Pfisters Mühle

Pfisters Mühle

Pfisters Mühle ist eine Erzählung von Wilhelm Raabe, die vom 7. April 1883 bis 8. Mai 1884 entstand[1]. Johann Grunow von den Grenzboten druckte den Text 1884 in Leipzig.[2][3] Nachauflagen erlebte Raabe 1894 und 1903.[4]

Dr. phil. Eberhard Pfister aus Berlin, Gymnasiallehrer für Latein, Griechisch und moderne Sprachen, erzählt eine Geschichte aus der Gründerzeit[5]. Alljährlich verunreinigt eine Zuckerfabrik während der Rübenkampagne den Bach und zerstört somit die Existenz seines Vaters, des Wassermüllers und „Schenkwirts“ Pfister.


Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Ebert, wie Dr. Eberhard Pfister gerufen wird, verbringt die Sommerferien zusammen mit seiner 19jährigen blonden Gattin Emmy „auf verzaubertem Grund und Boden“ - in der bereits verkauften Mühle seines verstorbenen Vaters Bertram Gottlieb Pfister; weiland Wirt „von Pfisters Vergnügungsgarten“. Emmy ist die Tochter des Berliner Rechnungsrates Schulze.

Während dieses Sommeraufenthalts erzählt Ebert dem Leser und mitunter auch noch „seinem jungen Weibe“ aus der Geschichte der geerbten und veräußerten Mühle. Ebert hatte die Mutter früh verloren. Er hatte sie nicht gekannt und war von der Jungfer Christine erzogen worden. Der Vater hatte dafür gesorgt, dass Ebert vom Studiosus der Philosophie und späteren Doktor der Chemie Adam August Asche im Lateinischen geschult wurde. Asche ist der Sohn eines Schönfärbers. Der alte Färber war zu Lebzeiten ein Freund des Müllers. Neben seiner Mühle hatte Pfister ein florierendes Ausflugslokal betrieben. Unter den alten Kastanienbäumen hatten im Sommer Gäste aus der nahen Stadt gesessen[6]. Einer der Gäste, Schulrat Direktor Dr. Pottgießer, ein guter Bekannter des Wirts, hatte den aufgeweckten Ebert in sein Gymnasium aufgenommen. Studienaufenthalte in Berlin, Jena und Heidelberg, vom Vater Pfister finanziert, folgten.

Nicht weit von der Mühle entfernt fristete auf dem Dorfe der erfolglose Dramatiker und Lyriker Dr. Felix Lippoldes, ein Trinker, zusammen mit „seiner klugen, braven, tapfern Tochter“ Albertine ein bejammernswertes Dasein. Am Heiligen Abend in die „verstänkerte“ Mühle geladen, stieg der Dichter - sonst in „sonoren Jamben von Sonnen, Palmen, Zinnen, Türmen, Frauen, Helden und Heeren“ redend - auf den Weihnachtstisch und deklamierte „mit finsterm Pathos“:

„Einst kommt die Stunde - denkt nicht, sie sei ferne -,...“

Die Weihnachtsfeier wurde vom üblen Geruch des ehemals hellen Mühlwassers - mittlerweile „Schleim und Schmiere“ - gestört. Ebert bat den Freund Asche um die chemische Analyse des Gewässers. Eifrig machte sich der Chemikus ans Werk und fand „Pilzmassen mit Algen überzogen“, „Fäulnisbewohner“ und Beggiatoa alba. Letztere stammten von „den Ausflüssen der Zuckerfabriken“. Am „zweiten Weihnachtstag“ starteten die Freunde eine „Expedition zur Erforschung der Gründe vom Untergange von Pfisters Mühle“. Der Marsch führte von der Mühle aus bachaufwärts bis nach Krickerode zu der feindlichen Macht. Die dortige Fabrik produzierte sogar feiertags „schwarze Rauchwolken“ und Rübenzucker; entließ ihre Satansbrühe in den Mühlbach. Zwar gewann Advokat Dr. Riechei für Vater Pfister auch dank Dr. Asches gelehrtem Gutachten den Prozess gegen die Betreiber der Krickeroder Zuckerfabrik, doch der Wassermüller verwand das Verschandeln seiner ehedem heilen kleinen Welt nicht. Er starb am „übelriechenden“ Bach. Albertines Vater, der „geniale Dramatiker“ Felix Lippoldes, war zuvor im Mühlbach ertrunken aufgefunden worden. Albertine, die ihrem Vater nicht mehr helfen konnte, hatte hernach den Müller Pfister bis zuletzt gepflegt.

