- Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit
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Die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU) war eine militante antikommunistische Organisation, die aus West-Berlin in die DDR hinein wirkte. Sie wurde 1948 von Rainer Hildebrandt, Günther Birkenfeld, Ernst Benda, Herbert Geisler und Winfried von Wedel-Parlow gegründet, bekam am 23. April 1949 eine Lizenz der Alliierten Kommandantur als politische Organisation, und löste sich 1959 auf.
Inhaltsverzeichnis
Wirken
Ursprung der KgU war die Wahrnehmung der Aufgabe eines Suchdienstes für Menschen, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in der SBZ von der sowjetischen Geheimpolizei als Gegner der Besatzungsmacht bzw. des kommunistischen Regimes verhaftet oder verschleppt worden waren. Diese Menschen wurden neben ehemaligen Nationalsozialisten in den früheren Konzentrationslagern Buchenwald und Sachsenhausen festgehalten, von der sowjetischen Besatzungsmacht nun Speziallager genannt.
Die KgU gewann vor allem in Schulen und Universitäten Anhänger, die dann in der SBZ bzw. DDR Flugblätter und Flugschriften verteilten oder Parolen malten („F“-Kampagne, bei der „F“ für Freiheit stand). In den illegal in die sowjetische Zone gebrachten Druckerzeugnissen wurde über die Politik der SED, FDJ und ihrer Unterorganisationen sowie insbesondere die Aktivitäten des Ministeriums für Staatssicherheit bzw. dessen Vorgänger und die sowjetische Geheimpolizei aufgeklärt, in den 1950er Jahren auch für die deutsche Wiedervereinigung geworben oder gegen die Rote Armee agitiert. Am 15. August 1951 nahmen Mitglieder der Gruppe am Einsatz der Westberliner Stumm-Polizei gegen Jugendliche aus Ostberlin teil, die im Rahmen der Weltfestspiele der Jugend und Studenten die Sektorengrenzen in Kreuzberg und Neukölln überschritten hatten. Dabei wurden zahlreiche FDJ-Mitglieder verletzt, einige davon schwer. Im anschließend zur Aufklärung der Vorgänge von Bürgerrechtlern eingerichteten „Groscurth-Ausschuss“ berichtete ein Zeuge von Übergriffen junger KgU-Mitglieder gegen seine Familie in Neukölln; u.a. sei sein Vater zusammengeschlagen worden, weil er, der Sohn, Mitglied der FDJ war.[1]
Auch mit dem US-Sender RIAS in Berlin arbeitete die KgU zusammen. Sie nutzte einzelne Sendungen zur Unterstützung ihres Suchdienstes und warb so auch Bewohner der DDR für die Mitarbeit. Deren Aufgabe bestand nicht nur im Verteilen von Flugblättern, sondern sie lieferten auch nachrichtendienstlich verwendbare Informationen, was sich anfangs zunächst nur beiläufig aus den Befragungen des Suchdienstes ergeben hatte. Finanziert und gesteuert wurde die Gruppe überwiegend aus den USA, konkret von deren Geheimdiensten.
Zu Beginn der 50er Jahre ging die KgU zu Sabotageanschlägen auf militärische und zivile Einrichtungen über; belegt sind unter anderem der vielfache Einsatz von „Reifentötern“ (auf Straßen gestreute Stahlspitzen). So wurden auch im Vorfeld der Weltfestspiele 1951 von der KgU „Reifentöter“ ausgegeben, um die Anreise der Teilnehmer zu stören. Anfang Semptember 1951 fuhr das erste Fahrzeug einer FDJ-Kolonne mit Festivalteilnehmern auf „Reifentöter“ auf. Beim dadurch ausgelösten Unfall starben sieben Menschen.[2]
An den Nachmittagen des 4. und 8. September 1951 legte die KgU mittels Phosphorampullen Brände in Kaufhäusern in Leipzig während der Öffnungszeit. Die Brandanschläge scheiterten allerdings, weil die Brände immer rechtzeitig entdeckt und gelöscht werden konnten.[3]
Über DDR-Funktionäre sammelte die KgU Informationen mit der Absicht, diese Personen nach dem Ende der DDR abzustrafen. Es wurden aber auch Drohbriefe verschickt. Am 6. Juli 1951 wurde durch den KgU-Sachgebietsleiter für Sachsen-Anhalt Richard Hennig (Deckname „Rux“) und eine Calber KgU-Gruppe die Ermordung des SED-Kreisvorsitzenden von Calbe (Saale) durch vergiftete Pralinen angedacht.[4] Der Plan konnte nicht zur Ausführung kommen, da die Gruppe kurze Zeit später verhaftet wurde.
