CHADS2-Score

CHADS2-Score

Vorhofflimmern ist eine vorübergehende (paroxysmale oder intermittierende) oder dauerhafte (permanente) Herzrhythmusstörung mit ungeordneter Tätigkeit der Herzvorhöfe. Gebräuchliche Abkürzungen sind AF oder AFib (von englisch Atrial fibrillation), Vfli, VoFli, VHF und VHFli.

Vorhofflimmern ist die häufigste bedeutsame Herzrhythmusstörung, allein in Deutschland leiden darunter etwa 300.000 Menschen. Im Unterschied zum Kammerflimmern ist Vorhofflimmern nicht lebensbedrohlich. Etwa 70 Prozent der Vorhofflimmer-Attacken bemerken die Patienten nicht. Die Betroffenen klagen meist unspezifische Beschwerden wie Müdigkeit, Palpitationen oder Schlafstörungen. Herzrasen bemerken 70-80% der symptomatischen Patienten. Darüber hinaus bedeutet Vorhofflimmern bei vielen Patienten ein erhöhtes Schlaganfallrisiko.[1]

Heutzutage kann den meisten Patienten eine medikamentöse oder invasive Behandlung angeboten werden, die eine normale oder fast normale Lebensweise ermöglicht.

Inhaltsverzeichnis

Einteilung

Klassifikation nach ICD-10
I48.10 Paroxysmales Vorhofflimmern
I48.11 Chronisches Vorhofflimmern
I48.19 Vorhofflimmern, nicht näher bezeichnet
ICD-10 online (WHO-Version 2006)

Vorhofflimmern wird nach einem international anerkannten Datenstandard der American Heart Association (AHA) und des American College of Cardiology (ACC) in

  1. erstmals entdecktes Vorhofflimmern,
  2. paroxysmales Vorhofflimmern,
  3. persistierendes Vorhofflimmern und
  4. permanentes Vorhofflimmern

eingeteilt. Danach gilt Vorhofflimmern als paroxysmal, wenn es innerhalb von sieben Tagen nach vermutetem Beginn spontan endet. Als persistierend wird es bezeichnet, wenn es länger als sieben Tage anhält oder durch medikamentöse oder elektrische Kardioversion beendet wird. Als permanent wird Vorhofflimmern klassifiziert, wenn eine Kardioversion erfolglos blieb oder nicht erfolgreich erscheint.[2]

Je nach Pulsfrequenz wird Vorhofflimmern auch in Bradyarrhythmia absoluta (Puls unter 50 Schläge pro Minute), normfrequente absolute Arrhythmie (Puls 50 bis 100 Schläge pro Minute) und Tachyarrhythmia absoluta (Puls über 100 Schläge pro Minute) eingeteilt.

Wenn der Zeitpunkt bekannt ist, an dem das Vorhofflimmern begann, kann auch zwischen vagal (meist während der Nacht) und sympathoton (oft bei Stress, körperlicher Anstrengung oder morgens nach dem Aufstehen) ausgelöstem Vorhofflimmern unterschieden werden.

Pathophysiologie

Im Normalzustand, d. h. bei Sinusrhythmus, werden die Vorhöfe und Kammern des Herzens unmittelbar nacheinander etwa 70-mal pro Minute stimuliert (vgl. Aufbau und Erregungsleitungssystem des Herzens). Die Muskelkontraktion der Vorhöfe führt zu einer zusätzlichen Blutfüllung der Kammern, die etwa 150 Millisekunden später ebenfalls kontrahieren. Diese Funktion der Vorhöfe ist mit der einer Einspritzpumpe beim Motor vergleichbar und erhöht das Schlagvolumen der Herzkammern um ca. 15%.

Beim Vorhofflimmern hingegen werden die Vorhöfe mit einer Frequenz von 350 bis 600 pro Minute stimuliert. Dies führt zu schnellen und ungeordneten, manchmal kaum wahrnehmbaren Bewegungen ihrer Wände, dem Flimmern.

Schematische Darstellung der Erregungsausbreitung im Herzen
bei Sinusrhythmus
bei Vorhofflimmern
Legende

Wesentliche Folgen des Vorhofflimmerns sind:

  • Unregelmäßiger Puls (absolute Arrhythmie oder Arrhythmia absoluta). Die Brems- und Filterfunktion des AV-Knotens leitet pro Minute von den 350-600 Vorhofimpulsen in unregelmäßigen Abständen nur etwa 100 bis 160 zu den Kammern über.
  • Zu schneller Puls (Tachykardie) im unbehandelten Zustand. Zwar schützt der AV-Knoten die Herzkammern in der Regel vor Pulsfrequenzen über 200 pro Minute, aber auch die dann typischen Frequenzen von 100 bis 160 pro Minute sind für das Herz auf Dauer nicht ökonomisch und können über Wochen zu einer Herzmuskelschwäche mit Herzinsuffizienz führen.
  • Leichte Einschränkung der Pumpleistung des Herzens durch den Verlust der geordneten Vorhofkontraktion. Dies kann zu einer meist nur leichten Verschlechterung der Belastbarkeit, bei vorgeschädigten Herzen aber ebenfalls zu einer relevanten Herzinsuffizienz führen.
  • Erhöhtes Risiko für Embolien. In den Vorhöfen können sich (bevorzugt im linken Herzohr) auf Grund des veränderten Blutflusses leichter Blutgerinnsel (Thromben) bilden. Diese Thromben wiederum können sich lösen und dann im Körper zu embolischen Gefäßverschlüssen führen. Besonders gefürchtet sind Schlaganfälle durch Hirnembolien.

Ursachen

Vorhofflimmern kann ohne erkennbare Ursache (idiopathisch) oder ohne erkennbare Grundkrankheit (lone atrial fibrillation) auftreten. Dies ist bei etwa einem Drittel der Patienten der Fall, häufiger bei paroxysmalem (ca. 45%) als bei permanentem Vorhofflimmern (ca. 25%). Etwa 20–30% der Patienten leiden an einer koronaren Herzkrankheit, ebenfalls etwa 20–30% an einer arteriellen Hypertonie (Bluthochdruck), knapp 20% an einem Herzklappenfehler und etwa 15% an einer Herzmuskelerkrankung. Die häufigste extrakardiale Ursache von Vorhofflimmern bei etwa 0,5–3% der Patienten ist eine manifeste oder auch nur latente Überfunktion der Schilddrüse (Hyperthyreose) mit einem fünf– bis sechsfach erhöhten Risiko für Vorhofflimmern. Daneben kann Vorhofflimmern nach Operationen auftreten, insbesondere einige Tage nach thoraxchirurgischen Eingriffen (Bypass-Operationen, Lungenresektionen).

Elektrophysiologisch werden im Wesentlichen zwei Mechanismen für das Vorhofflimmern verantwortlich gemacht:

  • Sogenannte Triggerarrhythmien (atriale Extrasystolen und hochfrequente fokale atriale Tachykardien) als Auslöser, die ihren Ursprung oft in einer der Lungenvenen haben und
  • kreisende Erregungen auf der Basis anatomischer und elektrophysiologischer Eigenschaften der Vorhöfe, die die Entstehung und Aufrechterhaltung von Vorhofflimmern begünstigen.

Daneben können auch Vorhofflattern, andere supraventrikuläre Arrhythmien und die Beeinflussung der Herzfrequenz durch das autonome Nervensystem zu Vorhofflimmern führen. Interessanterweise führt auch das Vorhofflimmern selbst zu „Anpassungsvorgängen“ der Vorhöfe (atrial remodeling), die ihrerseits Vorhofflimmern aufrecht erhalten können („Vorhofflimmern unterhält Vorhofflimmern“).

Dieses „Remodeling“ betrifft elektrische, kontraktile und ultrastrukturelle Eigenschaften der Vorhöfe.

  • Als „elektrische Remodeling“ bezeichnet man eine Verkürzung des Aktionspotenzials und damit auch der atrialen Refraktärzeit, verursacht durch einen verminderten Einstrom von Ca2+-Ionen in die Muskelzellen der Vorhöfe.
  • Dieser verminderte Ca2+-Einstrom führt auch zum „kontraktilen Remodeling“, einem Verlust an Kontraktionskraft der Vorhofmuskulatur, der auch nach erfolgreicher Kardioversion noch einige Zeit bestehen bleibt.
  • Die Schwäche der Muskulatur fördert auch eine zunehmende Vergrößerung der Vorhöfe, die durch erhöhten Druck bereits gedehnt sind. Diese Vergrößerung wiederum führt an der Vorhofmuskulatur zu Hypertrophie, beschleunigtem Zelltod und Fibrosierung, was als „ultrastrukturelles Remodeling“ bezeichnet wird.[3]

Erst in den letzten Jahren wurden Hinweise auf eine genetische Veranlagung für Vorhofflimmern gefunden:

  • in den Jahren 2002 und 2003 wurde unabhängig voneinander eine meist autosomal dominant vererbte Mutation am Gen KCNQ1 beschrieben, die zu einem erhöhten Fluss von Kaliumionen während der Repolarisation führt und so das Auftreten von Vorhofflimmern begünstigt.
  • 2004 publizierten Fox und Mitarb. die Ergebnisse einer prospektiven Studie an 2243 Nachkommen der Framingham-Herz-Studie, die u. a. ein doppelt so hohes Risiko für Vorhofflimmern aufzeigte, wenn mindestens ein Elternteil bereits Vorhofflimmern hatte.

