Villa Schönow

Villa Schönow

Villa Schönow ist eine Erzählung von Wilhelm Raabe, die vom März 1882 bis zum April 1883 entstand und Ende 1884 bei Westermann in Braunschweig erschien[1][2]. 1903 legte Erich Janke in Berlin das Buch neu auf[3]. Als eine Ursache für die zögerliche Aufnahme des Werkes durch das zeitgenössische Lesepublikum vermutet Schreinert[4] das durchgängige Berlinern der hauptstädtischen Protagonisten.

Um 1882[5] erweist sich der Berliner Unternehmer Wilhelm Schönow in der Provinz als Wohltäter zweier Waisen.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Herr Schönow, der alte Düppelstürmer und Königgrätzer[6], vormals Königlich Kaiserlicher Unteroffizier im siebten brandenburgischen Infanterieregiment[7], hat in den Bergen[8] Schieferbrüche gekauft. Mit dem Schiefer werden die Dächer seines Berlin gedeckt. Am Ort der Handlung, dem nicht benannten Städtchen nahe bei den Schieferbrüchen, hat Schönow zwei gute Freunde. Beide sterben. Erstens hinterlässt Schönows Kriegskamerad, der „arme Maurergesell“ Ludolf Amelung, Invalide nach der Schlacht bei Beaune-la-Rolande, einen 20-jährigen kleinen Bruder - den „verunglückten“[9] stud. phil. Gerhard Amelung. Zweitens hinterlässt Schönows Freund und Geschäftsfreund, der verschuldete Kreismaurermeister Hamelmann, eine Tochter - das 16-jährige Fräulein Hroswitha, Wittchen genannt.

Der Steinbruchbesitzer Wilhelm Schönow hilft den beiden Waisen Wittchen und Gerhard. Der lustige Herr aus Berlin bringt Wittchen einfach im Häuschen der Amelungs unter. Bald aber fürchtet Herr Schönow das Gerede der Kleinstädter. Er ruft nicht etwa die in der Ehe über 250 Pfund[10] schwer gewordene kinderlose Gattin Helene aus dem fernen Berlin herbei. Seine Jugendfreundin, das dünne alte Fräulein Julie Kiebitz[11], soll herhalten. Jenes Fräulein - die letzte Berliner Hegelianerin - ist die gelehrte Tochter des seligen Prof. Dr. Kiebitz. Seinerzeit, als der Laufbursche Wilhelm Schönow in Berlin noch unter einer Treppe schlief, hatte das hoch geehrte - damals 14-jährige - Fräulein den „Straßenstrolch“ unter jener Treppe hervorgezogen, zum Dachdecker ausbilden lassen und schließlich mit 3000 Talern geschäftlich auf die Beine geholfen.

Herr Schönow, der zugereiste Millionär, unerfahren „in Junge-Mädchen-Sachen“, weiß als Mann nicht weiter. Fräulein Julie folgt seinem Rufe in die „fremden Berge und Wälder, um allerlei Unmündigen aus der Verwirrung zu helfen“. Die Berlinerin steigt im Preußischem Hofe des Städtchens ab. Unterdessen haben sich die jungen Leute ineinander verliebt. Der verliebte Studiosus muss inzwischen für seinen neuen Vormund den Schreibkram erledigen. Fräulein Julie tauscht mit dem armen Gerhard die Unterkunft. Das Fräulein zieht als Anstandsdame in die Villa Schönow um. Die idyllisch am Rande des Städtchens gelegene „Villa“, eben noch lauschiges Plätzchen der zwei Turteltauben gewesen, ist weiter nichts als das kleine „Gärtneranwesen“ des „toten Franzosensiegers“[12] Ludolf Amelung. Herr Schönow hat das Häuschen samt Gärtchen aufgekauft. Er nimmt den Pflegesohn nach Berlin mit. Dort ermöglicht der Bauunternehmer dem „verunglückten Gelehrten“ weitere Studien bei Dr. Schwerfall.

