- Seeadler (Art)
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Seeadler Seeadler (Haliaeetus albicilla)
Systematik Klasse: Vögel (Aves) Ordnung: Greifvögel (Falconiformes) Familie: Habichtartige (Accipitridae) Gattung: Seeadler (Haliaeetus) Art: Seeadler Wissenschaftlicher Name Haliaeetus albicilla Linnaeus, 1758 Der Seeadler (Haliaeetus albicilla) ist ein sehr großer Greifvogel aus der Familie der Habichtartigen (Accipitridae). Seeadler bewohnen gewässerreiche Landschaften Eurasiens von Grönland bis zum Pazifik. Sie ernähren sich überwiegend von Fischen, Wasservögeln und Aas. Die Art wurde in Mittel- und Westeuropa durch menschliche Verfolgung und die Vergiftung durch das Insektizid DDT fast ausgerottet. Seit Mitte der 1980er Jahre nimmt der Bestand in weiten Teilen Europas jedoch wieder stark zu.
Inhaltsverzeichnis
Beschreibung
Seeadler gehören zu den größten Greifvögeln Mitteleuropas, im Westen der Paläarktis sind nur Mönchsgeier (Aegypius monachus), Bartgeier (Gypaetus barbatus) und Gänsegeier (Gyps fulvus) größer.
Im Sitzen sind Seeadler selbst auf große Entfernung meist durch ihre Größe, den etwas eckig wirkenden, sehr kräftigen und fast bulligen Körper, den sehr kräftigen und langen Hals, den großen Schnabel und die sehr kräftigen Fänge erkennbar. Das Gefieder adulter Seeadler ist überwiegend braun. Kopf, Hals, obere Brust und oberer Rücken sind gelblich ockerfarben aufgehellt. Der weiße Schwanz ist kurz und keilförmig. Der Schnabel ist im Vergleich zu anderen Greifvögeln sehr groß und kräftig und wie die Wachshaut hellgelb. Die Iris der Augen ist ebenfalls hellgelb. Anders als beim Steinadler (Aquila chrysaetos) sind die Beine nicht bis zu den Zehen befiedert. Auch im Flug sind Seeadler in Mitteleuropa kaum verwechselbar. Neben der bedeutenden Größe sind der weit vorgestreckte, lange und kräftige Hals und die breiten, brettförmigen und im Segelflug horizontal gehaltenen Flügel gute Merkmale. In größerer Höhe ist der weiße Schwanz oft kaum sichtbar, das Flugbild wird dann oft mit „fliegendem Gerüstbrett“ umschrieben. Im aktiven Flug werden die riesigen Flügel weit nach unten und nach oben durchgeschlagen.
Junge Seeadler sind dunkelbraun, Schnabel und Wachshaut sind dunkelgrau. Mit jeder Mauser werden sie den adulten Tieren ähnlicher, mit fünf Jahren zeigen sie das vollständige Adultkleid. Immature Seeadler werden wegen der häufig gut ausgebildeten dunklen Schwanzendbinde gelegentlich mit jungen Steinadlern verwechselt. Anhand der sehr unterschiedlichen Körperproportionen und den bei Seeadlern fehlenden hellen Flügelfeldern sind die Arten jedoch gut zu unterscheiden.
Seeadler erreichen eine Körperlänge von 74 bis 92 Zentimetern und eine Flügelspannweite von 193 bis 244 Zentimetern. Die Weibchen sind mit einem Gewicht von 3,7 bis 6,9 Kilogramm und einer Flügellänge von 621 bis 717 Millimetern im Mittel deutlich größer und schwerer als die Männchen mit 3,1 bis 5,4 Kilogramm und einer Flügellänge von 552 bis 652 Millimetern.[1]
Lautäußerungen
Der Balz-„Gesang“ des Seeadlers ist eine relativ hohe und etwas heisere, oft im Duett geäußerte Rufreihe wie „klü, klü, klü, klü, klü“ oder „rick, rick rick“, die zum Ende hin höher wird; dabei wird der Kopf nach oben geworfen. Die Rufreihe ist auf größere Entfernung dem Ruf des Schwarzspechtes nicht unähnlich. Der Ruf wird fast nur in Horstnähe und dort vor allem in der Morgen- und Abenddämmerung geäußert. Bei Störungen am Horst rufen die Altvögel anhaltend heiser und abgehackt „ak, ak, ak, ak, ak“, denselben Ruf äußern die Jungvögel im Nest bei Annäherung.