Epidemiologie und Prognose

Angaben zur Häufigkeit von Vorhofflimmern stammen vorwiegend aus den USA und Westeuropa, ein Großteil davon aus Studien mit bereits erkrankten Patienten. Vorhofflimmern ist die häufigste anhaltende Herzrhythmusstörung und wird bei insgesamt 0,4–2 % der Gesamtbevölkerung beobachtet. Die Prävalenz steigt altersabhängig von weniger als 1% bei unter 60-jährigen auf etwa 6 % bei über 65-jährigen und 8–10 % bei über 75-jährigen an. Bei etwa 25 % aller über 40-jährigen wird im weiteren Verlauf Vorhofflimmern auftreten.[4] Vorhofflimmern ist bei Männern etwas häufiger als bei gleichaltrigen Frauen.

Das Risiko für Vorhofflimmern steigt mit dem Schweregrad bestehender Herzerkrankungen beträchtlich. So fand man bei der Herzinsuffizienz im Stadium NYHA I eine Prävalenz von 4 %, in den Stadien NYHA II und III von etwa 25 % und im Stadium NYHA IV eine von 50 %.

Die Mortalität ist bei Vorhofflimmern etwa doppelt so hoch wie bei Gleichaltrigen mit normalem Herzrhythmus, was allerdings überwiegend oder ausschließlich auf die häufigeren Herzerkrankungen zurückzuführen ist. Im Durchschnitt erleiden jährlich etwa 6 % der Patienten mit Vorhofflimmern einen Schlaganfall, 15–20 % aller Schlaganfälle ereignen sich bei Vorhofflimmern.

Im Jahr 2006 wird mit etwa 2,5 Mio. US-Amerikanern und 4,5 Mio. EU-Bürgern mit Vorhofflimmern gerechnet. Die durch Vorhofflimmern verursachten Kosten werden für die EU-Länder auf € 13,5 Mrd. jährlich geschätzt. Die Zahl der Krankenhausaufenthalte wegen Vorhofflimmerns hat von 1996 bis 2006 um 66 % zugenommen.[5]

Diagnostik

Die Diagnostik beim Vorhofflimmern muss klären,

  • ob tatsächlich Vorhofflimmern besteht,
  • ob Komplikationen eingetreten oder zu erwarten sind,
  • ob eine wesentliche Grund- oder Begleiterkrankung vorliegt,
  • welche Behandlungsstrategie sinnvoll ist und
  • ob und welche Form der Blutgerinnungshemmung (Antikoagulation) notwendig ist.

Unverzichtbar für die Beantwortung dieser Fragen ist zunächst die Krankengeschichte (Anamnese), wobei insbesondere

  • die bisherige Dauer des Vorhofflimmerns,
  • die Dauer und Häufigkeit vorheriger Episoden,
  • evtl. auslösende Faktoren wie Alkoholgenuss, Schlafdefizit oder Operationen,
  • bekannte Herz- oder Schilddrüsenerkrankungen,
  • die aktuellen Beschwerden während der Rhythmusstörung und
  • bereits erfolgte Therapien oder Therapieversuche

von Bedeutung sind.

Schematische Darstellung des EKG bei Vorhofflimmern (oben) im Vergleich zum Sinusrhythmus (unten).
Roter Pfeil: „Flimmern“ der Grundlinie
Blauer Pfeil: P-Welle

Vorhofflimmern diagnostizieren

Unregelmäßiger und meist zu schneller Puls ist das Leitsymptom des Vorhofflimmerns und wird fast immer bereits bei der Palpation und Auskultation im Rahmen der körperlichen Untersuchung festgestellt.

Im EKG fehlen die „Vorhofwellen“ (P-Wellen), stattdessen besteht oft ein unregelmäßiges „Flimmern“ der Grundlinie. Unregelmäßig auftretende „Kammerzacken“ (QRS-Komplexe) lassen Vorhofflimmern manchmal besser erkennen als diese Flimmerwellen. Selten kann auch bei Vorhofflimmern eine regelmäßige Kammeraktion bestehen, etwa beim AV-Block III°, bei manchen Schrittmacherpatienten oder während einer Kammertachykardie.

