Hastenbeck (Wilhelm Raabe)

Hastenbeck (Wilhelm Raabe)

Hastenbeck, eine historische Erzählung, ist die letzte vollendete Prosaarbeit von Wilhelm Raabe, die vom August 1895 bis zum September 1898[1] entstand und Ende 1898[2] bei Otto Janke in Berlin erschien.[3]

Erzählt wird die Geschichte vom invaliden „Schweizerhauptmann Balthasar Uttenberger“ und von der greisen „Wackerhahnschen“. Die beiden Veteranen aus dem Siebenjährigen Krieg retten das Leben des Deserteurs Pold Wille und machen den Weg frei für das Happyend: Der „Porcelainemaler“ Pold heiratet die junge Immeke.

Inhaltsverzeichnis

Historie

Im Siebenjährigen Krieg kämpfen Frankreich und Großbritannien um die Vorherrschaft in Kanada. Die kriegerischen Auseinandersetzungen finden nicht nur in Nordamerika statt. Prinz Wilhelm August, das ist der Herzog von Cumberland, unterliegt auf dem deutschen Kriegsschauplatz in der Schlacht bei Hastenbeck dem Marschall von Frankreich Louis-Charles-César Le Tellier.[A 1] Wilhelm August weicht hinter die Aller zurück. Die Franzosen besetzen weite Teile Niedersachsens. In der Konvention von Zeven wird der Status quo festgeschrieben.

Im Pariser Frieden muss Frankreich seine kanadische Provinz an die britische Krone abtreten.

Inhalt

Nach der Schlacht bei Hastenbeck wird der alte Reisläufer Uttenberger im Kriegssommer 1757 vom Fieber befallen und sterbenskrank im Haus des Boffzener Pastors Gottlieb Holtnicker zurückgelassen. Der Hauptmann stammt aus dem Kanton Zürich und hatte im Dienste Seiner Majestät, des Königs von Frankreich, im Schweizerregiment Lochmann gekämpft. „Der deutsche Franzmann“ Uttenberger überlebt.

Pastor Holtnicker muss handeln, als Hans Leopold Wille, Pold Wille genannt, zum Fenster hereinschaut. Pold ist der Liebste der Pastorentochter Hannchen, Immeke oder auch das Bienchen genannt. Pold, Blumenmaler in der benachbarten Porzellanmanufaktur Fürstenberg, wurde während der Schlacht verwundet und ist aus den Reihen des Herzog Karl desertiert. Kann der Pastor seiner Ehefrau und dem einquartierten gegnerischen Hauptmann trauen? Die Wackerhahnsche – das ist die Witwe Frau Wackerhahn, ehedem Sollingsförsterin – hilft ihm. Die greise Markedenterin, früher einmal das schönste Mädchen in Boffzen gewesen, mit der Zeit die Weserhexe geworden, verbirgt den fiebernden Blumenmaler ganz in der Nähe in ihrem „letzten Lebensquartier“, einem spätmittelalterlichen Landwehrturm am Weserufer, unter ihrem Stroh.

Die Pastorin Frau Johanne Holtnicker, geborene Störenfreden, hatte ihr Bienchen 1741[A 2] als etwa dreijähriges Mädchen am Wege aufgelesen. Serenessimus Herzog Karl, Gründer der Porzellanmanufaktur, hatte der Adoption zugestimmt. Später dann war das bildhübsche Pflegetöchterlein des Boffzener Pastorenehepaares bevorzugtes Model der Fürstenberger Figuren-, Porträt- und Blumenmaler geworden. Im Frühjahr und im Hochsommer 1756 hatte die Pastorin ihr Bienchen zusammen mit dem blonden, schüchternen Pold Wille in der Laube sowie im „Nußgebüsch“ ertappt. Auf der Flucht vor der fuchsteufelswilden Pastorin war Pold Wille in Dassel „in seiner Liebesbrunst“ dem ersten Werber des Herzogs von Cumberland in die Arme gerannt und hatte alsdann dem Herzog Treue bis in den Tod geschworen. Als Deserteur aus der Armee des Herzogs wird der „Musketierer Wille“ entsprechend der Konvention von Zeven nun sowohl von den Franzosen als auch von den „Engelländern“ gejagt. Alle wollen „sie ihn in seiner engelländischen Lumpenmontur fassen“, ihn „hängen oder zwischen die Spießruten schicken“.

