Pilz-Konzept

Pilz-Konzept
Das ursprüngliche Pilzkonzept – Neubaustrecken sind grün markiert, geplante und noch nicht realisierte gestrichelt

Das Pilzkonzept der Deutschen Bahn ist der Betriebsplan für die Eisenbahn- und S-Bahn-Strecken des wiedervereinigten Berlins. Es ist nach dem Streckenverlauf der Hauptstrecken benannt, der auf dem Stadtplan einem Pilz ähneln soll.

Inhaltsverzeichnis

Allgemeines

Das Pilzkonzept wurde am 15. Juli 1992 von der Bundesregierung beschlossen.

Die Berliner Außenstelle des Eisenbahn-Bundesamtes erteilte auf Antrag der Deutschen Bahn AG und des Landes Berlin (Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen) am 12. September 1995 das Baurecht für das „Herzstück“ des neuen Bahnkonzeptes. Darin eingeschlossen waren unter anderem der Hauptbahnhof, der Tiergartentunnel, der Bahnhof Potsdamer Platz, das Teilstück der U-Bahnlinie 5 sowie die Verlegung der Bundesstraße 96. Der Beschluss umfasste ohne Anlage 545 Seiten.[1] Es ging zum größten Teil mit der Eröffnung des Berliner Hauptbahnhofs am 28. Mai 2006 in Betrieb.

Innerhalb Berlins verlaufen einige hundert Schienenkilometer und es gibt eine Vielzahl großer und kleiner Bahnhöfe. Das Betriebskonzept legt fest, auf welchen Gleisen Fern- und Regionalzüge die Stadt durchqueren und an welchen Bahnhöfen sie halten. Dabei sollen folgende Ziele erreicht werden:

  • Nach Berlin Reisende können alle Bereiche der Stadt leicht erreichen. Dazu liegen einerseits die Fernbahnhöfe an zentralen Punkten der Stadt, andererseits sind sie gut an das Netz des Stadtverkehrs (Nahverkehr) angebunden.
  • Durch Berlin Reisende können leicht umsteigen beziehungsweise – falls sie nicht umsteigen – die Stadt schnell durchqueren.
  • Möglichst wenige neue Gleise und Bahnhöfe werden gebaut und möglichst wenige neue (im Zentrum der Metropole knappe) Flächen werden benötigt.

Ausgangssituation

Für das Pilzkonzept sind die sieben Fernbahnstrecken nach Berlin relevant (daneben gibt es noch Strecken, die nur von Regional- und S-Bahn befahren werden). Die wichtigsten davon sind die Strecken der ICE bzw. IC/EC nach Hamburg, Hannover, Frankfurt (Oder), Leipzig und Dresden.

Wie auch in vielen anderen Städten endeten diese Strecken nach ihrem Bau im 19. Jahrhundert in verschiedenen Kopfbahnhöfen in der Stadt. Schon früh begann man aber diese Bahnhöfe untereinander zu verknüpfen, und zwar mit

  • der Ringbahn, die einmal rund um die Innenstadt führt und Gleise für S-Bahn und Güterzüge sowie bereichsweise Personenzüge hat,
  • der Stadtbahn, die die Stadt in Ost-West-Richtung auf einem Viadukt durchquert, ebenfalls mit Fern- und S-Bahn-Gleisen,
  • und dem S-Bahn-Tunnel in Nord-Süd-Richtung ohne Fernbahngleise.

Die Bahnhöfe, die an diesen Strecken lagen, bekamen dadurch eine größere Bedeutung. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden viele der alten Kopfbahnhöfe stillgelegt, weil sie stark zerstört waren und West-Berlin von der umgebenden DDR abgeschnitten war und infolgedessen reduzierten Fernverkehr hatte. Der Betrieb auf folgenden Bahnhöfen wurde zwischen 1945 und 1952 aufgegeben:

Der Kopfbahnhof Hamburger Bahnhof wurde bereits 1884 stillgelegt.

