Schinkelschule

Schinkelschule
Schinkel im Jahr 1836

Unter dem Begriff Schinkelschule wurden mehrere Generationen von Berliner Architekten zwischen 1840 und dem Ende des neunzehnten Jahrhunderts zusammengefasst. Zu ihr werden zum Teil direkte Schüler und Mitarbeiter von Karl Friedrich Schinkel, wie Ludwig Persius, Friedrich August Stüler und Carl Scheppig gezählt, sowie Absolventen von Schinkels Berliner Bauakademie, in der Schinkel zwar selbst wohnte, aber nie als Lehrer arbeitete. Die Schinkelschule, nach ihren stilbildenden Segmentbögen auch Berliner Rundbogenarchitektur genannt, stand stets im Konflikt zur Repräsentationsarchitektur des sich emanzipierenden Bürgertums der preußischen Hauptstadt und späteren deutschen Kaiserstadt. Zu Unrecht schnitt sie im Vergleich vieler Zeitgenossen mit der von der École nationale supérieure des beaux-arts de Paris inspirierten offiziellen Neorenaissancearchitektur schlecht ab, wurde belächelt und als ärmlich oder spröde bezeichnet. Hauptsächlich für profane Zwecke wie Schulen, Bahnhöfe, Kasernen und Fabriken angewendet, sieht man in ihr heute einen Träger von Schinkels Idee einer reduzierten, zweckmäßigen Architektur durch die Zeit eines auftrumpfenden, verspielten Historismus und damit zu einem Wegbereiter zur frühen Moderne eines Peter Behrens und Hermann Muthesius.

Inhaltsverzeichnis

Prototypen und Blaupausen

Die rekonstruierte Ecke der Bauakademie mit der Ergänzung des Gebäudes als Kulisse, 2004. Daneben die Friedrichswerdersche Kirche

Schinkels erstes Gebäude, das man als Prototypen der späteren Schinkelschule bezeichnen kann, war das Militärarrest- und Kasernengebäude der Lehrescadron in der Berliner Lindenstraße. Mit dem Leuchtturm am Kap Arkona, der Friedrichwerderschen Kirche und den Packhofgebäuden hinter dem Alten Museum folgten weitere ganz in Backstein ausgeführte Gebäude.

Schinkel entdeckte ein Material wieder, das vierhundert Jahre, seit der märkischen Backsteingotik, nicht für Fassaden verwendet worden war. Er bezog sich dabei zugleich auf Bauten der Vergangenheit, wie die Marienburg und die Bauten der italienischen Renaissance, sowie auf den modernen englischen Industriebau, den er in Manchester kennen gelernt hatte. Schinkel sah im Backstein viele Vorteile. Er wollte das Handwerk fördern, denn unter den Putzschichten wurde beim Mauern der Wände häufig schlampig gearbeitet, was, wenn der Putz abblätterte, hässlich aussah. Ein Backsteingebäude dagegen musste sauber ausgeführt werden, denn jede Ungenauigkeit war sofort sichtbar, das Gebäude verlor dann aber auch nach Jahren nichts von seiner Schönheit. Gleichzeitig zwangen die Normierung und Kleinteiligkeit der Steine und das passgenaue Zusammenspiel mit Formsteinen ebenso zur präzisen Vorarbeit bei der Steinherstellung wie zur Planung beim Architekten. Am Anfang stand Schinkel vor unzähligen Problemen: Die Beschaffung geeigneten Tons stellte sich als schwierig dar, viel technisches Wissen war verloren gegangen und die Brennöfen waren nicht in der Lage gleichmäßige Farbigkeit und Oberflächen zu garantieren, was die Herstellung von Formsteinen nahezu unmöglich machte. Einen Meister, mit dem Schinkel seine Vorstellungen umsetzen konnte, fand er in Tobias Christoph Feilner, später arbeitete er eng mit dem Feilner-Schüler Ernst March zusammen.