Verbreitung und Lebensraum
Die Verbreitung des Seeadlers erstreckt sich in einem breiten Streifen über die gemäßigten, borealen und arktischen Zonen Europas und Asiens von Island bis Kamtschatka und Japan. Außerdem ist Grönland von der Art besiedelt. In Europa reicht das Brutgebiet in Nord/Südrichtung von der Nordspitze Norwegens bis in den Norden Griechenlands. In Mittelasien folgt die Nordgrenze der Verbreitung etwa der nördlichen Grenze der Taiga, im Süden liegt die Verbreitungsgrenze in Israel, der Türkei, dem Irak, Iran und Kasachstan.
Der Seeadler ist an große Gewässer, also Küsten, große Seen und Flüsse gebunden. Im Binnenland Mitteleuropas sind Seeadler vor allem Bewohner der „Wald-Seen-Landschaften“. In Deutschland werden die höchsten Siedlungsdichten im Bereich der Müritz in Mecklenburg-Vorpommern sowie in der Oberlausitz Sachsens erreicht.
Systematik
Für den Seeadler werden heute keine Unterarten beschrieben. Früher wurden die Seeadler auf Grönland als eigene Unterart von der Nominatform abgetrennt, auch diese Trennung wird jedoch heute nicht mehr aufrechterhalten. Genetische Studien haben bestätigt, dass grönländische Seeadler relativ eng mit Seeadlern aus Westeuropa verwandt sind. Vermutlich geht der grönländische Bestand auf eine Besiedlung durch europäische Seeadler nach der Klimaerwärmung seit der letzten Eiszeit (<15.000 Jahre) zurück.[2] Allerdings scheinen die Seeadler auf Island und Grönland heutzutage nicht durch Genfluss mit europäischen Seeadlern verbunden zu sein.
In Aussehen, Verhalten und Ökologie ähnelt der Seeadler sehr dem amerikanischen Weißkopfseeadler. Einige Autoren vereinigen diese beiden Arten daher zu einer Superspezies.
Ernährung
Der Seeadler ernährt sich während der Brutzeit vor allem von Fischen und Wasservögeln, auch Aas wird gern genommen, lebende Säuger spielen meist nur eine untergeordnete Rolle. Fische werden häufig selbst erbeutet, Seeadler fressen jedoch auch tote und halb verweste Fische. Die im jeweiligen Lebensraum häufigsten Arten dominieren meist auch im Nahrungsspektrum des Seeadlers.
In Schleswig-Holstein bildeten Fische 73 % und Wasservögel 24 % der Beute. Die übrigen 3 % waren Säuger, vor allem Kaninchen und Feldhasen. Unter den Fischen waren Bleie mit 24 %, Karpfen mit 23 % und unbestimmte Karpfenfische (Cyprinidae) mit 29 % dominierend. Die am häufigsten erbeuteten Wasservögel waren hier Blässhuhn (56 %), Graugans (10 %) und Stockente (6 %).[3]
Im Winterhalbjahr steigt der Anteil der Wasservögel beträchtlich an und macht im mitteleuropäischen Binnenland etwa 80 % der Beute aus. Insbesondere im Winter spielt auch Aas eine bedeutende Rolle.