Die Stunden der Mühle sind gezählt. Herren kommen zum Abbruch des alten Gemäuers aus der Stadt „mit ihren Maßstäben und Notizbüchern. Schubkarren und Schaufeln und Hacken“ werden vom Wagen abgeladen. „Der Architekt der neuen großen Fabrikgesellschaft“ breitet in der „öden Gaststube seine Planrollen“ aus. An die Stelle von Pfisters Mühle wird ein „lukrativeres, zeitgemäßeres Unternehmen“ erbaut. Dr. Asche, der schon längst auf Albertine ein Auge geworfen hatte, heiratet die „hübsche, tapfere, kluge“ Tochter des Poeten und steigt in „das wasserverderbende Geschäft“ ein: Der „Gewerbschemiker“ gründet an der „gen Spandau schlurfenden Spree die große Fleckenreinigungsanstalt A. A. Asche & Kompagnie“, eine „großindustrielle Fabrik“. Auf dem Sterbebett hatte der Müller Pfister dem „nachgelassenen Phantastikus“ seines „alten Kumpans, Schönfärber Aschen, der Partei genommen hat für die neue Welt und Mode“, verziehen und klein beigegeben: „Dann wird es wohl der liebe Gott fürs beste halten.“

In Berlin bekommen Emmy und Albertine Kinder. Gelegentlich sitzen die beiden Mütter beieinander dicht neben der lauten „chemischen Waschanstalt“, deren Abwässer die Spree „nach Kräften verunreinigen“. Emmy hat Jungfer Christine in ihren Berliner Haushalt aufgenommen.

Form

In der Erzählung gibt es eine Rahmenerzählung und eine Binnenerzählung. Die Rahmenerzählung besteht aus dem Aufenthalt von Ebert und seiner Gattin Emmy in der Mühle des verstorbenen Vaters. In diese Rahmenerzählung wird die Binnenerzählung eingebettet, welche in Form von Gesprächen zwischen Ebert und Emmy oder durch Eberts Aufschrieb des „Sommerferienhefts“ ein Rückblick auf die Vergangenheit der Mühle und der auftretenden Charaktere gewährt. Durch die Rahmenerzählung weiß der Leser schon den Ausgang einiger Begebenheiten, die in der Binnenerzählung genauer beschrieben werden. So ist der Ausgang des Prozesses gegen die Zuckerfabrik, der Tod des Vaters, der Verkauf der Mühle und die Heirat von Dr. Asche und Albertine in der Rahmenerzählung schon erwähnt worden, ohne dass dies in der chronologisch geführten Binnenerzählung schon vorgestellt wurde.

Rezeption

  • Meyen[7] nennt elf Arbeiten aus den Jahren 1894 bis 1963.
Zeitgenossen
  • Anno 1885 stößt sich W. Eigenbrodt in der „Deutschen Literatur-Zeitung“ an der „harten und allzu körnigen Sprache“.[8]
  • Im selben Jahr spricht ein gewisser G.N. in „Nord und Süd“ von einem „Schwanenlied auf die Romantik“.[9]
Neuere Äußerungen
  • Hesse[10] findet für die Erzählung das Beiwort „zart“. Der Text dufte nach Heimat und strahle innige Wärme aus.
  • Oppermann belegt Raabes außergewöhnliche Erzähltechnik mit Beispielen[11].
  • Fuld[12] identifiziert die nicht genannte Stadt mit Braunschweig, den Mühlbach mit dem dortigen Wabebach und die Mühle mit dem Grünen Jäger bei Riddagshausen vor den Toren Braunschweigs.
  • Sprengel[13] spricht eine komische Hürde an, die vor dem Interpreten auftaucht. Dr. Asche bereitet zunächst durch seine chemische Analyse mit Tatkraft den Prozess des Müllers gegen die Betreiber der Zuckerfabrik vor, wird dann aber selbst Unternehmer; beteiligt sich an der Zerstörung der Natur.

