Garbenkohomologie

Garbenkohomologie

Garbenkohomologie ist in der Mathematik, hauptsächlich in der algebraischen Geometrie und in der komplexen Analysis, eine Technik, mit der man globale Eigenschaften topologischer Räume und auf ihnen definerter Garben studieren kann. Im einfachsten Fall beschreibt die erste Kohomologiegruppe die Schwierigkeiten, um aus lokalen Lösungen eine globale Lösung zu erhalten.

Inhaltsverzeichnis

Definition

Konkret ist Garbenkohomologie auf einem topologischen Raum X ein Delta-Funktor von der Kategorie der Garben abelscher Gruppen in die Kategorie der abelschen Gruppen. Das bedeutet: Jeder Garbe F abelscher Gruppen wird auf funktorielle Weise eine Folge abelscher Gruppen Hk(X,F) für k=0,1,2,\dots zugeordnet, und für jede kurze exakte Sequenz

0\to F'\to F\to F''\to 0

von Garben abelscher Gruppen gibt es eine natürliche lange exakte Sequenz

0\to H^0(X,F')\to H^0(X,F)\to H^0(X,F'')\to
\to H^1(X,F')\to H^1(X,F)\to H^1(X,F'')\to
\to H^2(X,F')\to\dots

Außerdem ist H0(X,F) = Γ(X,F) die Gruppe der globalen Schnitte von F.

Anwendungsbeispiele

Logarithmus einer holomorphen Funktion

Problemstellung: Es sei U\subseteq\C ein Gebiet und f:U\to\C eine holomorphe, nirgends verschwindende Funktion. Gesucht ist eine holomorphe Funktion g:U\to\C, so dass f(z) = eg(z) für alle z\in U gilt.

Lokal existiert ein solches g immer: Ist z_0\in U fest und ε > 0 so klein gewählt, dass U_\epsilon(z_0)\subseteq U, dann kann man auf Grund der Wegunabhängigkeit des Integrals

g(z)=a+\int_{z_0}^z\frac{f'(\zeta)}{f(\zeta)}\,d\zeta für z\in U_\epsilon(z_0)

setzen, wobei a derart gewählt ist, dass f(z0) = ea gilt. Will man g nach demselben Prinzip global definieren, benötigt man, dass

\int_\gamma\frac{f'(\zeta)}{f(\zeta)}\,d\zeta

für jeden geschlossenen Weg γ verschwindet. Teilt man noch durch i, erhält man einen Homomorphismus

c_f:\pi_1(U)\to\Z,

dessen Verschwinden notwendig und hinreichend für die Existenz einer globalen Lösung g ist (dabei ist π1(U) die Fundamentalgruppe von U).

Mit dem Begriff der Garbe ausgedrückt besagt die lokale Lösbarkeit, dass der Homomorphismus von Garben \exp:\mathcal{O}\to\mathcal{O}^* von der Garbe der holomorphen Funktionen (mit der Addition als Verknüpfung) in die Garbe der nichtverschwindenden holomorphen Funktionen (mit der Multiplikation) surjektiv ist. Sein Kern ist die Garbe der Funktionen, die lokal konstant ganzzahlige Vielfache von i sind, also bis auf die Multiplikation mit i die konstante Garbe \underline{\Z}. Zusammen ergibt sich die kurze exakte Sequenz

0\to\underline{\Z}\xrightarrow{2\pi i}\mathcal{O}\xrightarrow{\exp}\mathcal{O}^*\to0.

Die vorgegebene Funktion f ist nun ein Element von \Gamma(U,\mathcal{O}^*), und gesucht ist ein Urbild unter exp  in \Gamma(U,\mathcal{O}). Die Garbenkohomologie liefert eine exakte Sequenz

\Gamma(U,\mathcal{O})\to\Gamma(U,\mathcal{O}^*)\to H^1(U,\underline{\Z}).

Also besitzt f genau dann einen holomorphen Logarithmus, wenn das Bild von f in H^1(U,\underline{\Z}) verschwindet. Dieses Bild kann mit dem oben erklärten Homomorphismus cf identifiziert werden.

Existenz von Funktionen mit vorgegebenen Werten

Problemstellung: Es sei eine Folge a_1,a_2,\dots komplexer Zahlen ohne Häufungspunkt sowie eine weitere Folge b_1,b_2,\dots beliebiger komplexer Zahlen vorgegeben. Existiert dann eine ganze Funktion f mit f(ak) = bk für alle k?