Vielmehr Blaupause als Prototyp für die spätere Entwicklung stellt das Schulgebäude der Schinkelschüler, die Berliner Bauakademie am Friedrichswerder, dar. Wer hier die Qualität der Steine und Glasuren, den sicheren Einsatz von Formsteinen und Terrakotten betrachtet, könnte leicht zum Schluss kommen, hier sei die Entwicklung bereits an seinem End- und Höhepunkt angelangt. Tatsächlich jedoch befand sich Schinkel zu diesem Zeitpunkt in einem permanenten Kampf, den Handwerkern die Leistungen abzuringen, die ihm vorschwebten. Bis zur Mitte der sechziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts blieb die Produktion von wechselhafter Qualität.

Betrachtet man heute das ein paar Schritte entfernte Rote Rathaus, so wird der Weg, den die Backsteinproduktion von der Friedrichswerderschen Kirche, bei der Formsteine noch sehr spärlich eingesetzt wurden, über die neu aufgebaute Ecke der Bauakademie bis zum neuen Rathaus genommen hat augenscheinlich. In den folgenden Jahren wurde es dann für die Architekten dagegen immer schwieriger das rechte Maß zu halten, so reichhaltig wurde das Angebot, das die Terrakotta-Manufakturen in ihren Katalogen anboten.

Merkmale und Entwicklungsphasen

Südfront der Kirche (Eingangsseite)
Gesamtansicht Martin Gropius Bau im Jahre 2005

Hauptkennzeichen der Gebäude der Schinkelschule ist ihre Ausführung in Backstein, die kubischen Baukörper, oft in einer Art additiven System zusammengesetzt, die Verwendung von verschiedenfarbig glasierten Steinen, der reiche Einsatz von Formsteinen und Terrakotten, die sorgsam ausgebildete und strukturierte Fassade, das Segmentbogenfenster zur großzügigen Belichtung der Innenräume, besonders bei Fabrikgebäuden, sowie das Flachdach. Ein treffender Ausdruck für die Architektur der Schinkelschule ist „hellenistische Romantik“.

Die fünf Phasen der Entwicklung der Schinkelschule

  • 1817–1840: Karl Friedrich Schinkel entwirft eine Reihe von ganz in Backstein ausgeführten Bauten, die für die spätere Backsteinbaukunst vorbildlich sind.
  • 1830–1848: Friedrich August Stüler, der in Berlin wirkt, und Ludwig Persius, der sich auf Potsdam konzentriert, dominieren die erste Phase. Viele Bauten entstehen noch in Zusammenarbeit mit Schinkel selbst. Dazu zählen die Berliner Bauakademie und das Stadttheater in Frankfurt (Oder), ausgeführt von Schinkels Schüler Emil Flaminius.
  • 1848–1866: In der nachrevolutionären Phase kommt es zu einem Stilkonflikt mit der vom Bürgertum bevorzugten Neorenaissance.
  • 1866–1871: In der vorkaiserlichen Zeit entwickeln Karl Bötticher, Heino Schmieden und Martin Gropius die tektonische Polychromie. Es entstehen viele Bahnhöfe für die Berliner Eisenbahn.
  • 1871–1890: Im neu gegründeten Kaiserreich kommt die Schinkelschule durch öffentliche Ausschreibungen, Architekten anderer Schulen, die nach Berlin drängen, und eine für die kaiserliche Hauptstadt benötigte Repräsentationsarchitektur zusätzlich in Bedrängnis. Zu diesem kritischen Zeitpunkt übernimmt Stadtbaurat Hermann Blankenstein die Leitung der Berliner Hochbauabteilung. Er entwirft und baut zahlreiche Zweckbauten, die in Stil der Schinkelschule ausgeführt werden, darunter mehr als 120 Schulen, Krankenhäuser, Markthallen und Kirchen.