Herzfrequenzdiagramm eines LZ-EKG mit einer Episode von Vorhofflimmern zwischen 23:00 und 3:20 Uhr

Paroxysmales Vorhofflimmern kann oft erst im Langzeit-EKG (LZ-EKG, meist über 24 Stunden durchgeführt), mittels Event-recording (über mehrere Tage oder Monate) oder durch einen implantierten Event-recorder (über Jahre) diagnostiziert werden, da zwischenzeitlich immer wieder Phasen eines normalen regelmäßigen Pulses (Sinusrhythmus) mit normalem EKG bestehen.

Komplikationen und Begleiterkrankungen erkennen

Eine Herzinsuffizienz als eine wichtige Komplikation des Vorhofflimmerns wird meist anhand der Symptome des Patienten vermutet und dann im Herzultraschall des Herzens (Echokardiografie) bestätigt. Gleichzeitig können bei der Echokardiografie Herzklappenfehler (insbesondere der Mitralklappe), andere Herzfehler oder ein Herzinfarkt als mögliche Ursachen von Vorhofflimmern identifiziert werden. Die Laboruntersuchung des Blutes wird benötigt, um eine Überfunktion der Schilddrüse oder Elektrolytstörungen auszuschließen. Als wohl wichtigste Komplikation des Vorhofflimmerns ist die Thrombembolie zu nennen. Dabei handelt es sich um das Loslösen von kleinen Blutgerinnseln aus den Herzvorhöfen mit nachfolgender Verstopfung von Arterien (z. B. von Arterien des Gehirnes mit der Folge eines Schlaganfalls).

Therapie

Die Therapie von Vorhofflimmern zielt im Wesentlichen auf zwei Kernprobleme,

  1. die Behandlung der Rhythmusstörung selbst und
  2. die Vermeidung von Embolien.

Behandlung des Vorhofflimmerns

Neu aufgetretenes Vorhofflimmern hat eine hohe „Selbstheilungsrate“. Bei mehr als der Hälfte der Patienten endet es innerhalb von 24 Stunden spontan (spontane Kardioversion). Deshalb kann sich die Behandlung in dieser Zeit in der Regel auf eine Senkung der Pulsfrequenz mit Betablockern, Verapamil oder Diltiazem beschränken. Die früher gebräuchliche Kombination mit Digitalispräparaten wird ebenfalls noch angewandt, ist aber in den Hintergrund getreten. Beeinflussbare Faktoren, die das Vorhofflimmern begünstigen, werden möglichst ausgeschaltet. Dabei ist an zu hohe Blutdruckwerte, Elektrolytstörungen, Durchblutungsstörungen des Herzens und eine Schilddrüsenüberfunktion zu denken.

Bei anhaltendem Vorhofflimmern sind prinzipiell zwei verschiedene Therapiestrategien möglich:

Schematische Darstellung einer Ablation in den Lungenvenen. Der Katheter erreicht (von unten) über die untere Hohlvene, den rechten Vorhof und den linken Vorhof die Mündung der linken oberen Lungenvene
  1. Rhythmuskontrolle: Durch medikamentöse oder elektrische Kardioversion wird versucht, den normalen Sinusrhythmus wieder herzustellen. Bei erneutem Vorhofflimmern (Rezidiv) wird wiederum kardiovertiert, zur Vermeidung von Rezidiven werden oft Antiarrhythmika (z. B. Amiodaron, Flecainid) oder Betablocker verordnet. Bei unbefriedigendem Verlauf unter medikamentöser Therapie kann eine Verödung (Ablation) von Teilen der Herzinnenhaut (Endokard) erwogen werden, die entweder operativ (wird kaum noch durchgeführt) oder im Rahmen einer Herzkatheterprozedur (Katheterablation) durchgeführt wird. Dabei werden entweder längsverlaufende Läsionen im Bereich des linken Vorhofes gesetzt oder Muskelbündel an den Mündungen der Lungenvenen ringförmig abgetragen (Pulmonalvenenablation). Diese Prozeduren sind aufwändig (lange Eingriffsdauer) und durch mögliche Komplikationen (insbesondere Thrombembolien und Pulmonalvenenstenosen) belastet. Die Langzeitergebnisse sind uneinheitlich, mit einer Besserung kann bei 50-80 % der Patienten gerechnet werden. Ebenfalls noch experimentell sind Versuche, mittels Herzschrittmacher-Therapie das Auftreten von Vorhofflimmern zu unterdrücken, bei einigen Patienten mit paroxysmalem Vorhofflimmern führen spezielle Stimulationstechniken zu einer deutlichen Senkung der Anfallshäufigkeit.
  2. Frequenzkontrolle: Das Vorhofflimmern wird belassen, folglich kein Kardioversionsversuch unternommen. Die Herzfrequenz wird, falls erforderlich, durch eine medikamentöse Therapie mit Betablockern, Digitalis, Diltiazem oder Verapamil in den normalen Bereich zwischen 60 und 80 Schlägen pro Minute abgesenkt.

