Musterung

Musterung

Die Musterung ist eine Untersuchung der körperlichen und geistigen Eignung eines Menschen für den Wehrdienst. Musterungen gibt es nicht erst seit der Einführung der gesetzlichen Wehrpflicht zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Schon bei der Werbung der Landsknechte und Söldner, aber auch bei der Aushebung von Untertanen zur Landesdefension, gab es Musterungen.

In Deutschland wurden im Jahr 2008 456.546 Wehrpflichtige gemustert, davon wurden 243.166 (53,3 %) für wehrdienstfähig befunden, 199.667 (43,7 %) galten als nicht wehrdienstfähig und 13.713 (3,0 %) Wehrpflichtige wurden als vorübergehend nicht wehrdienstfähig eingestuft [1].

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

„Der Stellungsbefehl“ (Gemälde aus dem 19. Jahrhundert)
Musterung für die Wehrmacht (1935)
Musterung für die Wehrmacht

Siehe auch Anwerbung der Landsknechte

Der Begriff Musterung (lat. monstrare „zeigen“) findet sich zuerst in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts. Der Werbeherr kontrollierte dabei am Musterplatz, ob die für den Feldzug Angeworbenen auch tatsächlich die geforderten Waffen mit sich führten. Gleichzeitig führte er seinem Auftraggeber vor, dass er seinen Teil des Werbevertrags erfüllt hatte und nun die Bezahlung fordern konnte. Auch von den Landesherren und Reichsständen wurden Musterungen durchgeführt, um einen annähernden Überblick über die zahlenmäßige Stärke und den Ausrüstungsstand der nach Lehnsrecht und Landfolge dienstpflichtigen Adligen, Bürger und Bauern [2] zu erlangen. Im 18. Jahrhundert musterten die Militärbehörden ihre Truppen in regelmäßigen Abständen, um ihren Zustand [3] zu überprüfen.

Kreissekretär Keller schilderte die Musterung der Reiterei am 17. August 1674 bei Ulm wie folgt: „Zunächst bestellte man zwei Musterungskommissare für die Durchsicht der Pferde und Gewehre, nämlich von katholischer Seite den Rittmeister der Augsburger Kompanie Johann Friedrich Lütz, von evangelischer Seite den Regimentsquartiermeister Simon Brandstätter. Dann setzten sich der Regiments-Kommandant, Obrist Prinz Friedrich Karl von Württemberg, oben an eine lange Tafel, der Kriegskommissar Schmalkalder in die Mitte zur Formierung der Musterrollen und der Kreissekretär mit dem Kreisprotokoll unten hin. Die Gesandten der Kreisausschreibenden Fürsten und die übrigen anwesenden Kreistagsgesandten nahmen teils sitzend, teils stehend an der Musterung teil. Die beiden Musterungskommissare gaben die festgestellten Mängel an, die der Kreiskriegskommissar notierte. Nach Beendigung der Musterung fand am 25. August 1674 die feierliche Vereidigung statt. Reiterei und Fußvolk wurden zu diesem Zweck ‚in Bataille‘ gestellt, der Direktorialgesandte hielt eine Ansprache über ihren Auftrag und ihre Pflichten und der Kreissekretär verlas den Artikelbrief. Daraufhin ergriff der Direktorialgesandte nochmals das Wort und sprach die Eidesformel vor. Nach der Vereidigung fand ein Vorbeimarsch statt, die Truppe rangierte sich dann wieder in Schlachtordnung und eine dreifache Gewehrsalve sowie das ‚Lösen‘ der vier Regimentsstücke beschloss die Generalmusterung.“[4]

Im Blick auf die Türkengefahr wurde in Preußen ein dreigeteilter Ausschuss gebildet, wobei ein Drittel – die „geradesten, stärksten, tugendhaftesten und frömmsten“ jungen Männer – für ein stehendes Heer ausgewählt wurden, der Rest für die Reserve. Diese Musterungen erfolgten unter der Aufsicht von Musterherren oder Kommissaren und wurden regelmäßig und nach genaueren Maßstäben durchgeführt. Nach dem damals herrschenden Kantonssystem war mit dem Geburts- und Aufenthaltsort – und damit dem Aushebungsort – schon die Verbindung zu dem zum Kanton gehörenden Regiment hergestellt. Erst als Folge der Ersetzung des Kantonalsystems durch die Einrichtung von Rekrutierungsbezirken im 19. Jahrhundert (Baden 1832) wurde die Musterung von der Verwendung des gemusterten Soldaten abgekoppelt.

Im Dritten Reich erfolgte die Musterung durch die Wehrbezirke im Einvernehmen mit den gleichgeordneten Kreispolizeibehörden. In der DDR wurden die Wehrpflichtigen in wenigen Wochen im Frühjahr durch die Wehrkreiskommandos gemustert; zusätzliche Aufgabe der Musterung war die „weitere Vorbereitung der Bürger auf die Wahrnehmung ihres verfassungsmäßig garantierten Rechtes sowie die ehrenvolle Erfüllung ihrer staatsbürgerlichen Pflicht, Wehrdienst zu leisten“.

Im Rahmen der geplanten Aussetzung der Wehrpflicht sollte nach Plänen des ehemaligen Bundesverteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg auch die Musterung ab 2011 wegfallen.

Ablauf in Deutschland

Musterung im bayerischen Kempten (1968).

Die Musterung ist in Deutschland gesetzlich im Abschnitt 2 (§§ 16 ff.) WehrpflichtgesetzVorlage:§§/Wartung/juris-seite geregelt.