Die Fischbeute der an der finnischen Ostseeküste lebenden Seeadler besteht zur Brutzeit vor allem aus Hecht und Aland, unter den Vögeln dominieren hier Eiderente und verschiedene Säger (Mergus sp.), wobei die Anteile regional stark variieren. Auf den Åland-Inseln im Südwesten Finnlands waren Eiderenten mit 19,4 % die häufigste Beute, gefolgt von Hecht (15,5 %), verschiedenen Sägern (11,1 %), Aland (6,4 %) und Reiherente (4,4 %). In der Umgebung der Stadt Vaasa an der Westküste Finnlands dominierten Hechte mit 31,7 % die Beuteliste, gefolgt von Sägern (10,7 %), der Eiderente (10,5 %) und der Reiherente (8,7 %).[4]
Auf der nordrussischen Kola-Halbinsel leben Seeadler zur Brutzeit vor allem von Alanden (49,1 %), gefolgt von Hechten (16,7 %). Wasservögel machten hier 20,3 % der Beuteliste aus, Säuger 4,9 %.
Auch im äußersten Osten des Verbreitungsgebietes dominieren Fische in der Nahrung. Am unteren Amur machten 4 Fischarten (Giebel, Amur-Hecht (Esox reicherti), Amur-Wels (Parasilurus asotus) und Amur-Stachelwels (Pelteobagrus fulvidraco)) zur Brutzeit 93,8 % der Beute aus.[5]
Beuteerwerb
Die Methoden des Seeadlers beim Beuteerwerb sind sehr vielfältig. Seeadler nutzen zur Nahrungssuche an Gewässern bevorzugt störungsarme Sitzwarten, von denen aus sie stundenlang auf eine Gelegenheit zum Beuteerwerb warten. Die einfachste „Jagdmethode“ ist das Absammeln halbtoter oder toter Fische von der Wasseroberfläche. Ebenso wie lebende Fische werden diese vom niedrig über dem Wasser fliegenden Adler im Vorbeiflug aus dem Wasser gegriffen. Große Fische mit einem Gewicht von mehr als 2 Kilogramm werden in Ufernähe im Wasser gegriffen und festgehalten. Dabei kann der Adler in tieferem Wasser einige Minuten mit ausgebreiteten Flügeln auf dem Wasser liegen. Wenn der Fisch sich müde gekämpft hat, schwimmt der Adler mit seiner Beute an Land.
Gesunde Enten und Gänse fliegen beim Angriffsflug eines Seeadlers sofort auf und werden dann nicht weiter verfolgt. Die Adler nutzen dabei jedoch günstige Gelegenheiten, beispielsweise angeschossene oder kranke Vögel, im Sommer vor allem noch nicht flügge Jungvögel und flugunfähige Vögel in Vollmauser, im Winter zum Beispiel im Eis festgefrorene Vögel. Blässhühner fliegen beim Angriff eines Seeadlers nicht auf, sondern schließen sich dicht zusammen und laufen als geschlossene Gruppe flügelschlagend über das Wasser. Das dabei entstehende Rauschen ist weit zu hören. Winterliche Ansammlungen von Wasservögeln in Eislöchern ziehen oft größere Zahlen von Seeadlern an. Die Adler rütteln dann schwerfällig über dem Eisloch und erbeuten die Wasservögel durch gezielte Stoßflüge.
Einzelne Tauchenten, Lappentaucher oder Blässhühner, die sich Angriffen durch Abtauchen entziehen, werden durch den immer wieder angreifenden Adler so lange zum Tauchen gezwungen, bis sie erschöpft sind, und dann gegriffen. Diese Jagdmethode ist besonders effizient, wenn beide Partner eines Paares abwechselnd angreifen.
Zur Brutzeit werden Kolonien von Kormoranen und Graureihern, im Nordeuropa auch von Lummen und anderen Seevögeln, von Seeadlern regelmäßig aufgesucht und Jungvögel aus den Nestern erbeutet. In Kormorankolonien sammeln Seeadler auch auf dem Boden die von den Kormoranen ausgewürgten Fische ein. Erst in den letzten Jahren wurde bekannt, dass Seeadler auch regelmäßig Greifvogelnester ausnehmen. Mehrfach wurden in Seeadlernestern zum Beispiel tote oder sogar noch lebende nestjunge Mäusebussarde gefunden.[6]
Vor allem im Winter suchen Seeadler systematisch nach Aas. Dabei werden auch große Säuger wie Rothirsche und Wildschweine genutzt. Die Adler beobachten unter anderem Kolkraben und Krähen, die sich an solchen Kadavern oft in großen Schwärmen sammeln. Anthropogene Strukturen werden von den Adlern dabei nicht gemieden. An Bahnlinien fressen Seeadler regelmäßig verunfallte Tiere, in Gebieten mit regelmäßigen Jagden suchen Seeadler im Nachhinein oft nach liegengelassenen Organen der erlegten Tiere, dem sogenannten Aufbruch. Beides ist für die Adler jedoch nicht ungefährlich (siehe Abschnitt Lebenserwartung und Mortalität).
