Gerhard Graf von Schwerin

Gerhard Graf von Schwerin

Gerhard Helmut Detleff Graf von Schwerin (* 23. Juni 1899 in Hannover; † 29. Oktober 1980 in Rottach-Egern) war ein deutscher Offizier, zuletzt General der Panzertruppe der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Graf Schwerin wurde als jüngstes von fünf Kindern eines preußischen Beamten und späteren Regierungspräsidenten von Köslin geboren. Er gehörte dem Adelsgeschlecht von Schwerin an, einer Familie des mecklenburgischen und pommerschen Uradels mit langer militärischer Tradition. Bereits im Alter von acht Jahren verlor er seinen Vater und wuchs danach praktisch als Einzelkind auf. Nach dem Besuch der Gymnasien in Köslin und Anklam trat er im Alter von 15 Jahren in die Kadettenanstalt in Köslin ein. Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs zog er als Fähnrich im 2. Garde-Regiment zu Fuß ins Feld. Später kam er ins 1. Pommersche Grenadier-Regiment Nr. 2. Im Juni 1915 wurde er zum Leutnant befördert und im Verlauf des Krieges, den er an der Ost- und Westfront erlebte, als Infanterie-Zugführer, Kompanieführer und Bataillonsadjutant eingesetzt, zuletzt im Rang eines Oberleutnants. Am 26. September 1918 wurde er verwundet und erlebte das Kriegsende im Lazarett. Er wurde danach als Leutnant in das Reichsheer übernommen und diente in verschiedenen Freikorps, darunter dem Generalkommando Lüttwitz und der Garde-Kavallerie-Schützen-Division. 1920 schied er aus der Armee aus.

Nach einer kaufmännischen Lehre bei der Kaffeehandels-AG in Bremen und einer Stellung als Leiter der Transportabteilung der AG für Petrol-Industrie in Berlin kehrte Graf von Schwerin im Sommer 1923 in die Reichswehr zurück. Zunächst kam er in das 1. (Preußische) Infanterie-Regiment nach Königsberg, später zum 3. Infanterie-Regiment und 1931 schließlich zum 18. Infanterie-Regiment in Paderborn. Am 1. Mai 1933 erfolgte die Beförderung zum Hauptmann. Nach einer zweijährigen Generalstabsausbildung an der Berliner Kriegsakademie wurde er im Oktober 1935 nach Bremen in den Stab der neuaufgestellten 22. Infanterie-Division versetzt. Nach der Beförderung zum Major i.G. übernahm er am 1. Oktober 1938 die Leitung der Gruppe „USA/England“ der Abteilung Fremde Heere West des OKH und wurde in dieser Stellung am 1. April 1939 zum Oberstleutnant befördert. Nach Kritik an Adolf Hitler wurde er aus dem Generalstab entfernt und übernahm im Oktober 1939 das I. Bataillon des motorisierten Infanterie-Regiments „Großdeutschland“, im Februar 1940 wurde er vertretungsweise dessen Regimentskommandeur.

Zweiter Weltkrieg

Während des Westfeldzuges kämpfte sein Regiment zunächst in Belgien im Gebiet von Nives, Witry und Neufchâteau, später in Frankreich an der Somme. Nach Untersuchungen Anfang des 21. Jahrhunderts war seine Truppe hier an mindestens zwei Massakern beteiligt.[1] Zahlreiche unbewaffnete schwarzafrikanische Angehörige der französischen Armee, sogenannte Tirailleurs sénégalais, die sich bereits ergeben hatten, wurden dabei ermordet. Belegt sind zwei Massaker an schwarzafrikanischen Soldaten und ihren europäischen Offizieren. Am 10. Juni 1940 wurden mindestens 150 Tirailleurs im Raum Erquinvillers auf dem Marsch nach Montdidier ermordet. Am 19. und 20. Juni 1940 kam es zu einer Serie von Massakern im Raum Chasselay, bei denen das Regiment und die SS-Division Totenkopf etwa 100 Tirailleurs und ihre Offiziere ermordeten.

Im Frühjahr 1941 wurde Schwerin als Führer des Regimentsstabs z.b.V. 200 nach Afrika versetzt. Im April 1941 unternahm die von ihm geführte deutsch-italienische Abteilung, die sogenannte Kampfgruppe Schwerin, einen langen Aufklärungsvorstoß in den Fezzan und legte dabei 2000 km zurück. Die "Kampfgruppe Schwerin" konnte die Oase Mechili einnehmen und über 2.000 Briten gefangen nehmen, darunter zwei Generäle. Er übernahm anschließend das Kommando über das Panzer-Regiment 5 der 5. leichten Division, das er kurzzeitig in den Kämpfen in Libyen führte, bevor er in die Führerreserve versetzt wurde.

