Pestkreuze

Pestkreuze
Steinkreuz im sächsischen Weißig bei Dresden (Einritzung Armbrust)

Steinkreuze sind meist 80 bis 120 Zentimeter hohe und 40 bis 60 Zentimeter breite, klobige Kreuze, die fast immer aus einem Block – meist Granit, Sandstein oder Basalt – gemeißelt wurden. Sie zählen zu den ältesten Flurdenkmälern.

Inhaltsverzeichnis

Verbreitung

Steinkreuz in der Oberpfalz

Diese Denkmäler befinden sich entlang von alten Straßen und Wegkreuzungen, an Bäumen und Waldrändern, auf Anhöhen oder auf Gemeinde- und alten Herrschaftsgrenzen. Besonders häufig sind sie in der Oberpfalz und in Mitteldeutschland zu finden, wobei die Basaltkreuze fast ausschließlich in der Eifel vorkommen. Leider sind viele dieser steinernen Zeugen einer vergangenen Zeit durch Unachtsamkeit, Unwissenheit oder mutwillige Zerstörung verschwunden. Wie Rainer H. Schmeissner in seiner 1977 erschienenen Monografie „Steinkreuze in der Oberpfalz“ schreibt, gibt es heute noch über 300 von ihnen allein in der Oberpfalz. 400 Exemplare waren es hier noch um die Jahrhundertwende, das sind fast doppelt so viele wie in Nieder- und Oberbayern zusammen. Die vom Landesmuseum für Vorgeschichte Dresden zwischen 1977 und 1980 herausgegebenen Inventare beinhalten für Sachsen einen Bestand von 436 Steinkreuzen und Kreuzsteinen.

Zustand

Oft sind diese grob behauenen Kreuze schon in einem stark verwitterten Zustand. An manchen ist eine Zeichnung eingeritzt, nur selten haben sie aber eine Inschrift. Dieses schmucklose Aussehen mag wohl auch ein Grund dafür sein, dass sie die Fantasie der Menschen schon immer beflügelten. Etwas Geheimnisvolles scheint viele dieser Kreuze zu umgeben. Die alteingesessene Bevölkerung weiß bei den meisten dieser Flurdenkmäler noch manch schauerliche Geschichte oder Sage zu erzählen. Gelegentlich wird berichtet, das Versetzen eines Sühnekreuzes hätte zu Unglücken geführt.

Außer durch Verwitterung, mutwillige oder fahrlässige Beschädigung rühren Schäden an Steinkreuzen auch vom Volksglauben her. Ein alter Steinzauber besagt, dass ein von einem Steinkreuz abgeschlagenes und in fließendes Wasser geworfenes Steinstück Zauberei und Unglück abwende[1], außerdem wurde durch Abschaben an Steinkreuzen so genanntes Steinkreuzmehl gewonnen, dem man auch magische Kraft beimaß.[2]

Bezeichnungen

Pestkreuz auf einem Pestfriedhof nahe Leiberg

Im Volksmund haben die Steinkreuze mehrere Bezeichnungen. Entlang des Böhmerwaldes nennt man sie „Hussitenkreuze“ und in der nördlichen Oberpfalz sind es die „Schwedenkreuze“. In mehreren Sagen ist die Rede davon, dass unter diesen Denkmälern Schweden begraben liegen. Die meisten dieser Kreuze entstanden jedoch schon lange vor dem Dreißigjährigem Krieg. Andere Bezeichnungen heißen „Sühnekreuze“, „Pestkreuze“ und „Franzosenkreuze“.

Pestkreuze

Pestkreuz von 1598 vor St. Lorenz (Lübeck)
Pestkreuz von 1665 bei Dedenbach, Kreis Ahrweiler. Text: "1665 Doves Scheff u(nd) s(eine) Ha(u)sfra(u)"

Pestkreuze sind eine spezielle Form der Steinkreuze und wurden zum Gedenken der Opfer der großen mittelalterlichen und neuzeitlichen Pest-Epidemien errichtet. Dabei trat in Süddeutschland häufig die Pestsäule an die Stelle des Kreuzes. Ein Beispiel für ein gut erhaltenes steinernes Pestkreuz findet sich auf einem Pestfriedhof im Bürener Staatsforst nahe Leiberg in (Nordrhein-Westfalen). Die fragmentarische Inschrift (fehlende oder fragliche Buchstaben in Klammern) lautet:

