- Hieronymus Boschs Triptychen
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Der Maler Hieronymus Bosch hat der Nachwelt eine Reihe von Triptychen hinterlassen, von denen die bekanntesten und am meisten besprochenen „Der Heuwagen“ und „Der Garten der Lüste“ sind. „Der Heuwagen“ existiert in zwei Versionen; eine hängt im Real Sitio de San Lorenzo de El Escorial, die andere im Museo del Prado, Madrid. „Der Garten der Lüste“ ist ebenfalls im Museo del Prado zu besichtigen. Es gibt keine konkreten Hinweise auf ihre Entstehungszeit, die Forschung geht davon aus, dass „Der Heuwagen“ um 1490, „Der Garten der Lüste“ um 1500 gemalt wurde. Ein drittes, das Weltgerichtstriptychon[1] befindet sich in der Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste Wien. Ihnen allen gemein ist, dass Bosch die ihm bedeutend erscheinenden Szenen übereinander gesetzt und somit perspektivisch nur innerhalb der einzelnen Darstellungen dreidimensional gemalt hat. Es ging ihm darum, bestimmte Botschaften zu vermitteln. Ob sich diese Botschaften an die Kirche richteten, ist wegen der Darstellungen allerdings zweifelhaft.
Weiters ist den drei Triptychen gemein, dass die Außenflügel beidseitig bemalt sind, wie bei den allermeisten dreiteiligen Flügelaltären üblich. Werden die Außenflügel geschlossen, bilden sie ein Gemälde aus zwei Teilen, öffnet man sie, erscheint das eigentliche Gemälde aus drei Teilen. Ein Flügelaltar wurde nur zur Heiligen Messe an Sonn- und Feiertagen geöffnet, blieb also an den anderen Tagen trotz täglicher Messen geschlossen und präsentierte so der Gemeinde nur die häufig unscheinbare Außenseite.
Inhaltsverzeichnis
Triptychon Der Heuwagen
Die Außenflügel
Wie für Triptychen typisch, lässt sich auch „Der Heuwagen“ mittels der Seitenflügel zuklappen. Auf der Frontseite (Außenflügel) erscheint zentral ein melancholisch schauender älterer/alter Mann, gebeugt von der Last einer Kiepe, der mit seinem Wanderstab einen zähnefletschenden kleinen Hund abwehrt. Kiepe und Wanderstab (letzteres auch Attribut der Pilger) identifizieren den Mann eindeutig als wandernden Händler, Krämer, Hausierer (den Unbehausten). Das weiße Haar signalisiert, dass er seine Tätigkeit schon lange, vielleicht ein Leben lang ausgeübt hat und dass der Tod nicht mehr weit ist. Das große Loch in der Hose am Knie zeigt, dass er es bestimmt nicht zu (irdischen) Reichtümern gebracht hat. Er trägt seine kleine Ware mit sich auf dem Rücken, das ist alles, zu was er es in seinem nicht mehr langen Leben gebracht hat. Der Zwang, den kargen Lebensunterhalt als ewig wandernder Händler verdienen zu müssen, hat zur Folge, dass er weder einen festen Wohnsitz noch wahrscheinlich eine Familie hat. Im Sozialprestige steht er ganz unten: Hier eine 15 Jahre nach Boschs Tod auf niederländisch erlassene Verordnung Kaiser Karls V. von 1531 gegen alles „Pack“, das „dem Gemeinwohl äußerst schädlich“ ist (der Kaiser hatte in der Regel nur in den Reichsstädten etwas zu sagen, das offene Land war weitgehend rechtsfreier Raum):
- „Hausierer, Flickschuster, Kesselflicker, Kupferhämmerer, Quacksalber, jene, die Streichhölzer, Rattengift und Salben verkaufen und anderes Zeug dieser Art, die nichts anderes tun als im Land herumzuziehen als Schwindler, Wegelagerer, Diebe und Übeltäter.“
Kaiser Karl nennt den Hausierer an erster Stelle. Kesselflicker und Kupferhämmerer waren damals typische Zigeunerberufe – die Bettler werden nicht genannt, weil eine weitgehend städtische Erscheinung: In der christlichen Weltordnung hatten sie lange ihren festen Platz, weil nur an ihnen der christliche Reiche seine geforderte Mildtätigkeit (caritas) beweisen konnte. Der Hausierer steht also sozial ganz am Rande, wenn nicht sogar außerhalb der damaligen Gesellschaft. Die Abneigung der städtischen Gesellschaft war außerordentlich, da die Kaufmannszünfte in ihnen unerwünschte Konkurrenz sah.
