Odoaker

Odoaker

Odoaker, auch Odowakar, in althochdeutschen Glossen Otacher,[1] und im Hildebrandslied in der Form Otachre,[2] lateinisch Flavius Odo(v)acer oder Odovacrius[3] (* um 433; † vermutlich 15. März 493 in Ravenna), war ein weströmischer Offizier germanischer Herkunft und nach der Absetzung des Romulus Augustus 476 König von Italien (Rex Italiae).

Odoaker – Porträt auf einer Münze, um 480–493
Das Reich Odoakers im Jahre 480

Inhaltsverzeichnis

Leben

Odoaker war ein Sohn des Edekon (Edika), der im Dienste des Hunnenkönigs Attila stand, und einer Frau vom Stamme der Skiren.[4] Odoaker selbst wuchs möglicherweise am Hof Attilas auf. Er war Arianer und soll Analphabet gewesen sein. Über die Herkunft Odoakers gibt das byzantinische Lexikon Suda zumindest indirekt Auskunft. Dort heißt es über Odoakers Bruder Hunulf, dass dessen Vater Edekon „Torcilingorum rex“ und dass seine Mutter „vom Stamm der Skiren“ gewesen sei.[5] Nach Meinung von Wolfram Brandes gibt diese Quelle die Herkunft Hunulfs und damit auch Odoakers als zur Hälfte thüringisch an.[6]

Über die frühen Jahre Odoakers ist nur wenig bekannt, doch dürfte die gelegentlich geäußerte Annahme, er könne mit einem Heerführer namens Adovacrius gleichgesetzt werden, der in den 60er Jahren des 5. Jahrhunderts sächsische Plünderer in Gallien befehligte,[7] falsch sein (siehe dazu Paulus).[8] Odoaker diente schließlich in der Leibwache des weströmischen Kaisers Anthemius. Im Machtkampf zwischen diesem und Ricimer hielt er zu Letzterem. Nachdem der Heermeister Orestes den letzten legitimen Kaiser Westroms, Julius Nepos, 475 zur Flucht gezwungen hatte, erhob Orestes seinen Sohn Romulus, wegen seiner Jugend „Augustulus“ (Kaiserlein) genannt, zum neuen „Schattenkaiser“. Allerdings erhob sich nun die Armee, die mittlerweile fast ausschließlich aus barbarischen Hilfstruppen (Föderaten) unter Führung des Odoaker bestand, und forderte Land in Italien, was Orestes ablehnte. Vermutlich spielten auch persönliche Differenzen eine Rolle, denn auch Orestes hatte einst Attila gedient, wobei es zum Streit zwischen ihm und Odoakers Vater gekommen sein soll. Da es kaum noch reguläre weströmische Truppen gab, stellten die barbarischen Föderaten unter dem Kommando des Odoaker fast die einzige militärische Macht in Italien dar und setzten ihre Forderung nun mit Gewalt durch. Die Mehrheit dieser Soldaten wählte am 22. August 476 Odoaker zu ihrem rex.

Odoaker tötete Ende August 476 Orestes im Kampf, und kurz darauf auch dessen Bruder. Romulus wurde ungewöhnlicherweise aber nicht getötet, vielmehr setzte er ihn ab, sagte ihm jedoch ein Jahrgeld zu. Entscheidend war vor allem, dass er weder selbst nach dem Purpur griff noch, wie noch Orestes, zumindest einen von ihm abhängigen Kaiser einsetzte. Odoaker sandte stattdessen den kaiserlichen Ornat nach Konstantinopel und erklärte, man brauche im Westen keinen eigenen „Augustus“ mehr, sondern unterstelle sich direkt dem oströmischen Kaiser, der ihn in seinem Antwortschreiben zwar einerseits darauf hinwies, es gebe in Gestalt von Julius Nepos noch einen legitimen Westkaiser, ihn aber andererseits als patricius anredete und damit - zumindest in Odoakers Augen - faktisch als Regent anerkannte. Diese Vorgänge kamen letztlich der Abschaffung des weströmischen Kaisertums gleich.[9] Sodann ernannte sich Odoaker zum Rex Italiae („König von Italien“) und wurde spätestens nach dem Tode Julius Nepos’ (480) vom oströmischen Kaiser Zenon als (faktisch unabhängiger) Verwalter Italiens unter oströmischer Ägide anerkannt. Teilweise auftretender Widerstand, ausgehend von einzelnen germanischen Truppenführern, wurde rasch niedergeschlagen, so dass Italien als gesichert gelten konnte.

Odoaker vergab entweder Land oder (wahrscheinlicher) Anteile an den Steuereinkünften an die eingewanderten Germanen (vor allem Heruler, Skiren und Thüringer), ließ jedoch das römische Rechts- und Steuersystem, die römische Verwaltung und den Senat intakt, zu dem er offenbar ein gutes Verhältnis pflegte. Wahrscheinlich betrachteten die Senatoren die Absetzung des letzten Kaisers in Italien als Möglichkeit, wieder mehr an Einfluss zu gewinnen. Wichtige Posten wurden von Odoaker denn auch an führende Senatoren vergeben, allerdings zeitlich beschränkt. Ebenso stiegen aber auch Germanen in Führungspositionen auf. Odoaker ließ außerdem Münzen prägen, auf denen er aber nicht als Kaiser erschien, womit die Stellung des Ostkaisers explizit berücksichtigt wurde. Obwohl selbst arianischer Christ, gestaltete sich auch die Beziehung zur Kirche anscheinend recht problemlos. Die Kultur der Spätantike bestand also in Italien fort, und die Absetzung des machtlosen weströmischen Kaisers dürfte auf die Zeitgenossen kaum Eindruck gemacht haben, da Italien formell unter die Herrschaft des Kaisers in Konstantinopel getreten war (vgl. auch Völkerwanderung sowie Ende der Antike).

