Hermann Cuhorst

Hermann Cuhorst
Hermann Cuhorst während der Nürnberger Prozesse

Hermann Albert Cuhorst (* 22. Juli 1899 in Ellwangen; † 5. August 1991 in Kressbronn) war Jurist und im nationalsozialistischen Deutschen Reich Vorsitzender des Sondergerichts in Stuttgart.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Nach dem Studium der Rechtswissenschaften in Tübingen war Cuhorst von 1926 bis 1929 im württembergischen Justizdienst tätig und fungierte anschließend als Amtsrichter in Stuttgart. Seit 1930 war er Mitglied der NSDAP, seit 1931 Kreisredner, ab dem 1. Januar 1933 Gauredner. 1933 erfolgte Cuhorsts Ernennung zum Oberregierungsrat im württembergischen Justizministerium. Seit 1934 war er förderndes Mitglied der SS.[1]

Im selben Jahr wurde er zum Senatspräsident des Oberlandesgerichts Stuttgart befördert.[1] Am 1. Oktober 1937 wurde ihm darüber hinaus die Leitung des im April 1933 eingerichteten Stuttgarter Sondergerichts übertragen, eine Institution, die schon in der Weimarer Republik bestanden hatte (seit 1931), aber erst im Dritten Reich einen signifikanten Anteil an der Rechtsprechung übernahm. Als Sondergerichtsvorsitzender leitete Cuhorst mehrere Prozesse gegen Mitglieder der Familie Scholl.

Am 20. November 1944 wurde Cuhorst unter anderem wegen seiner "unerträglich milden" Urteile durch den Reichsjustizminister seines Amtes enthoben und zur Wehrmacht einberufen. Bis zum Kriegsende im April 1945 war er in Norwegen eingesetzt und kam dann in französische Kriegsgefangenschaft nach Mulsanne bei Le Mans.[2]

Aufgrund von Hinweisen des späteren Stuttgarter Oberbürgermeisters Arnulf Klett[3] wurde er im November 1946 nach Nürnberg überstellt und im Rahmen des Nürnberger Juristenprozesses angeklagt. Am 4. Dezember 1947 wurde er in allen Anklagepunkten freigesprochen und erhielt freies Geleit in die französische Besatzungszone. Daraufhin drohte der Minister für politische Befreiung des Landesteils Württemberg-Baden, Gottlob Kamm, von seinem Amt zurückzutreten[4]; die Mitglieder verschiedener Spruchkammern und die Angestellten des Befreiungsministeriums traten in Streik.[5] Wenige Tage später wurde Cuhorst erneut verhaftet und in Ludwigsburg interniert. Im Entnazifizierungsverfahren im Oktober 1948 stufte ihn die Spruchkammer V von Stuttgart-Bad Cannstatt in die Gruppe der „Hauptschuldigen“ ein und verurteilte ihn zu vier Jahren und drei Monaten Arbeitslager, weitgehender Vermögenseinziehung und erlegte ihm Berufsbeschränkungen auf. Cuhorst ging vor der Zentral‐Berufungskammer von Nordwürttemberg in Revision. Diese bestätigte nicht nur das Urteil, sondern verlängerte seine Haftstrafe auf sechs Jahre, von denen er jedoch, unter Anrechnung der Dauer von Kriegsgefangenenschaft und Untersuchungshaft, nur fünfeinhalb verbüßen musste. Er wurde am 20. Dezember 1950 vorzeitig entlassen.

20 Jahre lang kämpfte Cuhorst vergebens um Wiedergutmachung und Wiederherstellung seines Rufes. Ein Gnadenerweis wurde vom baden-württembergischen Ministerrat am 21. Mai 1968 endgültig verworfen. Auch versuchte er vor diversen Gerichten erfolglos seine Rentenbezüge zu erstreiten. Sein Biograph Stefan Baur betont, Cuhorst sei es dabei nicht ums Materielle gegangen; er habe lediglich an seine Aufgabe und an den Nationalsozialismus geglaubt.

Richterliche Tätigkeit in der NS-Zeit

Cuhorsts richterliche Tätigkeit während der NS-Zeit wird kontrovers beurteilt. Jüngere journalistische Arbeiten kommen teilweise zu sehr kritischen Ergebnissen: "Er stand Freisler bei seinem verbrecherischen Tun in nichts nach."[6] Geschichtswissenschaftliche und unmittelbar zeitgenössische Urteile fallen zurückhaltender aus. Da die Akten der Stuttgarter Gerichte 1944 im Bombenkrieg verbrannt sind, mangelt es an gesicherten Tatsachen.