Wichtig in alten Gemälden ist immer die Blickrichtung gemalter Figuren: was sehen sie, was sehen sie nicht? Der Hausierer ist mit der Abwehr des Hundes beschäftigt, direkt daneben Knochen (Tod, Vergänglichkeit, memento mori) eines Pferdes oder Esels, zwei Dohlen oder Krähen (Aasfresser – grundsätzlich gilt für die damalige nichtitalienische und nicht süddeutsche Malerei der Satz des Kirchenvaters Augustinus: „Aves sunt daemones“, also teuflischen Ursprungs, auch und gerade bei Bosch. Vögel auch in dem trüben Gewässer unter dem schon halb zerbrochenen Steg, auf den der Wanderer, halb rückwärts gewandt, zuläuft. Wird er hineinstürzen wie Pieter Brueghels „Blinde“? Hund und Steg also als gegenwärtige und kommende Gefahr. Und was tut sich in seinem Rücken? Ist er an dem infamen Raubüberfall von drei Wegelagerern und Dieben schon teilnahmslos vorbeigelaufen oder hat er ihn einfach nicht bemerkt? Der Kerl mit der roten gebogenen Hahnenschwanzfeder, der einen offenbar wohlhabenderen, bereits um wesentliche Kleiderstücke beraubten Mann an den Baum fesselt, trägt ein klassisches Teufelssymbol am Hut. Mehr in der Bildmitte dagegen, sicher nicht ohne Absicht von Bosch in der Ferne genau über dem Kopf des Hausierers platziert, ein Galgen samt Menschenauflauf für eine bevorstehende Hinrichtung: Verbrechen und irdische Gerichtsbarkeit sind hier bildnerisch miteinander verbunden, der Hausierer sieht beide nicht. Dann die letzte Szene im Rücken des Hausierers: ein Paar, das zur Musik eines Dudelsackbläsers tanzt. Was sie machen werden, wenn der Tanz aufhört, ist klar. Das ganze ist keine niedliche Pastorale und Schäferidylle wie in der Rokokomalerei. Musik und Tanz waren damals außerhalb des kirchlichen Bereichs noch streng verpönt, im kirchlichen Bereich nur sehr eingeschränkt möglich. Was das Pärchen hier tut und treibt, ist nicht anderes als Vorbereitungen zur „Unzucht“ (luxuria) zu treffen.
Ein letztes zum „Hausierer“: Wichtig ist, dass der Mann seinen Weg geht, und zwar von links nach rechts, was Bedeutung für die Interpretation der Innenseite des Triptychons hat. Der Weg eines alten, armen Menschen, der nicht zur städtischen Gesellschaft eines Bosch gehört und auch nie in den Kirchen zu finden ist, führt durch eine Welt des Verbrechens, der Sünde und des Lasters.
Die Innenansicht des „Heuwagen-Triptychons“ bietet den Blick auf den „Garten Eden“ (linker Innenflügel), den „Heuwagen“ (Mittelteil) und die „Hölle“ (rechter Innenflügel).
Der Garten Eden
Bosch präsentiert auf dem linken Innenflügel untereinander den „Engelsturz“, die „Erschaffung Evas“, den „Sündenfall“ und die „Vertreibung aus dem Paradies“.
