- Kreis Wirsitz
-
Der Kreis Wirsitz war von 1816 bis 1920 ein Landkreis im Regierungsbezirk Bromberg der preußischen Provinz Posen. Von 1939 bis 1945 war er unter dem Namen Landkreis Wirsitz als Teil des im besetzten Polen errichteten Reichsgaus Danzig-Westpreußen nochmals eingerichtet. In Polen bildete das Gebiet des Kreises von 1920 bis 1939 und von 1945 bis 1975 den Powiat Wyrzyski. Heute gehört das Gebiet zum Powiat Pilski mit Sitz in Piła.
Inhaltsverzeichnis
Geographie
Das Kreisgebiet lag im Norden der Provinz Posen zwischen den Städten Bromberg und Schneidemühl. Zwischen diesen Städten verlief in ost-westlicher Richtung, die Preußische Ostbahn als einer der wichtigsten Verkehrswege im östlichen Deutschland. In Nakel hatte die Ostbahn einen wichtigen Bahnhof innerhalb des Kreisgebiets, mit Verknüpfung zu anderen Linien. Von Schneidemühl über Wirsitz und Nakel nach Bromberg verlief außerdem eine wichtige Landstraße.
Diese Verkehrswege folgten dem Fluss Netze, einem Nebenfluss der Warthe. Von Nakel nach Bromberg verläuft der 1774 eröffnete und 1917 für größere Schiffe erweiterte Bromberger Kanal, der eine Schiffahrtsverbindung zwischen Oder und Weichsel darstellt, durch die auch die Netze zu einem wichtigen Ost-West-Verkehrsweg wurde.
Diese für die Erschließung der nordöstlichen Reichsgebiete so wichtigen Verkehrswege sowie die Lage an der deutsch-polnischen Sprachgrenze machten den Korridor zwischen Schneidemühl und Bromberg und damit auch den Kreis Wirsitz trotz seiner überwiegend ländlichen Wirtschafts- und Siedlungsstruktur zu einem strategisch wichtigen Gebiet.
Der Kreis Wirsitz grenzte im Westen an den Kreis Kolmar (bis 1877 Chodziesen) , im Süden an die Kreise Wongrowitz und Schubin und im Osten an den Landkreis Bromberg, die alle zum posenschen Regierungsbezirk Bromberg gehörten. Der nördliche Nachbar war der Landkreis Flatow in der Provinz Westpreußen. Das Kreisgebiet hatte bis 1920 eine Fläche von 1062 km², ab 1939 waren es 1162 km².
Verwaltungsgeschichte
Vorgeschichte
Das Gebiet um die westpolnische Stadt Wyrzysk (Wirsitz) gehörte nach der Ersten Teilung Polens von 1772 bis 1807 vorübergehend zum Netzedistrikt in der preußischen Provinz Westpreußen. Im Frieden von Tilsit wurde das Gebiet 1807 in das Herzogtum Warschau eingegliedert. Nach dem Wiener Kongress kam das Gebiet am 15. Mai 1815 erneut an das Königreich Preußen.
Königreich Preußen
Am 1. Juli 1816 wurde ein Kreis Wirsitz gebildet. Sitz des Landratsamts wurde die Stadt Wirsitz (Wyrzysk). Im Zuge der allgemeinen Neuorganisation der Kreisgliederung im preußischen Staat wurde zum 1. Januar 1818 der Kreis Wirsitz neu festgelegt, die Gemeinde Exin fiel dabei an den südlichen Nachbarkreis Schubin.
Als Teil der Provinz Posen wurde der Kreis Wirsitz am 18. Januar 1871 Teil des neu gegründeten Deutschen Reichs, wogegen die polnischen Abgeordneten im neuen Reichstag am 1. April 1871 protestierten.
Am 27. Dezember 1918 begann in der Provinz Posen der Großpolnische Aufstand der polnischen Bevölkerungsmehrheit gegen die deutsche Herrschaft, der nördlich der Netze gelegene Kreis Wirsitz blieb aber unter deutscher Kontrolle. Am 16. Februar 1919 beendete ein Waffenstillstand die polnisch-deutschen Kämpfe. Die dabei vereinbarten Demarkationslinie ordnete den Kreis Deutschland zu (siehe Karte).
Zweite Polnische Republik
Am 28. Juni 1919 trat Deutschland mit der Unterzeichnung des Versailler Vertrags den Kreis Wirsitz offiziell an die neu gegründete Polnische Republik ab. Deutschland und Polen schlossen am 25. November 1919 ein Abkommen über die Räumung und Übergabe der abzutretenden Gebiete ab, das am 10. Januar 1920 ratifiziert wurde. Die Räumung des Kreises Wirsitz und Übergabe an Polen erfolgte zwischen dem 17. Januar und dem 4. Februar 1920. Aus dem Kreis Wirsitz wurde der polnische Powiat Wyrzysk.
Am 1. April 1938 wechselte der Powiat Wyrzysk aus der Woiwodschaft Wielkopolska (der vormaligen preußischen Provinz Posen) in die Woiwodschaft Pomorze (die vormalige preußische Provinz Westpreußen).