Am 1. August 1941 wurde er zum Oberst befördert und im gleichen Monat Kommandeur des Infanterie-Regiments 76 (mot.) der 20. Infanterie-Division (mot.) an der Ostfront. An der Front bewährte sich der Regimentskommandeur in Angriff und Verteidigung am Wolchow, bei Schlüsselburg, an der Newa sowie bei Leningrad und erhielt am 17. Januar 1942 das Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes. Zwischenzeitlich war er mit der Führung der 254. Infanterie-Division beauftragt und übernahm am 23. Juli 1942 den Befehl über die 8. Jäger-Division.

Im Oktober 1942 wurde Gerhard von Schwerin im Alter von 43 Jahren zum Generalmajor befördert. Ab November 1942 führte er die 16. Infanterie-Division (mot.), die im Südabschnitt der Ostfront bei der 4. Panzerarmee eingesetzt war. Mit diesem Verband kämpfte er während schwerer Gefechte im Raum südlich von Stalingrad. Dort fungierte die 16. motorisierte Infanteriedivision als einziges Bindeglied zwischen den Truppen vor Stalingrad im Norden und der Heeresgruppe A im Kaukasus. Im Frühjahr 1943 wurde die Division nach schweren Verlusten aus der Front gezogen und aufgefüllt und im Juni 1943 zur Panzergrenadierdivision umgegliedert. Anschließend wurde die Division wieder der Heeresgruppe Süd unterstellt. Am 17. Mai 1943 erhielt der Kommandeur für die Leistungen während der Rückzugskämpfe das Eichenlaub zum Ritterkreuz verliehen. Es folgten schwere und verlustreiche Rückzugsgefechte bei Isjum, Slowjansk, Stepanowsk und Kriwoi Rog. Für diese erhielt von Schwerin für seinen Einsatz am 4. November 1943 die Schwerter verliehen. Im März 1944 wurde die Division im Raum Uman zerschlagen und die Reste nach Frankreich verlegt. Dort wurde aus ihr die 116. Panzer-Division aufgestellt, die Schwerin weiterhin befehligte.

Als am 6. Juni 1944 amerikanische, britische, französische und kanadische Streitkräfte in der Normandie landeten, lag Schwerins 116. Panzerdivision nördlich von Guyon. Trotz der seit Wochen dauernden Abwehrschlacht an der Invasionsfront in der Normandie behielt General Hans Speidel die kampfkräftige Division unter einem Vorwand bis Ende Juli im Großraum Paris zurück. Am 19. Juli 1944 – einen Tag vor dem Attentat auf Hitler – konnte Speidel den Verlegungsbefehl für die 116. Panzerdivision nicht länger zurückhalten. Der Großverband rückte in Richtung Normandie ab. Graf Schwerin wurde am 7. August, während des Unternehmens Lüttich, nach Auseinandersetzungen mit seinem unmittelbaren Vorgesetzten Hans Freiherr von Funck als Kommandeur der 116. Panzerdivision abgesetzt. Die Division entging dem Kessel von Falaise dann unter der Führung des Ia, (Erster Generalstabsoffizier) Heinz Günther Guderian, Schwerin übernahm den Befehl erst wieder am 23. August. Schwerin verfasste zusammen mit Heinrich von Lüttwitz, dem Kommandeur der 2. Panzer-Division, ein Memorandum, in dem er das Ende des Krieges forderte.

Nach verlustreichen Rückzugskämpfen in Frankreich und Belgien erreichte Schwerin mit seiner Division am 12. September 1944 Aachen, das zu diesem Zeitpunkt bereits evakuiert wurde. Aachen lag zwischen der ersten und zweiten Verteidigungsstellung des Westwalls und wurde zur ersten deutschen Großstadt, die von den Alliierten angegriffen wurde. Schwerins Division wurde mit der Verteidigung der Stadt beauftragt. Doch schon am 14. September wurde Schwerin seines Kommandos enthoben, weil er angeblich in die Evakuierung der Bevölkerung eingegriffen hatte. Es wurde eine kriegsgerichtliche Untersuchung eingeleitet, Schwerin wurde zunächst, wie es offiziell hieß zur „Wiederherstellung seiner Gesundheit“, in die Führerreserve versetzt. Das Verfahren gegen Schwerin wurde im November 1944 mit einer Verwarnung eingestellt. Nach dem Krieg dankte die Aachener Stadtverwaltung von Schwerin, der die Stadt vor der Zerstörung bewahren wollte, indem sie 1963 eine Straße nach ihm benannte. Bereits 1957 durfte Schwerin sich ins Goldene Buch der Stadt eintragen, Ehrenbürger wurde er nie, obwohl dies oft behauptet wird. Der Rat der Stadt Aachen hat in der Ratssitzung am 22. August 2007 mit großer Mehrheit die Straße in Kornelimünsterweg umbenannt (wie die Straße im weiteren Verlauf auch bisher hieß), nachdem ein Gutachten der RWTH Aachen[2] keine Belege für eine „Heldentat“ Schwerins in Aachen erbringen konnte. Hinzu kam der Vorwurf, dass Schwerin dafür verantwortlich sei, dass am 13. September 1944 zwei vierzehnjährige Jungen in der Stadt als angebliche Plünderer erschossen wurden.