Seeadler versuchen also meist mit möglichst wenig Aufwand Nahrung zu erlangen und wirken dabei oft plump und träge, andererseits werden die Geschwindigkeit und die Wendigkeit, die dieser Adler entwickeln kann, oft unterschätzt. Im normalen Schlagflug fliegen Seeadler mit rund 60 km/h und sind ohne weiteres in der Lage, beispielsweise Kolkraben einzuholen. Die Erbeutung von Graureihern und Gänsen im freien Luftraum ist mehrfach beobachtet worden. Seeadler parasitieren auch sehr geschickt bei anderen Arten, vor allem Fischadlern (Pandion haliaetus) wird regelmäßig die Beute abgejagt. Funde von kleineren Vögeln wie adulten Eichelhähern, Elstern oder Waldschnepfen in Seeadlerhorsten haben gezeigt, dass offensichtlich auch mittelgroße Greifvogelarten wie Habicht oder Wanderfalke von Seeadlern parasitiert werden.
Sozialverhalten
Alte Seeadlerpaare leben in Dauerehe zusammen und zeigen vor allem im Winter beeindruckende Balzflüge. Bei den Balzflügen wechseln Synchronflüge, gemeinsames Kreisen und spielerisches Aufeinanderstoßen einander ab. An sonnigen Tagen mit starkem Wind ist die Flugaktivität besonders groß.
Junge und noch nicht ausgefärbte Artgenossen werden von territorialen Altvögeln meist ignoriert und im Revier geduldet. Ausgefärbte Fremdadler werden jedoch sofort heftig angegriffen und aus dem Revier vertrieben. Der angegriffene Fremdadler verlässt im Normalfall so schnell wie möglich das Revier des Paares. Regelmäßig werden in Brutrevieren jedoch Seeadler gefunden, die bei innerartlichen Beschädigungskämpfen schwer verletzt oder getötet wurden. Vermutlich kommt es zu solchen Kämpfen, wenn der revierbesitzende Vogel durch hohes Alter, kleine Verletzungen oder Ähnliches geschwächt ist und der eindringende Vogel eine Chance auf die Übernahme des Revieres sieht.
Junge und immature Adler schließen sich insbesondere an nahrungsreichen Stellen zu größeren Gruppen zusammen und nutzen gemeinsame Schlafplätze. An Stellen mit hohem Nahrungsangebot, wie zum Beispiel beim Abfischen in Teichanlagen oder an großen Kadavern, finden sich daher oft 20 und mehr Seeadler ein. Innerhalb dieser Gruppen sind spielerische Balgereien um Beute oder die besten Ruheplätze häufig.
Fortpflanzung
Seeadler errichten gewaltige Horste aus Ästen. Die Nestmulde wird mit Gras und Moos ausgekleidet. In Mitteleuropa werden zur Horstanlage alte Bäume benutzt, in Norddeutschland vor allem Rotbuchen, in Ostdeutschland neben der Rotbuche vor allem Waldkiefern. Neue Horste haben einen Durchmesser von etwa 1,2 bis 1,5 Metern und eine Höhe von 50 bis 80 Zentimetern, alte und über Jahrzehnte genutzte Horste können einen Durchmesser von zwei Metern, eine Höhe von drei bis fünf Metern und ein Gewicht von 600 Kilogramm erreichen. An den Küsten Nordeuropas, zum Beispiel in Norwegen, brüten viele Seeadler in Felswänden, auf abgelegenen und baumlosen Inseln auch auf dem Boden. Viele Reviere weisen einen oder mehrere Wechselhorste auf, die abwechselnd oft über Jahrzehnte genutzt werden.