Abtrünnige Engel werden des Himmels verwiesen. Bosch malt sie als Insekten, Echsen und fischartige Wesen, die aus den Wolken der Erde entgegenstürzen. Ihr hässliches Äußeres besagt: Sie haben sich von Gott abgewendet und daher an seiner Seite nichts mehr zu suchen. In der zweiten Szene ist Eva soeben von Gott geschaffen worden. Adam liegt schlafend am Boden, sie, die nach der Bibel aus einer Rippe Adams entstanden ist, scheint ihm regelrecht zu entsteigen. In der dritten Szene folgt der „Sündenfall“. Eva hat schon eine Frucht vom Baum der Erkenntnis gegessen, sie bedeckt ihre Scham. Die Schlange, sie trägt einen Frauenkopf, ist im Begriff, Adam eine Frucht zu reichen. Schließlich werden Adam und Eva aus dem Paradieses verjagt. Ein Engel, bewaffnet mit einem Schwert, lässt ihnen, die verschämt ihr Geschlechtsteil bedecken, keine andere Wahl.
Der Heuwagen
Ist bei der Abbildung des „Garten Eden“ noch vorstellbar, dass hier die Kirche Auftraggeber hätte sein können, macht der Mittelteil des Werks deutlich, dass es nicht dafür bestimmt gewesen ist, den Altar eines Gotteshauses zu schmücken. Im Mittelpunkt der Szene steht ein großer Heuwagen, der von dämonischen Gestalten, halb Mensch, halb Tier, gezogen wird. Ein flämisches Sprichwort: „De wereld is een hooiberg – elk plikt ervan, wat hij kan krijgen“ („Die Welt ist ein Heuhaufen, ein jeder pflückt davon, soviel er kann“) ist zwar erst seit 1820 schriftlich überliefert, aber es gibt keinen Zweifel: Bosch hat dieses Sprichwort gekannt. Neben dem Gefährt laufen Menschen mit und versuchen, mit Händen und langen Forken Heu herunterzureißen. Sie streiten darum, einige geraten dabei unter die Räder. Inmitten der Szene wird einem am Boden liegenden Opfer die Kehle durchgeschnitten, ein anderer liegt bereits tot am Boden, seine Forke unbeachtet zu seinen Füßen. Als Konkurrenten für egoistisches Abgreifen sind diese beiden bereits ausgeschieden.
In der rechten Ecke ist ein feister Geistlicher zu sehen. Er trinkt aus einem Becher, es scheint fast, als stoße er auf die Szene an. Und er schaut ungerührt zu, wie Nonnen den vor ihm stehenden Sack immer weiter mit Heu füllen – die Kirche hat sich ihren Löwenanteil längst gesichert. In unmittelbarer Nähe des Geistlichen spielt ein Narr Dudelsack – Symbol für Sexuell-Obszönes, ein Quacksalber hat gleich daneben seinen Stand aufgebaut, der markiert ist mit einem Fähnchen, auf dem ein durchstoßenes Herz abgebildet ist. Über dem Wagen schaut Jesus herab, er ist im Verhältnis zu dem Heuhaufen geradezu unscheinbar und wie er seine Wundmale präsentiert, macht er einen hilflosen Eindruck. Nicht eindeutig ist die Szene, die sich auf dem Heuwagen abspielt: Vor einem Busch, in welchem ein Liebespaar turtelt, musizieren Leute, ein Teufel spielt mit einer Flöte auf, der Engel schaut zu Jesus hoch. Diese Abbildung scheint etwas Unschuldiges zu haben, gleichwohl: Aus dem Busch ragt ein Stock hervor, an welchem ein Krug baumelt, und ein hässlicher Alter späht um die Ecke. Dem Heuwagen folgt ein großer Tross, der Papst ist ebenso dabei wie der Kaiser und einige Adelige. Sie scheinen dem Gefährt bedenkenlos und wie selbstverständlich zu folgen. Die Richtung, die die dämonischen Zugtiere eingeschlagen haben, ist unmissverständlich: Es geht unbeirrt und ohne Einhalt nach rechts und direkt abwärts: In die Hölle.