Da sich diese Strategien in mehreren großen Studien als prognostisch gleichwertig herausgestellt haben, gilt heute das Ausmaß der Patientenbeschwerden (die klinische Symptomatik) als entscheidendes Kriterium für die Wahl der Therapie.

Embolieprophylaxe, CHADS2-Score

Bei länger als 48 Stunden anhaltendem Vorhofflimmern steigt das Risiko für die Bildung von Blutgerinnseln (Thromben) insbesondere im linken Vorhof des Herzens. Diese Thromben können sich lösen, mit dem Blutstrom in entlegene Gefäße transportiert werden und dort akute Gefäßverschlüsse (Embolien) verursachen.

Deshalb wird bei anhaltendem Vorhofflimmern eine medikamentöse Hemmung der Blutgerinnung (Antikoagulation, fälschlicherweise auch als „Blutverdünnung“ bezeichnet) erwogen; auch nach einer erfolgreichen Kardioversion besteht für etwa vier Wochen die Notwendigkeit zur Antikoagulation, weil der Vorhof so lange noch ein sogenanntes „stunning“ mit herabgesetzter Kontraktion aufweisen kann und sich trotz Sinusrhythmus weiterhin Vorhofthromben bilden können.

Die Mehrzahl der Patienten erhält zur Antikoagulation Acetylsalicylsäure (ASS) oder Cumarine in Tablettenform, in Deutschland und der Schweiz meist Phenprocoumon, in Österreich Acenocumarol. Die zuvor nötige Abwägung der Vorteile dieser Therapie (seltenere Embolien, insbesondere weniger Schlaganfälle) mit den möglichen Nachteilen (vermehrte Blutungsneigung) erfordert eine möglichst genaue Kenntnis des individuellen Embolierisikos. Dieses Risiko steigt statistisch um das 2,5-fache bei vorangegangenen Embolien, mit dem Alter um das 1,4-fache pro Lebensdekade, um das 1,6-fache bei Patienten mit einem Bluthochdruck, um das 1,5-fache bei Koronarpatienten und das 1,7-fache bei Zuckerkranken.

Das Blutungsrisiko auf der anderen Seite hingegen steigt mit dem Alter nur gering an. Die Therapieentscheidung orientiert sich zusammenfassend an den folgenden gemeinsamen Empfehlungen der American Heart Association (AHA), des American College of Cardiology (ACC) und der European Society of Cardiology (ESC) aus dem Jahr 2006[5].