In Mitteleuropa beginnt die Brut zwischen Mitte Februar und Mitte März. Das Gelege besteht aus ein bis drei weißen Eiern, die Brutzeit beläuft sich auf ca. 38 Tage. Die Jungvögel erreichen nach rund 75 Tagen das Ästlingsstadium und nach 80 bis 90 Tagen können sie schon kurze Strecken fliegen.
Wanderungen
Adulte Seeadler sind in fast ganz Europa Standvögel und bleiben ganzjährig in ihrem Revier. Junge und immature Seeadler streifen ebenso wie adulte revierlose Vögel auf der Suche nach günstigen Ernährungsmöglichkeiten weiträumig in Europa umher. Die Seeadler im Norden von Russland und Sibirien sind Zugvögel. Sie überwintern auf Hokkaidō und in Korea, in Süd-China und im Norden Indiens, in Pakistan und weiter westlich häufig am Kaspischen Meer, selten in Arabien, der Türkei und auf Zypern.
Lebenserwartung und Mortalität
Die Sterblichkeit in den ersten Lebensjahren ist verglichen mit kleineren Greifvogelarten sehr gering. Bei einer Studie in Norwegen wurden nestjunge Seeadler mit Satellitensendern versehen, mindestens 86 % aller Jungvögel überlebten die ersten zwei Lebensjahre.[7] In Finnland wurde die Sterblichkeit anhand von Ablesungen beringter Vögel an Fütterungsstellen berechnet, sie betrug bis zum ersten Winter (also von der Beringung bis zum Winter im Jahr der Beringung) 14 %, vom ersten bis zum zweiten Winter 7 % und vom zweiten bis zum dritten Winter 4 %.[8] Vergleichbare Untersuchungen liegen aus Mitteleuropa bisher nicht vor.
Angaben zum durchschnittlichen Alter von Brutvögeln liegen bisher aus Schleswig-Holstein vor. Im Jahr 2006 wurden 35 beringte Brutvögel identifiziert, diese hatten ein Alter von 4-20 Jahren, im Mittel 10,3 Jahre. Der überwiegende Teil der Vögel (80 %) war zwischen 6 und 14 Jahre alt.[9]
Die heutige Mortalität in Mitteleuropa ist überwiegend auf menschliche Einflüsse zurückzuführen. Die bedeutendsten anthropogenen Todesfälle sind hier Bleivergiftungen durch die Aufnahme von Bleipartikeln aus Jagdgeschossen, Kollisionen mit anthropogenen Strukturen wie Eisenbahnen, Oberleitungen und Windrädern sowie Stromschläge an Hochspannungsleitungen. Die wichtigste natürliche Verlustursache sind Verletzungen bei Revierkämpfen.
So hatten von 87 zwischen 1998 und 2006 verletzt oder geschwächt gefundenen Seeadlern aus Deutschland 33 % eine Bleivergiftung, 12 % waren sicher mit anthropogenen Strukturen kollidiert, 5 % waren Opfer von Stromschlägen. Weitere 22 % wiesen ebenfalls Anflugverletzungen wie Knochenbrüche und ähnliches auf, ohne dass die verursachende Struktur ermittelt werden konnte, da viele dieser Vögel offenbar schon tage- oder wochenlang flugunfähig gewesen waren und weite Strecken zu Fuß zurückgelegt hatten. Verletzungen durch innerartliche Revierkämpfe wurden bei 9 % der Fundtiere festgestellt, diese traten nur bei adulten und immaturen Adlern auf. Im Unterschied zu kleineren Greifvogelarten, bei denen die größte Sterblichkeit bei Jungvögeln im ersten Lebensjahr auftritt, waren hier 43 % der gefundenen Vögel adult, weitere 18 % waren immatur und nur 39 % waren im Nestlingsalter oder im Jugendkleid. Von den 23 in dieser Studie erfassten nestjungen und eben flüggen Seeadlern hatten zudem 11 das Pinching-Off-Syndrom, eine vermutlich genetisch bedingte schwere Befiederungsstörung. Ohne diese bisher nur in Mittel- und Westeuropa auftretende Erkrankung wäre der Anteil der Jungvögel noch deutlich geringer gewesen.[10]