Nationalsozialismus
Wenige Tage nach Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde das grenznahe und aufgrund der Trassierung der Ostbahn strategisch wichtige Kreisgebiet von deutschen Truppen besetzt und am 26. Oktober 1939 unter der Bezeichnung Landkreis Wirsitz wieder an Deutschland angegliedert. Wie schon bis 1920 gehörte er zum (ebenfalls wiedererrichteten) Regierungsbezirk Bromberg. Mit diesem gehörte der Kreis zum Reichsgau Danzig-Westpreußen, der in etwa der früheren Provinz Westpreußen entsprach und dem die früher posenschen Ostbahnkreise Wirsitz und Bromberg nun zugeordnet wurden.
Im Januar 1945 wurde das Kreisgebiet durch die Rote Armee besetzt und danach in polnische Verwaltung übergeben.
Landräte
- 1911 - 1915 Magnus von Braun
Kommunale Gliederung
Der Kreis Wirsitz gliederte sich in 6 Stadtgemeinden, die restlichen Ortschaften waren in Polizeidistrikten zusammengefasst.
Der Kreis Wirsitz bestand am 1. Januar 1908 aus:
- 6 Stadtgemeinden (Wirsitz, Friedheim, Lobsens, Mrotschen, Nakel und Wissek),
- 101 Landgemeinden und
- 79 Gutsbezirken.
Nach der Wiedererrichtung des Kreises 1939 wurden die 186 Ortschaften des Landkreises zunächst in 16 Amtsbezirken zusammengefasst. Am 1. April 1942 wurde der Amtsbezirk Nakel-Stadt zur Stadt nach der Deutschen Gemeindeordnung von 1935 ernannt, ebenso am 1. April 1943 die Amtsbezirke Friedheim-Stadt, Immenheim-Stadt, Lobsens-Stadt, Weißeck-Stadt und Wirsitz-Stadt. Gegen Ende der Besetzung bestand der Landkreis aus 6 Städten und 10 Amtsbezirken.
Bevölkerung
Der Kreis Wirsitz hatte im Jahre 1890 58.214 Einwohner. Davon waren 61% Deutsche, 36% Polen und 3% Juden. Ein Teil der deutschen Einwohner verließ nach 1920 das Gebiet, im Jahre 1931 waren noch 20,5% der Kreisbevölkerung Deutsche.
1941 lebten 66.778 meist polnische Einwohner im Kreisgebiet. Die deutschen Besatzungsbehörden vertrieben mehrere Tausend Polen aus dem Gebiet und siedelten Deutsche an, vor allem Baltendeutsche, die im Zuge der Aktion „Heim ins Reich“ aus Estland und Lettland umgesiedelt wurden. 1945 flüchtete die deutsche Bevölkerung oder wurde ihrerseits vertrieben.
Die jüdische Bevölkerung wurde von den Nationalsozialisten ins Generalgouvernement deportiert und dort ermordet.
Ortschaften
Liste der Ortschaften im Kreis Wirsitz mit mehr als 500 Einwohnern (1910):
polnischer Name deutscher Name (1815–1920) deutscher Name (1939–1945) Anmerkung Anieliny Aniela
1912–1920 ElsenortElsenort Bielawy Bielawy 1939–1942 Bielawy
1942–1945 WeißenhofBiałośliwie Bialosliwe
1875–1920 WeißenhöheWeißenhöhe Dębionek Debenke 1939–1942 Debenke
1942–1945 BenkenauGromadno Gromaden 1939–1942 Gromaden
1942–1945 SchwabenseeKościerzyn Wielki Karlsbach Karlsbach Liszkowo Liszkowo,
1908 (oder später) WitzlebenWitzleben unter 500 Ew. Łobżenica Lobsens Lobsens Łodzia Lodzia
1912–1920 LaubheimLaubheim Luchowo Luchowo 1939–1942 Luchowo
1942–1945 BuchenMiasteczko Krajeńskie Miasteczko
1875–1920 FriedheimFriedheim Mrocza Mrotschen 1939–1942 Mrotschen
1942–1945 ImmenheimNakło nad Notecią Nakel Nakel Osiek nad Notecią Osiek
1875–1920 Netzthal1939–1942 Netzthal
1942–1945 NetztalPaterek Paterke
186?–1920 Brückenkopf-SteinburgSteinburg Radzicz Hermannsdorf Hermannsdorf Runowo Krajeńskie Runowo Runowo Sadki Sadke 1939–1942 Sadke
1942–1945 SchloßbergTrzeciewnica Trzeciewnica Hohenberg Witrogoszcz Güntergost Güntergost Wyrzysk Wirsitz Wirsitz Wysoka Wissek 1939–1942 Wissek
1942–1945 WeißeckŻuławka Friedrichshorst Friedrichshorst (Bis auf wenige Ausnahmen galten nach 1815 die polnischen Ortsnamen weiter, nach Gründung des Deutschen Reiches wurden mehrere Ortsnamen eingedeutscht.)
Persönlichkeiten
- Magnus Freiherr von Braun (Landrat des Kreises Wirsitz 1911–1917, Vater von Wernher von Braun)
- Kurt Baron von Stempel (Landrat des Kreises Wirsitz 1917–1919)
- Wernher von Braun (deutscher und amerikanischer Raketentechniker, 1912 in Wirsitz geboren)
Weblinks
Kategorie:- Ehemaliger Landkreis in der Provinz Posen
Wikimedia Foundation.