Das Bienchen sucht heimlich seinen Schatz in dem Turm-Versteck auf und bangt um das Leben des Fahnenflüchtigen. Das Mamsellchen wird von der Wackerhahnchen besänftigt: „Nein, nein, Mädchen, ans Leben geht’s ihm noch nicht, und was ich dazu tun kann, ihn dir ins Ehebett zu schaffen, wird getan.“

Im November 1757 wird der nur langsam Genesende im Boffzener Pfarrhaus aufgenommen und von seiner ärgsten Feindin, der Frau Pastorin, widerwillig gepflegt. Der neue Aufenthaltsort des Deserteurs bleibt nicht verborgen. Sogar Emanuel Störenfreden, Pfarrer zu Derenthal im Solling – ein Verwandter der Frau Pastorin – weiß davon. Der Derenthaler Geistliche hatte sich Chancen bei Immeke ausgerechnet. Als am 23. Dezember 1757 eine Streife der französischen Besatzer aus Höxter das Pfarrhaus nach Pold Wille durchsucht, betritt der Souslieutnant – mit „Ah pardon, mon capitaine“ verlegen grüßend – auch das Zimmer des Hauptmanns und zieht sich rasch zurück. Uttenberger sitzt auf seinem Bett und hat darunter den Deserteur versteckt. Nach diesem bedenklichen Ereignis entführt die Wackerhahnsche das Liebespaar kurz entschlossen. Die „liebe Pflegetochter“ Immeke verlässt „Vater und Mutter um des Liebsten willen.“ Durch den Tiefschnee führt der Weg der drei Flüchtlinge nach Schloss Blankenburg im Harz.[A 3] Im neutralen Blankenburg haben der Herzog Karl und sein braunschweigischer Hof Asyl gefunden. Die Wackerhahnsche will bei Hofe für den Porzellanmaler um Gnade bitten. Unterwegs kommen die drei Wanderer am Heiligen Abend halb erfroren beim Pfarrer Störenfreden vorbei. Der Geistliche beherbergt den Nebenbuhler Pold Wille samt dessen Begleitung für eine Nacht unter seinem Dach.

In Blankenburg schüttelt der Herzog „bedenklich und mißmutig den Kopf“ angesichts der Fahnenflucht des Hauptverbrechers, begnadigt jedoch seinen besten Blumenmaler, den Malermeister Musketier Wille und macht ihn zum Zeichenmeister der jüngeren Prinzessinnen. Pold und Immeke heiraten. Der Hauptmann stirbt im Pfarrhaus. Im Frühling 1758 werden die Franzosen über den Rhein gejagt.

Immeke und deren Kinder nennen die Wackerhahnsche Mutter. Die ehemalige Markedenterin, die 1768 stirbt, ist in ihrem Turm geblieben und hat nicht mit den anderen Menschen „nach Menschenart leben wollen und – können.“[4]

Form

In der Geschichte sind der Blumenmaler Pold Wille und seine Immeke, entgegen der Lesererwartung,[A 4] Nebenfiguren. Hauptsächlich agiert die Wackerhahnsche. Wenn die alte Frau im Grimm ihren Wanderstab fest aufstösst, weiß der Leser, der das krause Fabulier-Dickicht zu Beginn der Erzählung unerschrocken durchdringen konnte, sofort, wer daherkommt. Immerhin – der Erzähler bietet „eine wahre Geschichte“.[5] In seinem „treuen Bericht“[6] aus dem Jahr 1757, verfasst anno 1898,[7] setzt er die Wiederholung als Stilmittel zum Beispiel in den drei folgenden Fällen ein.[8]

  • Der Jammerruf „Weh, Niedersachsen, weh!“ nennt jenen Kriegsschauplatz, auf dem die Herrscher Frankreichs, Englands und auch Deutschlands ihre bluttriefenden Auseinandersetzungen veranstalten.
  • „Gottes Wunderwagen“ wird aus einem abgegriffenen Lederband zitiert. Autor ist der „aufrichtige Kabinettprediger Gottlieb Cober aus Altenburg“.[9] Von dem göttlichen Gefährt werden die Protagonisten über die Erzählung hinweg immer einmal abgeworfen.
  • Aus den Idyllen[10] des jungen Zürchers Salomon Geßner wird noch vorgelesen. Hauptmann Uttenberger hatte das Büchlein auf dem Feld bei Hastenbeck aufgelesen. Der Landsmann Uttenbergers singt in dem Büchlein in den Kanonendonner hinein vom goldenen Zeitalter, Arkadien, Milch und Honig und vor allem von Daphnis und Chloe. Daphnis ist nämlich bei Raabe Pold Wille und Chloe ist das Bienchen Immeke.