Daneben betrieb die KgU Wirtschaftssabotage durch administrative Störungen, indem Behördenpost gefälscht wurde. Auf diese Weise wurden Lebensmitteltransporte fehlgeleitet, Umstellungen in der Produktion sowie Preisreduzierung im Einzelhandel "angeordnet".[2][5][6] Es wurden durch die KgU auch Maschinen, Produkte und Lebensmittel zerstört.[6][7] Neben einem mißglücktem Brandanschlag auf eine hölzerne Autobahnbrücke im August 1951 war die Vorbereitung der Sprengung einer Eisenbahnbrücke bei Erkner im Mai 1952 die aufsehenerregenste Aktion der Widerstandsabteilung der KgU. Dieser Anschlag sollte sich gegen einen auf der Strecke Berlin-Moskau verkehrenden D-Zug richten, der von sowjetischem Personal genutzt wurde. Der Sprengstoff wurde bereits ausgehändigt. Aber die Sprengung während der Durchfahrt des Zuges wurde letztendlich wegen einem fehlenden Fluchtfahrzeug nicht ausgeführt.[8]
Verfolgung
Die DDR und die Sowjetische Militäradministration in Deutschland gingen massiv gegen die KgU vor. Innerhalb weniger Wochen nach der Festnahme des Sachgebietsleiters Hanfried Hiecke (Deckname Fred Walter) am 8. September 1951 wurden 180 Männer verhaftet. Ende November 1951 verhängten sowjetische Militärtribunale heimlich in 42 Fällen die Todesstrafe, für die übrigen Angeklagten zehn bis 25 Jahre Lagerhaft. Die Todesurteile wurden in Moskau vollstreckt. Nur wenige der zum Tode Verurteilten wurden in Moskau zu Lagerhaft begnadigt. Ein großer Teil der zu Lagerhaft Verurteilten aus der Verhaftungswelle vom Herbst 1951 wurden ins Gulag Workuta verbracht. Im Jahre 1955 wurden nach Verhandlungen von Adenauer mit der Sowjetunion die deutschen politischen Häftlinge gleichzeitig mit den deutschen Kriegsgefangenen aus den sowjetischen Lagern nach Deutschland entlassen.[9][10]
Im Jahre 1952 erhielten Werner Tocha, Gerhard Blume, Gerhard Schultz Haftstrafen von 8, 9, und 5 Jahren Gefängnis.[11]
Johann Burianek wurde 1952 wegen der Anschlagsvorbereitungen auf die Eisenbahnbrücke bei Erkner zum Tode verurteilt und hingerichtet. Der Leiter des KgU-Labors Wolfgang Kaiser wurde im gleichen Jahr verurteilt und hingerichtet. Ihm wurde die Bereitstellung von hochprozentigen Säuren, Brand- und Sprengsätzen sowie Gift vorgeworfen, dabei war das von der KgU ausgegebene Cantharidin nicht, wie von der DDR-Propaganda behauptet, zur ziellosen Vergiftung des Trinkwassers der Bevölkerung vorgesehen, sondern sollte im Kriegsfall gegen sowjetische Truppen eingesetzt werden.[12]
Nach 1952 ging die Sabotagetätigkeit der KgU deutlich zurück. Der von der KgU erhoffte baldige Umsturz in der DDR hatte nicht stattgefunden. Auch in dieser Phase wurden Schauprozesse gegen KgU-Mitglieder durchgeführt. Gerhard Benkowitz, Hans-Dietrich Kogel, Willibald Schuster, Gerhard Kammacher und Christian Busch wurden als KgU-Agenten ab dem 14. Juni 1955 vor dem 1. Strafsenat des Obersten Gerichts der DDR der Prozess gemacht. Am 23. Juni 1955 ergingen auf Vorgabe des ZK der SED Todesurteile gegen Gerhard Benkowitz und Hans-Dietrich Kogel (beide wohnhaft in Weimar) wegen Vorbereitung von Sabotageaktionen. Gerhard