötzlich wieder losgelassen. Im positiven (=zutreffenden) Fall stellt sich daraufhin rechts ein Schmerz ein.
- Psoas-Dehnungsschmerz (das Bein wird im Hüftgelenk gegen einen Widerstand gebeugt, wenn dabei Schmerzen im Unterbauch auftreten, ist der Test positiv)
- Douglas-Schmerz (Schmerzen bei digital-rektaler Untersuchung)
- Temperaturmessung
- Blutuntersuchung, eventuell auch Urinuntersuchung
- Laboruntersuchung des Blutes (Leukozytose, Erhöhung des CRP u. a.)
- bei Frauen immer gynäkologische Untersuchung
Bei der Anamnese ist die Verlagerung des Schmerzes vom mittigen Oberbauch in den rechten Unterbauch und das Aufhören des anfangs periumbilikalen (bauchnabelnahen) oder epigastrischen (magennahen) Schmerzes möglich. Die Ursache für diese charakteristische Schmerzwanderung liegt in der lokalen Einbeziehung des dem Entzündungsherd benachbarten Peritoneum parietale in den Erkrankungsprozess (Viszeralschmerz → Peritonealschmerz).
Das plötzliche Auftreten eines schmerzfreien Intervalles mit anschließenden massiven Schmerzen im ganzen Bauchraum spricht für einen Durchbruch (eine Perforation) der Appendizitis.
Bildgebung
- Ultraschalluntersuchung des Bauchraumes (Kokardenformation, tubuläre Struktur, Abszess, Ausschluss anderer Erkrankungen): Als spezifischtes Zeichen für einen Appendizitis gilt ein maximaler Außendurchmesser des Appendix von mehr als 6 mm oder 7 mm,[2] wobei ein größerer Durchmesser spezifischer ist. Der entzündete Appendix ist zumindest teilweise rund im transversen Schnittbild und nicht kompressibel. Ein Appendicolith ist ebenfalls spezifisch für eine Appendizitis, unabhängig vom maximalen Außendurchmesser des Appendix.[3] Sekundäre Zeichen der Appendizitis sind eine Wanddicke von mehr als 3 mm, ein Halo wegen eines Ödems und vermehrtes ödematöses mesenterisches Fett.[4]
- Computertomographie (CT)
- evtl. Röntgen des Abdomens im Stehen
Differenzialdiagnosen
Die folgende Liste der möglichen anderen Diagnosen, die sich hinter einer vermuteten Blinddarmentzündung verbergen können (Differenzialdiagnosen), ist lang. Sie umfasst alle Krankheiten, die sich durch starke Bauch - und Unterleibsschmerzen äußern. Der medizinische Begriff für diesen Komplex ist "akutes Abdomen". Durch technische Untersuchungsmöglichkeiten und klinische Verlaufsuntersuchungen lassen sich diese Möglichkeiten meist auf wenige Krankheiten reduzieren.