Die Hölle
Die Farbe rot ist es, die das Bild dominiert. Im Hintergrund steht der Himmel in Flammen, im Vordergrund bauen dämonische Wesen unermüdlich an einem Turm, eine Abbildung, die stark an den Turmbau zu Babel gemahnt. Hier wird Gott gelästert. Nackte Menschen werden dem unfertigen Gebäude zugeführt, andere von Höllenhunden zerrissen bzw. von seltsamem Getier gequält und gefressen.
Triptychon Der Garten der Lüste
Die Außenflügel
Klappt man die Seitenflügel des Triptychons „Der Garten der Lüste“ zu, ist auf der Frontseite das Bild einer durchsichtigen Weltkugel zu sehen. Sie stellt den dritten Tag der Schöpfungsgeschichte dar: Gott hat Wasser und Erde voneinander getrennt und die ersten Pflanzen geschaffen. Die Innenansicht des Triptychons bietet den Blick auf den „Garten Eden“ (linker Innenflügel), den „Garten der Lüste“ (Mittelteil) und die „musikalische Hölle“ (rechter Innenflügel).
Der Garten Eden
Als Motiv aus der Bibel hat Bosch lediglich die Erschaffung Evas in Szene gesetzt. Es ist in Abweichung zum Buch Genesis Jesus, der sie erschafft. Die drei Figuren, Adam, Jesus und Eva sind durch Berührungen miteinander verbunden. Die Schlange, Inbegriff für den Sündenfall ist weit weg, am rechten Rand oben schlängelt sie sich um einen Baumstamm.
Ansonsten präsentiert das Bild eine Reihe fantastischer Einfälle: Ein Berg im Hintergrund scheint Unterschlupf für zahllose Vögel zu sein, die aus ihm herausfliegen, in die Ferne schweifen und zurückkehren(Abb.) – der Wechsel von Geburt, Tod und Wiederkehr. In der Mitte befindet sich in einem klaren Teich ein bizarrer Brunnen, der Lebensbrunnen, in dessen Innern eine Eule sitzt.(Abb.) Um den Teich herum sind zahlreiche Tiere gemalt, die meisten von ihnen friedlich. Die Abbildungen wird Bosch aus Bestiarien abgemalt haben, exotische Tiere wie Giraffe und Elefant werden ihm nicht aus eigener Anschauung bekannt gewesen sein. Auch fantastische Wesen wie das Einhorn und drachenähnliche Wesen haben Eingang in Bestiarien gefunden und wurden ebenso ernst genommen, wie reale Tiere. Eine Missgeburt von einem Hund (er hat nur zwei Beine).(Abb.) ist auf dem Innenflügel ebenfalls zu sehen. Auch unheimliches Getier spült das klare Wasser des Teichs ans Land.(Abb.) Unheil deutet sich schon im Paradies an, wie auch die Abbildung am unteren Rand zeigt: Ein Pfuhl mit trübem Wasser beherbergt hässliche Kreaturen, die zu je einem drittel Fisch, Vogel und Echse sind.(Abb.)
Der Garten der Lüste
Der lange Zeit anhaltenden Interpretation der Mitteltafel als Warnung gegen die Todsünde Wollust setzte erstmals der Kunsthistoriker Wilhelm Fraenger[2] eine völlig neue und überraschende Sicht der Dinge entgegen: Er deutete die Darstellung als utopisches Traumbild eines Liebes-Paradieses. In der Tat: Entgegen Boschs Gepflogenheit, sexuelle Betätigungen anrüchig darzustellen, als würden die Personen stets einem niedrigen Instinkt folgen, zeigt er auf der Mitteltafel ein fried- und freudvolles Beisammensein von Mensch und Tier. Um einen kreisförmigen Teich, in welchem Menschen baden, zieht eine Prozession von Reitern auf Pferden und Lasttieren herum; am linken Rand des Bildes sitzen zwischen den Menschen übergroße Vögel (Eisvogel, Wiedehopf, Grünspecht, Rotkehlchen und Stieglitz, allesamt wahrscheinlich abgemalt aus einem Bestiarium).(Abb.)