„ANNO 1635 DEN [ZS] [AV]GVST HAT VNS GOT DIE PESTILENS GESANT. WIE MANCEM IST BEKANT SINT VOM DORF LEBERG 400 MENSCHEN GESTORBEN, DENEN GOT DIE SELIKIT ERWO[...].“

Grund für die Aufstellung

Steinkreuz im sächsischen Kleinwolmsdorf bei Dresden (Einritzung Schwert)

Der wahre Aufstellungsgrund ist nur von den wenigsten Steinkreuzen bekannt. Bei anderen fehlt jeglicher Hinweis auf ihre Bedeutung. Sicher ist nur, dass ein Großteil zwischen dem 13. Jahrhundert und der Zeit um 1530 aufgestellt wurde. Die meisten von ihnen stehen im Zusammenhang mit Totschlagsdelikten, bei den wenigsten ist jedoch der unmittelbare Anlass schriftlich bezeugt oder es lassen sich überlieferte Sühneverträge nicht mit Sicherheit einem erhaltenen Steinkreuz zuordnen. Oftmals sind bei diesen Steinkreuzen Waffen eingeritzt, die als Mordwerkzeuge gedeutet werden. Wurde jemand im Streit oder anderweitig ohne Absicht getötet, musste der Schuldige mit der Familie des Opfers einig werden. Es wurden zwischen beiden privatrechtliche Sühneverträge abgeschlossen.

Der geistesgeschichtliche Hintergrund ist der, dass in katholischer Zeit die Vorübergehenden angehalten werden sollten, Fürbittgebete für den ohne Sterbesakramente zu Tode Gekommenen zu halten. Deswegen gibt es in evangelischen Gegenden schlagartig etwa ab 1530 keine Steinkreuzsetzungen mehr. Gleichermaßen wichtig ist jedoch die Einführung der Peinlichen Halsgerichtsordnung, der sogenannten Carolina durch Karl V. im Jahre 1532. Damit wurden die privatrechtlichen Sühneverträge durch ein landesherrliches Gerichtswesen abgelöst. Auch dies ist durch das plötzliche Aussetzen der Sühneverträge in den frühneuzeitlichen Akten gut nachvollziehbar.

Beide Dinge gemeinsam – die Einführung der Reformation in den entsprechenden Gegenden und die Einführung der Carolina hatten zur Folge, dass künftig keine Sühnekreuze mehr gesetzt wurden. Jüngere Steinkreuze in katholischen Gegenden können durchaus noch dem mittelalterlichen Fürbittgedanken folgen; in evangelischen Gebieten handelt es sich aber nunmehr um einfache Gedenksteine (Nach Mord, Totschlag, Unfall, Pest usw.), die allerdings wesentlich seltener gesetzt wurden.

Ab 1300 soll es deshalb üblich gewesen sein, am Tatort oder dort wo es die Angehörigen wünschten, ein steinernes „Sühnekreuz“ aufzustellen. Es sind Oberpfälzer und sächsische Sühneverträge erhalten geblieben, in denen ausdrücklich die Setzung eines Sühnekreuzes vereinbart wird.

Gesichert ist der Grund für die Aufstellung eines Sühnekreuzes vor der Berliner St. Marienkirche. Im Jahre 1325 wurde in Berlin der Propst von Bernau erschlagen. Neben einem zehnjährigem Bann musste Berlin ein Sühnekreuz errichten, welches noch heute am Portal der Kirche zu finden ist.

Es ist sicher falsch, von den Steinkreuzen generell als „Sühnekreuzen“ zu reden. Sie konnten auch von Angehörigen nach einem tödlichen Unfall – oder wie in Zittau im Jahre 1392 schriftlich bezeugt – als Dank für eine mildtätige Stiftung eines Kuttenberger Bürgers zur Ausbesserung einer gebirgsüberschreitenden Fernstraße nach Gabel gesetzt werden.