Neugierig gemacht, hat der Schieferdecker Schönow seine Gattin Helene weniger mit der brieflichen Anmerkung, er wolle ihr mitten in gesunder Waldesluft eine Villa kaufen, als vielmehr mit dem Hinweis, er fühle sich von nun ab für seine „zwee Mündel“ Gerhard und Wittchen verantwortlich. Frau Helene Schönow vermutet einen doppelten Seitensprung des „Ehegenossen“, dieses „alten Spreekrokodils“ und setzt den ihr ergebenen Privatsekretär Giftge zur Eruierung der Frage: „Wo sie et fertig jebracht haben?“[13] auf die heiße Spur. Schließlich hält es die Dame nicht länger in Berlin aus. Frau Schönow trennt sich mutig von der Hauptstadt und bricht zur Besichtigung der Villa in Richtung Gebirge auf. Die gleichzeitig reisenden Gatten verfehlen sich. In dem Städtchen angekommen, quartiert sich die Frau im Preußischen Hof ein. Frau Schönow findet wider Erwarten Gefallen an der „nichtswürdigen hiesigen Kapitalanlage“ des Gatten. Zudem „jefällt“ ihr die „Jejend unjemein“ und sie „absolutiert“ ihren „Ollen absolutemang von allem“, was er hinter ihrem Rücken „injerührt“ hat.

Fräulein Julie ist vom bevorstehenden Happyend überzeugt. Wittchen und Gerhard sollen ein Paar werden. Während Gerhard in Berlin studiert, schläft Wittchen „ihren Kinderschlaf in der Villa Schönow“.

Zwei Kriege

Zwar wird Unteroffizier Wilhelm Schönow als alter Haudegen dargestellt (siehe Anfang des obigen Kapitels „Inhalt“), doch der Text kann trotzdem streckenweise als Antikriegsbuch in dem Sinne gelesen werden: Herr Schönow wirft in emotionsgeladenen Statements gelegentlich die Frage auf: Wie geht das Deutsche Reich mit seinen Kriegsopfern um? Eines der Opfer von 70/71 ist der Unteroffizier Ludolf Amelung. Er stirbt an den Spätfolgen der Schlachten bei Spichern und Beaune-la-Rolande. Als Fräulein Julie die Villa Schönow betritt (siehe oben), findet sie darin Gerhards Tante Jakobine Fiesold vor und muss sich fortan die Sprüche der „alten naiven Egoistin“ zum Thema Krieg anno 1870 anhören: „Und dem Ludolf habe ich es ja gleich gesagt, als sie ihm sein Papier für den Krieg zustellten oder ihn sich vom Bauplatze mündlich abholten: Junge, habe ich gesagt..., paß auf, dieses geht nicht gut aus, und wer dafür zu büßen hat, das sind wir!“[14]

Form

Charakteristisch für Raabe sind die sprechenden Namen. Zum Beispiel die Gerhard in Berlin bevorstehenden Studien bei Dr. Schwerfall werden alles andere als leicht sein. Die Tante Jakobine Fiesold hat den Namen nach der Tat. Die alte Frau ist ein fieser Charakter. An Querverbindungen fehlt es nicht. Schönows Freund Ulrich Schenck vom „Deutschen Adel“ wird vorgestellt.

Über weite Strecken des Textes wird in ellenlangen Monologen berlinert. Das wirkt ermüdend, doch manchmal auch erheiternd. Zum Beispiel sagt Herr Schönow: „Der Deubel soll mir frikassieren.“[15]

Selbstzeugnis

  • Tagebucheintrag vom 29. April 1884: „Man hat genug von Raabe; seine letzten Bücher gleichen einander zu sehr.“ Hintergrund: „Villa Schönow“ war im Frühjahr 1884 in Westermanns Monatsheften vorabgedruckt worden[16]. Leser hatten sich daraufhin bei Westermann schriftlich über die langweilige Lektüre beschwert.[17]

Rezeption

  • Im Januar 1885 publiziert Moritz Necker in den „Grenzboten“ den Beitrag eines Anonymus', nach dem das „berlinische Wesen“ im Mittelpunkt des Textes stehe.[18]
  • Im „Leipziger Tageblatt“ vom 11. Juli 1886 hebt ein anderer Anonymus die „meisterhafte Schilderung des Kleinstadtlebens“ hervor.[19]
  • Meyen[20] gibt fünf Arbeiten aus den Jahren 1885 bis 1951 an.