Mit der Musterung sind Musterungsärzte betraut, die bei den Kreiswehrersatzämtern oder – für Freiwillige – bei den entsprechenden Institutionen der Truppe (z. B. Zentrum für Nachwuchsgewinnung) eingesetzt sind. Für die Einstufung des Wehrpflichtigen ist in entsprechenden Richtlinien (Zentralen Dienstvorschriften) ein Rahmen festgelegt, nach dem die körperlichen Mängel klassifiziert sind, so dass je nach deren Erheblichkeit ein entsprechender Tauglichkeitsgrad vergeben wird. Auch über die Verwendbarkeit, also die Fähigkeiten und Kenntnisse, die einen Wehrpflichtigen für besondere Tätigkeiten besonders befähigen, wird entschieden. Im Rahmen der Musterung wird auch über so genannte Wehrdienstausnahmen entschieden. Nicht jeder Wehrpflichtige wird sofort zum Wehrdienst herangezogen. In vielen Fällen wird zunächst eine Zurückstellung gewährt, z. B. beim Besuch einer Schule oder für die Zeit einer Ausbildung. Unterschiedliche Gründe können auch zu einer Befreiung vom Wehrdienst führen (§ 11 Wehrpflichtgesetz).

Der Wehrpflichtige bringt Personalausweis, Impfbuch, Allergiepass und ggf. Atteste oder andere in seinem Besitz befindliche ärztliche Dokumente mit.

Die zu musternde Person durchläuft bei der Musterung folgende Stationen:

  • Personalaufnahme: Hier werden die bereits vorhandenen Daten abgeglichen und weitere Daten erhoben (Adresse, Führerschein, Ausbildung).
  • Fahrgeld wird von der Zahlstelle zurückerstattet (entweder sofort in bar oder per Banküberweisung) - dazu bedarf es einer Antragstellung an Ort und Stelle
  • Personalaufnahme im Labor: Die zu musternde Person wird gewogen, vermessen und nach Alkohol-, Zigaretten- und anderem Drogenkonsum befragt. Diese Befragung kann auch im Rahmen der ärztlichen Untersuchung durchgeführt werden. Es wird auch eine Urinprobe genommen und auf Eiweiße untersucht, die auf eine Stoffwechselkrankheit deuten könnten. Außerdem kann, sollte der Verdacht vorliegen, dass illegale Drogen konsumiert wurden (dies wird nach eigenem Ermessen der beteiligten Mitarbeiter oder durch die positive Antwort auf die entsprechende Frage nach dem Konsum illegaler Drogen festgestellt), die entsprechende Probe auf vorhandene aktive Wirkstoffe oder Abbauprodukte einer Droge (z.B. Cannabis) untersucht werden. Bei einem positiven Test erfolgt in seltenen Fällen die Ausmusterung (T5), in der Regel aber eine zweite Ladung zu einem späteren Termin. Die Aussage, dass eine Probe nur bei freiwillig Längerdienenden nach Rückfrage auf Drogen untersucht wird, da diese Untersuchungen aufwändig sind, entspricht nicht der Wahrheit.
  • Seh- und Hörtest
  • Puls und Blutdruck (werden nicht flächendeckend durchgeführt)
  • Überprüfung der Gelenke (Motorik) sowie der Statur (Körperbau und Haltung) (unter Umständen erst bei der ärztlichen Untersuchung)
  • Untersuchung durch den Arzt: Befragung zu Krankheitsgeschichte, gesundheitlicher Verfassung und Lebenswandel (Alkohol-, Tabakkonsum etc.), Kreislaufuntersuchung eventuell mit Belastungstest (in der Regel zehn Kniebeugen oder Liegestütze), Haltungsuntersuchung, Kontrolle des Skeletts auf Deformierungen, kursorische Zahnbeschau (Vorhandensein einer Zahnspange u.ä.), Lungenfunktionstest, Leistenbruchtest (durch Anlegen von zwei Fingern auf Hoden oder Leisten, um durch kurzes Husten unerkannt gebliebene frühere Leistenbrüche festzustellen), Feststellung allgemeiner äußerlicher Auffälligkeiten (Verbrennungen, Vernarbung, Ausschläge, äußerlich sichtbare Hautkrankheiten oder Tumore etc.) sowie (nicht flächendeckend) Überprüfung auf Hämorrhoiden. Sollte der Arzt bereits hier der Meinung sein, dass die zu musternde Person nicht wehrdienstfähig erscheint, entfällt die unten genannte EUF.[5]
  • EUF: Eignungsuntersuchung und -feststellung beim Psychologischen Dienst: Dies ist eine Mischung aus Rechtschreibprüfungen, Mathematik, Logik, Merkfähigkeit, gegebenenfalls Technik und einem Reaktionstest. Während die ärztliche Untersuchung zu Ausschlüssen (sprich Tätigkeiten, die man bei der Bundeswehr nicht ausüben darf) führt, stellt die EUF die Talente des Wehrpflichtigen fest. Dieser Test soll begünstigen, dass der Einzelne seinen Fähigkeiten entsprechend eingesetzt werden kann.
  • Gespräch mit einem Musterungsbeamten: Beim Musterungsbeamten erhält der Wehrpflichtige seinen Musterungsbescheid. Ihm werden die rechtlichen Konsequenzen erläutert. Ebenfalls werden hier die Entscheidungen über die zuvor aufgenommenen Anträge gefällt.

Falls der Arzt weitere Untersuchungen bei Spezialisten angeordnet hat (etwa zur Überprüfung von mitgebrachten Attesten) wird der Musterungsbescheid per Post zugestellt.

Ein normaler Musterungstag, inkl. EUF, nimmt 3-6 Stunden in Anspruch. Der medizinische Teil und die EUF dauern mit Wartezeiten jeweils ungefähr 2-3 Stunden. Die Musterung im eigentlichen Sinne, d.h. der Aufenthalt im Arztzimmer und die Befragung und Untersuchung durch den Arzt, ist als sogenannte „Reihenuntersuchung“ angelegt und dauert im Regelfall nicht länger als 15 Minuten.[6] In Ausnahmefällen kann die Tauglichkeit nicht an einem Musterungstag festgestellt werden. Der zu Musternde wird dann noch einmal einbestellt.