Gastrointestinale Differenzialdiagnosen
- Cholezystitis
- Morbus Crohn
- Divertikulitis
- Meckel-Divertikel
- Zwölffingerdarmgeschwür
- Gastroenteritis
- Enterokolitiden
- Darmverschluss
- Tumorerkrankungen
- Pankreatitis mit Exsudatstraße in Richtung rechter Unterbauch
- Darmperforation
- Volvulus
- unspezifische Bauchschmerzen (Reizdarm)
- Appendicitis epiploica[5]
- Lymphadenitis mesenterica (Yersinien)
Gynäkologische und urologische Differenzialdiagnosen
- Tubargravidität
- Endometriose
- stielgedrehte Ovarialzyste
- Adnexitis
- Ruptur einer Ovarialzyste
- Harnleiterstein
- Pyelonephritis
- Hodentorsion
- Blasenentzündung
- perinephritischer (nierennaher) Abszess
- Ovarialvenenthrombose
Pulmologische Differenzialdiagnosen
- Pleuritis
- basale Pneumonie
- Lungeninfarkt
Systemische Differenzialdiagnosen
- Ketoazidose bei Diabetes mellitus
- Porphyrien
- Purpura Schönlein-Henoch
Differenzialdiagnosen bei Kindern
- Gastroenteritis
- rechtsbasale Pneumonie
- Harnwegsinfekte
- Obstipation
- stielgedrehte Ovarialzyste bei Mädchen
- Zöliakie
- Meckel-Divertikel
Behandlung
Die Qualität der Behandlung wird an der Rate der nichtindizierten Appendektomien (negative Appendektomierate) gemessen. Die negative Appendektomie wird durch histologische Untersuchung gesichert. Die negative Appendektomierate, d.h. das Vorliegen einer normalen Appendix bei positivem Untersuchungbefund beträgt zwischen 10 bis 40 %.[6] Bei zusätzlicher Diagnostik, nach chirurgischer Evaluation, mittels der Computertomographie kann die negative Appendektomierate auf 4 % gesenkt werden.[7]
Ein Abwarten mit konservativer Behandlung (Bettruhe, Antibiose, Nahrungskarenz und laborchemische Kontrollen) ist prinzipiell möglich. Bei diesem Vorgehen kann die negative Appendektomierate Studien zufolge auf 6 % gesenkt werden.[8]
Grundsätzlich bleibt die Operation indiziert, wenn eine akute Appendizitis nicht mit hinreichender Sicherheit auszuschließen ist. Das Risiko der negativen Appendektomien ist geringer anzusetzen als das Risiko der akuten Appendizitis. Bei bis zu 28 % der Patienten wird bei der Operation eine Perforation der Appendix festgestellt, die mit einer Letalität (Sterblichkeit) von ca. 10 % einhergeht (beim Auftreten einer diffusen Peritonitis bis zu 30 %).[9] Dabei sollte möglichst früh (innerhalb von etwa 48 Stunden) operiert werden. Die Appendektomie kann offen chirurgisch durch den sogenannten Unterbauchwechselschnitt (sog. Laparatomie) durchgeführt werden oder laparoskopisch mit Hilfe einer in die Bauchhöhle eingeführten Kamera und weiteren Arbeitszugängen (sog. minimal-invasive Laparoskopie bzw. „Schlüssellochchirurgie“).
Die Prognose (Aussicht auf Heilung) der Erkrankung ist gut. Die Letalität beim Eingriff liegt bei nichtperforierter Appendizitis unter 0,001 % und ist damit sehr gering. Bei Durchbrüchen der Entzündung in die freie Bauchhöhle (Perforation) liegt sie allerdings bei etwa 1 %.
Komplikationen
- Konglomerattumor
- perityphlitischer Abszess
- Perforation mit Peritonitis (etwa 5 bis 10 % der operierten Fälle)
- Douglas-Abszess
- Paralytischer Ileus
Geschichte der Erkrankung
Bis ins frühe 20. Jahrhundert wurde die Blinddarmentzündung konservativ behandelt, allerdings bei echter Appendizitis mit schlechtem Ergebnis. Ein prominenter Fall war der englische König Eduard VII., der 1901 den Thron bestieg und kurz vor seiner Krönung eine schwere Blinddarmentzündung nur mit Mühe überlebte. Der Naturwissenschaftler Hermann Minkowski starb noch 1909 in Göttingen an einer Peritonitis.
Einer der ersten deutschen Chirurgen, der sich für die operative Entfernung des entzündeten Wurmfortsatzes einsetzte, war der gebürtige Mecklenburger Bernhard Riedel. Dieser studierte Medizin in Jena und Rostock, habilitierte in Göttingen und wurde 1888 Ordinarius und Direktor der Chirurgischen Klinik in Jena. Gleichzeitig mit dem Amerikaner McBurney erarbeitete Riedel den Wechselschnitt als Operationstechnik. McBurney veröffentlichte 1889 vor der New York Surgical Society seinen klassischen Bericht über frühzeitiges operatives Eingreifen bei der Appendizitis. Er beschrieb die Stelle des stärksten Schmerzes im rechten Unterbauch, die seither als McBurney-Punkt bekannt ist. Nach den ersten chirurgischen Erfolgen bei der Blinddarmentzündung wurde die Krankheit für mehrere Jahrzehnte eine rein chirurgische Angelegenheit. Der Chirurg diagnostizierte sie und operierte sie. Dies führte zu einer relativ hohen Zahl von Blinddarmoperationen. Ein Meilenstein in der chirurgischen Technik war die Einführung und Verbreitung der laparoskopischen Appendektomie in den Jahren 1980 bis 1990.