Bleivergiftungen sind zum einen auf Bleischrot zurückzuführen, wie er für die Jagd auf Wasservögel, Tauben, Fasane, Füchse, etc. verwendet wird, aber vor allem auf bleihaltige Kugelmunition, mit der Paarhufer (u. a. Rehe, Hirsche und Wildschweine) erlegt werden. Diese Projektile zersplittern beim Aufprall und kontaminieren große Teile des Tierkörpers mit Bleisplittern.[11] Seeadler suchen insbesondere im Winter systematisch nach Aas und nutzen dann die am Ort der Erlegung vom Jäger zurückgelassenen Innereien sowie Tiere, die beschossen und trotz Nachsuche nicht gefunden werden. Die sauren Magensäfte des Seeadlers lösen Blei sehr schnell auf, das Blei gelangt dann in die Blutbahn. Das toxische Schwermetall Blei schädigt unter anderem das Zentralnervensystem und die Blutbildung der Adler. Dies führt häufig zu zentralnervösen Ausfallerscheinungen bis zur völligen Blindheit. Die Störung der Blutbildung führt zu Sauerstoffmangel, viele der Adler ersticken daher qualvoll.[12] [13] Bleifreie Alternativmunition ist seit längerem verfügbar. Erste Schritte zum Verbot bleihaltiger Kugelmunition haben bisher die Landesforstverwaltungen der Länder Berlin und Brandenburg unternommen.
Bestandsentwicklung und Gefährdung
Im Rahmen der allgemein praktizierten Verfolgung aller Greifvögel etwa ab Mitte des 17. Jahrhunderts wurden auch Seeadler in weiten Teilen ihres Verbreitungsgebietes intensiv verfolgt. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts waren sie in ganz Westeuropa ausgerottet, die westlichsten Vorkommen gab es in Mitteleuropa zu dieser Zeit in den heutigen Bundesländern Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg. Auch die Vorkommen in Skandinavien und Finnland waren bis auf kleine Reste verschwunden. Ab Anfang des 20. Jahrhunderts gab es erste Schutzbemühungen, die in den 20er Jahren vor allem durch ein Buch von Bengt Berg, „Die letzten Adler“, in ganz Europa erheblich verstärkt wurden. Die Bestände zeigten durch die Jagdverschonung deutliche Zuwächse. In dieser Zeit wurde unter anderem Sachsen-Anhalt (1932), Schleswig-Holstein (1947) und Dänemark (1952) wieder besiedelt.
In den 50er und 60er Jahren kam es jedoch wieder zu einer rapiden Abnahme der Bestände, da die Vögel kaum noch Nachwuchs bekamen. Dies lag an den Folgen der Verwendung von DDT. Das nach 1945 weltweit häufig eingesetzte Insektizid DDT bzw. dessen Metabolit DDE reicherte sich über die Nahrungskette besonders in aquatischen Lebensräumen stark an und führte beim Seeadler und anderen Greifvögeln zu sehr dünnen Eierschalen. Die Eier zerbrachen während der Brut oder starben ab. Mit dem Verbot von DDT ab Anfang der 70er Jahre erholten sich die Bestände wieder, seit 1990 zeigen viele Populationen, darunter auch die deutsche, ein sehr starkes Wachstum und eine deutliche Ausbreitungstendenz. So stieg die Zahl der Brutpaare in Deutschland von 185 im Jahr 1990 auf 470 im Jahr 2004, 2007 wurden 575 Brutpaare in Deutschland gezählt. Ähnliche Entwicklungen fanden in Polen, Finnland und Schweden statt. Wieder besiedelt wurden unter anderem Tschechien (1984), Niedersachsen (1987), Dänemark (1995), Österreich (2001), Bayern (2006) und die Niederlande (2006). Bestandsschätzungen gehen derzeit weltweit von bis zu 12.000 Brutpaaren aus.