Selbstzeugnisse

  • Am 15. September 1898 schreibt Raabe in einem Brief an Paul Gerber, er habe sich drei Jahre „mit der Bestie“ [dem Manuskript „Hastenbeck“] abgemüht.[11]
  • Die Poesie betreffend stellt Raabe in einem Brief vom 15. November 1898 an Sigmund Schott sein Licht unter den Scheffel. Seine poetische Sonne sei im Untergehen.[12]
  • Raabe bedankt sich für eine wohlmeinende Besprechung: „Daß Ihr liebenswürdiger Wunsch: ‚Möge die Besprechung wirken!‘ der Menge gegenüber in Erfüllung gehe, möchte ich… bezweifeln.“[13]

Rezeption

Archenholz: Geschichte des siebenjährigen Krieges in Deutschland, Berlin 1793
Havemann: Geschichte der Lande Braunschweig und Lüneburg, Lüneburg 1837
Mauvillon: Geschichte Ferdinands, Herzogs von Braunschweig-Lüneburg, Leipzig 1794.
  • Sprengel[16] weist auf den Widerspruch von „pazifistischer Anklage und nationalgeschichtlichen Perspektiven“ hin.
  • Oppermann[17] bespricht Raabes hohe Zitierkunst und beruft sich dabei auf Herman Meyers „Das Zitat in der Erzählkunst“ (Stuttgart 1967, S. 186). Nach „Hastenbeck“ habe sich Raabe „Schriftsteller a. D.“ benannt. „Altershausen“ habe er „im Grunde für sich allein“ geschrieben.
  • Zeller[18] beruft sich unter anderem auf Herman Meyer und Karl-Jürgen Ringel,[19] wenn er die oben im Abschnitt „Form“ genannten Idyllen Geßners als Strukturbildner von „Hastenbeck“ heraushebt.
  • Geldsorgen hätten Raabe zum Abschluss des Manuskripts gezwungen.[20]
  • Weiter führende Arbeiten nennen Oppermann[21] (Barker Fairley (1961), Ingrid von Heiseler (1967), Karl Hoppe (1967), Werner Schultz (1966) und Karl-Jürgen Ringel (Bern 1970)) und von Studnitz[22] (Gabriele Ruhl-Anglade (1983)). Meyen[23] listet 19 Besprechungen aus den Jahren 1898 bis 1971 auf.

Weblinks

Literatur

  • Hans Oppermann: Wilhelm Raabe. rowohlts monographien. Rowohlt, Reinbek 1970, ISBN 3-499-50165-1.
  • Fritz Meyen: Wilhelm Raabe. Bibliographie. 2. Aufl. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1973, Ergänzungsbd. 1, ISBN 3-525-20144-3. In: Karl Hoppe (Hrsg.): Wilhelm Raabe. Sämtliche Werke. Braunschweiger Ausgabe. 24 Bde.
  • Cecilia von Studnitz: Wilhelm Raabe. Schriftsteller. Eine Biographie. Droste, Düsseldorf 1989, ISBN 3-7700-0778-6.
  • Eberhard Rohse: Abt Jerusalem als literarische Figur. Darstellung und Bild J.F.W. Jerusalems in historischen Romanen Hermann Klenckes und Wilhelm Raabes. In: Klaus Erich Pollmann (Hrsg.): Abt Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem (1709–1789). Beiträge zu einem Colloquium anläßlich seines 200. Todestags. Stadtarchiv und Stadtbibliothek Braunschweig, Waisenhaus-Druckerei, Braunschweig 1991 (= Braunschweiger Werkstücke 81), S. 127–171, bes. S. 153–163
  • Werner Fuld: Wilhelm Raabe. Eine Biographie. Hanser, München 1993, ISBN 3-423-34324-9. (Ausgabe dtv im Juli 2006)
  • Peter Sprengel: Geschichte der deutschsprachigen Literatur 1870–1900. Von der Reichsgründung bis zur Jahrhundertwende. C. H. Beck, München 1998, ISBN 3-406-44104-1.
  • Christoph Zeller: Allegorien des Erzählens. Wilhelm Raabes Jean-Paul-Lektüre. Metzler, Stuttgart 1999, ISBN 3-476-45218-2.
  • Thomas Krueger (Hrsg.): Hastenbeck. Die Wackerhahnsche, Fürstenberg und Wilhelm Raabe. Verlag Jörg Mitzkat, Holzminden 2006, ISBN 3-931656-88-8.

Erstausgabe

  • Wilhelm Raabe: Hastenbeck. Eine Erzählung. Verlag von Otto Janke, Berlin 1899.

