Gipfel von Nizza

Gipfel von Nizza

Der Vertrag von Nizza ist ein Vertrag zur Änderung des EU-Vertrages (Vertrag von Maastricht), der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte. Als wichtigste Änderung gilt, dass in vielen Bereichen Beschlüsse mit qualifizierter Mehrheit statt mit Einstimmigkeit zur Regel werden. Der Vertrag wurde am 11. Dezember 2000 beim Europäischen Rat in Nizza von den Staats- und Regierungschefs beschlossen und trat nach der Ratifizierung am 1. Februar 2003 in Kraft. Der Vertrag von Nizza ist damit die Basis des gegenwärtigen politischen Systems der EU.

Stimmverteilung im Rat der EU seit 1. November 2004 bzw. 1. Januar 2007, zum Vergleich Quadratwurzelgesetz
Land Einwohner Stimmen Vergl.-fkt.
[Mio.]
Deutschland 82,5 29 33,0
Frankreich 62,5 29 28,7
Vereinigtes Königreich 59,4 29 28,0
Italien 57,7 29 27,6
Spanien 39,4 27 22,8
Polen 38,6 27 22,6
Rumänien 21,7 14 16,9
Niederlande 15,8 13 14,4
Griechenland 10,6 12 11,8
Tschechien 10,3 12 11,7
Belgien 10,2 12 11,6
Ungarn 10,0 12 11,5
Portugal 9,9 12 11,4
Schweden 8,9 10 10,8
Österreich 8,1 10 10,3
Bulgarien 7,3 10 9,8
Slowakei 5,4 7 8,5
Dänemark 5,3 7 8,4
Finnland 5,2 7 8,3
Litauen 3,7 7 7,0
Republik Irland 3,7 7 7,0
Lettland 2,4 4 5,6
Slowenien 2,0 4 5,1
Estland 1,4 4 4,3
Zypern 0,8 4 3,3
Luxemburg 0,4 4 2,3
Malta 0,4 3 2,3
EU 483,6 345 345,0

Der Vertrag von Nizza bestimmt, als bisher letzte in Kraft getretene Änderung der Europäischen Verträge, die aktuellen Regeln in der EU. Die neue EU-Verfassung hätte die Regelungen von Nizza ab etwa 2006/2007 ersetzen sollen. Wegen der negativen Referenden zur Ratifizierung der Verfassung in Frankreich (am 29. Mai 2005 mit 54,8% abgelehnt) und den Niederlanden (am 1. Juni 2005 mit 61,54% abgelehnt) ist die Verfassung jedoch vorläufig gescheitert.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte und Details

Die Zusammensetzung und Funktionsweise der Organe der Europäischen Gemeinschaft war seit 1957 bis in die neunziger Jahre wenig verändert worden, obwohl sich die Zahl der Mitgliedstaaten von ursprünglich sechs auf 15 erhöht hatte und die Europäische Union durch den Vertrag von Maastricht 1992 deutlich mehr Aufgaben wahrnahm als zu Beginn der Integration.

Ende der 1990er Jahre war wegen der geplanten Osterweiterung der Europäischen Union von einer Zunahme der Zahl der Mitgliedstaaten von 15 auf bis zu 27, also auf annähernd das Doppelte, auszugehen. Dies hätte ohne Reform den institutionellen Rahmen der Union gesprengt und ihre Handlungsfähigkeit gefährdet: In einer Union der 27 hätte die Europäische Kommission nach den in Maastricht verabschiedeten Regeln 33 Mitglieder gehabt und die Zahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments wäre auf mehr als 800 gestiegen. Besonders die Beibehaltung des Prinzips der Einstimmigkeit der Beschlüsse im Rat hätte bei 27 Mitgliedern kaum noch Entscheidungen zugelassen.

Bereits der Vertrag von Amsterdam 1997 hatte die Europäische Union „fit“ für die Erweiterung machen sollen, doch die Mitgliedstaaten konnten sich damals nicht auf alle notwendigen institutionellen Reformen einigen. Amsterdam brachte zwar eine Stärkung des Europäischen Parlaments sowie eine Verkleinerung auf 700 Sitze nach der Osterweiterung. Zudem sollte sich die Kommission nach der ersten Erweiterung nur noch durch einen Kommissar pro Mitgliedsland konstituieren. Auch wurde eine leichte Erweiterung der Bereiche, in denen im Rat Mehrheitsentscheide möglich sein sollten, beschlossen. Dennoch waren die Reformen nicht ausreichend, insbesondere im Fall der Größe und Zusammensetzung der Kommission, die auch nach Amsterdam durch eine Erweiterung mit 12 Staaten auf 27 Mitglieder ansteigen würde und stärker mit Effizienzproblemen zu kämpfen hätte. Die weitere Ausweitung der Mehrheitsentscheide musste beschlossen werden, sowie die Stimmgewichtung der Mitgliedstaaten im Rat. Zudem sollte auch die Größe des Parlamentes neu verhandelt werden. Die durch diese sogenannten Amsterdam left-overs nötig gewordene Regierungskonferenz zur Reform der Europäischen Verträge begann am 14. Februar 2000 und sollte mit der Tagung des Europäischen Rates vom 7. bis 9. Dezember 2000 in Nizza zum Abschluss kommen. Die Frage der zukünftigen Stimmenverteilung im Europäischen Rat blieb bis zu dieser Tagung offen. Nach teilweise zähen Verhandlungen besonders um diese Stimmengewichte konnte sich der Rat unter dem Druck der bevorstehenden Erweiterung schließlich einigen. Unterzeichnet wurde der ausgearbeitete Vertrag am 26. Februar 2001, er trat in Kraft am 1. Februar 2003, die Abstimmungsregeln im Rat gelten seit 1. November 2004.