Bei einigen Kreiswehrersatzämtern wird im Anschluss an die EUF bei tauglichen Wehrpflichtigen eine computergesteuerte Vermessung durchgeführt, um die passende Uniform und andere Ausrüstungsgegenstände einzuplanen. Dazu ist es nötig eine schwarze oder zumindest sehr dunkle Unter- oder Badehose zu tragen, da ansonsten kein ausreichender Kontrast zum Hintergrund besteht und die Messung nicht möglich ist. Verwendet das KWEA eine solche Anlage, wird im Anschreiben zur Ladung auf das Mitbringen einer dunklen Hose hingewiesen.

Tauglichkeitsstatistik

Die Verteilung der Einstufungen „tauglich“, „vorübergehend untauglich“ und „dauerhaft untauglich“ hat sich in den vergangenen Jahren folgendermaßen entwickelt:

  • 2000: 86,28 % tauglich, 3,68% vorübergehend untauglich, 10,04% untauglich
  • 2002: 83,9 % tauglich, 3,35% vorübergehend untauglich, 12,74% untauglich
  • 2004: 79,2 % tauglich, 2,9% vorübergehend untauglich, 17,89% untauglich
  • 2006: 61,6 % tauglich, 9,22% vorübergehend untauglich, 29,18% untauglich
  • 2008: 54,1 % tauglich, 2,62% vorübergehend untauglich, 42,28 % untauglich[7]

Die Zahl der Ausmusterungen hat sich somit innerhalb von acht Jahren vervierfacht bzw. um mehr als 300% erhöht, d.h. drei von vier im Jahr 2008 ausgemusterten Personen wären 2000 noch tauglich gewesen. Es ist jedoch zu beachten, dass nach 2004 der Musterungsgrad T3 (eingeschränkt tauglich) entfallen ist und alle Personen mit diesem Grad als T5 (untauglich) deklariert wurden. In der Presse und bei den Oppositionsparteien hat dies vielfach die Kritik nach sich gezogen, dass das Gros der seit dem Anwachsen der Ausmusterungsquote vorgenommenen Ausmusterungen keine sachlich-medizinischen Gründe hat, sondern dass es sich dabei um die mutwillig oder nach dem Strichlistenverfahren vorgenommene Aussortierungen derjenigen Teile eines Jahrgangs handelt, die überschüssig sind, d.h. die infolge des Dienstpostenabbaus bei der Bundeswehr nicht mehr untergebracht werden können und die deswegen durch den Kunstgriff einer grundlosen Ausmusterung aus der Verfügungsmasse der nach grundgesetzlichem Gebot einzuberufenden Personen herausmanövriert werden sollen. Ein erheblicher Teil der ausgemusterten Personen würde dementsprechend von der Verwaltung anhand von zuvor ministeriell vorgegebenen Planquoten der „Soll-Ausmusterungen“ nach dem Zufallsprinzip ausgesucht.[8]

Musterungsverweigerung

Als Musterungsverweigerung wird das absichtliche, wiederholte Fernbleiben von der Musterung bezeichnet. Anders als die Weigerung, einer Einberufung Folge zu leisten, ist die Weigerung, einer Ladung zur Musterung zu folgen – selbst wenn sie wiederholt und offen ausgesprochen erfolgt – keine Straftat, sondern eine Ordnungswidrigkeit. Dementsprechend kann die Musterungsverweigerung auch nicht mit strafrechtlichen Schritten sanktioniert werden oder zu Einträgen im polizeilichen Führungszeugnis des Betreffenden führen.

Die Kreiswehrersatzämter reagieren auf das Nichterscheinen zur Musterung bei den ersten zwei bis drei Ladungen in der Regel mit weiteren, zum Teil „schärfer“ formulierten, Neuladungen. Erscheint der zur Musterung Einbestellte darüber hinaus noch immer nicht, werden Bußgelder oder die zwangsweise Vorführung durch die Polizei angedroht. Rechtliche Voraussetzung, damit die Ämter diese Maßnahmen juristisch rechtfertigen bzw. durchsetzen können, ist ein nachweisbar „schuldhaftes“ Nichterscheinen des Musterungskandidaten. Ein durch ein ärztliches Attest („krankgeschrieben“ für den Musterungstag), eine Praxisbescheinigung (nicht krankgeschrieben, aber zum Musterungszeitpunkt aufgrund einer anderen ärztlichen Untersuchung „verhindert“) oder eine andere begründete und nachgewiesene Erklärung (schulische Klausur, Vorstellungsgespräch, dringende berufliche oder familiäre Angelegenheit, die von einem Verwandten oder Berufsvorgesetzten schriftlich bestätigt worden ist) gelten dabei als zulässige Gründe, um nicht zu erscheinen, und dürfen von den Ämtern nicht als „unentschuldigtes Nichterscheinen“ gewertet und sanktioniert werden. Demnach kann selbst ein zigfaches, aus behördlicher Sicht suspektes, Fehlen bei der Musterung nicht sanktioniert werden, wenn dieses durch ärztliche Atteste oder andere Bescheinigungen gedeckt ist.[9]