Literatur

  • Fritz Meyen: Wilhelm Raabe. Bibliographie. 438 Seiten. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1973 (2. Aufl.). Ergänzungsbd. 1, ISBN 3-525-20144-3 in Karl Hoppe (Hrsg.): Wilhelm Raabe. Sämtliche Werke. Braunschweiger Ausgabe. 24 Bde.
  • Cecilia von Studnitz: Wilhelm Raabe. Schriftsteller. Eine Biographie. 346 Seiten. Droste Verlag, Düsseldorf 1989, ISBN 3-7700-0778-6
  • Werner Fuld: Wilhelm Raabe. Eine Biographie. Hanser, München 1993 (Ausgabe dtv im Juli 2006), ISBN 3-423-34324-9

Verwendete Ausgabe

  • Villa Schönow. Eine Erzählung. S. 386-571. Mit einem Anhang, verfasst von Kurt Schreinert, S. 656-697 in: Rosemarie Schillemeit (Hrsg.): Wilhelm Raabe: Fabian und Sebastian. Prinzessin Fisch. Villa Schönow. (2. Aufl.) Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1979. Bd. 15 in Karl Hoppe † (Hrsg.), Jost Schillemeit (Hrsg.), Hans Oppermann † (Hrsg.), Kurt Schreinert (Hrsg.): Wilhelm Raabe. Sämtliche Werke. Braunschweiger Ausgabe. 24 Bde., ISBN 3-525-20130-3

Ausgaben

  • Villa Schönow. 205 Seiten. Verlag von Otto Janke, Berlin 1903 (2. Aufl.), 1911 (3. Aufl.)
  • Meyen[21] nennt vier Ausgaben.

Einzelnachweise

  1. Verwendete Ausgabe, S. 656 unten und S. 658 Mitte
  2. von Studnitz, S. 314, Eintrag 56
  3. Verwendete Ausgabe, S. 660 unten
  4. Schreinert in der verwendeten Ausgabe, S. 660 Mitte
  5. Verwendete Ausgabe, S. 544, 11. Z.v.u. und 5. Z.v.u.
  6. Schönow erzählt von den Granaten bei Oberdohalitz (Verwendete Ausgabe, S. 447, 3. Z.v.o.).
  7. Ein Vorgänger war vermutlich das Altpreußische Infanterieregiment No. 7.
  8. Wahrscheinlich ist der Harz gemeint, denn Schönow reist von dort über Magdeburg (Verwendete Ausgabe, S. 542, 7. Z.v.o.) nach Berlin.
  9. In seiner schnodderigen Sprache meint Herr Schönow mit „verunglückt“ den Studienabbruch aus finanziellen Gründen.
  10. 250 Pfund sind 125 Kilogramm.
  11. auch: Julia (verwendete Ausgabe, S. 518, 13. Z.v.u.)
  12. Verwendete Ausgabe S. 517, 13. Z.v.u.
  13. Verwendete Ausgabe, S. 467, 2. Z.v.o.
  14. Verwendete Ausgabe, S. 520, 2. Z.v.u.
  15. Verwendete Ausgabe, S. 454, 16. Z.v.o.
  16. Verwendete Ausgabe, S. 657, 4. Z.v.u.
  17. Fuld, S. 287 oben
  18. zitiert bei Schreinert in der verwendeten Ausgabe, S. 659, 13. Z.v.u.
  19. zitiert bei Schreinert in der verwendeten Ausgabe, S. 660, 3. Z.v.o.
  20. Meyen, S. 385-386
  21. Meyen, S. 129

