Hilde Benjamin

Hilde Benjamin
Hilde Benjamin (rechts) bei einer Jugendweihe (1958)
Hilde Benjamin (rechts) im Gespräch mit Friedel Malter, Vorsitzende des Komitees zum Schutze der Menschenrechte vor Beginn des 2. Prozesstages im Prozess gegen Hans Globke

Hilde Benjamin (* 5. Februar 1902 in Bernburg geb. Lange; † 18. April 1989 in Berlin ) war Justizministerin der DDR und Vorsitzende Richterin in einer Reihe von politischen Schauprozessen in den 1950er Jahren.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Hilde Benjamin studierte nach dem Abitur von 1921–1924 Rechtswissenschaften in Berlin, Heidelberg und Hamburg. Eine Dissertation bei Moritz Liepmann über Strafvollzugsfragen beendete sie nicht.[1] Nach Referendars- und Assessorexamen war sie 1928–1933 Rechtsanwältin in Berlin-Wedding bei der Roten Hilfe (u. a. vertrat sie eine Angeklagte im Mordfall Horst Wessel, seine Vermieterin).

1926 heiratete sie Georg Benjamin, den Bruder des Schriftstellers und Philosophen Walter Benjamin. 1927 trat sie der KPD bei. 1932 wurde ihr Sohn Michael geboren. Nach Berufsverbot 1933 arbeitete Benjamin als juristische Beraterin der sowjetischen Handelsgesellschaft in Berlin und war von 1939 bis 1945 als Angestellte in der Konfektionsindustrie dienstverpflichtet. Ihr Schwager Walter beging 1940 auf der Flucht aus dem besetzten Frankreich an der französisch-spanischen Grenze Selbstmord. Ihr Mann starb 1942 im KZ Mauthausen.

Frühe DDR

Nach dem Zweiten Weltkrieg war sie in der Deutschen Zentralverwaltung für Justiz tätig. 1946 trat sie der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) bei und war von 1949 bis 1953 Vizepräsidentin des Obersten Gerichts der DDR.

Benjamin war bei den Waldheimer Prozessen (Schauprozesse gegen NS-Verbrecher, Kriegsverbrecher und willkürlich Beschuldigte) beratend beteiligt. Später war sie Vorsitzende in einer Reihe weiterer Schauprozesse gegen Oppositionelle, Sozialdemokraten und andere willkürlich angeklagte Personen und mitverantwortlich auch für Todesurteile (zahlreiche Verurteilte dieser Opfergruppen wurden nach der Wiedervereinigung rehabilitiert). Deshalb wurde sie in der DDR im Volksmund auch die „Rote Guillotine“, „Rote Hilde“ oder „Blutige Hilde“ genannt.

Die Reporterin Kathleen McLaughlin beschrieb Hilde Benjamin als Richterin im Solvay-Prozess in der New York Times am 15. Dezember 1950 so:

„Dr. Hilde Benjamin, die Vorsitzende Richterin, eine massige Frau mit zu einer Tiara geflochtenem Zopf, hat sich bei den Urteilen in den so genannten Waldheimer Prozessen gegen frühere Gefangene in Konzentrationslagern der Sowjetzone den Ruf erworben, hart durchzugreifen. Nachdem Staatsanwalt Dr. Ernst Melsheimer die Anklage verlesen hatte, begann Frau Dr. Benjamin mit der Vernehmung der Angeklagten. [...] Die etwa 600 geladenen Zuschauer brüllten vor Vergnügen, als Richterin Benjamin den Angeklagten Dr. Plünnecke zurechtwies, weil er ein Detail vergessen hatte. Sie sagte: ‚Vielleicht hilft es Ihrem Gedächtnis auf die Sprünge, wenn ich Sie darauf hinweise, dass Ihnen hier lebenslänglich droht.‘“

New York Times: 8 on Trial as Spies in East Germany, 15. November 1950. Aus dem Amerikanischen übersetzt

1949 bis 1967 war sie Abgeordnete der Volkskammer und 1954 bis 1989 Mitglied des Zentralkomitees der SED. Ab 15. Juli 1953 war sie in der Nachfolge von Max Fechner Ministerin der Justiz. Der DDR-Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht schickte Hilde Benjamin 1967 in den vorzeitigen Ruhestand, angeblich aus „gesundheitlichen Gründen“. Vermutlich war sie als alte Stalinistin politisch nicht mehr en vogue. Entsprechend schied eine Fortsetzung ihrer Laufbahn als Richterin aus, jedoch setzte sie ihre juristische Karriere als Staatsrechtlerin in der DDR bis zu ihrem Tod fort.

Staats- und Familienrechtlerin

Hilde Benjamin schrieb als Leiterin der Gesetzgebungskommission beim Staatsrat der DDR mit dem Gerichtsverfassungsgesetz, dem Jugendgerichtsgesetz und der Strafprozessordnung von 1952 Rechtsgeschichte in der DDR. Sie war 1963 Vorsitzende der Kommission zur Ausarbeitung des neuen Strafgesetzbuches. Bereits seit dem Beginn ihrer Karriere setzte sie sich für die Gleichberechtigung der Frauen ein, etwa als Mitbegründerin des Demokratischen Frauenbundes der DDR. Der erste Entwurf eines Familiengesetzes 1965 ging auf sie zurück, worin die Gleichstellung nicht-ehelicher Kinder hergestellt, das Scheidungs- und Namensrecht reformiert und die Berufstätigkeit der Frauen gefördert werden sollte.