Von Bußgeldern für das Nichtbefolgen einer Ladung, die mit einem normalen Postbrief (d. h. kein Einschreiben oder Postniederlegungsurkunde) verschickt wurde, wird darüber hinaus meist abgesehen, da die Ämter nicht nachweisen können, dass der Geladene diesen auch wirklich erhalten hat. Das Unzutreffen der Behauptung, man habe die Ladung nicht bekommen, kann von Seiten der Kreiswehrersatzämter nicht bewiesen werden. Infolgedessen werden weitere Ladungen an Personen, die mehrfach nicht zur Musterung erschienen sind, üblicherweise als Einschreiben verschickt, deren Erhalt das Kreiswehrersatzamt bei Bußgeldstreiten nachweisen kann. Sollten die Einschreiben nicht angenommen werden, verschickt das Kreiswehrersatzamt die Ladung per Postzustellungsurkunde; damit gilt die Ladung rechtlich als zugestellt. Nichterscheinensgründe, wie „man habe den Weg zum Amt nicht finden können“ oder eine Fahrzeugpanne gehabt, werden von Amt zu Amt unterschiedlich gewertet, werden aber zumindest bei Musterungskandidaten, die dem Amt noch nicht durch wiederholtes Nichterscheinen aufgefallen sind, meist als „glaubwürdig“ akzeptiert.[10]

Die zwangsweise Vorführung durch die Polizei darf nur nach einer vorherigen Androhung erfolgen, dass diese vorgenommen würde, wenn man der nächsten Ladung nicht Folge leiste. Die Zwangsvorführung (im Rahmen der Amtshilfe) ist nicht mit einer Verhaftung zu verwechseln: juristisch hat sie – abseits der Unannehmlichkeit der Situation an sich – keinerlei nachteilige Folgen für die Person. D. h. es kommt weder zu einer strafrechtlichen Verfolgung noch zu einem Eintrag im Führungszeugnis. Aus behördlicher Sicht handelt es sich dabei lediglich um eine – wenn auch notfalls mit physischer Gewalt durchgesetzte – „Hilfestellung“ an den Bürger, der von den Polizeibeamten von Ort A zu Ort B gefahren und dort abgeliefert wird. Eine Inrechnungstellung des Polizeiaufwandes ist indessen vereinzelt möglich.

Sollte eine polizeiliche Zwangsvorführung nicht möglich sein, da die Polizei die gesuchte Person unter der ihr bekannten Adresse nicht antreffen kann, ist seit dem 1. Januar 2005 die sogenannte Musterung nach Aktenlage möglich. Voraussetzung hierfür ist ein wiederholtes Nichterscheinen des Einbestellten sowie mindestens ein erfolgloser Vorführungsversuch durch die Polizei. Die Einführung dieses Vorgangs – der in der Zumessung eines Tauglichkeitsgrades auf Basis der einwohnermeldeamtlichen und gesundheitsamtlichen Daten, die dem Kreiswehrersatzamt vorliegen, besteht – ergab sich aus der großen Zahl erfolgreicher Musterungsverweigerer seit 1990, denen es gelang, die Musterung zu vermeiden und die daher – wegen fehlendem „abgeschlossenen Musterungsverfahren“, das eine gesetzliche Voraussetzung für die Einberufung ist – nicht einberufen werden konnten.[11]

Ablauf in Österreich

Grundwehrdiener einer Stellungskommission bei Reinigungsarbeiten

Die Musterung, in Österreich „Stellung“ genannt, wird von den zuständigen Stellungskommissionen durchgeführt. Diese befinden sich in Wien, Sankt Pölten, Linz, Graz, Klagenfurt und Innsbruck. Eine Stellungskommission steht unter militärischer Führung und setzt sich aus militärischem Kader, Grundwehrdienern, aber auch aus zivilen Beamten und Vertragsbediensteten zusammen. Eine Stellungskommission ist üblicherweise in Zug-Stärke besetzt. Grundwehrdiener, die in einer Stellungskommission Dienst leisten, und mit Aufgaben mit medizinischem Zusammenhang betraut werden, haben grundsätzlich vor der Verwendung eine knapp vierwöchige Ausbildung als Ordinationsgehilfe zu absolvieren.

Mit Ausmusterung bezeichnet man in Österreich den meist feierlichen Abschluss einer militärischen oder polizeilichen Ausbildung und die damit verbundene Entlassung in den Dienst. Beispiele sind der Abschluss der Grundausbildung mit Angelobung oder der Abschluss der Theresianischen Militärakademie.

Reguläre Stellung

Jedem männlichen, österreichischen Staatsbürger, der das wehrpflichtige Alter erreicht, wird eine Stellung mittels öffentlicher Kundmachung (durch Aushang an Gemeindeämtern oder anderen öffentlichen Gebäuden) angeordnet. Zusätzlich erhält jeder Stellungspflichtige per eingeschriebenem Brief eine so genannte „Aufforderung zur Stellung“, in der aufgeführt ist, in welcher Stellungskommission er sich wann einzufinden hat. Ebenso wird ein „Bundesheerfahrausweis“ mitgesendet, der es dem Stellungspflichtigen ermöglicht, kostenlos mit öffentlichen Verkehrsmitteln anzureisen. Wird dieser Ausweis nicht in Anspruch genommen, so wird ein aliquotes Kilometergeld ausbezahlt.

In Österreich herrscht grundsätzlich Stellungspflicht, das heißt der Stellungspflichtige hat der Aufforderung zur Stellung nachzukommen. Tut er dies nicht, so wird er zuerst zu einer Nachstellung aufgefordert. Kommt er dieser Aufforderung nicht nach, so kann er auch zwangsweise vorgeführt werden. Kann ein Stellungspflichtiger schon am Anfang des ersten Stellungstages medizinische Gutachten beibringen, die seine Untauglichkeit eindeutig belegen, so wird der Stellungspflichtige in einem verkürzten Verfahren als untauglich ermittelt. In besonderen Fällen, wie etwa bei körperlicher oder geistiger Behinderung kann auch eine Stellung „in Abwesenheit“ durchgeführt werden.

Der reguläre Stellungsablauf dauert in der Regel 1½ Tage. Am Anfang des ersten Tages, ab etwa 7 Uhr morgens, wird festgestellt, welche Stellungspflichtigen tatsächlich erschienen sind. Die erschienenen Stellungspflichtigen werden weiters mit einem Spindschlüssel, Hausschuhen und kurzen Hosen (in weißer oder grüner Farbe, abhängig vom Wochentag) ausgestattet, und in zwei Gruppen eingeteilt.

