Rechtsreferendariat

Rechtsreferendariat

Als Rechtsreferendariat wird in Deutschland der ungefähr zwei Jahre (früher drei Jahre) dauernde Vorbereitungsdienst nach dem ersten Staatsexamen („Referendarexamen“ oder „erste Prüfung“) bezeichnet, der mit dem zweiten Staatsexamen („Assessorexamen“, „großes Staatsexamen“) endet und in dem die Anwärter die Befähigung zum Richteramt (§ 5 Abs. 1 DRiG) und zum höheren Dienst erlangen. Die Befähigung zum Richteramt qualifiziert auch für die Tätigkeit im höheren nichttechnischen Verwaltungsdienst, als Staatsanwalt, als Rechtsanwalt (§ 4 BRAO) und als Notar (§ 5 BNotO).

Damit ist das Rechtsreferendariat Teil der Ausbildung zum Volljuristen. Der Anwärter trägt üblicherweise die Dienstbezeichnung „Rechtsreferendar“ (Ref. iur. oder Ref. jur.). Der Rechtsreferendar ist entweder Beamter auf Widerruf oder steht wie in den meisten Bundesländern in einem öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis eigener Art (§ 14 Abs. 1 Halbsatz 1 BRRG). Der Jurist mit bestandenem 2. Staatsexamen führt die Berufsbezeichnung „Rechtsassessor“ (Ass. iur. oder Ass. jur.). Umgangssprachlich bezeichnet man sie als Volljuristen.

Inhaltsverzeichnis

Voraussetzungen

Der Rechtsreferendar hat mit dem 1. Staatsexamen sein Jurastudium an der Universität abgeschlossen und ist Jurist mit der Berechtigung zum Erwerb des Doktortitels, falls die Promotionsordnung der jeweiligen rechtswissenschaftlichen Fakultät dies gestattet (in der Regel nur mit einem überdurchschnittlichen Examen, wobei an einigen Fakultäten auch die Möglichkeit besteht, mit der Note befriedigend [6,5 Punkte aufwärts] zu promovieren, wenn man zusätzlich noch 2 Seminarscheine vorlegen kann, die jeweils mit mindestens vollbefriedigend bewertet worden sind). In wenigen Bundesländern wird die Berufsbezeichnung „Referendar“ oder „Rechtsreferendar“ nach bestandenem 1. Staatsexamen auch als Titel verliehen, der nicht an die Durchführung eines Referendariats gebunden ist. Viele Universitäten verleihen nach dem 1. Staatsexamen zusätzlich auf Antrag die akademischen Grade Diplom-Jurist oder Magister juris, die beispielsweise für eine Tätigkeit als angestellter Unternehmensjurist ausreichend sind. Um in den juristischen Vorbereitungsdienst aufgenommen zu werden, bedarf es neben einigen Formularen einer Geburtsurkunde, einer beglaubigten Abschrift über das Bestehen des ersten Staatsexamens (nach neuer Ordnung: der ersten Prüfung) und eines Führungszeugnisses der Belegart O. Dieses wird direkt an das OLG verschickt, bei dem man sich bewirbt.

Ablauf des Referendariats

Das Referendariat gliedert sich in fünf bis sechs Stationen, in denen der Rechtsreferendar jeweils für einige Monate in verschiedenen Rechtsgebieten praktisch ausgebildet wird. Dazu wird der Referendar einem Oberlandesgericht (OLG) zugewiesen (in Berlin dem Kammergericht), in dessen Bezirk meist ein Landgericht als Stammdienststelle bestimmt wird, von dem aus er den jeweiligen Einzelausbildern zugewiesen wird.

Die erste Station in den meisten Bundesländern ist eine Zivilstation, die in der Regel bei einem Amtsgericht oder Landgericht zu absolvieren ist und mit einem zwei- bis vierwöchigen Einführungslehrgang (je nach Bundesland) beginnt. Daran schließt sich die Strafstation an. Diese ist bei einer Staatsanwaltschaft oder einem Strafgericht abzuleisten. Nach der Strafstation folgt dann in fast allen Bundesländern die Verwaltungsstation. Diese kann - je nach Bundesland - bei einem Verwaltungsgericht, einer Behörde (z.B. Regierungspräsidium, Landratsamt, Schulamt) oder als Ergänzungsstudium an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer absolviert werden.

