Geisel-Prozess

Geisel-Prozess

Der Prozess Generäle in Südosteuropa, auch als Geiselmord-Prozess bekannt, war das siebte von insgesamt zwölf Nachfolgeverfahren der Nürnberger Prozesse. Zentraler Anklagepunkt war die Verantwortung für die Tötung tausender jugoslawischer und griechischer Zivilisten. Zwölf ranghohe Offiziere der Wehrmacht wurden wegen Kriegsverbrechen im Zusammenhang mit der Eroberung und Okkupation von Jugoslawien, Albanien und Griechenland angeklagt. Ein Angeklagter nahm sich noch vor Verhandlungsbeginn das Leben, der Hauptangeklagte Generalfeldmarschall Maximilian von Weichs schied wegen Krankheit aus dem Prozess aus. Zwei der verbliebenen zehn Angeklagten wurden freigesprochen, acht wurden zu Freiheitsstrafen zwischen sieben Jahren und lebenslänglich verurteilt. Das Gericht stufte die von der Wehrmacht geübte Praxis der Hinrichtungen von Geiseln in den besetzten Gebieten aufgrund ihrer exzessiven Züge eindeutig als Kriegsverbrechen ein.

Inhaltsverzeichnis

Das Verfahren

Die Anklagepunkte

Vorsitzender Richter war Charles F. Wennerstrum, Richter am Obersten Gericht des Staates Iowa.

Die Anklageschrift vom 13. Mai 1947 enthielt die Anklagepunkte:

  1. Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Massenmord
  2. Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Plünderung und Raub
  3. Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit: völkerrechtswidrige Hinrichtungen
  4. Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Zwangsarbeit und Deportation zur Sklavenarbeit

Die Anklagepunkt bezogen sich auf die Exekutionen von Geiseln im besetzten Jugoslawien, die Zerstörung und das Niederbrennen von Dörfern und Städten. Außerdem standen verbrecherische Befehle im Mittelpunkt: etwa der Befehl des Generalfeldmarschall Wilhelm List zur Behandlung von Partisanen, die Weitergabe des Kommissarbefehls vom Sommer 1941 und des Kommandobefehl vom 18. Oktober 1942. Weiterhin ging es um die Verantwortung für die Verschleppung der Bevölkerung, für die Errichtung von Konzentrationslagern und für die Deportationen zur Zwangsarbeit nach Deutschland. Einige der Taten waren nicht auf dem Balkan, sondern in Italien und Norwegen begangen worden.

Angeklagte und Strafen

Keiner der Angeklagten hatte sich schuldig bekannt.

Der historische Hintergrund des Prozesses

Hauptartikel: Balkanfeldzug; Serbien im Zweiten Weltkrieg

Nach der Kapitulation der jugoslawischen Armee am 17. April 1941 und der Besetzung Griechenlands wenige Wochen später wurde das Gros der deutschen Truppen zur Vorbereitung des Überfalls auf die Sowjetunion abgezogen und Generalfeldmarschall List zum Wehrmachtsbefehlshaber über die verbliebenen schwachen Kräfte ernannt. Erstmals seit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges traf die Wehrmacht nun auf organisierte Partisanenverbände, die umfassend Widerstand leisteten. Am 27. Juni 1941 wurde das „Generalhauptquartier der Partisanenverbände für die nationale Befreiung“ geschaffen, dessen Kommando Josip Broz Tito übernahm. Sämtliche deutsche Truppen im Aufstandsgebiet wurden dem aus Österreich stammenden Kommandierenden General des XVIII. Armeekorps, Franz Böhme, unterstellt.

Generalfeldmarschall Wilhelm Keitels Erlass vom 16. September 1941 war eine Weisung des Oberkommandos der Wehrmacht zur Partisanenbekämpfung:

Der Führer hat nunmehr angeordnet, daß überall mit den schärfsten Mitteln einzugreifen ist, um die Bewegung in kürzester Zeit niederzuschlagen [...] Als Sühne für ein deutsches Soldatenleben muß in diesen Fällen im allgemeinen die Todesstrafe für 50-100 Kommunisten als angemessen gelten. Die Art der Vollstreckung muß die abschreckende Wirkung noch erhöhen[1].