Die Untersuchungen am ersten Tag unterteilen sich in zwei Bereiche, und zwar die medizinische und die psychologische Untersuchung. Am Vormittag führt dabei die erste Gruppe den medizinischen Teil durch, während die zweite Gruppe die psychologische Untersuchung in Form der so genannten CUT (Computerunterstützte Testung) durchführt. Am Nachmittag wechseln dann die Gruppen. Ziel der Untersuchungen des ersten Tages ist es, medizinische und psychologische Basisdaten für die am zweiten Tag folgende medizinische Hauptuntersuchung zu sammeln.

Am ersten Tag wird Folgendes durchgeführt:

  • Untersuchung des Bluts
  • Untersuchung des Urin (Eiweiß, Blut, Glucose, Nitrit, Urobilinogen, Harn-Sediment jedoch kein Drogentest; dieser kann jedoch von einem der Ärzte oder einem Psychologen auf Verdacht hin angeordnet werden)
  • Körpermessung: Größe, Gewicht, BMI, Femurkondylenbreite, Taille, Brust, Kopfweite, Schuhgröße
  • Röntgen der Lunge
  • Spirometrie: Feststellung des Lungenvolumens und dessen Relation zu den Körpermaßen (TIFF-FEV1, Vitalkapazität, MEF(50))
  • Isometrie: Feststellung der Kraft des Handgriffs, der Armbeugung, der Kniestreckung und eines zusammenfassenden Muskelfaktors
  • Ruhe-EKG: (Puls, Blutdruck wird mittels Riva-Rocci auf beiden Armen gemessen)
  • eventuell Belastungs-EKG (wird vom Sanitätsunteroffizier entschieden)
  • Audiometrie: Feststellung des Zustandes des Gehörs im Bereich von 500 - 6000 Hz
  • Feststellung des Sehvermögens: Dunkelsehen, Farbsehen, Stereosehen
  • Computerunterstützte psychologische Testung: Reaktion, technisches Verständnis, Arbeit unter Druck
  • Aufnahme der persönlichen Daten wie Wohnort, Schulbildung, Religionszugehörigkeit, frühere Staatsbürgerschaften, Sprachkenntnisse, Beherrschung von Musikinstrumenten sowie Freude am Kochen

In Fällen wie unklaren Befunden in Sachen Audiometrie, EKG oder bei möglichen Sehschwächen werden die betroffenen Stellungspflichtigen von einem jeweiligen Facharzt noch am Nachmittag des ersten, bzw. in der Früh des zweiten Tages untersucht und die Befunde an die Stellungskommission übermittelt. Stellungspflichtige, die bei der CUT ein Ergebnis unter einem bestimmten Niveau erreichen, müssen zusätzlich noch ein Einzelgespräch mit einem Psychologen absolvieren. Das Vortäuschen von nur geringen Kenntnissen und Fähigkeiten beim Test am Computer hat übrigens keinen direkten Einfluss auf die Tauglichkeit, sondern wirkt sich lediglich in der automatischen Ermittlung der Verwendungszwecke aus (Abgleich IST-Profil / SOLL-Profil).

Der erste Stellungstag endet üblicherweise etwa um 15 Uhr nach der Vorführung von Werbe- bzw. Informationsfilmen zu den Kräften für internationale Operationen (KIOP) und den Waffengattungen des Österreichischen Bundesheers.

Am zweiten Tag werden die Stellungspflichtigen von eigenen Ärzten (in der Regel Vertragsärztinnen) untersucht. Dabei werden sowohl die am Vortag festgestellten Daten als auch eventuell vom Stellungspflichtigen beigebrachte Befunde und ärztliche Bestätigungen berücksichtigt, sowie weitere Untersuchungen durchgeführt. Auf dieser Basis entscheidet der Arzt, ob der Stellungspflichtige tauglich, vorübergehend untauglich, untauglich oder vom Beschluss ausgesetzt ist. Vorübergehend untaugliche Stellungspflichtige werden zu einem späteren Zeitpunkt im Rahmen eines Kurzstellungsverfahrens erneut auf ihre Tauglichkeit überprüft. Stellungspflichtige, bei denen der Beschluss ausgesetzt wurde, werden zu einem Facharzt überwiesen, wobei sich der Stellungspflichtige selbst um einen Termin kümmern muss. Diese Untersuchung beim Facharzt muss innerhalb von 4 Wochen geschehen. Dies geschieht vor allem in Fällen, wo die der Untersuchungsärztin vorliegenden Befunde unklar und/oder zweifelhaft sind. Die Kosten für die Untersuchung selbst werden von der Stellungskommission selbst getragen.

Die Tauglichkeit wird mit so genannten Wertungsziffern angegeben, wobei 9 die höchste Ziffer („uneingeschränkt tauglich“) und 0 die niedrigste Ziffer („untauglich“) darstellt. Die Ziffern 4 bis 2 bezeichnen eine eingeschränkte Tauglichkeit (verbunden mit einem Ausnahmeprofil, eine Liste von Empfehlungen für Befreiungen an den Truppenarzt, sollte der Stellungspflichtige in Zukunft einrücken), und die Stufe 1 bezeichnet vorübergehende Untauglichkeit. Vom Beschluss ausgesetzten Stellungspflichtigen wird keine Wertungsziffer zugewiesen, da diese erst nach den weiteren Untersuchungen bestimmt werden kann. Wertungsziffern von 4 oder niedriger müssen zusätzlich noch von der leitenden Ärztin der Stellungskommission abgezeichnet werden.