Anschließend kommt die Anwaltsstation. In einigen Bundesländern, wie beispielsweise Baden-Württemberg, ist die Anwaltsstation dagegen in zwei Teile aufgeteilt; dann ist der erste Teil der Anwaltsstation vor der Verwaltungsstation und der zweite Teil nach der Verwaltungsstation zu absolvieren. Zum Schluss kommt die Wahlstation. Hier hat der Rechtsreferendar die größte Auswahl an Ausbildungsstätten und hat auch die Möglichkeit einen Auslandsaufenthalt einzubauen. In einigen Bundesländern (etwa Rheinland-Pfalz) ist an die Wahlstation ein bestimmtes Wahl(pflicht)fach geknüpft. Während den ersten beiden Stationen wird in der Regel kein Urlaub gewährt, sodass die Urlaubsplanung vor Beginn des Referendariates gut geplant sein will.

Begleitend dazu finden in den meisten Bundesländern beim Landgericht (je nach Station auch in einer Bezirksregierung, einem anderen Gericht oder anderen Behörden) Arbeitsgemeinschaften in den Rechtsgebieten Zivil-, Straf- und Verwaltungsrecht statt, in denen die theoretischen Kenntnisse der einzelnen Prozessordnungen vermittelt und gleichzeitig das Wissen aus dem Studium vertieft wird. Daneben wird das Verfassen von Klausuren und Halten von Aktenvorträgen für das Examen geübt.

Das Rechtsreferendariat endet mit der Ablegung des 2. juristischen Staatsexamens. Dieses besteht in den meisten Bundesländern aus acht (in Bayern aus elf und in Sachsen aus neun) fünfstündigen Klausuren, die am Ende der Anwaltsstation geschrieben werden. Nach der Wahlstation folgt abschließend eine mündliche Prüfung, in der Zivil-, Straf- und Verwaltungsrecht abgeprüft wird. In den meisten Bundesländern ist ein Wahl(pflicht)fach zusätzlicher Bestandteil der mündlichen Prüfung. Diese beginnt in fast allen Bundesländern (außer Bayern) mit einem Aktenvortrag, welcher je nach Bundesland einen Sachverhalt aus dem Wahl(pflicht)fach oder aus einem der Pflichtfachrechtsgebiete zum Thema hat.

Besondere Tätigkeiten

Den Rechtsreferendaren dürfen gemäß § 10, § 142 Abs. 3 GVG (Gerichtsverfassungsgesetz) bestimmte Aufgaben zur Erledigung unter Aufsicht eines Richters oder Staatsanwaltes übertragen werden (beispielsweise die staatsanwaltliche Sitzungsvertretung in der Hauptverhandlung in Strafsachen oder die Leitung einer Beweisaufnahme am Zivilgericht). Ebenso kann der einem Rechtsanwalt zugewiesene Rechtsreferendar für diesen mit einer Untervollmacht erstinstanzliche Gerichtstermine wahrnehmen.

Vorbereitungsdienst in anderen EU-Staaten

In anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union existieren ähnliche Ausbildungsprogramme. Anders als in Deutschland werden in vielen dieser Staaten die jungen Juristen gezielt auf einen bestimmten Bereich juristischer Tätigkeit vorbereitet.

In Frankreich beispielsweise durchlaufen zukünftige Rechtsanwälte eine andere Ausbildungszeit als zukünftige Richter. Ein französischer Anwalts-Rechtsreferendar trägt den Titel „élève-avocat“.

Österreich kennt als Voraussetzung für eine nach Ablegen der akademischen Prüfung (Magister iuris) weiterführende Laufbahn in den klassischen juristischen Berufen Richter, Staatsanwalt, Notar und Rechtsanwalt die Gerichtspraxis. Für diejenigen, die die Laufbahn als Richter oder Staatsanwalt anstreben, schließt sich an die Gerichtspraxis der richterliche Vorbereitungsdienst an, in dem man die Bezeichnung „Richteramtsanwärter (RiAA)“ führt. Juristen, welche sich auf die Rechtsanwaltsprüfung vorbereiten, werden als „Rechtsanwaltsanwärter (RAA)“ oder informell als „Konzipienten“ bezeichnet.

Liechtenstein kennt ähnliche Regelungen wie Österreich, jedoch gibt es keine Notare und keinen Vorbereitungsdienst auf das Richteramt oder die Tätigkeit bei der Staatsanwaltschaft. Die Konzipienten bei Rechtsanwälten werden in vertretungsbefugte und substitutionsbefugte unterschieden (ähnlich gibt es in Österreich die kleine und große Legitimationsurkunde).

Reformbestrebungen

Von Anfang der siebziger bis Mitte der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts war als Alternative die einstufige Juristenausbildung eröffnet, die ihre Grundlage in § 5b DRiG a.F. hatte, aber mit dem Dritten Gesetz zur Änderung des Deutschen Richtergesetzes auslief.