Ohne Frage gibt es auch manche skurrile Darstellung, doch dominiert eine unaggressive, harmonische Stimmung. Sexualität wird als von positiven Emotionen getragenes, behutsames Spiel betrachtet, sogar Dämonen, die im oberen Teil des Bildes neben dem Lebensbrunnen (sein Unterbau ist eine große Waldbeere) planschen, geben sich der positiven Stimmung hin. Überall sind überdimensionale Früchte, vornehmlich Erdbeeren, Kirschen, Himbeeren und Brombeeren platziert, Zeichen der Lebensfülle – und der Erotik. Am Rande des unteren Bildabschnitts steht eine kleine Gruppe von Frauen, deren Äußeres darauf schließen lässt, dass es sich um Nonnen handelt. Das Haupthaar ist am Schädel vorn wegrasiert (wie es bei Nonnen üblich war, damit es nicht unter der Kopfbedeckung herauslugt), eine aus der Gruppe hat locker den Flagellationsriemen um die Oberschenkel gewunden.(Abb.) Die Darstellung der Nonnen in der Szene ist – trotz ihrer Nacktheit – nicht als Provokation gedacht, sondern von dem Wunsch getragen, die Kirche in diese friedvolle, harmonische Welt einzubeziehen. Der „Garten der Lüste“ trägt seinen Titel zu Unrecht, es ist ein „Garten der Liebe“. Im rechten Bildhintergrund hebt ein beflügelter Mensch, eine Frucht über sich tragend, ab und steigt zum Himmel auf.
Die musikalische Hölle
In diesem Innenflügel von „Der Garten Der Lüste“ ist die Hölle abgebildet. Angesichts dieser Szenen von Einklang und Friedfertigkeit wirkt der rechte Flügel des Triptychons umso erschütternder. Es ist eine von Boschs bekanntesten Darstellungen der Unterwelt, ihr Titel „musikalische Hölle“ rührt daher, dass ein unübersehbarer Schwerpunkt auf Musikinstrumente gelegt ist, die als Folterwerkzeuge gegen wehrlose Menschen eingesetzt werden.
Die vier Elemente sind in der Abbildung vertreten, das Feuer verdunkelt mit seinen Schwaden jedes Licht und heizt zugleich die von den Schreien der Gequälten durchdrungene Luft auf, das Wasser ist gefroren, einige durch das Eis gebrochene Menschen ertrinken darin, auf der Erde im Vordergrund wie auch im Hintergrund werden verschiedene Formen von Folter praktiziert. Das Augenmerk auf sich zieht der so genannte Baummensch. Er ist installiert auf zwei kleinen Booten, die im Eis festgefroren sind; sein dem Betrachter zugewandtes, nachdenkliches Gesicht ist auf einem Korpus montiert, der an ein geborstenes Ei erinnert (Es gibt Annahmen, es könne sich dabei um ein so genanntes Assistenzselbstbild handeln, in diesem Fall ein ungenaues Selbstportrait Boschs.). Auf seiner Kopfbedeckung, einem Mühlstein, steht inmitten ein hellroter Dudelsack, das Symbol für sexuelle Ausschweifungen und Obszönität. Um diesen Dudelsack herum führen vier Wesen Menschen an ihren Händen herum: Der „Spottvogel“, die „Hoffart“ (Hochmut), der „Bär“ (Symbol für „Zorn“) und eine dickliche Figur, die in eine abweisende Hülle eingebunden ist.(Abb.) Vielfach geht man davon aus, dass es sich bei letzterer Figur um einen Geldsack handelt, der „Habgier“ symbolisiere. Sollte es sich bei den vier Wesen indessen nicht speziell um Todsünden, sondern Charakterzüge handeln, wäre eine Deutung, es handele sich um die „spöttische“, „arrogante“, „jähzornige“ und „mimosenhafte“ Art von Charakteren, ebenfalls denkbar.