Ebenfalls am zweiten Tag werden allfällige administratorische Tätigkeiten durchgeführt, wie etwa die Ausgabe der Fahrscheine oder Ausbezahlung des Kilometergeldes, oder die Einzelberatung zu den Karrieremöglichkeiten im Österreichischen Bundesheer.

Sind die medizinischen Untersuchungen abgeschlossen, so wird dem Stellungspflichtigen das Stellungsergebnis vom Leiter der Stellungskommission mitgeteilt. Hier kann auch eine eventuelle Zivildiensterklärung übergeben werden. Die Möglichkeit, eine derartige Erklärung abzugeben, besteht jedoch grundsätzlich bis 2 Tage vor Erhalt (Übernahme) eines Einberufungsbefehles. Mit der Unterschrift von Leiter und Stellungspflichtigem auf dem Stellungsbescheid erlangt das Stellungsergebnis Gültigkeit. Damit ist die Stellung beendet, und das ermittelte Ergebnis wird an die zuständige Ergänzungsabteilung weitergeleitet.

Beim Verlassen der Stellungskommission wird dem Stellungspflichtigen noch ein Paket mit Werbegeschenken (Autozeitschrift, Energy-Drink, Nassrasierzubehör) überreicht. Für die Heimfahrt wird dem Stellungspflichtigen wie schon bei der Anreise eine Fahrkarte oder, wenn gewünscht (z.B. bei Anreise mit dem eigenen Auto), ein aliquotes Kilometergeld ausbezahlt.

Kurzstellung

Wurde ein Stellungspflichtiger als „vorübergehend untauglich“ eingestuft, so wird die endgültige Tauglichkeit in einem späteren Verfahren, einer so genannten Kurzstellung, festgestellt. Dies geschieht, wenn der Stellungspflichtige zum Zeitpunkt der ersten Stellung z.B. verletzt oder krank ist, und der Heilungsprozess voraussichtlich länger dauern wird. Der Stellungspflichtige erhält nach einem bestimmten Zeitraum (maximal 2 Jahre) wiederum einen Stellungsbefehl. Die damit verbundenen Untersuchungen sind jedoch relativ rasch durchgeführt, da in der Regel lediglich vom Stellungspflichtigen beigebrachte oder der Stellungskommission vorliegende Befunde von einer Ärztin begutachtet werden. Zu beachten ist, dass auch das Ergebnis einer Kurzstellung wieder „vorübergehend untauglich“ sein kann. Die endgültige Feststellung der Tauglichkeit kann sich im ungünstigsten Fall, etwa bei langwierigen Heilungsprozessen, also dementsprechend in die Länge ziehen.

Darüber hinaus hat jeder Wehrpflichtige, wenn sich sein Gesundheitszustand wesentlich ändert, Anrecht auf eine erneute Stellung. Personen, die eine Zivildiensterklärung abgegeben haben, steht dieses Recht jedoch nicht mehr zu.

Ausbildungsdienst-Stellung

Personen, die sich freiwillig zum Österreichischen Bundesheer melden, werden vor dem Einrücken einer Tauglichkeitsüberprüfung unterzogen. Derartige Überprüfungen finden in einer der Stellungskommissionen statt, wobei die zu Überprüfenden von Mitarbeitern des Heerespersonalamtes begleitet werden. Es werden in etwa die gleichen Untersuchungen wie bei einer regulären Stellung durchgeführt, mit dem Unterschied, dass zu jedem zu Überprüfenden ein Belastungs-EKG ermittelt wird, sowie ein obligatorischer Drogentest in Form eines Urin-Teststreifens durchgeführt wird. Da an der Ausbildungsdienst-Stellung auch Frauen teilnehmen, müssen diese auch noch die CUT durchführen, welche die männlichen Teilnehmer schon bei ihrer regulären Stellung durchgeführt haben.

Das Verfahren der Ausbildungsdienst-Stellung ist im Gegensatz zur regulären Stellung beschleunigt, und dauert in der Regel weniger als einen Tag. Das ermittelte Ergebnis wird nicht an die zuständige Ergänzungsabteilung, sondern an das Heerespersonalamt übermittelt.

Auch die Stellungspflichtigen zum Ausbildungsdienst erhalten ein Paket mit Werbegeschenken, wobei sich das Paket für Frauen dadurch von dem der Männer unterscheidet, dass es einen Damenrasierer statt dem normalen Rasierzubehör enthält, sowie zusätzlich noch eine Strumpfhose. Auf das Beilegen einer geschlechteradäquaten Zeitschrift wurde verzichtet, und so findet sich auch hier die gleiche Auto-Zeitschrift wie bei den gewöhnlichen, „männlichen“ Werbegeschenkpaketen.

Ursprung in der Zweiten Republik

Die Musterung wurde ursprünglich in den jeweiligen Bezirkshauptstädten durchgeführt, wobei jeweils die Termine so angelegt waren, dass die Stellungspflichtigen jeweils einer Gemeinde angehörten.

Kritik an der Musterung

Grundsatzkritik an der Institution Musterung

Die Kritik an der Institution „Musterung“ steht meistens in engem Zusammenhang mit einer kritischen Haltung oder Ablehnung gegenüber der Wehrform der Wehrpflicht oder dem Militär allgemein.

Die grundsätzliche Kritik an der Musterung entzündet sich dabei in erster Linie an dem Spannungsverhältnis, in dem die Institution „Musterung“ – nach Auffassung ihrer Kritiker – zum Grundsatz der „Unverletzlichkeit der Menschenwürde“ steht. Dieses tatsächliche oder vermeintliche Spannungsverhältnis ergebe sich durch die Tatsache, dass militärärztliche Tauglichkeitsuntersuchungen, die aufgrund der Wehrpflicht erfolgen, auf unfreiwilliger Basis durchgeführt würden, dass ihnen also mitunter ein Zwangscharakter zukomme.