Anfang Dezember 1944 übernahm von Schwerin die 90. Panzergrenadierdivision in Italien; am 26. Dezember 1944 erreichte er den Höhepunkt seiner militärischen Karriere, als er mit der Führung des LXXVI. Panzerkorps der Heeresgruppe C in Norditalien beauftragt wurde. Am 1. April 1945 wurde er zum General der Panzertruppe befördert unter gleichzeitiger Ernennung zum Kommandierenden General des LXXVI. Panzerkorps. Am 25. April 1945 geriet er in britische Kriegsgefangenschaft, aus der er 1947 entlassen wurde.

Nachkriegszeit

Am 24. Mai 1950 – fünf Jahre vor Gründung der neuen Bundeswehr – wurde Graf von Schwerin durch die Regierung Adenauer als Berater für Militär- und Sicherheitsfragen verpflichtet. Adenauer beauftragte ihn mit dem Vorhaben einer „mobilen Bundesgendarmerie“ sowie mit der Bearbeitung von Fragen der Sicherheit der Behörden des Bundes und der Länder. Die Dienststelle Schwerin trug die Tarnbezeichnung Zentrale für Heimatdienst (ZfH).

Seit Beginn der Korea-Krise im Juni 1950 forderten vor allem die USA einen deutschen Verteidigungsbeitrag für Westeuropa, der den Plan einer Bundesgendarmerie (Republican Guard) als ineffektiv erscheinen ließ. So wurde die Dienststelle Schwerins zur ersten amtlichen Einrichtung der Bundesrepublik Deutschland, die systematisch alle Fragen eines westdeutschen Militärbeitrages bearbeitete. Schwerin wurde von Adenauer mit der Vorbereitung der Expertenkonferenz vom 5. bis 9. Oktober 1950 beauftragt, diese fasste das Ergebnis einschlägiger Untersuchungen in der nach dem Tagungsort benannten Himmeroder Denkschrift zusammen, die grundlegende Planungsvorhaben für die spätere Bundeswehr formulierte. Schwerin selbst war nicht Mitglied der Expertenkonferenz.[3] Dies ist der erste Schritt zu einer deutschen Wiederbewaffnung unter Kontrolle der Westmächte. Schwerin kritisierte, dass Adenauers informelle Beratergruppe ehemaliger Generale ausgerechnet diejenigen Offiziere als Landesverräter diffamieren würde, die Widerstand gegen das NS-Regime geleistet hatten. Mit der Auflösung der Zentrale für Heimatdienst (ZfH) Ende Oktober 1950 wurde Schwerin von Konrad Adenauer im gegenseitigen Einvernehmen entlassen. Die Aufgaben der ZfH übernahm nun das Amt Blank.

Als die Bundeswehr entstand, wurde er wehrpolitischer Berater der FDP im Deutschen Bundestag.

Am 29. Oktober 1980 starb er in Rottach-Egern.

Auszeichnungen

Literatur

  • Christoph Rass, René Rohrkamp und Peter M. Quadflieg: General Graf von Schwerin und das Kriegsende in Aachen. Ereignis, Mythos, Analyse. Aachen 2007, ISBN 978-3-8322-6623-3
  • Guido Baumann, Otto Bönnemann und Meven Walter: Die Tragödie von Aachen. Dokumentation über die Hinrichtung von Karl Schwartz und Johann Herren. Aachen 2003, ISBN 3-921295-51-3
  • Fritz Memminger, Familienverband ehemaliger Angehöriger der Windhund-Division e.V. (Hrsg.): Die Kriegsgeschichte der Windhund-Division. Bochum 1962–1980

Einzelnachweise

  1. Raffael Scheck: Hitler’s African victims. The German Army massacres of Black French soldiers in 1940. Cambridge UP 2006, ISBN 978-0-521-85799-4, hier besonders S. 124-126 und 154-157; deutsch: Hitlers afrikanische Opfer. Die Massaker der Wehrmacht an schwarzen französischen Soldaten. Assoziation A, Berlin 2009
  2. Christoph Rass, René Rohrkamp, Peter M. Quadflieg: Gerhard Graf von Schwerin und das Kriegsende in Aachen – Ereignis, Mythos, Analyse. Aachen 2007.
  3. Deutsches Bundesarchiv: Auf dem Weg zum Verteidigungsministerium: Die Zentrale für Heimatdienst und das "Amt Blank" 1950 - 1955.
  4. a b c Rangliste des Deutschen Reichsheeres, Hrsg.: Reichswehrministerium, Mittler & Sohn Verlag, Berlin 1925, S. 188
  5. Veit Scherzer: Die Ritterkreuzträger 1939–1945. Scherzers Militaer-Verlag, Ranis/Jena 2007, ISBN 978-3-938845-17-2, S.6979

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