In dem geborstenen Ei, dessen Eingang mit einem Dudelsack geschmückten Fähnchen gekennzeichnet ist, tummeln sich einige Personen. Ein halbnackter Dicker, der nur mit dem Oberteil eines Ordensgewandes bekleidet ist, klettert die Leiter hinauf. Er führt einen Krug mit sich, den er an einen Stock gesteckt hat, außerdem steckt ihm ein Pfeil im Anus (zur Bedeutung der Symbole siehe Hieronymus Bosch - Das Werk), er ist auf dem Weg in ein Bordell. Ein nackter Mensch steht vor der Leiter, er hält verschämt seine Hände vor das Geschlechtsteil, will die Leiter nicht hochsteigen, aber ein geflügeltes Monster lässt keinen Zweifel daran, dass es ihn hinauf zwingen wird – Andeutung eines sexuellen Missbrauchs.(Abb.)
Oberhalb des Baummenschen ist ein Messer in zwei überdimensionale Ohren eingespannt. Die Ohren sind von einem Pfeil durchbohrt, ihre Bedeutung ist nicht eindeutig, es kann sich um einen Hinweis darauf handeln, dass den Geboten Gottes nicht gehorcht wurde. Dämonen zerren Menschen unter die Klinge und legen sie zurecht, damit diese von der Schneide erfasst werden. Im rechten Teil des Bildes – auch hier ist ein überdimensionales Messer in Szene gesetzt – werden Menschen in Ritterrüstung gequält und von Höllenhunden zerfleischt, darunter nackte Personen zu Reittieren abgerichtet.(Abb.)
Unterhalb des Baummenschen ist ein wehrloses Opfer in die Saiten einer Harfe eingespannt, ein anderes Opfer wird von einer großen Flöte niedergedrückt, ein weiteres liegt unter der Laute gefangen, auf sein Hinterteil sind Noten geschrieben, nach der die hier Herumgruppierten unter Anleitung eines Monsters singen müssen. Neben der Szene sitzt ein vogelähnliches Wesen, es trägt einen Kessel auf dem Kopf (Symbol, sich gegen den Himmel und göttliche Einflüsse abzuschirmen) und verschlingt Menschen(Abb.) Diese werden wieder ausgeschieden und fallen in eine Sickergrube, die allerlei Ekel bietet: Abgesehen davon, dass eine Person dorthinein Goldmünzen ausscheidet, wird eine andere gezwungen, sich in diesen Pfuhl zu erbrechen. Das Chaos am umgestürzten Tisch im unteren Bereich des Bildes prangert auf den ersten Blick Spielsucht und Falschspiel an; versteckt wird in der linken Ecke die Enthauptung eines Menschen angedeutet. In der rechten Ecke versucht ein Mensch, sich gegen ein mit der Oberbekleidung einer Nonne bedecktes Schwein zur Wehr zu setzen.(Abb.) Ein Schriftstück liegt ihm auf den Knien; ein Wesen, das seine Gesichtszüge hinter dem heruntergelassenen Visier eines Helmes verbirgt, reicht Tinte und Feder, er soll – möglicherweise ein Geständnis – unterschreiben. Rechts hiervon ist die einzig komplett bekleidete Person des Werkes abgebildet.(Abb.)
Die Darstellung der Hölle überbietet an Grausamkeit alles, was Bosch je produziert hat. Ferner steht sie im Kontrast zu den zwei anderen Tafeln. Die Bestrafung geschieht hier jeweils für die Sünden, welche an den Attributen und den Qualen zu erkennen sind. Die grausame Darstellung von Demütigung, Missbrauch und Folter sind zum Zweck der Abschreckung dargestellt. Die „musikalische Hölle“ steht im Widerspruch zum „Garten Eden“ und zum „Garten der Lüste“ und erscheint deshalb sehr real, weil das 'Inventar' (z.B. Kleidung, Instrumente, Stadtlandschaft) der Lebenswelt entnommen ist, in der Bosch und seine Zeitgenossen lebten.
Siehe auch
Literatur
- Bax, Dirk. Ontcijfering van Jeroen Bosch, Den Haag 1949. [engl. Ausgabe: His Picture-Writing deciphered, translatorisches by M. A. Bax-Botha, Rotterdam 1979.]