Genetische Studien haben gezeigt, dass der lokale Schutz von Seeadlern ein großer Erfolg für den Naturschutz war.[14][15][16] Verbot der DDT-Nutzung, lokaler Nestplatzschutz, Winterfütterung und die unzähligen weiteren Schutzmaßnahmen in vielen Ländern führten insgesamt dazu, dass sich die Seeadlerbestände regional erholten. Dies führte dazu, dass trotz der massiven Bestandsrückgänge während des 19. und 20. Jahrhunderts, relativ viel genetische Variation erhalten blieb. Diese Tatsache sehen Naturschutzbiologen als wichtigen Faktor für das langfristige Überleben der Art an.
Die IUCN hat den Seeadler bis 1993 als „gefährdet“ geführt, 1994 wurde die Art wegen der Bestandszunahmen auf „gering gefährdet“ und 2005 auf „nicht gefährdet“ heruntergestuft.
Quellen
Einzelnachweise
- ↑ J. Ferguson-Lees, D. A. Christie 2001: Raptors of the World. Christopher Helm, London: S. 406. ISBN 0-7136-8026-1
- ↑ F: Hailer, B. Helander, A. O. Folkestad, S. A. Ganusevich, S. Garstad, P. Hauff, C. Koren, V. B. Masterov, T. Nygård, J. A. Rudnick, S. Saiko, K. Skarphedinsson, V. Volke, F. Wille und C. Vilà 2007: Phylogeography of the white-tailed eagle, a generalist with large dispersal capacity. Journal of Biogeography 34, Heft 7: S. 1193–1206. doi:10.1111/j.1365-2699.2007.01697.x Abstract, engl.
- ↑ B. Struwe-Juhl 2003: Why do White-tailed Eagles prefer coots? In: B. Helander, M. Marquiss & W. Bowerman (eds.): Sea Eagle 2000. Proceedings from an international Sea Eagle Conference at Björko, Sweden, 13-17 September 2000. Swedish Society for Nature Conservation/SNF & Atta. 45 Tryckeri AB. Stockholm: S. 317-325. ISBN 91-558-1551-0
- ↑ S. Sulkava, K. Huhtala & R. Tornberg 2003: Summer diet of the White-tailed Eagle in Finland in the 1990s. In: B. Helander, M. Marquiss & W. Bowerman (eds.): Sea Eagle 2000. Proceedings from an international Sea Eagle Conference at Björko, Sweden, 13-17 September 2000. Swedish Society for Nature Conservation/SNF & Atta. 45 Tryckeri AB. Stockholm: S. 307-314. ISBN 91-558-1551-0
- ↑ V. B. Masterov 2003: Resource consumption and energy expenses of Steller's and White-tailed Sea Eagles in the mixed settlements of the far east of Russia. In: B. Helander, M. Marquiss & W. Bowerman (eds.): Sea Eagle 2000. Proceedings from an international Sea Eagle Conference at Björko, Sweden, 13-17 September 2000. Swedish Society for Nature Conservation/SNF & Atta. 45 Tryckeri AB. Stockholm: S. 327-339. ISBN 91-558-1551-0
- ↑ z. B. M. Müller und T. Lauth 2006: Aufzucht eines jungen Mäusebussards Buteo buteo in einer Brut des Seeadlers Haliaeetus albicilla endet nicht erfolgreich. Orn. Rundbrief Meckl.-Vorp. 45: S. 399-401
- ↑ T. Nygård, R. E. Kenward, K. Einvik: Radio telemetry studies of dispersal and survival in juvenile white-tailed sea eagles Haliaeetus albicilla in Norway. In: R. D. Chancellor und B.-U. Meyburg: Raptors at risk. 2000: S. 487-497
- ↑ P. Saurola, T. Stjernberg, J. Högmander, J. Koivusaari, H. Ekblom und B. Helander 2003: Survival of juvenile and sub-adult Finnish white-tailed eagles in 1991-1999: a preliminary analysis based on resightings of colour-ringed individuals. In: Sea Eagle 2000: S. 155-167.
