Reichstag (Schweden)

Reichstag (Schweden)
Wappen des Schwedischen Reichstags

Der Schwedische Reichstag (schwedisch Riksdagen oder Sveriges riksdag) ist das schwedische Parlament. Er bestand von 1867 bis 1970 aus zwei Kammern, weist aber heute nur eine einzige Parlamentskammer auf und hat 349 Abgeordnete. Der aktuelle Reichstagspräsident ist Per Westerberg.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Ständereichstag

Der damalige Reichstag war die Versammlung der Vertreter der vier Stände (Adel, Priester, Bürger und Bauern) im Königreich Schweden. Er war nach dem König die höchste verfassungsmäßige Institution des Reichs, trat allerdings meist nur alle drei Jahre zusammen. Sein 1809 beschlossenes Thronfolgegesetz ist heute der älteste Teil der schwedischen Verfassung.

Zensuswahlrecht

1865 wurde ein Zweikammersystem beschlossen. Die neuen Kammern wurden erstmals 1867 gewählt.

Die Wahl zur ersten Kammer geschah indirekt über die Landesversammlung (Landsting) und die größten kommunalen Ratsversammlungen. So sollte "Bildung und Besitz" (”bildningen och förmögenheten”) repräsentiert werden. Wählbar waren nur Männer über 35 mit einem Immobilienvermögen von mindestens 80.000 Reichstaler oder einem jährlichen steuerpflichtigen Einkommen von mindestens 4.000 Reichstalern. Nur etwa 6.000 Personen in ganz Schweden erfüllten diese Bedingungen. Die erste Kammer wurde 1867–1911 nach einem Zensuswahlrecht beschickt, wobei auch Firmen und juristische Personen Wahlrecht hatten (allerdings auch Frauen). Die erste Kammer hatte Mandatsperioden von neun Jahren, jährlich wurde ein Neuntel der Mitglieder neu gewählt.

Auch für die Wahl zur zweiten Kammer galt ab 1867 ein Zensuswahlrecht: stimmberechtigt waren schwedische Männer über 21 mit Grundstücken im Steuerwert von über 1.000 Reichstaler oder einem steuerpflichtgen Jahreseinkommen von über 800 Reichstalern. Etwa 5,5 Prozent der Bevölkerung oder 21 Prozent aller erwachsenen Männer hatten das Stimmrecht für die zweite Kammer. Noch 1909 gab es zwar ein allgemeines, aber kein gleiches Wahlrecht für die zweite Kammer. Die Wahlrechtsreform von 1909 erhöhte die Zahl der Wahlberechtigten auf etwa das Doppelte.

Allgemeines Wahlrecht

Die 1889 gegründete Schwedische sozialdemokratische Arbeiterpartei war die erste Partei Schwedens. Die damals 84 liberalen Abgeordneten in der zweiten Kammer gründeten 1900 die Liberale Sammlungspartei. Zu den Kernzielen beider Parteien gehörte die Einführung des Allgemeinen Wahlrechts. Der erste und zunächst einzige Sozialdemokrat in der zweiten Kammer, Hjalmar Branting, wurde bei der Wahl 1896 nur gewählt, weil die Liberalen ihn dabei unterstützten.

Die Stimmrechtsfrage blieb über Jahrzehnte aktuell. Der 1907 inthronisierte König Gustav V. unterstützte den Übergang zur parlamentarischen Demokratie. Mit der Wahl 1911 wurde das allgemeine und gleiche Wahlrecht für die Zweite Kammer zunächst nur für Männer eingeführt.

Nach der russischen Revolution 1917 steigerte die Befürchtung, diese könne auch nach Schweden übergreifen, der Druck einer Demokratisierung. Der König wirkte jetzt entschieden, unter anderem gegen seine eigene Gattin, an der Durchsetzung der sozialdemokratischen Forderungen nach einer Demokratisierung durch eine Wahlrechtsreform mit.

Mit der Wahl 1921 waren erstmals auch die Frauen stimmberechtigt. Die abschließende Reform erfolgte 1923: Das Zensuswahlrecht wurde auch für die erste Kammer abgeschafft, jetzt wurde die Mitglieder indirekt durch die Gemeinden und Provinzen gewählt. Damit vergrößerte sich der Einfluss der Parteien.

Abschaffung des Zweikammersystems

Das Zweikammersystem bewirkte eine große zeitliche Verzögerung in der Umsetzung des Volkswillens, da die Abgeordneten indirekt gewählt wurden, was allein schon bis zu vier Jahren Verzögerung ergab, und neun Jahre amtierten. Im Extremfall konnten also bis zu 13 Jahre alte Wahlergebnisse noch Einfluss auf die Politik nehmen.

In der Praxis hatten die Sozialdemokraten immer die Möglichkeit, sich auf eine Mehrheit in der ersten Kammer zu stützen, wenn sich in der zweiten Kammer Probleme ergaben[1].

Die erste Kammer wurde ab der Wahl 1970 abgeschafft. Seither besitzt Schweden ein Einkammersystem.

Wahl des Reichstages

Der Reichstag wird jedes vierte Jahr (am dritten Sonntag im September) gewählt. Zusammen mit den Reichstagswahlen werden auch die Wahlen zum Provinziallandtag und die Gemeinderatswahlen durchgeführt.