Schinkelschule und Neorenaissance

Berliner Börse, Friedrich Hitzig

Nach der gescheiterten Revolution von 1848 nahm die Emanzipation des preußischen Bürgertums einen neue Richtung. Es musste dem Adel die wichtigsten politischen Stellungen im Staat überlassen, in der florierenden Wirtschaft war man ihm jedoch bald weit voraus und wollte dies auch in der Architektur zeigen. Die Bauten der Renaissance dienten als Vorbild, sah man doch in der Renaissance mit ihrem Interesse an den Naturwissenschaften, dem Aufschwung des Handels und der Künste eine Entsprechung zu den Entwicklungen des neunzehnten Jahrhunderts. Ein besonderes Beispiel ist hier Friedrich Hitzigs Berliner Börse, die sich in direkter Nähe zum Schloss mit großartiger Geste zu profilieren versucht. Nach der Reichsgründung 1871 musste Berlin zur Hauptstadt des Kaiserreiches hergerichtet werden. Interessanterweise importierte man hierzu den „École des Beaux Art“-Stil des geschlagenen Frankreichs. Gegen diese Einflüsse hatte die feinsinnige, strenge und zurückhaltende Schinkelschule ständig zu bestehen. Am Ende waren es Martin Gropius und Heino Schmieden, vor allem mit ihrem vorbildlichen Kunstgewerbemuseum, die nach 1866 die Schinkelschule aus und durch die Krise führten.

Bötticher, Gropius und die Tektonische Polychromie

Schon unter Schinkel war es zu einer Verwissenschaftlichung der Architektur gekommen. Statt die antike Architektur nur nach Stichen in Büchern zu studieren, wurde nun an die Ausgrabungsorte gereist und dort genaue Untersuchungen vor Ort durchgeführt. Besonderen Einfluss hatten die Engländer James Stuart und Nicholas Revett mit ihrem Werk The Antiquities of Athens.

Unter dem Bauakademielehrer Carl Bötticher wurde diese Entwicklung forciert. Er arbeitete einen umfangreichen Forderungenkatalog aus: so durfte zum Beispiel die Akanthuspflanze nur an Elementen verwendet werden, die tragende Funktion haben, Rosetten ausschließlich dort, wo Teile (wie mit Nägeln) an das Gebäude angeheftet waren, Bändmotive hatten eine zusammenbindende Funktion zu symbolisieren, Kymatia hatten als gestauchte Blattwellen nur dort angebracht zu werden, wo lastendes Gewicht Druck ausübte, Ornamente sollten nicht nur einfach übernommen werden, sondern mussten stets selbst und neu entworfen werden.

Viele Kritiker aus den Reihen der Historisten bemängelten an Böttichers Lehre eine Einengung der Phantasie. In der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, als die Bautätigkeit in Berlin zweifellos als hektisch bezeichnet werden kann, führte Ausbildung und Regelwerk der Bauakademie trotz aller Geschwindigkeit beim Planen, Entscheiden und Bauen zu einem gleichmäßig hohen Qualitätsstandard. In diesem Bemühen der Schinkelschüler ist zudem eine ständige Suche zu bemerken, Gehalt und Gestalt in Übereinstimmung zu bringen, die sich später in den Theorien und Werken der klassischen Moderne wiederfinden lässt

