Alliiertes Vorbehaltsrecht

Alliiertes Vorbehaltsrecht

Das alliierte Vorbehaltsrecht (auch: alliiertes Kontrollrecht) regelte die Beziehungen der alliierten Besatzungsmächte gegenüber der 1949 gegründeten Bundesrepublik Deutschland (23. Mai 1949 Verkündung des Grundgesetzes; 14. August 1949 Wahlen zum ersten Deutschen Bundestag) und galt seit Inkrafttreten des Besatzungsstatuts (21. September 1949) in verschiedenen Ausprägungen bis zur Wiedervereinigung Deutschlands 1990 und dem Abschluss des Zwei-plus-Vier-Vertrages.

Inhaltsverzeichnis

Wahrnehmung ziviler Kontrollrechte in Westdeutschland nach Maßgabe des Besatzungsstatuts

Die Bildung der Bundesrepublik machte ein Besatzungsorgan erforderlich, dessen Kompetenzen an die veränderte Situation angepasst werden mussten. Durch das Besatzungsstatut wurden die Militärregierungen der westlichen Besatzungsmächte in jeder der drei Zonen durch Zivilverwaltungen ersetzt, an deren Spitze jeweils ein Hoher Kommissar stand. Die alliierten Kontrollrechte bezüglich Westdeutschlands[1] wurden damit auf die Alliierte Hohe Kommission als Gemeinschaftsorgan der Westmächte übertragen, nachdem der Alliierte Kontrollrat ab dem 20. März 1948 mit dem Verlassen der Sitzung des sowjetischen Vertreters handlungsunfähig geworden war, als dieser sich weigerte, an weiteren Zusammenkünften teilzunehmen. Die drei Hohen Kommissare stellten als Vertreter ihrer Regierungen die oberste Gewalt dar und übten eine Kontrolle über die Bundesregierung wie über die Regierungen der Länder aus. Der Bundesrepublik Deutschland und ihren Ländern wird zwar „die volle gesetzgebende, vollziehende und rechtsprechende Gewalt gemäß dem Grundgesetz“ zuerkannt (Artikel I; Zitate aus der Fassung vom 10. April 1949), doch nahmen die drei Mächte USA, Großbritannien und Frankreich eine Reihe von Sonderbefugnissen für sich in Anspruch, zum Beispiel:

Außerdem wird in Artikel III formuliert: „Die Besatzungsbehörden behalten sich jedoch das Recht vor, auf Anweisung ihrer Regierungen die Ausübung der vollen Regierungsgewalt ganz oder teilweise wieder aufzunehmen, wenn sie der Ansicht sind, dass dies aus Sicherheitsgründen oder zur Aufrechterhaltung der demokratischen Regierungsform in Deutschland oder in Verfolg der internationalen Verpflichtungen ihrer Regierungen unumgänglich ist. Bevor sie dies tun, werden sie die zuständigen deutschen Behörden von ihrem Entschluss und seinen Gründen offiziell unterrichten.“ Damit sicherten sich die Besatzungsmächte Notstandsrechte bei inneren Unruhen und Krisensituationen. Das Statut sollte im Laufe von 12 bis 18 Monaten überprüft werden.

Reduzierung der Kontrollrechte während der Regierung Adenauer bis 1954

Ziel des Bundeskanzlers Konrad Adenauer war es in der Folge, neben der Westintegration der Bundesrepublik die alliierten Vorbehaltsrechte sukzessive zu mindern und schrittweise zu einem gleichberechtigten, souveränen Partner zu werden:

  • Petersberger Abkommen (22. November 1949): Recht zur Aufnahme konsularischer Beziehungen und wirtschaftliche Erleichterungen als Entgegenkommen für den Beitritt zum Ruhrabkommen (Ruhrstatut)
  • ab März 1951 Verzicht der alliierten Hohen Kommissare auf die Überwachung der Bundes- und Ländergesetze, Übertragung der Devisenhoheit, Erlaubnis zur Aufnahme auswärtiger Beziehungen (Außenministerium von Konrad Adenauer mit übernommen) als Gegenleistung für die Anerkennung der deutschen Auslandsschulden durch die Bundesregierung
  • Anstreben einer deutschen Wiederbewaffnung im Rahmen einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG), welche allerdings scheiterte.