Man glaubt aber auch, dass einige als Grenzzeichen, Richtungsweiser, Freisteine, Pestkreuze oder als Gerichtskreuze dienten. Über interessante und merkwürdige Zusammenhänge zwischen Steinkreuzen und anderen weltlichen und kirchlichen Denkmälern schreibt Karl Bedal in einer 1986 erschienen Schrift. Trotz verschiedener Meinungen und intensiver archivalischer Forschungen umgibt diese groben und massigen Kreuze aber immer noch ein Hauch des Geheimnisvollen und Rätselhaften.

Literatur

  • Kurt Müller-Veltin: Mittelrheinische Steinkreuze aus Basaltlava. 2., überarb. und erw. Aufl., Köln: Rheinischer Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz 2001 ISBN 3-88094-570-5
  • Störzner, Bernhard Friedrich: Was die Heimat erzählt, Verlag Arwed Strauch, Leipzig, 1904
  • Kuhfahl, Gustav: Die alten Steinkreuze in Sachsen. Dresden 1928 und 1936
  • Köber, Heinz: Die alten Steinkreuze und Sühnesteine Thüringens. Erfurt 1960
  • Ost, Gerhard: Alte Steinkreuze in den Kreisen Jena, Stadtroda und Eisenberg. Jena 1962
  • Deubler, Heinz, Künstler, Richard und Ost, Gerhard : Steinerne Flurdenkmale in Ostthüringen (Bezirk Gera). Gera o. J. (1977)
  • Müller/Quietzsch: Steinkreuze und Kreuzsteine in Sachsen I Inv. Bez. Dresden. Berlin 1977
  • Wendt, Hans-J.: Steinkreuze und Kreuzsteine in Sachsen II Inv. Bez. Karl-Marx-Stadt. Berlin 1979
  • Quietzsch, Harald: Steinkreuze und Kreuzsteine in Sachsen III Inv. Bez. Leipzig. Berlin 1980
  • Neuber, Dietrich und Wetzel, Günter : Steinkreuze und Kreuzsteine. Inventar Bezirk Cottbus. Cottbus 1980.. = Geschichte und Gegenwart des Bezirkes Cottbus (Niederlausitzer Studien), Sonderheft
  • Schmeissner, Rainer H.: Steinkreuze in der Oberpfalz. Regensburg 1977
  • Torke, Horst: Alte Steinkreuze zwischen Dresden, Pirna und Sächsischer Schweiz. Pirna 1983
  • Störzner, Frank: Steinkreuze in Thüringen. Katalog Bezirk Erfurt. Weimar 1984. = Weimarer Monographien zur Ur- und Frühgeschichte 10
  • Bedal, Karl: Rätselhaftes, versunken, vergessen, unsichtbar. Doch genau vermessen. Hof 1986
  • Müller/Baumann: Kreuzsteine und Steinkreuze in Niedersachsen, Bremen und Hamburg. Hameln 1988
  • Störzner, Frank: Steinkreuze in Thüringen. Katalog Bezirke Gera–Suhl. Weimar 1988. = Weimarer Monographien zur Ur- und Frühgeschichte 21
  • Torke, Horst: Steinerne Zeugen der Geschichte im Landkreis Sächsische Schweiz. Pirna 1998 ISBN 3-932460-09-X
  • ... und erschlugen sich um ein Stücklein Brot. Sühnekreuze in den Landkreisen Schwäbisch Hall und Hohenlohe. eine Fotodokumentation von Eva Maria Kraiss; Marion Reuter; Bernhard Losch. Künzelsau 2000. ISBN 3-934350-31-3
  • Walter Saal: Steinkreuze und Kreuzsteine im Bezirk Halle. Landesmuseum f. Vorgeschichte, Halle 1989; ISBN 3910010016.
  • Heinrich Riebeling: Steinkreuze und Kreuzsteine in Hessen Werner Noltemeyer Verlag, Dossenheim/Heidelberg 1977; ISBN 3-88172-005-7

Besondere Steinkreuze

Siehe auch

Galerie

Einzelnachweise

  1. Hans-Heinz Hartmann: Zeugen mittelalterlichen Brauchtums in: Schwaben & Franken, heimatgeschichtliche Beilage der Heilbronner Stimme 42. Jg., Nr. 4, Juni 1996
  2. J. Rünemann: Rillen und Näpfchen auf sakralen Denkmalen. In: Mitteilungsblatt der internationalen Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie Nr. 29, 1977

Weblinks


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