Mit der Verfeinerung der bildgebenden Diagnostik des Ultraschalls und des CTs sowie der Erweiterung der Entzündungsdiagnostik im Blut mittels CRP und Leukozyten wanderte die Indikationsstellung zur Appendektomie wieder etwas zurück in die Innere Medizin und die Zahl der unnötigen Blinddarmoperationen ging zurück. Heute wird nur etwa jeder zehnte Patient mit Verdacht auf Blinddarmentzündung operiert. Erstaunlich in der medizinischen Geschichte der Blinddarmentzündung ist die geringe Erfahrung mit der antibiotischen Therapie dieser Erkrankung. Auch im Vergleich operative Therapie gegen eine operative Therapie plus Antibiotikagabe gibt es kaum verwertbare vergleichende Untersuchungen.
Siehe auch
- Blinddarm
- Appendix vermiformis (Wurmfortsatz des Blinddarms)
- McBurney-Punkt
- CRP
- Appendektomie
- Bauchchirurgie
Literatur
- C. McBurney: Experience with early operative interference in cases of disease of the vermiform appendix.
- New York Medical Journal, 1889, 50: 676-684. PMID 4893208
- http://appendicitis.researchtoday.net/
- Englischsprachige Zeitschrift über die Krankheit und ihr Umfeld
- Appendicitis: A Medical Dictionary, Bibliography, and Annotated Research Guide to Internet References (Paperback)
- by Icon Health Publications
- ein englischsprachiges Buch über die Erkrankung.
Weblinks
Commons: Appendizitis – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien- Audio-Beitrag zur Appendizitis
- E-Learning-Kurs zum Thema Appendizitis mit Abbildungen und Videos (Charité Berlin)
- Ultraschallbild der Appendizitis
Einzelnachweise
- ↑ http://www.herrmann-gruenstadt.de/MIC.htm nach N. Gordon: Der Medicus
- ↑ Rumack C. M. et al (2011) Diagnostic Ultrasonic Imaging, 4. Auflage, Mosby ISBN 978-0-323-05397-6, Seite 286
- ↑ Rumack C. M. et al (2011) Diagnostic Ultrasonic Imaging, 4. Auflage, Mosby ISBN 978-0-323-05397-6, Seite 288
- ↑ Goldin A.B.; Khanna P.; ThapaM.; McBroom J. A.; Garrison M. M.; Parisi M. T. (2011) Revised ultrasound criteria for appendicitis in children improve diagnostic accuracy Pediatr Radiol 41: 993–999
- ↑ Groß et al. Eine seltene Ursache für Schmerzen im rechten Unterbauch. Med Klin (2009) 104 (3) S. 249-250
- ↑ Loch: Notfälle nach Leitsymptomen. Deutscher Ärzte-Verlag, 2006, S. 7. ISBN 978-3-7691-0424-0
- ↑ J. L. Antevil, L. Rivera u.a.: Computed tomography-based clinical diagnostic pathway for acute appendicitis: prospective validation. In: Journal of the American College of Surgeons. Band 203, Nummer 6, Dezember 2006, S. 849–856, ISSN 1072-7515. doi:10.1016/j.jamcollsurg.2006.08.012. PMID 17116553.
- ↑ I. Montali, M. von Flüe: Die akute Appendizitis heute. In: Schweiz Med Forum 8(24), 2008, S. 451–455. (PDF 395kByte)
- ↑ Domschke, Göke, Kalden: Therapie-Handbuch Innere Medizin Sonderedition. Urban & Fischer Verlag, 2011, S. 392–395, ISBN 3-4372-2702-5
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