Empfehlungsklassen und Evidenzlevel im ACC/AHA/ESC-Format
Empfehlungsklasse (Class)
I Nachweis oder allgemeine Übereinstimmung, dass die Empfehlung vorteilhaft, nützlich und effektiv ist.
II Widersprüchliche Nachweise oder Meinungen über den Nutzen und die Effektivität mit entweder überwiegend positiver (Class IIa) oder weniger gut etablierter (Class IIb) Einschätzung.
III Nachweis oder allgemeine Übereinstimmung, dass die Therapie nicht nützlich oder effektiv ist und schädlich sein kann.
Evidenzlevel (Level of Evidence)
A Daten aus mehreren randomisierten Studien oder Metaanalysen.
B Daten aus einer randomisierten Studie oder nicht-randomisierten Untersuchungen.
C Expertenmeinung, Fallstudien oder etablierter Therapiestandard.
  • Außer für Patienten mit lone fibrillation (vor dem 60. Lebensjahr ohne Herzkrankheit) und solche mit Kontraindikation ist eine gerinnungshemmende Therapie für alle Patienten mit Vorhofflimmern empfehlenswert (Class I, Level of Evidence: A).
  • Die Art der Gerinnungshemmung (ASS oder Antikoagulation) sollte individuell für jeden Patienten vom Risiko für einen Schlaganfall auf der einen und eine Blutung auf der anderen Seite abhängig gemacht werden (Class I, Level of Evidence: A).
  • Patienten mit einem hohen Schlaganfallrisiko (mit bereits erlittener Embolie oder rheumatischer Mitralklappenstenose) ohne künstliche Herzklappe und ohne Kontraindikationen sollten Vitamin-K-Antagonisten in einer Dosis erhalten, die zu einer INR von 2,0 bis 3,0 führt (Class I, Level of Evidence: A).
  • Patienten mit mehr als einem „moderaten“ Risikofaktor (Alter über 74 Jahre, Bluthochdruck, Herzinsuffizienz, eingeschränkte Pumpfunktion der linken Herzkammer mit einer Ejektionsfraktion von weniger als 35 % oder Diabetes mellitus) ist eine Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten zu empfehlen (Class I, Level of Evidence: A). Liegt nur einer dieser Risikofaktoren vor, so kann in Abhängigkeit von Blutungsrisiko, Zuverlässigkeit der Antikoagulation und Patientenwunsch ASS oder ein Vitamin-K-Antagonist eingesetzt werden (Class IIa, Level of Evidence: A). Gleiches gilt für Patienten mit mindestens einem der weniger gut validierten Risikofaktoren: Koronare Herzkrankheit, Alter über 64 Jahre oder weibliches Geschlecht (Class IIa, Level of Evidence: B).
  • Als Alternative zu den Vitamin-K-Antagonisten wird bei Kontraindikationen und für Patienten mit einem geringen Schlaganfallrisiko ASS in einer Dosis von 81-325 mg täglich empfohlen (Class I, Level of Evidence: A).
  • Während der Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten sollte die INR in der Einstellungsphase mindestens einmal wöchentlich und bei stabiler Einstellung mindestens einmal monatlich kontrolliert werden (Class I, Level of Evidence: A).
  • Die Antikoagulation bei Patienten mit mechanischen Herzklappenprothesen mit einer INR von mindestens 2,5 orientiert sich am Prothesentyp (Class I, Level of Evidence: B).
  • Es ist vertretbar, die gerinnungshemmende Therapie unabhängig von der Art des Auftretens von Vorhofflimmern (paroxysmal, persistierend oder permanent) auszuwählen (Class IIa, Level of Evidence: B).
  • Eine bis zu sieben Tage währende Unterbrechung der Antikoagulation ohne Ersatz durch Heparin für diagnostische oder operative Eingriffe mit erhöhter Blutungsgefahr ist bei Patienten ohne mechanische Herzklappenprothese vernünftig (Class IIa, Level of Evidence: C). Bei einer Unterbrechung von mehr als einer Woche kann überbrückend unfraktioniertes oder niedermolekulares Heparin verabreicht werden, auch wenn in dieser Situation die Wirksamkeit dieser Verfahren unsicher ist (Class IIb, Level of Evidence: C).
  • Patienten mit Vorhofflimmern können nach einer PTCA oder Bypass-Operation ASS (weniger als 100 mg pro Tag) und Clopidogrel (75 mg pro Tag) zusätzlich zur Antikoagulation erhalten, was allerdings mit einem erhöhten Blutungsrisiko verbunden und nicht gründlich untersucht ist (Class IIb, Level of Evidence: C). Im Zusammenhang mit einer PTCA kann die Antikoagulation vorübergehend unterbrochen werden, sollte aber so früh wie möglich fortgesetzt werden (Class IIb, Level of Evidence: C).
  • Bei Patienten unter 60 Jahren ohne Herzkrankheit oder andere Risikofaktoren für eine Embolie ist eine langfristige Antikoagulation nicht empfehlenswert (Class III, Level of Evidence: C).
CHADS2-Score zur Abschätzung des Schlaganfallrisikos
bei Vorhofflimmern[6]
Bei Vorliegen von ... ... ergibt sich
C (chronic heart failure) Strukturelle Herzerkrankung, die
Herzinsuffizienz verursacht
1 Punkt
H (hypertension) Arterielle Hypertonie
(auch behandelt)
1 Punkt
A (age) Alter > 75 Jahre 1 Punkt
D (diabetes) Diabetes mellitus 1 Punkt
S (stroke) Durchgemachter Schlaganfall oder
transitorische ischämische Attacke
2 Punkte

Hilfreich zur einfachen Abschätzung des Schlaganfallsrisikos bei Vorhofflimmern ist der sogenannte CHADS2-Score, der in etwas modifizierter Form auch in den aktuellen Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie empfohlen wird[6]. Wenn der Score = 0 beträgt, also kein Risikofaktor für einen Schlaganfall vorliegt, überwiegt das Risiko einer schweren Blutung und es sollte höchstens eine Antikoagulation mit Acetylsalicylsäure (ASS, 100-300 mg/Tag) erfolgen. Bei einem Score = 1 muss eine individuelle Abwägung im Einzelfall erfolgen (je nach Schwere und Häufigkeit des Vorhofflimmerns, Schwere der Risikofaktoren usw.) und bei einem Score >1 sollte eine Antikoagulation mit Cumarinen erfolgen (INR 2-3).