Einige Monate zuvor, im Mai 1941, war in Serbien die Quote von 100 Serben für jeden deutschen Soldaten, der durch Überfall zu Schaden gekommen war, bekannt gegeben worden. Am 4. Oktober 1941 befahl Böhme, für 21 deutsche Soldaten 2.100 Gefangene der Konzentrationslager Šabac und Belgrad zu erschiessen, „vorwiegend Juden und Kommunisten“. Ein weiterer Befehl Böhmes vom 10. Oktober 1941 ging über den Befehl Lists noch hinaus. Er stellte keinen regionalen oder sachlichen Zusammenhang mehr her zwischen den zu sanktionierenden Vorfällen und den Geiselexekutionen. In Lists Befehl war von Juden keine Rede gewesen, Böhme schloss sie aber ausdrücklich als eigene Kategorie in die Geiselaktionen mit ein:

...alle Kommunisten, als solche verdächtigen männlichen Einwohner, sämtliche Juden, eine bestimmte Anzahl nationalistisch oder demokratisch gesinnter Einwohner....[2]

Unter dem Deckmantel von Geiselerschiessungen wurde in Serbien der größte Teil der jüdischen Bevölkerung sowie der Sinti und Roma erschossen. Nach den Ländern des Baltikums war Serbien das erste „judenfreie" Gebiet. Aber auch die übrige serbische Zivilbevölkerung blieb nicht verschont. Am meisten Opfer forderten die Massaker von Kraljevo und Kragujevac. Danach wurden die Geiselerschiessungen durch SD, SS und Wehrmacht in geringerem Umfang fortgesetzt.

Urteile und Begründungen

Der Angeklagte Franz Böhme nahm sich durch einen Sprung aus dem vierten Stock des Gefängnisses in Nürnberg das Leben, Maximilian von Weichs wurde aufgrund seines schlechten Gesundheitszustands aus der Haft entlassen und nicht verurteilt. Das Urteil wurde am 19. Februar 1948 vom Internationalen Militärgerichtshof der Vereinigten Staaten von Amerika in Nürnberg gesprochen. Von den zehn im Verfahren verbliebenen Angeklagten wurden zwei freigesprochen, Herman Foertsch und Curt Ritter von Geitner. Die anderen erhielten Gefängnisstrafen zwischen sieben Jahren und lebenslänglich.

Wilhelm List wurde der Weitergabe des Kommissar-Befehls nicht für schuldig befunden, wohl aber der Anklagepunkte I und III. Walter Kuntze wurde wegen seiner Verantwortung für die Geiselerschiessungen und die Verschleppung von Juden in die Konzentrationslager vor ihrer Ermordung für schuldig befunden. Damit war er in den Anklagepunkten I, III und IV schuldig, ebenso wie Lothar Rendulic. Ernst Dehner wurde in Punkt I wegen Geiseltötungen schuldig gesprochen. Ernst von Leyser wurde u.a. auch wegen der Verschleppung von Kroaten zur Zwangsarbeit nach Deutschland und der Weitergabe des Kommissar-Befehls in den Punkten III und IV verurteilt. Helmut Felmy, Befehlshaber von Südgriechenland, wurde wegen des „Blutbades von Klissoura“, bei dem mindestens 250 Menschen, darunter 72 Kinder durch Einheiten des SS-Panzer-Grenadier-Regiments 7 ermordet wurden, in den Punkten I und II schuldig gesprochen. Hubert Lanz wurde wegen Geiselerschiessungen und wegen der Erschießung des italienischen Generals Gandin und seiner Stabsoffiziere in den Punkten I und III schuldig gesprochen. Wilhelm Speidel, Militärbefehlshaber von Südgriechenland und später Griechenland, wurde wegen der dortigen Geiseltötungen in Punkt I schuldig befunden.

Bewertung von Geiselnahmen und Geiselerschiessungen durch das Gericht

Die Rechtfertigung der Massenverbrechen an der Zivilbevölkerung als angeblich völkerrechtsmäßige Repressalie war eine der Verteidigungslinien im Prozess. Sie wurde von den Richtern nicht anerkannt. Einer der zentralen Verhandlungspunkte war die Strafbarkeit von Geiselerschiessungen. Der französische Hauptankläger, Francois de Menthon, berief sich dabei auf den Artikel 50 der Haager Landkriegsordnung von 1907 und sah in den Geiselerschiessungen „in allen Ländern die ersten Terrorakte der deutschen Besatzungstruppen“. Das Gericht beschloss jedoch, statt dessen die Linie zu verfolgen, die im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher verfolgt worden war. Dort waren die Massenmorde der Wehrmacht an Geiseln im Zusammenhang mit Generalfeldmarschall Wilhelm Keitels Erlass vom 16. September 1941 behandelt worden. Es führte aus:

Der Gedanke, daß eine unschuldige Person für die verbrecherische Handlungsweise einer anderen getötet werden kann, ist jedem natürlichen Rechtsempfinden ein Greuel. Wir verdammen die Ungerechtigkeit einer derartigen Bestimmung als barbarisches Überbleibsel aus der Vorzeit. Es ist jedoch nicht unser Amt, Völkerrecht zu schreiben, wie wir es haben möchten, sondern es anzuwenden, wie wir es vorfinden [...]. Eine Prüfung des uns über diese Materie zur Verfügung stehenden Beweismaterials überzeugt uns, daß Geiseln genommen werden können, um das friedliche Verhalten der Bevölkerung der besetzten Gebiete sicherzustellen und unter gewissen Umständen und wenn die notwendigen vorbereitenden Schritte getan wurden, als letzter Ausdruck erschossen werden können[3].

Das Gericht schränkte diesen Befund aber stark ein. So wies es auf eine Reihe von Repressalien anderer Art hin. Außerdem sah es nur Geiselnahmen als zulässig an, wenn ein Zusammenhang zwischen der Bevölkerung, aus denen die Geiseln genommen werden und den begangenen Verbrechen bestehe. Auch die befohlenen Erschiessungsquoten sah das Gericht wie schon im Hauptprozess nicht als angemessen an und erläuterte:

Die Anzahl der erschossenen Geiseln darf an Schärfe die Vergehen, von denen die Erschießung abzuschrecken bestimmt ist, nicht überschreiten. Wenn die vorerwähnten Bestimmungen nicht erfüllt sind, so stellt die Erschießung von Geiseln eine Verletzung des Völkerrechts dar und ist in sich selbst ein Kriegsverbrechen. Das Ausmaß, in dem diese Praxis von den deutschen angewendet wurde, übersteigt die elementarsten Auffassungen von Menschlichkeit und Gerechtigkeit. Sie berufen sich auf militärische Notwendigkeit, die sie mit Zweckmäßigkeit und strategischem Interesse verwechseln[4].

Begnadigungen

Der öffentliche Druck zur Begnadigung der in Nürnberg Verurteilten führten zu Gnadenentscheidungen des amerikanischen Hohen Kommissars John Jay McCloy zu einer Zeit, als im Kalten Krieg die Aufstellung westdeutscher Streitkräfte im Interesse der USA lag. Dehner, Felmy, Lanz, Leyser, Rendulic und Wilhelm Speidel wurden 1951 aus der Haft entlassen, Wilhelm List 1952 und zuletzt 1953 Walter Kuntze.

Rezeption des Prozesses

Das Gericht wurde von ehemaligen Widerstandskämpfern und auch in der sowjetischen Presse stark gerügt, weil es Partisanen nicht als Subjekte des Kriegsvölkerrechts anerkannte und ihnen den darin enthaltenen Schutz verwehrte.[5] Das Gericht hatte begründet, es sei nicht befugt, neues Recht zu schaffen, sondern nur geltendes Recht anzuwenden. Dazu hatte es die Hoffnung geäußert, wenigstens ein Zeichen für den Schutz der Zivilbevölkerung in künftigen Kriegen gesetzt zu haben. In der Genfer Konvention wurde dies im Artikel 3 bestätigt: Geiselnahme ist „wann und wo auch immer“ ausdrücklich verboten.

Dass im Prozess die heute bekannte enge Verbindung des Kampfes gegen die Partisanen mit den Geiselmordaktionen gegen die Zivilbevölkerung und mit dem Massenmord an Juden sowie Sinti und Roma nicht im Zentrum des Prozesses stand, halten Historiker für den Grund, dass die Massenmorde der Wehrmacht auf dem Balkan heute kaum bekannt sind.

Quellen

  1. zitiert nach: Gerd R.Ueberschaer (Hrsg.): a.a.O. S.147
  2. Bundesarchiv (Hrsg.): Europa unterm Hakenkreuz, Die Okkupationspolitik des deutschen Faschismus in Jugoslawien, Griechenland, Albanien, Italien und Ungarn (1941-1945); Hüthig Verlagsgemeinschaft, Band 6 , ISBN 3-8226-1892-6
  3. zitiert nach: Gerd R.Ueberschaer (Hrsg.): a.a.O. S.150f.
  4. Gerd R.Ueberschaer (Hrsg.): a.a.O. S.151f.
  5. Weinke, aaO, S.82

Literatur

  • Gerd R.Ueberschaer (Hrsg.): Der Nationalsozialismus vor Gericht. Die alliierten Prozesse gegen Kriegsverbrecher und Soldaten 1943-1952, Frankfurt 1999, ISBN 3-596-13589-3

Weblinks


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