Durch Verträge und Kriege konnte Odoaker sein Reich deutlich ausdehnen: 477 pachtete er Sizilien von den Vandalen, 481 eroberte er, nach dem Tod des Julius Nepos, Dalmatien und 488 zerstörte er das Reich der Rugier in Noricum. Die romanische Bevölkerung im nördlichen Grenzraum wurde durch seinen Bruder Hunulf zwangsevakuiert, um so einer eventuell neuen Reichsbildung die wirtschaftliche Grundlage zu entziehen.

Ab 489 musste Odoaker die vorrückenden Ostgoten abwehren, die von Ostrom unterstützt wurden, wo man Odoaker wohl die Eroberung Dalmatiens übel nahm. Odoaker brach daraufhin die Kontakte mit Konstantinopel ab und erhob seinen Sohn Thela 490 als Caesar zum Gegenkaiser. Nach mehreren Niederlagen (489 am Isonzo, dann bei Verona und am 11. August 490 an der Adda) und einer zweijährigen Belagerung in Ravenna schloss er nach der „Rabenschlacht“ mit dem ostgotischen rex Theoderich dem Großen am 27. Februar 493 einen Vergleich, nicht zuletzt wegen drohender Hungersnot. Bereits wenige Tage später wurde er aber von Theoderich in Ravenna eigenhändig ermordet. Als Vorwand diente eine persönliche Rache des Goten an Odoaker, wahrscheinlicher ist allerdings, dass Theoderich so seine Machtposition sichern wollte. Thela entkam wohl zunächst nach Gallien, wurde aber noch im selben Jahr bei einem Rückkehrversuch nach Italien getötet.

Eine Gedenktafel für Odoaker fand Aufnahme in die Walhalla bei Regensburg.

Siehe auch

Literatur

  • Maria Cesa: Il regno di Odoacre. La prima dominazione germanica in Italia. In: B. Scardigli, P. Scardigli (Hrsg.): Germani in Italia. Rom 1994, S. 307–320.
  • John M. O'Flynn; Generalissimos of the western Roman Empire. University of Alberta Press, Edmonton 1983, ISBN 0888640315.
  • Guy Halsall: Barbarian Migrations and the Roman West, 376–568. Cambridge University Press, Cambridge 2007, ISBN 9780521434911, S. 278ff.
  • Dirk Henning: Periclitans res Publica: Kaisertum und Eliten in der Krise des Weströmischen Reiches 454/5-493 n. Chr. Stuttgart 1999, ISBN 3-515-07485-6.
  • Arnold Hugh Martin Jones: The constitutional position of Odoacer and Theoderic. In: Journal of Roman Studies 52, 1962, S. 126–130.
  • Edward A. Thompson: Romans and Barbarians. The decline of the Western Empire. Madison 1982, ISBN 0-299-08704-2.
  • László Várady: Epochenwechsel um 476. Odoaker, Theoderich der Große und die Umwandlungen. Budapest/Bonn 1984, ISBN 3774921075.
  • Herwig Wolfram: Gotische Studien. Volk und Herrschaft im Frühen Mittelalter. C. H. Beck, München 2005.
  • Herwig Wolfram: Odowakar. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Band 21, S. 573–575.

Anmerkungen

  1. Moriz Schönfeld: Wörterbuch der Altgermanischen Personen und Völkernamen. Carl Winter, Heidelberg 1911. S. 174ff. ; Hermann Reichert: Lexikon der Altgermanischen Namen. Böhlau, Wien 1987. S. 999ff.
  2. Vgl. z.B. Das Hildebrandlied, in: Haug, Walther; Vollmann, Benedikt Konrad: Frühe deutsche und lateinische Literatur in Deutschland. 800-1150, Frankfurt/Main 1991, S. 9-15, hier S. 10 (V. 18 u. 25).
  3. AE 1967, 00007, auf seinen Münzen der abgekürzte Name „Fl. Odovac.“
  4. Edekons Herkunft ist umstritten; eventuell war er thüringischer Herkunft.
  5. Suda Stichwort Kata patera kai mêtera, Adler-Nummer: kappa 693, Suda-Online
  6. Wolfram Brandes: Thüringer/Thüringerinnen in byzantinischen Quellen. In: Helmut Castritius (Hrsg.): Die Frühzeit der Thüringer. Archäologie, Sprache, Geschichte. Berlin 2009, S. 291–328.
  7. Gregor von Tours, Historiae II 18.
  8. Vgl. auch Halsall (2007), S. 270f.
  9. Vgl. Henning Börm: Das weströmische Kaisertum nach 476. In: Josef Wiesehöfer u.a. (Hrsg.): Monumentum et instrumentum inscriptum. Stuttgart 2008, S. 47-69.


Vorgänger Amt Nachfolger
Rex Italiae
476–493
Theoderich der Große

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