Selbst unter angemessener Behandlung mit Cumarinen kommt es bei Risikopatienten recht häufig zu Hirnembolien. Unter Verwendung der empfindlichen Magnetresonanztomografie konnte innerhalb von drei Jahren bei 21 % der Hochrisikopatienten Hirninfarkte nachgewiesen werden, von denen allerdings mehr als die Hälfte keine Symptome verursachte. Ein hohes Embolierisiko fand sich bei Patienten mit dichten Spontanechos im linken Vorhof, mit einer geringen Blutflussgeschwindigkeit im linken Vorhofsohr und bei jenen, die bereits zuvor eine Embolie erlitten hatten. Von den Patienten ohne eines dieser Merkmale erlitten nur sieben Prozent in den drei Jahren eine Hirnembolie.[7]

Spezielle Situationen

Perioperatives Vorhofflimmern

Besonders nach Operationen am Herzen ist Vorhofflimmern eine häufige Komplikation. Es tritt je nach durchgeführtem Eingriff und Vorschädigung des Herzens mit einer Häufigkeit von 10–77 % meist am zweiten Tag nach der Operation auf. Bei Eingriffen an der Mitralklappe (bis zu 73 %) ist es häufiger als bei Bypass-Operationen (10–33 %), weitere Risikofaktoren sind hohes Alter, ein vergrößerter linker Vorhof, eine lange Operationsdauer, Bluthochdruck und früher schon aufgetretenes Vorhofflimmern. Die Prognose des perioperativen Vorhofflimmerns ist gut: bei etwa 90 % der Patienten kann der Sinusrhythmus wieder hergestellt werden und eine Beeinträchtigung der Überlebenswahrscheinlichkeit konnte nicht festgestellt werden. Zur Vermeidung perioperativen Vorhofflimmerns werden Kalium- und Magnesiuminfusionen sowie Betablocker und andere Antiarrhythmika eingesetzt.

Vorhofflimmern und Genussmittel - Holiday Heart Syndrom

Bei einigen Menschen, auch Herzgesunden, kann Vorhofflimmern durch Alkohol provoziert werden. In einigen Untersuchungen war mehr als die Hälfte der Fälle von paroxysmalem Vorhofflimmern nach Alkoholkonsum aufgetreten. Typischerweise beginnt die Rhythmusstörung wenige Stunden nach Zufuhr einer ungewöhnlich hohen Alkoholdosis, oft in der zweiten Nachthälfte am Wochenende oder auch nach körperlicher Belastung. Für diese besonders bei jüngeren Männern beobachtete Konstellation wurde in Anlehnung an eine Publikation aus dem Jahr 1983 die Bezeichnung „Holiday Heart Syndrom“ geprägt. Bei fast allen Patienten endet die Rhythmusstörung ohne besondere Behandlung innerhalb von 24 Stunden. In der 2004 veröffentlichten Danish Diet Cancer and Health Study konnte für Männer mit einem Alkoholkonsum von mehr als 20 g pro Tag ein um 44 % erhöhtes Risiko für Vorhofflimmern nachgewiesen werden. Männer, die 12 g pro Tag oder weniger tranken, hatten ebenso wie Frauen ein normales Risiko.

Der früher auch als Risiko angesehene Genuss von Kaffee oder Tee hingegen erwies sich in der gleichen Studie im Zusammenhang mit Vorhofflimmern als unbedenklich. Bei regelmäßigem Konsum trat es sogar etwas seltener auf.

Vorkommen bei Tieren

Bei Hund und Katze tritt Vorhofflimmern mit Frequenzen bis zu 700 Schlägen pro Minute auf. Während es bei Hunden regelmäßig beobachtet werden kann, sind Katzen nur selten davon betroffen.

Hund

EKG eines Hundes mit Vorhofflimmern, ausgelöst durch eine dilatative Kardiomyopathie

Beim Hund sind am häufigsten Angehörige großer Rassen betroffen mit resultierenden Herzschlagfrequenzen von über 230 Schlägen pro Minute. Die Erklärung für die Entstehung sieht man prinzipiell in den gleichen Mechanismen wie bereits oben erläutert. Zusätzlich existiert die Theorie der „kritischen Masse“ des Herzens. Kleine Rassen mit entsprechend kleinen Herzen entwickeln weitaus seltener ein Vorhofflimmern als größere Hunde. Bei einigen Riesenrassen kann ein Vorhofflimmern ohne nachweisbare Grunderkrankung auftreten. Meist erfolgt es jedoch sekundär infolge einer Vergrößerung der Vorhöfe des Herzens. Hierbei übt möglicherweise die Streckung der Vorhofwände einen Einfluss aus. Das bereits oben erwähnte „electrical remodeling“ scheint bei Hunden ausgeprägt zu sein, da ein einmal bestehendes Vorhofflimmern bei vielen Tieren nicht mehr zu beseitigen ist.