- Blondé, Bruno/Vlieghe, Hans. The social Statue of Hieronymus Bosch, in: Burlington Magazin 131, 1989, Heft 2, S. 699f.
- Bruyn, Eric de. De vergeten beeldtaal van Jheronimus Bosch: De symboliek van de Hooiwagen-Triptiek en de Rotterdamse Marskramer-Tondo verklaard vanuit middelnederlandse teksten, ’s-Hertogenbosch 2001 (Diss. Brüssel 2000).
- Dijck, Godfried C. M. van. De Bossche optimaten: geschiedenis van de Illustere Lieve Vrouwebroederschap te's-Hertogenbosch (Bijdragen tot de geschiedenis van het Zuiden van Nederland; 27), 1318-1973, Tilburg 1973. [Untersuchung zu Boschs Lebensumwelt]
- Hans Belting: Hieronymus Bosch, Garten der Lüste, München, Prestel, 2002. ISBN 3-7913-2644-9,
- Stefan Fischer. "Der Garten der Lüste" von Hieronymus Bosch. Ansätze und Methoden der Forschung, 2001/2007 ISBN 978-3-638-70228-7 bzw. ISBN 978-3-638-28448-6
- Stefan Fischer. Hieronymus Bosch: Malerei als Vision, Lehrbild und Kunstwerk (ATLAS. Bonner Beiträge zur Kunstgeschichte, Bd. 6), Köln 2009 (Diss. Uni Bonn), ISBN 978-3-412-20296-5
- Jean Wirth: Hieronymus Bosch: Der Garten der Lüste-das Paradies als Utopie, Frankfurt am Main, 2000, ISBN 3-596-13382-3,
- Wilhelm Fraenger: Hieronymus Bosch, Verlag der Kunst, Dresden 1994, ISBN 3-364-00040-9
- Heinrich Goertz: Hieronymus Bosch. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Rowohlt, Reinbek 1998 (rororo; Bd. 50237), ISBN 3-499-50237-2
- Koldeweij, Jos/Vermet, Bernard/Vandenbroeck, Paul. Jheronimus Bosch: alle schilderingen en tekeningen, Gent/Amsterdam 2001. [deutsche Ausgabe: Stuttgart 2001: Hieronymus Bosch. Das Gesamtwerk]
- Rose-Marie Hagen, Rainer Hagen: Bildbefragungen. Meisterwerke im Detail, Taschen, Köln 2000, ISBN 3-8228-6384-X
- Marijnissen, Roger H. Hieronymus Bosch: Das vollständige Werk, unter Mitwirkung von Peter Ruyffelaere , Köln ²1999.
- Unverfehrt, Gerd. Hieronymus Bosch: Studien zu seiner Rezeption im 16. Jahrhundert, Berlin 1980 (Diss. Göttingen 1974).
- Unverfehrt, Gerd. Wein statt Wasser: Essen und Trinken bei Jheronimus Bosch, Göttingen 2003.
- Vandenbroeck, Paul. Jheronimus Bosch‘ zogenaamde Tuin der Lusten I bzw. II: De Graal of het Valse Liefdespradijs, in: Jaarboek Koninklijk Museum voor Schone Kunsten Antwerpen 1989, S. 9-201 bzw. 1990, S. 9-193.
Weblinks
Commons: The Garden of Earthly Delights – Album mit Bildern und/oder Videos und AudiodateienCommons: The Haywain Triptych – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien- Ralf Schlechtweg-Jahn et al.: Hieronymus Bosch "Der Garten der Lüste", Lehrstuhl für Ältere deutsche Philologie, Universität Bayreuth, http://www.aedph-old.uni-bayreuth.de/bosch/
Einzelnachweise
- ↑ Renate Trnek, Martina Fleischer: Das Weltgerichtstriptychon Von Hieronymus Bosch. Rosenheimer Verlagshaus, 1989
- ↑ Wilhelm Fraenger: Hieronymus Bosch, Verlag der Kunst, Dresden 1994, ISBN 3-364-00040-9
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