Dieser Zwangscharakter wird auch häufig als ein Widerspruch zum ansonsten allgemein anerkannten Prinzip der freien Arztwahl (und der damit einhergehenden Option, sich nach Wunsch auch überhaupt nicht ärztlich untersuchen zu lassen) gewertet. Nicht selten wird von Musterungs-Kritikern auch die Position vertreten, dass der Status des (unfreiwillig) „Begutachteten“, den der Musterungskandidat einnimmt, diesen von einem Subjekt zu einem Objekt degradiere. Die standardisierte Untersuchungsprozedur und die – theoretisch – feste Verknüpfung bestimmter Eindrücke mit bestimmten Tauglichkeitsentscheidungen, d.h. das Prinzip, dass Militärärzte gleiche Eigenschaftskombinationen und Befunde (z. B. das Verhältnis Körpergröße zu Gewicht, der Blutdruck, die Sehstärke etc.) zu gleichen Tauglichkeitsgraden führen, wird überdies häufig als eine Missachtung der menschlichen Individualität aufgefasst. Menschen würden so aufgrund von „oberflächlichen“ Kriterien künstlich gleichgesetzt, „als ob sie identische Maschinenteile einer Bauart“ seien. Befürworter der Musterung halten dieser Kritik wiederum entgegen, dass eine „Schematisierung“ oder Gleichsetzung der Gemusterten unumgänglich sei, um die Institution vor dem Vorwurf der Willkür zu bewahren und dem Gleichheitsgrundsatz genüge zu tun.

Die allgemeine Kritik an der Musterung deckt sich im Ganzen betrachtet mit der allgemein an militärischen Strukturen geübten Kritik: Die Einschränkung der individuellen Freiheit und der Entfaltung des Einzelnen sowie die „Abfertigung“ des Musterungskandidaten nach einer festen Prozedur werden als eine Reduktion des Gemusterten vom Menschen zum Objekt bewertet. Der Mensch werde so zum Verfügungsgegenstand anderer gemacht. So wird die Musterung mitunter auch mit der Begutachtung von Industriegütern verglichen und/oder gleichgesetzt. Umstritten sind von den Kritikern immer wieder angestellten Vergleiche, die die Musterung mit Begriffen wie „Fleischbeschau“, „Pferdemarkt“, „Menschenmaterialbegutachtung“ oder „TÜV“ als eine vermeintlich menschenverachtende Institution kennzeichnen.

Kritik an der deutschen Musterungspraxis

In jüngerer Zeit ist das Musterungsverfahren in der Bundesrepublik Deutschland vermehrt in Kritik geraten. Dabei wird von Gegnern wie auch Befürwortern der Wehrpflicht vor allem Willkür und Ungerechtigkeit der Musterungsärzte bei der Entscheidung über die tauglichkeitsgradmäßige Verwendungsfähigkeit der Musterungskandidaten moniert. So ist die Ausmusterungsquote infolge von sinkendem Personalbedarf der Bundeswehr von 12 % der männlichen Angehörigen eines Jahrgangs (1990) auf über 43 % (2008) gestiegen. Dies legt den Verdacht nahe, dass nicht ausschließlich objektive Dienstunfähigkeit zur Ausmusterung führt, sondern dass die Musterungsärzte willkürlich tatsächlich diensttaugliche junge Männer als „untauglich“ aussondern, die dies realiter nicht sind. Es würden also junge Männer aus nichtigen Gründen untauglich geschrieben. Anstatt Kriterien der Notwendigkeit würden Kriterien der Beliebigkeit bei der Zumessung eines Tauglichkeitsgrades angelegt.

Ziel dieser Praxis sei es, die Wehrungerechtigkeit auf dem Papier „statistisch“ zu kaschieren, indem man den Ausschöpfungsrest derjenigen, die tauglich gemustert (und daher juristisch einberufbar) sind, möglichst klein hält, ohne dabei jeden einzuberufen, der faktisch einberufbar ist. Dies sei keine tatsächliche, sondern nur durch verwaltungsrechtliche Mogeleien künstlich konstruierte Wehrgerechtigkeit: anstatt die Wehrpflicht gleichmäßig auf alle belastbaren Schultern zu verteilen, würde diese nur dadurch hergestellt, dass sehr viele belastbare Schultern (d.h. junge Männer) künstlich aus der Wehrpflicht hinausmanövriert werden.

Siehe auch: Konskription, Wehrgerechtigkeit

Ein weiterer Kritikpunkt ist die unterschiedliche Behandlung der Geschlechter bei der ärztlichen Untersuchung. Gemäß ZDv 46/1[12] wird ein besonderes Augenmerk auf das männliche Genital gelegt, obwohl bei der Musterungsuntersuchung keine urologischen oder andrologischen Fachärzte tätig sind. Die Männer sind bei dieser Untersuchung in der Regel vollständig nackt. Bewerberinnen und Soldatinnen können ihre Genitaluntersuchung hingegen bei zivilen Ärzten der eigenen Wahl durchführen und werden auch schriftlich darauf hingewiesen. Prinzipiell haben auch Männer das Recht, ihre Genitaluntersuchung von einem Facharzt eigener Wahl durchführen zu lassen, nur werden sie über dieses Recht nicht aufgeklärt. Zudem unterscheidet sich die Zusammensetzung des Untersuchungspersonals deutlich. Bei den Damenuntersuchungen werden nach Möglichkeit gleichgeschlechtige Ärzte eingesetzt, Assistenzpersonal muss hier grundsätzlich dem gleichen Geschlecht angehören. Wehrpflichtige werden dagegen in neuerer Zeit immer häufiger von Ärztinnen und insbesondere ohne Sichtschutz vor weiblicher Assistenz untersucht.[13] Im Jahresbericht des Wehrbeauftragten von 2009[14] werden erstmals Beschwerden von Männern über diese Untersuchungsmethoden erwähnt.