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем сделать НИР

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Schönow — bezeichnet einen Ortsteil der Stadt Bernau bei Berlin im Landkreis Barnim in Brandenburg, siehe: Schönow (Bernau bei Berlin) einen Ortsteil der Gemeinde Passow im Landkreis Uckermark in Brandenburg, siehe: Schönow (Uckermark) eine Ortslage im… …   Deutsch Wikipedia

  • Deutscher Adel (Wilhelm Raabe) — Deutscher Adel ist eine Erzählung von Wilhelm Raabe, die 1880 bei George Westermann in Braunschweig erschien. Im Winter auf das Jahr 1879 war der Roman vom selben Verleger in „Westermanns Monatsheften“ vorabgedruckt worden. Nachauflagen hat Raabe …   Deutsch Wikipedia

  • Fabian und Sebastian — ist eine Erzählung von Wilhelm Raabe, die 1882 bei Westermann in Braunschweig erschien[1]. Ende 1881 war der Text bereits in „Westermanns Monatsheften“ vorabgedruckt worden[2]. Nach Karl Fricker soll Stuttgart für den Ort der Handlung Modell… …   Deutsch Wikipedia

  • Prinzessin Fisch — ist ein Entwicklungsroman[1] von Wilhelm Raabe, der vom Februar 1881 bis zum März 1882 entstand und im März 1883 in Buchform bei Westermann in Braunschweig erschien[2][3]. Während der Arbeit am Roman liest Raabe „Dichtung und Wahrheit“. Aus… …   Deutsch Wikipedia

  • Der Hungerpastor — ist ein Entwicklungsroman von Wilhelm Raabe, der ab November 1863 in den ersten zwölf Heften der „Deutschen Roman Zeitung“ vorabgedruckt und 1864 erstmals in Buchform im Verlag Otto Janke in Berlin erschienen ist. Geschildert wird der Werdegang… …   Deutsch Wikipedia

  • Der Dräumling — ist ein Roman von Wilhelm Raabe, der vom April 1870 bis zum Mai 1871 entstand[1] und 1872[2] bei Otto Janke in Berlin erschien.[3] Raabe erlebte 1893 und 1905 Nachauflagen. Die vierte Auflage erschien in Raabes Todesjahr. Hermann Klemm, ebenfalls …   Deutsch Wikipedia

  • Frau Salome — ist eine Erzählung von Wilhelm Raabe, die im Sommer 1874 entstand[1] und 1879 in Braunschweig erschien. Der zu den „Krähenfelder Geschichten“[2] gehörige Text war bereits im Februar 1875 in Westermanns Monatsheften abgedruckt worden.[3][4][5] Der …   Deutsch Wikipedia

  • Unruhige Gäste — Unruhige Gäste. Ein Roman aus dem Säkulum[1] von Wilhelm Raabe entstand vom Juni bis zum Oktober 1884[2] und erschien 1885 in der Gartenlaube[3][4]. In Buchform kam das Werk 1886 bei Grote in Berlin heraus[5]. Raabe hat zwei Nachauflagen… …   Deutsch Wikipedia

  • Das Horn von Wanza — ist eine zuerst 1881 erschienene Erzählung von Wilhelm Raabe auf dem Höhepunkt seiner Erzählkunst. Auf der Oberfläche ist es eine 1865 spielende, ganz muntere, nicht selten spannende, gelegentlich verdutzende Erzählung vom herablassenden Besuch… …   Deutsch Wikipedia

  • Das Odfeld — ist eine Hochebene im Landkreis Holzminden im Weserbergland in Niedersachsen. Die Herkunft des Namens Odfeld ist nicht geklärt. Die Volksetymologische Herleitung von campus odini (Odins Feld) ist sicher falsch. Wahrscheinlicher ist die Herleitung …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”