Verwendete Ausgabe

  • Wilhelm Raabe: Hastenbeck. Eine Erzählung. 1. Auflage. Union Verlag, Berlin 1974. (Nachwort: Siegfried Rentzsch, Illustrationen: Jutta Hellgrewe)

Ausgaben

  • Wilhelm Raabe: Hastenbeck. Eine Erzählung. Verlag von Otto Janke, Berlin 1909 (3. Aufl.)
  • Hastenbeck. S. 5–200 Mit einem Anhang, verfasst von Karl Hoppe, S. 417–474. In: Karl Hoppe (Bearb.): Hastenbeck. Altershausen. Gedichte. 2. Auflage. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001, Bd. 20, ISBN 3-525-20144-3. In: Karl Hoppe (Hrsg.), Jost Schillemeit (Hrsg.), Hans Oppermann (Hrsg.), Kurt Schreinert (Hrsg.): Wilhelm Raabe. Sämtliche Werke. Braunschweiger Ausgabe. 24 Bde.
  • Wilhelm Raabe: Wilhelm Raabes Wunderwagen. Das Odfeld und Hastenbeck. 2 Bde. Verlag hohesufer.com, Hannover 2010, ISBN 978-3-941513-10-5.
  • Wilhelm Raabe: Hastenbeck. Eine Erzählung. Verlag hohesufer.com, Hannover 2010, ISBN 978-3-941513-09-9.

Anmerkungen

  1. Der Franzose muss sein Kommando dem Herzog von Richelieu übergeben.
  2. Im Jahr der Schlacht bei Mollwitz (Verwendete Ausgabe, S. 25, 12. Z.v.o.)
  3. Der Marsch führt von Boffzen über Derenthal, Einbeck, Osterode, Scharzfeld, Sachsa, Walkenried, Ellrich, Ilfeld, Stolberg, Pansfelde und Gernrode ins neutrale Blankenburg.
  4. Nachdem Raabe ausführlich Herzog Karl angeklagt hat, wie dieser seine „Landes Kinder“ als Kanonenfutter meistbietend an die Engländer und an General Washington verkauft, hält er ein und schreibt: „Aber was geht uns das an? Serenissima, unsere liebe Leserin, frägt schon lange: ‚Das soll eine Liebesgeschichte werden? Den Daphnis und die Chloe, die langweiligen arkadischen Griechen, wollte ich mir ja gerne schenken, aber erfahren möchte man doch allmählich ein wenig Genaueres von der Hauptsache‘.“ (Verwendete Ausgabe, S. 49, 3. Z.v.u.)

Einzelnachweise

  1. Hoppe in der Braunschweiger Ausgabe, Bd. 20, S. 419 Mitte und S. 427 oben sowie Rentzsch in der verwendeten Ausgabe, S. 237, 6. Z.v.o.
  2. Hoppe in der Braunschweiger Ausgabe, Bd. 20, S. 438, Einträge Z und B1 sowie von Studnitz, S. 272, 11. Z.v.u.
  3. von Studnitz, S. 315, Eintrag 67
  4. Verwendete Ausgabe, S. 229, 10. Z.v.u.
  5. Verwendete Ausgabe, S. 50, 6. Z.v.o.
  6. Verwendete Ausgabe, S. 130, 16. Z.v.u.
  7. Verwendete Ausgabe, S. 141, 19. Z.v.o.
  8. siehe auch Oppermann, S. 120, 1. Z.v.o.
  9. Gottlieb Cober: „Der aufrichtige Cabinet-Prediger“, Altenburg 1711; dazu: Jakob Franck: Cober, Gottlieb. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 4, Duncker & Humblot, Leipzig 1876, S. 369–371.
  10. Salomon Geßner: Idyllen. Zürich 1756, Projekt Gutenberg-DE. Siehe auch bei Zeno.org
  11. bei Hoppe in der Braunschweiger Ausgabe, Bd. 20, S. 436, 2. Z.v.u.
  12. bei Hoppe in der Braunschweiger Ausgabe, Bd. 20, S. 437, 3. Z.v.o.
  13. zitiert bei von Studnitz, S. 273, 5. Z.v.o.
  14. Hoppe in der Braunschweiger Ausgabe, Bd. 20, S. 427–437
  15. Hoppe in der Braunschweiger Ausgabe, Bd. 20, S. 420
  16. Sprengel, S. 341, 11. Z.v.o.
  17. Oppermann, S. 120 oben
  18. Zeller, S. 74–89
  19. Zeller, S. 74, 12. Z.v.o. und S. 74, Fußnote 1
  20. Fuld, S. 338, 5. Z.v.o.
  21. Oppermann, S. 153, Mitte und S. 157, 24. Z.v.u.
  22. von Studnitz, S. 320, 18. Z.v.u.
  23. Meyen, S. 341–343

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