Kritik an der österreichischen Stellung

Die Kritik an der Stellung richtet sich hauptsächlich an die Tatsache, dass die Stellung unter keinen Umständen verkürzt oder umgangen werden kann. Auch Kandidaten, die den Zivildienst anstreben, müssen das ganze Programm absolvieren um einen Tauglichkeitsbeschluss zu erhalten. Bei dieser Argumentation wird allerdings übersehen, dass das Ergebnis der Stellung, nämlich Tauglichkeit oder Untauglichkeit, erst am Ende des Stellungsablaufs feststehen kann. So kann es vorkommen, dass sich eine vermeintlich taugliche Person als untauglich herausstellt, und so weder Wehrdienst noch Zivildienst geleistet werden muss. Die Gesundenuntersuchung – von Kritikern der Stellung an sich oftmals als „Zwang“ bezeichnet – ist eine durch das Wehrgesetz geregelte staatsbürgerliche Pflicht, wobei wesentlich detaillierter untersucht wird als bei einer regulären Gesundenuntersuchung eines praktischen Arztes.

Die Institution Musterung in Dichtung und Kultur

Die wahrscheinlich berühmteste Schilderung einer Musterungssituation in der deutschsprachigen Literatur findet sich in Thomas Manns Roman Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull aus dem Jahr 1909. Dort gelingt es dem Titelhelden, seine Ausmusterung zu erreichen, indem er der Musterungskommission einen epileptischen Anfall vorspielt. Weitere bekannte Musterungsszenen finden sich in dem Musical Hair von Galt MacDermot sowie in dem Roman Die Blechtrommel von Günter Grass.

Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki veröffentlichte 1982 unter dem Titel Musterung einen Band mit Zeitungsglossen aus dem Werk des österreichischen Schriftstellers Alfred Polgar. Das Leitmotiv, nach dem die Beiträge des Bandes von Reich-Ranicki ausgewählt wurden, ist Polgars Auseinandersetzung mit dem „Unrecht, das dem kleinen Mann geschieht.“ Der Titel des Bandes ist dabei dem Umstand geschuldet, dass sich in ihm besonders viele Texte zum Thema Musterung finden, einer Institution, der Polgar wiederholt besondere „Unmenschlichkeit“ attestiert. In dem Essay „Nr. 28“ kritisiert er beispielsweise das System, jedem Gemusterten am Ende der Musterung eine Zahl zuzuordnen als den ersten „Greuel des Krieges“. Militärärzte beschreibt er an anderer Stelle als Leute „die ein Sieb halten, in das die männliche Menschheit hineingeschüttet [und gesondert]“ wird. In der Glosse „Der Zahnarzt“ (über einen Militärarzt, der auch eine private Zahnarztpraxis betreibt) wiederum beschreibt er Militärärzte als Ärzte, für die der Patient „kein Patient [ist] sondern ein untergeordnetes Lebewesen. Eine menschenähnliche Sache“, die auf ihre Verwertbarkeit geprüft wird.[15]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Deutscher Bundestag, Drucksache 16/12522, 26. März 2009
  2. Soweit sie Haus- und Grundbesitzer waren, also nicht Besitzlose; soweit eine Witwe Haus und Hof besaß, musste ein Ersatzmann gestellt oder Geldersatz bezahlt werden.
  3. Alter der Soldaten, Befähigung der Vorgesetzten, Brauchbarkeit der Bewaffnung und Ausrüstung
  4. zitiert nach Peter-Christoph Storm: Der Schwäbische Kreis als Feldherr, Schriften zur Verfassungsgeschichte Band 21, Duncker & Humblot Berlin, 1974, ISBN 3-428-03033-8, Seite 525
  5. Heinz Sahmer: Gesetz über den Schutz des Arbeitsplatzes bei Einberufung zum Wehrdienst […] nebst Bestimmungen über die Durchführung der Musterung, 1957, passim; Wolfgang Stauf: Wehrrecht von A-Z, 1986.
  6. Wolfgang Pooch: Wehrpflicht und Wehrersatzwesen in der Bundesrepublik Deutschland, 1985.
  7. Antworten der Bundesregierung auf Kleine Anfragen vom 18. März 2008, S. 6 und vom 26. März 2009, S. 5.
  8. Siehe z.B. [1]
  9. Wolfgang Pooch: Wehrpflicht und Wehrersatzwesen in der Bundesrepublik Deutschland, 1985 (Kapitel mit Übungsfragen zur Beamtenunterweisung).
  10. Deutsche Friedensgesellschaft: Wie vermeide ich die Wehrpflicht?, (nicht paginierte Broschüre), 4. Auflage, 2001.
  11. Wolfgang Pooch: Wehrpflicht und Wehrersatzwesen in der Bundesrepublik Deutschland, 1985; WPG in der Fassung vom 1. Januar 2005; Heribert Johlen: Wehrpflichtrecht in der Praxis, 1996.
  12. Bundesministerium der Verteidigung: ZDv 46/1. Allgemeine Durchführungsbestimmungen zu der ärztlichen Untersuchung bei Musterung und Dienstantritt von Wehrpflichtigen, Annahme und Einstellung von Bewerberinnen und Bewerbern für den freiwilligen Dienst in den Streitkräften sowie bei der Entlassung von Soldatinnen und Soldaten. Bonn, 2010
  13. Lars G. Petersson: Musterung: Staatlich Legitimierte Perversion, 2010. ISBN: 978-1849911863
  14. Deutscher Bundestag: Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten - Jahresbericht 2009 (51. Bericht), Drucksache 17/900, 2010. Seite 46.
  15. Marcel Reich-Ranicki [Hrsg.]: Musterung (= Alfred Polgar: Kleine Schriften, Bd. 1), Hamburg 1982.
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