Es sei A=\{a_1,a_2,\dots\}, und die konstante Garbe \underline{\C}_A auf A werde mit ihrem direkten Bild auf \C identifiziert. Dann ist der Homomorphismus \mathcal{O}\to\underline{\C}_A, der durch die Auswertung einer Funktion in den Punkten in A gegeben ist, surjektiv. Denn in einer ausreichend kleinen Umgebung U von ak liegen keine anderen Punkte aus A, so dass man zu einem vorgegebenen Wert bk als Urbild in \Gamma(U,\mathcal{O}) die konstante Funktion mit Wert bk wählen kann. Der Kern von \mathcal{O}\to\underline{\C}_A sei mit \mathcal{O}(-A) bezeichnet, so dass wir die kurze exakte Sequenz

0\to\mathcal{O}(-A)\to\mathcal{O}\to\underline{\C}_A\to 0

erhalten. Aus der Garbenkohomologie erhält man eine exakte Sequenz

\Gamma(\C,\mathcal{O})\to\Gamma(A,\underline{\C})\to H^1(\C,\mathcal{O}(-A)).

Man kann nun zeigen, dass H^1(\C,\mathcal{O}(-A)) verschwindet, also besitzt jedes Element b\in\Gamma(A,\underline{\C}) ein Urbild in \Gamma(\C,\mathcal{O}), d.h. jede Werteverteilung b_1,b_2,\dots wird durch eine ganze Funktion realisiert.

Konstruktionen

Es seien X ein fest gewählter topologischer Raum und F eine Garbe abelscher Gruppen auf X.

Die Godement-Auflösung

Definiere eine Garbe C0(F) auf X durch

C^0(F)(U)=\prod_{x\in U}F_x

mit den Projektionen als Einschränkungsabbildungen. Es gibt einen kanonischen injektiven Homomorphismus F\to C^0(F), der einem Schnitt s die Familie (sx) seiner Keime zuordnet. Die Definition von Garben als etale Räume erklärt die Bezeichnung "Garbe der unstetigen Schnitte" für C0(F). Setze nun

Z^1(F)=C^0(F)/F,\qquad C^1(F)=C^0(Z^1(F))

und iterativ

Z^{k+1}(F)=C^k(F)/Z^k(F),\qquad C^{k+1}(F)=C^0(Z^{k+1}(F))

Wir erhalten eine Auflösung

0\to F\to C^0(F)\to C^1(F)\to C^2(F)\to\dots

Dann ist die Garbenkohomologie Hk(X,F) als die k-te Kohomologie des Komplexes Γ(X,Ck(F)) definiert.

Die Godement-Auflösung hat den Vorteil, dass sie einfach zu definieren ist und keinerlei Wahlen erfordert. Für konkrete Berechnungen ist sie aber meistens ungeeignet.

Kohomologie einer Überdeckung

Es sei (U_i)_{i\in I} eine Familie offener Teilmengen von X, so dass \textstyle X=\bigcup_{i\in I}U_i. Für k\geq 0 und j=(i_0,\dots,i_k)\in I^{k+1} setze \textstyle U_j=\bigcap_{\nu=0}^k U_{i_\nu}. Damit erhält man einen kosimplizialen topologischen Raum und durch Anwendung von F eine simpliziale abelsche Gruppe, die gemäß der Dold-Kan-Korrespondenz einem Kokettenkomplex in nichtnegativen Graden entspricht. Seine Kohomologie ist die Kohomologie H * (U,F) von F bezüglich der Überdeckung U.

Konkret ist der Komplex gegeben durch

C^k(U,F)=\prod_{j\in I^{k+1}}\Gamma(U_j,F)

mit dem Differential

(d^ks)(i_0,\dots,i_{k+1})=\sum_{\nu=0}^{k+1} (-1)^k \rho^{U_{i_0,\dots,\widehat{i_\nu},\dots,i_{k+1}}}_{U_{i_0,\dots,i_{k+1}}} s(i_0,\dots,\widehat{i_\nu},\dots,i_{k+1})

wobei ρ die Einschränkung von Schnitten von F bezeichnet.

1-Kozykel sind Familien s_{ij}\in\Gamma(U_{ij},F) mit sik = sij + sjk auf Uijk (mit impliziten Einschränkungen). Zwei 1-Kozykel sind kohomolog, wenn es eine Familie t_i\in\Gamma(U_i,F) gibt mit sij = titj für alle i,j.

Ist (U_i)_{i\in I} eine Überdeckung mit H^k(U_{i_1\dots i_m},F)=0 für alle k\geq 1, dann ist der kanonische Homomorphismus H^k(U,F)\to H^k(X,F) für alle k\geq 0 bijektiv. Diese Aussage gilt insbesondere für offene affine Überdeckungen separierter Schemata, wenn darüber hinaus F eine quasikohärente Modulgarbe ist.