Von 1967 bis zu ihrem Tod war sie Professorin und Leiterin des Lehrstuhls „Geschichte der Rechtspflege“ an der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft der DDR in Potsdam-Babelsberg.

Benjamin wurde in der DDR vielfach ausgezeichnet: 1962 mit dem Vaterländischen Verdienstorden, 1967 mit der Ehrenbürgerschaft der Stadt Bernburg, 1972 mit der Ehrenspange zum Vaterländischen Verdienstorden, 1977 und 1987 mit dem Karl-Marx-Orden, 1979 als Verdiente Juristin der DDR und 1982 mit dem Stern der Völkerfreundschaft. Ihre Urne wurde in der Grabanlage Pergolenweg der Gedenkstätte der Sozialisten auf dem Berliner Zentralfriedhof Friedrichsfelde beigesetzt.

Grab von Hilde Benjamin auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde in Berlin

Prozesse nach dem 17. Juni 1953

Die Gerichtsverfahren zum 17. Juni überwachte ein spezieller Krisenstab, der unter der Leitung von Hilde Benjamin stand. Sie entschied, welche Urteile zu fällen waren und informierte am Vortag des Prozesses die Staatsanwaltschaft hierüber. Wenn sie das Gefühl hatte, das ginge über ihre Kompetenz, dann wandte Hilde Benjamin sich an den ZK-Apparat und fragte dort nach.[2]

Schriften

  • Aus Reden und Aufsätzen. Staatsverlag der DDR, Berlin 1982.
  • Georg Benjamin. Eine Biographie. Hirzel, Berlin 1987, ISBN 3-7401-0105-9 (Humanisten der Tat).
  • Zur Geschichte der Rechtspflege. 3 Bände, Staatsverlag der DDR, Berlin 1976–86 (als Leiterin des Autorenkollektivs):
    • Bd. 1: 1945–1949. 1976.
    • Bd. 2: 1949–1961. 1980.
    • Bd. 3: 1961–1971. 1986, ISBN 3-329-00047-3.

Literatur

  • Bernd-Rainer Barth, Helmut Müller-EnbergsBenjamin, Hilde. In: Wer war wer in der DDR? 5. Ausgabe. Ch. Links Verlag, Berlin 2010, ISBN 978-3-86153-561-4, Band 1.
  • Heike Amos: Kommunistische Personalpolitik in der Justizverwaltung der SBZ/DDR (1945–1953). Vom liberalen Justizfachmann Eugen Schiffer über den Parteifunktionär Max Fechner zur kommunistischen Juristin Hilde Benjamin. In: Gerd Bender: Recht im Sozialismus. Analysen zur Normdurchsetzung in osteuropäischen Nachkriegsgesellschaften (1944/45–1989). Klostermann Verlag, Frankfurt/M. 1999, ISBN 3-465-02797-3, S. 109–145.
  • Marianne Brentzel: Die Machtfrau. Hilde Benjamin 1902–1989. Ch. Links, Berlin 1997, ISBN 3-86153-139-9 (auf Google Books).
  • Andrea Feth: Hilde Benjamin - Eine Biographie. Verlag Spitz, Berlin 199,5 ISBN 3-87061-609-1 (Rezension).
  • Andrea Feth, Hilde Benjamin (1902–1989). In: Neue Justiz Heft 2/2002, S. 64–67.
  • Walter Janka: Schwierigkeiten mit der Wahrheit. Essay. Rowohlt Taschenbuch Verlag Reinbek 1989, ISBN 3-499-12731-8 (darin wird der Auftritt Benjamins bei einem Schauprozess beschrieben).
  • Holger Schlüter (Red.): Zwischen Recht und Unrecht. Lebensläufe deutscher Juristen. Justizministerium NRW, Recklinghausen 2004, S. 144–146.
  • Rolf Steding (Red.): Ein Vorbild der Einheit von Theorie und Praxis. Zum 85. Geburtstag von Prof. Dr. sc. Dr. h.c. Hilde Benjamin. Akademie der Wissenschaften, Potsdam 1987 (Aktuelle Beiträge der Staats- und Rechtswissenschaft; 345).
  • Heike Wagner: Hilde Benjamin und die Stalinisierung der DDR-Justiz. Verlag Shaker, Aachen 1999, ISBN 3-8265-5855-3 (zugl. Dissertation, Humboldt Universität 1999).

Weblinks

 Commons: Hilde Benjamin – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Volkmar Schöneburg:Hilde Benjamin – Eine Biographie in UTOPIE kreativ Nr. 85/86, 1997, S. 114.
  2. http://www.ddr-im-www.de/index.php?itemid=356

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