Ausgaben

Erstausgabe

  • Pfisters Mühle. Ein Sommerferienheft. 227 Seiten. Verlag Johann Grunow, Leipzig 1884. Leinen

Benutzte Ausgabe

  • Pfisters Mühle. Ein Sommerferienheft. Illustriert von Ruth Knorr. Mit einem Nachwort von Gerhard Wolf. 215 Seiten. Union Verlag Berlin 1971

Weitere Ausgaben

  • Pfisters Mühle. Ein Sommerferienheft. (S. 5-178) mit einem Anhang von Hans Oppermann (S. 517-544) in: Karl Hoppe (Hrsg.), Hans Oppermann (Bearb.) : Wilhelm Raabe: Pfisters Mühle. Unruhige Gäste. Im alten Eisen. (2. Aufl.) Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1970. Bd. 16 (ohne ISBN) in Karl Hoppe (Hrsg.), Jost Schillemeit (Hrsg.), Hans Oppermann (Hrsg.), Kurt Schreinert (Hrsg.): Wilhelm Raabe. Sämtliche Werke. Braunschweiger Ausgabe. 24 Bde.
  • Pfisters Mühle. 252 Seiten. Reclams Universal-Bibliothek 9988, anno 1986, ISBN 978-3-15-009988-9
  • Meyen[14] nennt vier Ausgaben.

Literatur

  • Hans Oppermann: Wilhelm Raabe. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1970 (Aufl. 1988), ISBN 3-499-50165-1 (rowohlts monographien)
  • Fritz Meyen: Wilhelm Raabe. Bibliographie. 438 Seiten. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1973 (2. Aufl.). Ergänzungsbd. 1, ISBN 3-525-20144-3 in Karl Hoppe (Hrsg.): Wilhelm Raabe. Sämtliche Werke. Braunschweiger Ausgabe. 24 Bde.
  • Werner Fuld: Wilhelm Raabe. Eine Biographie. Hanser, München 1993 (Ausgabe dtv im Juli 2006), ISBN 3-423-34324-9
  • Peter Sprengel: Geschichte der deutschsprachigen Literatur 1870–1900. Von der Reichsgründung bis zur Jahrhundertwende. C. H. Beck, München 1998, ISBN 3-406-44104-1
  • Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): Wilhelm Raabe. 114 Seiten. Richard Boorberg Verlag München, Oktober 2006, ISBN 3-88377-849-4 (Heft 172 der edition text + kritik)

Weblinks

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Wolf im Nachwort der benutzten Ausgabe, S. 209, 16. Z.v.o.
  2. Fuld, S. 290, 11. Z.v.u.
  3. Arnold, S. 105 unten, Eintrag anno 1884
  4. Oppermann in der Braunschweiger Ausgabe, Bd. 16, S. 523, 11. Z.v.o.
  5. „Mitte der siebziger“ Jahre (Benutzte Ausgabe S, 47,4. Z.v.o.) ist der Erzähler Primaner.
  6. Braunschweig, siehe Fulds Ermittlungen unter Punkt „Rezeption“ in diesem Artikel. Siehe auch in der benutzten Ausgabe, S. 194, 2. Z.v.u.: Asche und Ebert benutzen den Nachtzug, um die Mühle „bei guter Zeit“ von Berlin aus zu erreichen.
  7. Meyen, S. 367-368
  8. zitiert bei Oppermann in der Braunschweiger Ausgabe, Bd. 16, S. 522, 10. Z.v.u.
  9. zitiert bei Oppermann in der Braunschweiger Ausgabe, Bd. 16, S. 522, 12. Z.v.u.
  10. Hesse, zitiert bei Volker Michels (Hrsg.): Hermann Hesse. Eine Literaturgeschichte in Rezensionen und Aufsätzen. Suhrkamp Frankfurt am Main 1970 (Taschenbuch Aufl. 1975), ISBN 3-518-36752-8, S. 353, 2. Z.v.o.
  11. Oppermann, S. 106 oben, siehe unter Punkt „Form“ in diesem Artikel
  12. Fuld, S. 287 unten
  13. Sprengel, S. 334, 15. Z.v.u.
  14. Meyen, S. 113-114

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