Čech-Kohomologie

Ist (U_i)_{i\in I} eine Überdeckung wie im vorherigen Abschnitt, so ist eine Verfeinerung von U eine Überdeckung (V_j)_{j\in J} zusammen mit einer Abbildung h:J\to I, so dass V_j\subseteq U_{h(j)} für alle j\in J gilt. Dann erhält man Homomorphismen H^k(U,F)\to H^k(V,F) für alle k. Im Prinzip ist Čech-Kohomologie der direkte Limes über diese Verfeinerungen. Aus technischen Gründen betrachtet man aber Überdeckungen (U_x)_{x\in X} mit x\in U_x für alle x\in X und Verfeinerungen (V_x)_{x\in X} mit V_x\subseteq U_x für alle x\in X. Dann heißt

\check H^k(X,F)=\varinjlim_U H^k(U,F)

die Čech-Kohomologie von F.

Es gibt kanonische Homomorphismen \check H^k(X,F)\to H^k(X,F), die für k = 0,1 bijektiv und für k = 2 injektiv sind.[1] Ist X ein parakompakter Hausdorffraum, sind sie für alle k bijektiv.

Garbenkohomologie als derivierter Funktor

Es sei O eine Garbe von Ringen und F eine O-Modulgarbe. (Der Fall von Garben abelscher Gruppen ist durch O=\underline{\Z} mit abgedeckt.) Dann hat die Kategorie der O-Modulgarben genügend viele injektive Objekte, so dass man den derivierten Funktor zum Funktor Γ(X, − ) der globalen Schnitte bilden kann. Allgemein gilt, dass man den derivierten Funktor über azyklische Auflösungen berechnen kann, und man kann zeigen, dass welke Garben azyklisch sind. (Eine Garbe F heißt welk, wenn \Gamma(X,F)\to\Gamma(U,F) für alle offenen Teilmengen U\subseteq X surjektiv ist.) Die Godement-Auflösung besteht aus welken O-Modulgarben, also ist Hk(X, − ) ein derivierter Funktor, und es kommt nicht darauf an, ob man den derivierten Funktor für O-Modulgarben oder für Garben abelscher Gruppen bildet.

Auf einem Schema kann man den Funktor Γ(X, − ) auf die Kategorie Qcoh(X) der quasikohärenten Modulgarben einschränken. Wenn X quasikompakt und separiert ist, besitzt Qcoh(X) genügend viele injektive Objekte, und der auf Qcoh(X) berechnete derivierte Funktor stimmt mit dem auf der Kategorie aller OX-Moduln berechneten überein.[2]

Weitere Auflösungen

Weitere Klassen von azyklischen Garben, die damit für Auflösungen herangezogen werden können, sind weiche Garben und besonders in der (komplexen) Analysis feine Garben.

Nichtabelsches H1

Ist F eine Garbe nicht notwendigerweise abelscher Gruppen (im Folgenden multiplikativ geschrieben), kann man die Überdeckungskonstruktion zumindest für H1 übertragen. 1-Kozykel für eine Überdeckung (U_i)_{i\in I} sind Familien c_{ij}\in F(U_{ij}), die cijcjk = cik für alle i,j,k \in I erfüllen. Zwei Kozykel (cij) und (dij) heißen kohomolog, wenn es f_i\in F(U_i) gibt, so dass c_{ij}=f_id_{ij}f_j^{-1} für alle i,j gilt. Kohomolog zu sein, ist eine Äquivalenzrelation auf den 1-Kozykeln, und die Menge der Äquivalenzklassen wird wieder mit H1(U,F) bezeichnet. Sie enthält als ausgezeichnetes Element die Klasse des trivialen Kozykels. Im direkten Limes erhält man eine punktierte Menge H1(X,F).

Es gibt im nichtabelschen Fall unter verschiedenen Voraussetzungen immer noch exakte Sequenzen, die die lange exakte Sequenz für abelsche Garben verallgemeinern. Es gibt auch ein H2(X,F) für nichtabelsche Garben. Siehe dazu Giraud.

Vergleich mit singulärer Kohomologie

Ist X ein topologischer Raum und A eine abelsche Gruppe, kann man einerseits die singuläre Kohomologie H * (X,A) bilden, andererseits die Garbenkohomologie H^*(X,\underline{A}) der konstanten Garbe. Die Bedingung, dass X ein CW-Komplex ist, ist hinreichend dafür, dass man kanonisch isomorphe Gruppen erhält, aber auch schwächere Voraussetzungen genügen.[3]

H1 und Torsore

Ist X ein geringter Raum, d.h. ein topologischer Raum zusammen mit einer Garbe OX von Ringen, dann gibt es eine kanonische Bijektion zwischen H^1(X,O_X^\times) und der Menge der Isomorphieklassen von Geradenbündeln auf X.