Am häufigsten tritt Vorhofflimmern sekundär bei Hunden mit der Grunderkrankung dilatative Kardiomyopathie auf. Als weitere Auslöser kommen Krankheiten mit chronischer Volumenüberlastung des Herzens (Mitralklappeninsuffizienz, nicht behobener persistierender Ductus arteriosus) in Frage. Relativ selten wird idiopathisches Vorhofflimmern gesehen. Koronare Herzerkrankungen oder Bluthochdruck kommen beim Hund im Gegensatz zum Menschen kaum vor und sind daher als Ursache zu vernachlässigen.

Das Therapieziel besteht in der Reduktion der Herzschlagfrequenz auf 100–140 pro Minute. Neben der Behandlung der Grunderkrankung, die im Falle einer dilatativen Kardiomyopathie als häufigstem Auslöser in der Verabreichung von Pimobendan beim Hund besteht, werden Medikamente wie Digitalis, Atenolol oder Diltiazem bei Hund und Katze zur Reduzierung der Herzfrequenz verabreicht. Eine Embolieprophylaxe ist beim Hund nicht erforderlich.

Katze

Bei Katzen wird ein Vorhofflimmern wesentlich seltener festgestellt, auch hier im Wesentlichen in der Folge einer übermäßigen Vergrößerung der Vorhöfe, die meist auf einer Kardiomyopathie (meist hypertroph, seltener restriktiv, ganz selten dilatativ) beruht. Die resultierende Herzschlagfrequenz kann 320 pro Minute erreichen. Therapeutisch kommen die oben beschriebenen Medikamente zum Einsatz. Daneben ist eine Embolieprophylaxe (meist mit Acetylsalicylsäure) zwingend nötig, um das bei Katzen hohe Risiko einer Embolie der Aortenendaufzweigung (sog genannter reitender Aortenthrombus), der Nierengefäße, der Mesenterialgefäße oder der Arteria subclavia dextra zu vermeiden.

Literatur

  • A. Schuchert et al.: Kommentar zu den ACC/AHA/ESC-Leitlinien 2001 zur Prävention arterieller Thromboembolien bei Patienten mit Vorhofflimmern. Z Kardiol (2003) 92:694–703. Text
  • E. Hoffmann et al.: Auslösemechanismen von Vorhofflimmern. Z Kardiol (2002) 91:24–32. PMID 11963204.
  • Fox/Sisson/Moïse: Textbook of Canine and Feline Cardiology, 331-391. Saunders, 2.Auflage, 1999. ISBN 0-7216-4044-3

Weblinks

Quellen

  1. Mewis, Riessen, Spyridopoulos (Hrsg.): Kardiologie compact - Alles für Station und Facharztprüfung‎. 2 Auflage. Thieme, Stuttgart, New York 2006, ISBN 3-13-130742-0, S. 532, 535+536. 
  2. R.L. McNamara et al.: ACC/AHA key data elements and definitions for measuring the clinical management and outcomes of patients with atrial fibrillation: reference guide: a report of the ACC/AHA Task Force on Clinical Data Standards (Atrial Fibrillation Clinical Data Standards Writing Committee). American College of Cardiology Web Site (2004), online als PDF
  3. Schotten U et al.: Vorhofflimmern: Grundlagenforschung liefert neue Therapieansätze. Dt Ärztebl (2006) 103:B1491-B1497.
  4. Mewis C et al.: Vorhofflimmern. Dtsch Med Wochenschr (2006) 131:2843-2854. PMID 17160768.
  5. a b Fuster V et al.: ACC/AHA/ESC 2006 guidelines for the management of patients with atrial fibrillation: a report of the American College of Cardiology/American Heart Association Task Force on Practice Guidelines and the European Society of Cardiology Committee for Practice Guidelines (Writing Committee to Revise the 2001 Guidelines for the Management of Patients With Atrial Fibrillation). J Am Coll Cardiol (2006) 48:e149–246. PMID 16904533.
  6. a b American College of Cardiology; American Heart Association Task Force; European Society of Cardiology Committee for Practice Guidelines; European Heart Rhythm Association; Heart Rhythm Society et al: ACC/AHA/ESC 2006 guidelines for the management of patients with atrial fibrillation: a report of the American College of Cardiology/American Heart Association Task Force on practice guidelines and the European Society of Cardiology Committee for Practice Guidelines (Writing Committee to Revise the 2001 guidelines for the management of patients with atrial fibrillation) developed in collaboration with the European Heart Rhythm Association and the Heart Rhythm Society.Europace. 2006;8:651-745. PMID 16987906
  7. P. Bernhardt et al.: Atrial fibrillation—Patients at high risk for cerebral embolism. Clin Res Cardiol (2006) 95:148-153.

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