Trotz heftiger Diskussionen blieb es in der Kommissions-Regelung wie in den in Amsterdam beschlossen Bestimmungen. Ab 2005 sollte jeder EU-Mitgliedstaat nur noch ein Mitglied stellen dürfen. Die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments wurde hingegen neu geregelt. Durch die Erweiterung der EU auf 27 Mitgliedstaaten sollten als neue Höchstgrenze 732 Sitze bestimmt werden. Die Verkleinerung des Parlamentes sollte dabei insgesamt 91 Sitze umfassen, lediglich Deutschland und Luxemburg sollten ihre Sitze behalten dürfen. Die Befugnisse des Europäischen Parlaments wurden zur Umsetzung der schon länger geforderten Demokratisierung der Union erweitert. Mit Ausnahme bestimmter Bereiche wie der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik oder der Steuer-, Asyl- und Einwanderungspolitik, für die nach wie vor Einstimmigkeit erforderlich ist, werden Ratsentscheidungen nun mit qualifizierter Mehrheit getroffen. Dazu wurden für die einzelnen Staaten Stimmenzahlen festgelegt (siehe Tabelle). Für die qualifizierte Mehrheit sind 232 der 321 Stimmen bzw. nach dem Beitritt von Rumänien und Bulgarien 258 der 345 Stimmen erforderlich, außerdem die Zustimmung von zwei Dritteln der Staaten bzw. bei Beschlüssen, die auf Vorschlag der Kommission zu fassen sind, die Zustimmung einer einfachen Mehrheit der Staaten. Außerdem kann ein Mitglied verlangen, dass geprüft wird, ob diese Mehrheit mindestens 62% der Bevölkerung der EU umfasst, ist das nicht der Fall, kommt die Entscheidung nicht zustande.

Die ausgehandelte z.T. recht willkürlich erscheinende Stimmenverteilung für den Rat war in der Folge größter Kritikpunkt am Vertrag von Nizza. Im Entwurf der EU-Verfassung wurde diese Regelung durch Einführung des Verfahrens der Doppelten Mehrheit revidiert, was nur gegen großen Widerstand der im Vertrag von Nizza besonders begünstigten Staaten Spanien und Polen gelang. Wegen der gescheiterten Ratifizierung der Verfassung ist die Regelung des Vertrages von Nizza jedoch noch immer in Kraft.

Im Rahmen der Konferenz von Nizza wurde außerdem die Charta der Grundrechte der Europäischen Union proklamiert.

Ratifizierung

In allen Mitgliedstaaten außer Irland wurde der Vertrag durch die nationalen Parlamente bestätigt. Da in Irland die Verfassung nur durch ein Referendum geändert werden kann und der Vertrag von Nizza die irische wie auch die meisten anderen Verfassungen berührt, fand dort im Mai 2001 eine Volksabstimmung statt. Der Vertrag wurde bei niedriger Beteiligung überraschend abgelehnt. Die irische Regierung entschied, am 19. Oktober 2002 noch einmal eine Volksabstimmung abzuhalten, die mit einer umfangreichen Medienkampagne (Fernsehinterviews mit Václav Havel und anderen Prominenten) vorbereitet wurde. Im zweiten Versuch stimmte auch das irische Volk zu.

Europäische UnionGeschichte, Struktur und Verträge
1951 * 1957 1965 1986 1992 1997 2001 2007 **
Europäische Gemeinschaften (EG ***) E U R O P Ä I S C H E   U N I O N   ( E U )
Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS bzw. Montanunion) (2002 ausgelaufen → EG)
Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) Europäische Gemeinschaft (EG)
*** EG: EGKS, EWG (EG seit 1993), Euratom Justiz und Inneres (JI) (JZZ und Personenverkehr → EG)
Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS)
Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ) Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP)
Europäische Atomgemeinschaft (EAG bzw. Euratom)
Vertrag von
Paris
(* Jahr der Unterzeichnung)
Vertrag von
Rom
Fusions-
vertrag
EEA Vertrag von
Maastricht
Vertrag von
Amsterdam
Vertrag von
Nizza
Vertrag von
Lissabon
(** noch nicht in Kraft)

DREI SÄULEN – EG (EGKS, EWG / EG, Euratom), GASP, PJZS

Literatur

  • Thomas Läufer (Hrsg.): Vertrag von Nizza – Die EU der 25. BpB, 2004, ISBN 3-893-31547-0
  • S. Hölscheidt, K.O. Miederer: Der Vertrag von Nizza – Die EU vor der Osterweiterung, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, „Der aktuelle Begriff“,2001/2002, 97-101,

Weblinks


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