- ↑ B. Struwe-Juhl und T. Grünkorn 2007: Ergebnisse der Farbberingung von Seeadlern Haliaeetus albicilla in Schleswig-Holstein mit Angaben zu Ortstreue, Umsiedlung, Dispersion, Geschlechtsreife, Altersstruktur und Geschwisterverpaarung. Vogelwelt 128: S. 117–129
- ↑ K. Müller, R. Altenkamp und L. Brunnberg 2007: Morbidity of Free-ranging White-tailed Sea Eagles Haliaeetus albicilla in Germany. Journal of Avian Medicine and Surgery 21, Heft 4: S. 265-274 PMID 18351005
- ↑ A. Trinogga und O. Krone 2008: Wundballistik gängiger bleihaltiger und bleifreier Büchsengeschosse. In: O. Krone: Bleivergiftungen bei Seeadlern: Ursachen und Lösungsansätze. Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW), Berlin, ISBN 978-3-00-025829-9: S. 8-20.
- ↑ T. Langgemach, N. Kenntner, O. Krone, K. Müller, P. Sömmer 2006: Anmerkungen zur Bleivergiftung von Seeadlern (Haliaeetus albicilla). Natur und Landschaft 81, Heft 6: S. 320-325 (Volltext als PDF)
- ↑ Kenntner, N., G. Oehme, D. Heidecke & F. Tataruch 2004: Retrospektive Untersuchung zur Bleiintoxikation und Exposition mit potenziell toxischen Schwermetallen von Seeadlern Haliaeetus albicilla in Deutschland. Vogelwelt 125: S. 63-75.
- ↑ Hailer, F., Helander, B., Folkestad, A. O., Ganusevich, S. A., Garstad, S., Hauff, P., Koren, C., Nygård, T., Volke, V., Vilà, C., & Ellegren, H. (2006). Bottlenecked but long-lived: high genetic diversity retained in white-tailed eagles upon recovery from population decline. Biology Letters 2 (2): S. 316-319. doi:10.1098/rsbl.2006.0453 Artikel Electronic appendix
- ↑ Frank Hailer (2006) Conservation genetics of the white-tailed eagle (Haliaeetus albicilla). PhD thesis, Uppsala University, Sweden. Thesis summary
- ↑ Hailer, F., Gautschi, B., & Helander, B. (2005). Development and multiplex PCR amplification of novel microsatellite markers in the White-tailed Sea Eagle, Haliaeetus albicilla (Aves: Falconiformes, Accipitridae). Molecular Ecology Notes 5 (4): 938-940. doi:10.1111/j.1471-8286.2005.01122.x (Abstract)
Literatur
- J. Ferguson-Lees, D. A. Christie 2001: Raptors of the World. Christopher Helm, London: S. 112–113 und 402–406. ISBN 0-7136-8026-1
- Fischer, W. 1984: Die Seeadler. Wittenberg. ISSN 0138-1423
- Helander, B., M. Marquiss & W. Bowerman (eds.) 2003: Sea Eagle 2000. Stockholm. ISBN 91-558-1551-0
- Projektgruppe Seeadlerschutz Schleswig-Holstein 1998: 30 Jahre Seeadlerschutz in Schleswig-Holstein. Kiel.
- Corax Band 19, Sonderheft 1 2002 (Sonderheft zum Seeadler in Europa)
Weblinks
Commons: Seeadler (Haliaeetus_albicilla) – Album mit Bildern und/oder Videos und AudiodateienWiktionary: Seeadler – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen- Seeadlerprojekt des WWF Österreich
- Projektgruppe Seeadlerschutz Schleswig-Holstein
- Fotoserie eines Seeadlers auf Kranichjagd
- Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW): Bleivergiftungen bei Seeadlern: Ursachen und Lösungsansätze
- Haliaeetus albicilla in der Roten Liste gefährdeter Arten der IUCN 2008. Eingestellt von: BirdLife International, 2008. Abgerufen am 13. Oktober 2008
- Videos, Fotos und Tonaufnahmen zu Haliaeetus albicilla in der Internet Bird Collection
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