Diese Aussage erlaubt eine weitreichende Verallgemeinerung: Für jede Garbe von Gruppen G gibt es eine kanonische Bijektion zwischen H1(X,G) und der Menge der Isomorphieklassen von G-Torsoren. Der Bezug zu Geradenbündeln entsteht folgendermaßen: Ist E ein Objekt auf X, dann gibt es eine Korrespondenz zwischen lokal zu E isomorphen Objekten E' und Aut(E)-Torsoren. Die Korrespondenz ordnet einem Objekt E' den Torsor Isom(E,E') zu.[4]

Ein Torsor für eine Garbe G von (nicht notwendigerweise abelschen) Gruppen auf einem Raum X ist eine Garbe P von Mengen auf X zusammen mit einer G-(Links-)Operation, so dass eine offene Überdeckung (U_i)_{i\in I} von X existiert, auf der P trivial wird. Ausführlicher bedeutet das: Gegeben ist ein Garbenmorphismus G\times P\to P, der für jede offene Teilmenge U\subseteq X eine Operation von G(U) auf P(U) induziert. Für jedes i\in I soll nun P|_{U_i} als Garbe mit G|_{U_i}-Operation isomorph zu G|_{U_i} mit der Linkstranslation als Operation sein. Ein Torsor ist genau dann trivial, d.h. global isomorph zu G mit der Linkstranslation, wenn P(X) nicht leer ist.

Ist f_i:G|_{U_i}\to P|_{U_i} ein System von Trivialisierungen, erhält man durch c_{ij}=f_i|_{U_{ij}}^{-1}\circ f_j|_{U_{ij}} einen 1-Kozykel, umgekehrt kann man Kozykel verwenden, um triviale Torsore zu verkleben.

Im Logarithmus-Beispiel bilden die Logarithmen von f einen \underline{\Z}-Torsor: Für jeden Logarithmus g auf einer Teilmenge V und jede ganze Zahl k ist auch g + 2πik ein Logarithmus, und wenn V zusammenhängend ist, kann es auch keine anderen geben. Die Klasse dieses Torsors in H^1(U,\underline{\Z}) ist genau dann trivial, wenn er ein globaler Logarithmus existiert.

Höhere direkte Bilder

Ist f: X\to Y eine stetige Abbildung und F eine Garbe abelscher Gruppen auf X, dann ist das direkte Bild f * ein linksexakter Funktor, und man kann den derivierten Funktor Rkf * bilden. Er ist die Vergarbung der Prägarbe U\mapsto H^k(f^{-1}(U),F).

Die Kohomologie von F und die Kohomologie von f * F hängen über die Leray-Spektralsequenz miteinander zusammen: Es existiert eine Spektralsequenz mit E_2^{pq}=H^p(Y,R^qf_*F), die gegen H * (X,F) konvergiert.

Wichtige Sätze über Garbenkohomologie

Algebraische Geometrie

  • Ist F eine quasikohärente Modulgarbe auf einem affinen Schema X, dann ist Hk(X,F) = 0 für alle k\geq1.
  • Ist X ein Schema, dessen zugrundeliegender Raum noethersch ist und Dimension n hat, dann ist Hk(X,F) = 0 für k > n und jede Garbe abelscher Gruppen F.
  • Kohärenzsatz von Grothendieck: Ist X eigentlich über einem noetherschen Ring A und F eine kohärente Modulgarbe, dann ist Hk(X,F) für jedes k ein endlich erzeugter A-Modul.
  • Verschwindungssatz von Serre: Für eine kohärente Garbe F auf einem projektiven Schema X ist Hk(X,F(n)) = 0 für k\geq 1 und n\gg0.
  • Serre-Dualität
  • Halbstetigkeitssatz von Hans Grauert
  • Serres GAGA und Grothendiecks GFGA

Komplexe Analysis

  • Theorem B von Henri Cartan: Für kohärente Garben auf steinschen Räumen verschwindet die höhere Kohomologie
  • Endlichkeitssatz von Cartan-Serre: Kohomologiegruppen kohärenter Garben auf kompakten komplexen Räumen sind endlichdimensional (als \C-Vektorräume), verallgemeinert im Kohärenzsatz von Grauert
  • Halbstetigkeitssatz von Grauert
  • Hodge-Theorie

Literatur

Fußnoten

  1. Godement, II, 5.9
  2. Siehe Thomason, Trobaugh, Appendix B
  3. Siehe Bredon, III, 1.
  4. Siehe Giraud, III, 2.5.1 für die genauen Voraussetzungen.

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