Liste Gebäude und Architekten

Gebäude/Potsdam Jahr Architekt Ort
Römische Bäder 1829–1840 Ludwig Persius Potsdam/Sanssouci
Heilandskirche 1841–1844 Ludwig Persius Potsdam/Sacrow
Dampfmaschinenhaus im Park Babelsberg 1843–1845 Ludwig Persius Potsdam-Babelsberg
Dampfmaschinenhaus „Moschee“ 1841–1843 Ludwig Persius Potsdam
Belvedere auf dem Pfingstberg 1847–1863 Ludwig Persius / Friedrich August Stüler / Ludwig Ferdinand Hesse Potsdam
Triumphtor 1851 Friedrich August Stüler / Ludwig Ferdinand Hesse Potsdam/Sanssouci
Friedenskirche (Sanssouci) 1845–1848 Ludwig Persius / Friedrich August Stüler / Ludwig Ferdinand Hesse Potsdam/Sanssouci
Orangerieschloss 1851–1864 Friedrich August Stüler / Ludwig Ferdinand Hesse Potsdam/Sanssouci
Bornstedter Kirche 1854–1856 Friedrich August Stüler Potsdam
Krongut Bornstedt 1846–1848 Johann Heinrich Haeberlin Potsdam
Fasanerie 1842 Ludwig Persius Potsdam/Sanssouci
Schloss Babelsberg 1835–1849 Karl Friedrich Schinkel/Ludwig Persius/Johann Heinrich Strack Potsdam-Babelsberg
Meierei im Neuen Garten 1843–1844 Ludwig Persius Potsdam
Gebäude/Berlin Jahr Architekt Ort
Palais des Prinzen Karl von Preußen 1827 Friedrich August Stüler / Carl Scheppig Berlin
St.-Johannis-Kirche 1835–1857 K.F. Schinkel / Friedrich August Stüler Berlin-Moabit
Krankenhaus Bethanien 1843 Friedrich August Stüler Berlin-Kreuzberg
St. Peter und Paul (Berlin-Wannsee) 1834–1837 Friedrich August Stüler Berlin-Zehlendorf Nikolskoë
St.-Jacobi-Kirche 1844–1845 Friedrich August Stüler Berlin/Oranienstr.
Klosterhof im Park Glienicke 1850 Ferdinand von Arnim Berlin-Zehlendorf Glienicke
St. Marien am Behnitz 1848 August Soller Berlin-Spandau
Sankt-Michaelskirche 1851 August Soller Berlin-Kreuzberg
Arkaden der Fabrik Borsig 1858–1860 Johann Heinrich Strack Berlin-Mitte Chausseestraße
Neue Synagoge 1866 Eduard Knoblauch Berlin-Mitte Oranienburger Straße
St.-Thomas-Kirche 1869 Friedrich Adler Berlin-Kreuzberg
Rotes Rathaus 1861–1869 Hermann Friedrich Waesemann Berlin-Mitte
Hauptkadettenanstalt 1871–1878 Ferdinand Fleischinger Berlin-Lichterfelde
Kriminalgericht Moabit und Zellenblock 1877–1882 Heinrich Herrmann Berlin-Moabit
Zionskirche 1873 August Orth Berlin Zionskirchplatz
Anhalter Bahnhof 1872–1880 Franz Heinrich Schwechten Berlin-Kreuzberg
Kaserne des 3. Garderegiments 1874–1878 Otto Heimersdinger Berlin-Kreuzberg
Joachimsthaler Gymnasium 1875–1879 Johann Heinrich Strack Berlin-Wilmersdorf
S-Bahnhof Hackescher Markt (ehemals Börse) 1878–1882 Johannes Vollmer Berlin-Mitte
Martin-Gropius-Bau/ehemaliges Kunstgewerbemuseum 1881 Martin Gropius und Heino Schmieden Berlin-Kreuzberg
Geschäftshaus der Markthalle III (Zimmerstraße) 1886 Hermann Blankenstein Berlin-Mitte
Markthalle VI (Ackerstraße) 1886–1888 Hermann Blankenstein Berlin-Mitte
Krankenhaus Am Urban 1887–1890 Hermann Blankenstein Berlin-Kreuzberg
Markthalle X (Arminiusstraße) 1890–1891 Hermann Blankenstein Berlin-Moabit
Postfuhramt 1875–1881 Carl Schwatlo Berlin-Mitte Oranienburger Straße

Literaturhinweise

  • Manfred Klinkott: Die Backsteinbaukunst der Berliner Schule. Gebr. Mann Verlag, Berlin, ISBN 3-7861-1438-2
  • Sabine Bohle-Heintzenberg, Manfred Hamm: Architektur und Schönheit. Transit Verlag, Berlin, ISBN 3-88747-121-0
  • Andreas Kitschke, Wolfgang Brönner u. a.: Ludwig Persius – Architekt des Königs. Schnell & Steiner, ISBN 3-7954-1586-1

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