Benkowitz hatte im Zeitraum 1951-1952 unter anderem Brücken und eine Talsperre zur Vorbereitung einer Sprengung im Ernstfall ausgekundschaftet. Die Beherbergung eines Sprengkommandos bei Hans-Dietrich Kogel wurde vereinbart. Später beschränkte sich die Tätigkeit der Gruppe auf das Versenden von Drohbriefen an Partei- und Staatsfunktonäre, Informationsbeschaffung und das Verbreiten von Informations- und Propagandamaterial. Die Todesurteile wurden am 29. Juni 1955 vollstreckt.[13]
Unterstützung
Eine wesentliche finanzielle Unterstützung für die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit kam von US-amerikanischen Geheimdiensten[14] und anfänglich auch von der amerikanischen Ford Foundation, vom Roten Kreuz und der Caritas. In den Anfangsjahren bestand auch eine gewisse Kooperationen mit Stellen des Senats von Berlin. Aber auch die Bundeszentrale für politische Bildung (1952–1963 noch unter dem Namen Bundeszentrale für Heimatdienst) unterstützte in den fünfziger Jahren die KgU finanziell.
Ziele
Das Deutsche Historische Museum nennt als Funktionen solcher Gruppen wie der KgU „konkrete Hilfeleistungen für DDR-Bürger, Schriftenversand in die DDR und Nachrichtenbeschaffung aus der DDR. Das Geld kam vom US-Geheimdienst.“
Eindeutiges Ziel der KgU war es, zur Destabilisierung der SBZ bzw. DDR beizutragen.
Auflösung
Im Verlauf ihres Bestehens war sie ein Spielball der Agenten zwischen Ost und West. Kontrolliert wurde sie zunächst vom US-amerikanischen Militärgeheimdienst Counter Intelligence Corps (CIC) und später von der CIA. Am Anfang stand ein „Büro Dr. Hoffmann“. Geleitet wurde dieses Büro gemeinsam mit Rainer Hildebrandt von dem Abwehrspezialisten Heinrich von zur Mühlen. Nicht erst in den Jahren 1957 und 1958 war die KgU intern stark zersplittert, so dass sie sich am 12. März 1959 dann selbst auflöste. Nach Darstellung einiger Autoren gab es eine Kontinuität zwischen der KgU und ihr entsprechenden Organisationen wie z.B. dem Untersuchungsausschuss freiheitlicher Juristen und anderen antikommunistischen Gruppen dieser Zeit und der „Psychologischen Kampfführung der Bundeswehr“, die einige der Methoden im Kalten Krieg übernommen haben soll. Eine interne Führungskrise in der KgU hatte es bereits um das Jahr 1952 gegeben, in deren Ergebnis Ernst Tillich den KgU-Gründer Rainer Hildebrandt aus der Gruppe hinausdrängte. Diese Auseinandersetzung scheint unterlegt gewesen zu sein von einem Konflikt um die Formen der Kampfführung gegen den Osten, wobei Tillich wohl eher für militantere Formen gestanden hat und Hildebrandt eher gewaltlose Strategien vorgezogen habe.
Personen innerhalb oder im Umfeld der KgU
- Gerd Baitz, Beirat und Leitung der KgU (Decknamen „Leeder“, „Bährmann“)
- Ernst Benda, Lizenzträger der KgU, stud. jur., damaliger Vorsitzender der Jungen Union
- Gerhard Benkowitz
- Günther Birkenfeld, Lizenzträger der KgU, Schriftsteller
- Johann Burianek
- Edeltraud Eckert, Lyrikerin
- Gerhard Finn, bis 1958 für die KgU tätig (Decknamen „Pilz“, „Fuchs“), danach Referatsleiter im Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen.