Als Kritikpunkte werden häufig die geringe Verfahrensdauer, Behinderung der Verteidigung sowie unangemessene verbale Äußerungen genannt. Gerichtsassessoren berichteten, wie Cuhorst sie mit den Worten „Voilà, meine Herren, auf zur Schlachtbank!“ oder „Na, heute haben wir drei Fälle, das muss mindestens zwei Köpfe geben“ zur Verhandlung rief.[7] Unklar ist die Anzahl dieser Äußerungen, auch fielen sie anscheinend nur im Kollegenkreis.[8] Ferner wird der Vorwurf des Positivismus erhoben, da er das damals geltende Recht anstandslos zur Anwendung gebracht habe. Bei 2600 vor dem Stuttgarter Sondergericht verhandelten Fällen ergingen so unter Cuhorsts Vorsitz nach manchen Angaben 120 Todesurteile[9], nach anderen 50.[10] Davon bezogen sich jedoch in sieben Jahren nur sieben auf politische Tatbestände, die übrigen auf allgemeine Kriminalität.[11]

Auf der anderen Seite werden Cuhorsts persönliche Integrität[12] hervorgehoben, sein Beharren auf der richterlichen Unabhängigkeit[13] - z.B. bestrafte er korrupte NS-Funktionäre besonders hart[14] - und sein Bemühen, zu einer objektiven Aufklärung der Sachverhalte zu gelangen.[15] Baur betont die relative Milde und die Mäßigkeit von Cuhorsts Strafzumessungen.[16] Die Gründe für die Spruchkammer-Verurteilung seien mehr im persönlichen Bereich und "nicht in den konkreten Urteilen zu suchen, was der Aufarbeitung der NS-Justiz nach 1945 freilich kein gutes Zeugnis ausstellt."[17]

Cuhorst war Vorsitzender in drei Gerichtsverfahren gegen Mitglieder der Familie Scholl: 1938 gegen Hans Scholl, 1942 gegen dessen Vater Robert Scholl und 1943 gegen das Ehepaar Robert und Magdalene Scholl sowie Tochter Inge. Magdalene Scholl bescheinigte Cuhorst nach dem Krieg korrekte Verhandlungsführung.[18] Als Hans Scholl angeklagt war, sich an Schutzbefohlenen vergangen zu haben, beschrieb Magdalene Scholl Cuhorsts Umgang mit ihrem Sohn als "lieb und kameradschaftlich" sowie "sehr zartfühlend".[19]

Ein fundierter Vergleich der Urteilspraxis des Stuttgarter Sondergerichts mit derjenigen anderer zeitgenössischer Gerichte des In- und Auslandes steht noch aus.

Nachwirkung

Die Handlung des US-amerikanischen Spielfilms Das Urteil von Nürnberg (Originaltitel: Judgment at Nuremberg) aus dem Jahre 1961 lehnt sich an den Nürnberger Juristenprozess an. Hermann Cuhorst dürfte dabei als Vorbild für den angeklagten Stuttgarter Richter Friedrich Hofstätter gedient haben.[20]

Literatur

  • Stefan Baur: Rechtsprechung im nationalsozialistischen Geist. Hermann Albert Cuhorst, Senatspräsident und Vorsitzender des Sondergerichts Stuttgart. In: Michael Kißener, Joachim Scholtyseck (Hrsg.): Die Führer der Provinz. NS-Biographien aus Baden und Württemberg. Universitätsverlag Konstanz, Konstanz 1997, ISBN 3-87940-566-2 (Karlsruher Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus 2), S. 111–142.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Fischer Taschenbuch Verlag, Zweite aktualisierte Auflage, Frankfurt am Main 2005, S. 98.
  2. Baur, S. 132f.
  3. Volkmar von Zühlsdorf: Ein Trümmerdenkmal für Klett. In: Die Zeit, Nr. 14 vom 8. April 1954, S. 2.
  4. Der Spiegel 6/1948 vom 7. Febr. 1948, S. 7.
  5. Benigna Schönhagen: "Auf, meine Herren, zur Schlachtbank!" Das Stuttgarter Sondergericht unter Hermann Cuhorst. In: M. P. Miller (Hrsg.): Stuttgart im Zweiten Weltkrieg. Katalog zur Ausstellung vom 1. September 1989 bis zum 22. Juli 1990. Gierlingen 1990, S. 227.
  6. Sindelfinger Zeitung, 11. März 2005.
  7. Stuttgarter Zeitung, 18. Juli 2005.
  8. Baur, S. 122.
  9. Fritz Endemann: Hermann Cuhorst und andere Sonderrichter. In: Stuttgarter NS-Täter. Hrsg. von Hermann G. Abmayr, Stuttgart 2009, S. 340.
  10. Formen des Widerstands im Südwesten 1933-1945. Hrsg. von der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, Ulm 1994, S. 257.
  11. Munzinger Internationales Biographisches Archiv 30/49. Schwäbische Zeitung, 20. Dezember 1947.
  12. Paul Sauer: Württemberg zur Zeit des Nationalsozialismus. Ulm: Süddeutsche Verlagsgesellschaft, 1975, S. 323.
  13. Baur, S. 126f.
  14. Baur, S. 131.
  15. Baur, S. 130f.
  16. Baur, S. 126.
  17. Baur, S. 125f.
  18. Armin Ziegler: Es ging um Freiheit! Die Geschichte der Widerstandsgruppe "Weiße Rose". Schönaich 2005.
  19. Sönke Zankel: Mit Flugblättern gegen Hitler. Köln, Weimar, Wien: Böhlau, 2008, S. 56, siehe auch S. 53.
  20. Francisco Muñoz Conde, Marta Muñoz Aunión: Das Urteil von Nürnberg“. Juristischer und filmwissenschaftlicher Kommentar zum Film von Stanley Kramer (1961) (Juristische Zeitgeschichte; Abt. 6, Band 21). Berlin: Berliner Wissenschafts-Verlag, 2006, S. 10.

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