In Deutschland wird immer wieder darüber nachgedacht, ebenfalls die bisherige sogenannte Einheitsausbildung zugunsten einer Spartenausbildung aufzugeben. Diese Forderung wird besonders vom Deutschen Anwaltverein erhoben, allerdings haben sich auch Vertreter anderer Berufsgruppen wie der Richterschaft und der Landespolitik dem Wunsch nach einer Reform des Referendariats angeschlossen.

Hinzu tritt die Umstellung des Studiums auf die Master- und Bachelorabschlüsse mit Blick auf den Bologna-Prozess.

Die fehlende Spezialisierung des Referendariates auf einen einzigen Beruf bedeutet, dass für den später tatsächlich ausgeübten Beruf angesichts der Beschränkung des Referendariats auf zwei Jahre nur eine vergleichsweise kurze Ausbildungszeit vorgesehen ist. Beispielsweise beträgt die Ausbildungszeit in der Staatsanwaltschaftsstation in vielen Bundesländern nur drei Monate. Die Rechtsanwaltsstation dauert zwar in vielen Bundesländern zehn Monate, angesichts des in vielen Bundesländern auf diese Station folgenden zweiten Staatsexamens ist jedoch der Fokus der Referendare in aller Regel auf die Examensvorbereitung gerichtet, so dass für die praktische Ausbildung hier nicht so viel Zeit verbleibt.

Problematisch an der bisherigen Ausbildung erscheint weiterhin, dass jeder erfolgreiche Absolvent der zweiten juristischen Staatsprüfung ohne weitere Prüfung formell für sämtliche juristischen Berufe zugelassen ist, d.h. als Rechtsanwalt, Richter oder Staatsanwalt tätig sein kann, jedoch die im Examen erreichte Note sehr entscheidend für eine beabsichtigte Einstellung ist. Daher steht der Staatsdienst in aller Regel nur Absolventen mit überdurchschnittlicher Note offen, so dass insbesondere die Rechtsanwaltschaft mangels Zulassungsbeschränkungen als einzige Berufsalternative in den juristischen Kernberufen für Absolventen des zweiten Staatsexamens mit schlechten und durchschnittlichen Noten verbleibt. Dies führt einerseits zu hoher Konkurrenz auf dem Anwaltsmarkt, des Weiteren stehen sehr hoch qualifizierten Rechtsanwälten auch eine erhebliche Anzahl von Rechtsanwälten mit nicht unbedingt höchster Qualifikation gegenüber, was die Auswahl des geeigneten Anwalts für den Rechtssuchenden Mandanten nicht einfacher macht. In vielen anderen Ländern ist es hingegen so, dass es eine Voraussetzung zur Ausbildung zum Rechtsanwalt ist, dass der Hochschulabsolvent eine Ausbildungsstelle bei einem Anwalt findet, so dass das Problem der „Überflutung“ des Anwaltsmarktes dort in weit weniger gravierender Weise auftritt.

Trotz dieser Kritik an der bisherigen Juristenausbildung wird das Referendariat in seiner derzeitigen Ausgestaltung auch von vielen Vertretern verschiedener Berufsgruppen als sinnvoll erachtet. Insbesondere die Fähigkeit, sich in die anderen Berufe mit teilweise widerstreitenden Interessen hineinversetzen zu können, wird als Schlüssel für eine erfolgreiche Tätigkeit im später wirklich ausgeübten Beruf verstanden. So ist der Referendar bei einem Zivilgericht gezwungen, sich in die Lage des Richters hineinzuversetzen, und somit aus den Schriftsätzen der Rechtsanwälte den Sachverhalt herauszuarbeiten. Diese Erfahrung ist sinnvoll, wenn der Referendar später als Rechtsanwalt tätig ist, da er einen an das Gericht gerichteten Schriftsatz dann so aufbereiten wird, dass der Richter diesen zügig erfassen kann. Gleiches gilt für einen Rechtsanwalt, der als Strafverteidiger tätig ist. Durch seine Erfahrungen in der staatsanwaltlichen Station im Referendariat lernt er beispielsweise, welche taktischen Erwägungen in der Kommunikation mit der Staatsanwaltschaft sinnvoll sein werden.

Diese Punkte werden teilweise auch von den Kritikern des Referendariats anerkannt, so dass noch nicht absehbar ist, ob und wann es zu einer grundlegenden Reform der deutschen Juristenausbildung kommen wird.

Literatur

  • DAV: Die DAV-Anwaltausbildung, 2005
  • Thorsten Vehslage, Stefanie Bergmann, Svenia Kähler, Matthias Zabel: „Referendariat und Berufseinstieg. Stationen - Chancen - Bewerbung“, 2. Auflage, München (C.H. Beck) 2007, ISBN 9783406548543.
  • Hendrik J.C. Wübbenhorst: Der juristische Vorbereitungsdienst im europäischen Anerkennungsrecht, NJW 39/2011, 2849

Weblinks


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