- Rainer Hildebrandt, Lizenzträger der KgU, Schriftsteller
- Peter Lorenz, Lizenzträger der KgU, Politiker
- Wolfgang Kaiser, Leiter des KgU-Labors
- Hans-Dietrich Kogel
- Hans-Joachim Näther, Gymnasiast aus Altenburg, hingerichtet
- Heinrich von zur Mühlen (Deckname „Dr.Hoffmann“)
- Ernst Tillich, KgU-Leitung
Einzelnachweise
- ↑ BStU: Tonband aus Stasi-Beständen HA IX Tb 3232 gelb
- ↑ a b Enrico Heitzer: „Affäre Walter“. Die vergessene Verhaftungswelle, 2008, S. 59.
- ↑ Enrico Heitzer: „Affäre Walter“. Die vergessene Verhaftungswelle, 2008, S. 112, 191ff.
- ↑ Enrico Heitzer: „Affäre Walter“. Die vergessene Verhaftungswelle, 2008, S. 112.
- ↑ Karl Wilhelm Fricke, Roger Engelmann: „Konzentrierte Schläge“: Staatssicherheitsaktionen und politische Prozesse, Schriftenreihe des BStU, 11, S. 84f, Online
- ↑ a b Später Werwolf Der Spiegel, 2. Juli 1958
- ↑ Enrico Heitzer: „Affäre Walter“. Die vergessene Verhaftungswelle, 2008, S. 107
- ↑ Karl Wilhelm Fricke, Roger Engelmann: „Konzentrierte Schläge“: Staatssicherheitsaktionen und politische Prozesse, Schriftenreihe des BStU, 11, S. 86f, Online
- ↑ Jörg Marschner: Das Geheimnis des Großen Verrats Sächsische Zeitung, 6. Oktober 2007
- ↑ Enrico Heitzer: „Affäre Walter“. Die vergessene Verhaftungswelle, 2008
- ↑ So etwas wie Feme. In: Der Spiegel. Nr. 47, 1952 (19. November 1952, online).
- ↑ Karl Wilhelm Fricke, Roger Engelmann: „Konzentrierte Schläge“: Staatssicherheitsaktionen und politische Prozesse, Schriftenreihe des BStU, 11, S. 87, Online
- ↑ Karl Wilhelm Fricke, Roger Engelmann: „Konzentrierte Schläge“: Staatssicherheitsaktionen und politische Prozesse, Schriftenreihe des BStU, 11, S. 159ff, Online
- ↑ Bernd Stöver: Die Befreiung vom Kommunismus: amerikanische Liberation Policy im Kalten Krieg 1947-1991, 2002, S. 278f Online
Literatur
- Gerhard Finn: Nichtstun ist Mord. Die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit. Westkreuz-Verlag, Bad Münstereifel 2000, ISBN 3-929592-54-1
- Karl Wilhelm Fricke, Roger Engelmann: „Konzentrierte Schläge“: Staatssicherheitsaktionen und politische Prozesse, Schriftenreihe des BStU, 11, ISBN 3-86153-147-X
- Enrico Heitzer: „Affäre Walter“. Die vergessene Verhaftungswelle, 2008, ISBN 978-3-940938-11-4
- Kai-Uwe Merz: Kalter Krieg als antikommunistischer Widerstand. Die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit 1948–1959. Oldenbourg, München 1987, ISBN 3-486-54371-7
- Norbert Pötzl: Der Kampf der Systeme: TÖRICHT UND TÖDLICH, Spiegel Spezial Geschichte vom 29. Juli 2008
- Karl Heinz Roth: Die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit. Fünfte Kolonne des Kalten Krieges. In: Karl Heinz Roth: Invasionsziel DDR: Vom Kalten Krieg zur neuen Ostpolitik. Psychologische Kampfführung. Konkret-Buchverlag, Hamburg 1971.
- Friedrich-Wilhelm Schlomann: Mit Flugblättern und Anklageschriften gegen das SED-System: die Tätigkeit der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU) und des Untersuchungsausschusses freiheitlicher Juristen der Sowjetzone (UfJ). Zeitzeugenbericht und Dokumentation. Der Landesbeauftragte für Mecklenburg-Vorpommern für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik. Schwerin 1998
- Bernd Stöver: Die Befreiung vom Kommunismus: amerikanische Liberation Policy im Kalten Krieg 1947-1991, 2002, S. 250ff, ISBN 3-412-03002-3 Online
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