Wahlberechtigt und wählbar sind schwedische Staatsbürger, die spätestens am Wahltag das 18. Lebensjahr vollendet haben. Die Wahl erfolgt nach dem Verhältniswahlrecht, wobei eine Sperrklausel gilt: Damit eine Partei Mandate erhält, muss sie vier Prozent der Stimmen im ganzen Reich oder 12 Prozent der Stimmen in einem der 29 Wahlkreise erhalten haben.

Seit der Wahl 1998 können die Wähler bei der Wahl Vorzugsstimmen für einen Kandidaten der gewählten Partei vergeben. Erreicht ein Wahlkandidat 8% der Stimmen (ab der Wahl 2014: 5% der Stimmen) seiner Partei in einem Wahlkreis, wird er bei der Mandatvergabe an die Spitze der Wahlliste seiner Partei gesetzt.

Die Organisation des Reichstages

Das Reichstagsgebäude Riksdagshuset - Sitz des Schwedischen Reichstags
Blick in den Plenarsaal

Die Abgeordneten des schwedischen Reichstages sind im Plenarsaal nach Wahlkreisen gruppiert, und nicht nach Fraktionen.

Der Reichstagspräsident und die Präsidentenkonferenz

An der Spitze des Reichstages steht der Reichstagspräsident (talman), der für eine volle Mandatperiode gewählt wird. Zu seinen Aufgaben zählt die Beauftragung eines Parteivorsitzenden mit der Regierungsbildung bei einem Regierungswechsel, die Entlassung von Regierungsmitgliedern nach einem Misstrauensvotum oder des Premierministers auf eigenen Wunsch, die Übernahme des Amtes des Reichsverwesers, wenn der König und sein Stellvertreter verhindert sind, und natürlich die Planung und Organisation der Arbeit des Reichstages. Zu seiner Hilfe hat er die Präsidentenkonferenz, die aus den Vorsitzenden der Parlamentsausschüsse, dem Vorsitzenden der Reichstagsverwaltung und je einem Repräsentanten der im Reichstag vertretenen Parteien besteht.

Reichstagsausschüsse

Der schwedische Reichstag hat 16 Ausschüsse, davon drei ständige Ausschüsse. Abgesehen vom Verfassungsausschuss spiegeln die Ausschüsse die Einteilung der Geschäftsbereiche der Ministerien wider. Darüber hinaus können je nach Bedarf weitere Ausschüsse gebildet werden. Die wichtigste Aufgabe der Ausschüsse ist die Beratung neuer Anträge und von Regierungsvorlagen. Im Zusammenhang damit können Anhörungen abgehalten werden, zu denen Regierungsmitglieder eingeladen werden. Meistens werden auch Ministerialbeamte hinzugezogen.

Reichstagsbehörden

Für gewisse Aufgaben hat der Reichstag Behörden eingerichtet. Zu den wichtigsten zählen die vier Justizombudsmänner, die die Arbeit der staatlichen und kommunalen Behörden beaufsichtigen. Sie können Klagen von Bürgern untersuchen, Behörden inspizieren und als Sonderankläger in Fällen, die die Verletzung der Dienstpflicht im öffentlichen Dienst betreffen, auftreten.

Die Revisoren des Reichstages überprüfen ebenfalls die Staatsverwaltung, insbesondere deren finanzielle Gebarung.

Eine weitere wichtige Behörde unter der Leitung des Reichstages ist die Schwedische Reichsbank, deren „Aufsichtsrat“ (riksbankfullmäktige) vom Reichstag gewählt wird. Dieser wiederum wählt das Direktorium der Reichsbank.

Die EU-Kommission

Nach dem EU-Beitritt Schwedens 1995 wurde eine EU-Kommission (EU-nämnd) geschaffen, die aus 17 Mitgliedern besteht und in der alle im Parlament vertretenen politischen Parteien repräsentiert sind. Die Regierung ist verpflichtet, vor wichtigen Beschlüssen in Brüssel Überlegungen mit der Kommission abzuhalten. Dies gilt vor allem für Minister vor EU-Ministerkonferenzen und den Premierminister vor Konferenzen des Europäischen Rates.

Außerordentliche Neuwahl des Reichstages

Die Regierung hat das Recht, während der Legislaturperiode Neuwahlen auszuschreiben. Diese müssen innerhalb von drei Monaten nach der Bekanntmachung stattfinden. Der nachgewählte Reichstag ersetzt in diesem Falle spätestens 15 Tage nach dem Wahltermin den alten. Der nachgewählte Reichstag amtiert allerdings nur bis zum Ende der regulären Wahlperiode. Dann stehen planmäßig wieder Neuwahlen an.

Riksdagshuset

Sitz des schwedischen Reichstags ist das Riksdagshuset („Reichstagshaus“). Es liegt auf der Insel Helgeandsholmen im Zentrum Stockholms im Stadtteil Gamla Stan. Erbaut wurde das Gebäude 1897–1905.

Aktuelle Zusammensetzung des Reichstages

Zusammensetzung des Reichstages nach der Wahl 2010

Die Sitzverteilung nach der letzten Wahl 2010 sieht folgendermaßen aus (in Klammern der Unterschied zur Wahl 2006):

Dabei wurden 57 Personen durch Personenwahl gewählt; die restlichen Abgeordneten erhielten ihren Platz über die jeweilige Parteiliste.

Einzelnachweise

  1. Detlef Jahn: Das politische System Schwedens

Weblinks


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