Reste der Vorbehaltsrechte im zweiten Deutschlandvertrag (1954) und der Weg zur Souveränität

Das Besatzungsstatut wurde mit der Ratifizierung der Pariser Verträge (23. Oktober 1954) am 5. Mai 1955 – zehn Jahre nach Kriegsende – durch den zweiten Deutschlandvertrag ersetzt. Dazu lautete es im Artikel 1: „(1) Mit dem Inkrafttreten dieses Vertrages werden [die drei Besatzungsmächte] das Besatzungsregime in der Bundesrepublik beenden, das Besatzungsstatut aufheben und die Alliierte Hohe Kommission […] auflösen. (2) Die Bundesrepublik wird demgemäß die volle Macht eines souveränen Staates über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten haben.“

Im Artikel 5 wird jedoch deutlich, dass neben dem Recht auf die Stationierung von Streitkräften weitere Vorbehalte existierten. So dürfen von den Alliierten „im Falle eines Angriffs oder unmittelbar drohenden Angriffs ohne Einwilligung der Bundesrepublik“ Truppen in das deutsche Bundesgebiet verlagert werden.

Auch alliierte Rechte, die für die Sicherheit der stationierten Streitkräfte notwendig sind, sollen erst erlöschen, „sobald die zuständigen deutschen Behörden entsprechende Vollmachten durch die deutsche Gesetzgebung erhalten haben […], einschließlich der Fähigkeit, einer ernstlichen Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu begegnen.“ Damit bestanden theoretisch Notstandsrechte der westlichen Siegermächte weiter und hätten im Falle eines Notstandes dazu führen können, dass die drei Botschafter der USA, Großbritanniens und Frankreichs im Sinne der ehemaligen Hohen Kommissare Teile der exekutiven Gewalt hätten übernehmen können. Es bedurfte aber lediglich einer (verfassungs)rechtlichen Regelung seitens der Regierung und des Parlaments der Bundesrepublik Deutschland, um diesen Vorbehalt zu beenden. In Artikel V der Fassung des ersten Deutschlandvertrages von 1952 hatten die Westmächte für sich noch das Recht in Anspruch genommen, einen förmlichen Notstand in der Bundesrepublik verhängen zu können.

Die verfassungsrechtliche Regelung in der Bundesrepublik Deutschland gelang erst nach dreizehn Jahren. Die Debatte darüber wurde teils sehr heftig geführt (Ablehnung einer Einschränkung der Grundrechte), die Große Koalition ermöglichte aber eine Verabschiedung der Notstandsgesetze (1968). Die im Grunde schon 1955 hergestellte innere Souveränität war damit endgültig verwirklicht.

Der Artikel 2 des zweiten Deutschlandvertrages war weiterhin in Kraft und die dadurch noch verbliebenen westalliierten Vorbehalte bis 1990 verankert. In diesem hieß es:

„Im Hinblick auf die internationale Lage, die bisher die Wiedervereinigung Deutschlands und den Abschluß eines Friedensvertrags verhindert hat, behalten die Drei Mächte die bisher von ihnen ausgeübten oder innegehabten Rechte und Verantwortlichkeiten in bezug auf Berlin und auf Deutschland als Ganzes einschließlich der Wiedervereinigung Deutschlands und einer friedensvertraglichen Regelung.“

Seitens der Bundesrepublik Deutschland ist dieser Vorbehalt nochmals im Grundlagenvertrag mit der DDR (1972) bestätigt worden. Beides, der Sonderstatus von Berlin (Besatzungsstatus von Berlin (West) als Teil Groß-Berlins) und die Reste der alliierten Vorbehaltsrechte bezüglich Gesamtdeutschland, endeten erst am 12. September 1990 mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag, in dem das vereinigte Deutschland volle Souveränität über seine äußeren und inneren Angelegenheiten zugesprochen bekam und sie mit Inkrafttreten am 15. März 1991 schließlich erhielt.

Einzelnachweise

  1. Abkommen über die Dreimächtekontrolle für Westdeutschland (Kontrollabkommen) vom 8. April 1949

Literatur

  • Dominik Geppert: Die Ära Adenauer. Darmstadt 2002 (Wissenschaftliche Buchgesellschaft).
  • Jürgen Weber (Hg.): Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Band III: Gründung des neuen Staates 1949. München ³1991 (Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit).
  • Jürgen Weber (Hg.): Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Band IV: Die Bundesrepublik wird souverän 1950–1955. München ²1991 (Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit).
  • Werner Weidenfeld, Hartmut Zimmermann (Hg.): Deutschland-Handbuch. Eine doppelte Bilanz 1949–1989. Bonn 1989 (Bundeszentrale für politische Bildung).
  • Klaus Behling: Spione in Uniform – Die Alliierten Militärmissionen in Deutschland, Hohenheim Verlag, Stuttgart 2004.

Weblinks


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