Dadurch wurden alle Verkehre in die Ost-West-Richtung verlagert: einerseits auf die Bahnhöfe an der Stadtbahn-Strecke (zwischenzeitlich der einzige Zugang zu West-Berlin), andererseits zum Bahnhof Lichtenberg im Osten, zu dem die Züge unter Umfahrung West-Berlins geleitet wurden. Die bisher wichtigsten Bahnhöfe Berlins auf der Stadtbahnstrecke sind der Ostbahnhof (zu DDR-Zeiten Hauptbahnhof, bis 1945 Schlesischer Bahnhof) im Osten und der Bahnhof Zoologischer Garten im Westen. Durch die Umfahrung West-Berlins war jedoch der außerhalb der Ost-Berliner Innenstadt gelegene Bahnhof Lichtenberg der „heimliche“ Hauptbahnhof Ost-Berlins.

Nach der Wiedervereinigung bis zur Eröffnung des Hauptbahnhofs im Jahre 2006 durchfuhren die meisten Fernzüge Berlin auf der Stadtbahnstrecke, um an den dortigen Bahnhöfen zu halten. Diese Strecke geriet dadurch schnell an ihre maximale Kapazität, weshalb viele Züge nur bis zu weiter außen gelegenen Bahnhöfen fahren können. Außerdem bedeutete die Stadtbahn einen Umweg für Züge in Richtung Norden und Süden.

Die Lösung

Das Pilzkonzept enthält den Bau eines Nord-Süd-Tunnels für die Fernbahn (Tiergartentunnel). Dieser Tunnel verläuft westlich des existierenden S-Bahntunnels und kreuzt die Stadtbahn auf dem Gelände des Lehrter Bahnhofs. An dieser Stelle entstand der neue Berliner Hauptbahnhof, der von allen Fernzügen durchfahren wird. Der neue Tunnel und die alte Stadtbahnstrecke bilden den Stiel und die Krempe des Pilzes. Das Dach ist der nördliche Abschnitt der Ringbahn, der von Hamburg kommende Züge ans nördliche Ende des neuen Tunnels leitet, sodass sie die Stadt direkt nach Süden verlassen können, da das südliche Ende direkt mit den nach Leipzig und Dresden führenden Strecken verbunden ist. Züge von den beiden Mecklenburger Linien werden über den nord-östlichen Teil der Ringbahn in den Tunnel geleitet. Über die Stadtbahnstrecke werden die Züge von Magdeburg und Potsdam und östlich von Frankfurt (Oder) fahren.

Der ehemalige Lehrter Bahnhof war das Ende der Strecken aus Hamburg und Hannover, die nun direkt in den neuen Hauptbahnhof münden. Südlich davon und in der Nähe der ehemaligen Potsdamer und Anhalter Bahnhöfe entstand der neue Regionalbahnhof Potsdamer Platz. Dieser ist komplett unterirdisch und hat auch einen Anschluss an die Nord-Süd-S-Bahn.

Außerdem werden folgende Bahnhöfe für den Fernverkehr ausgebaut:

  • Gesundbrunnen auf der nord-östlichen Ringbahn für Züge in Richtung Mecklenburg
  • Bahnhof Spandau im Westen außerhalb der Ringbahn für Züge in Richtung Hamburg und Hannover
  • Südkreuz (bislang: Papestraße) auf der südlichen Ringbahn für Züge in Richtung Leipzig und Dresden

Weiterhin für den Fernverkehr erhalten bleibt der Ostbahnhof auf der ost-westlichen Stadtbahnstrecke.

Im Sommer 2005 verkündete der Chef der Deutschen Bahn, Hartmut Mehdorn, dass ab dem 28. Mai 2006 keine Fernzüge mehr am Bahnhof Zoo hielten. Trotz massiver Kritik von Händlern in der Umgebung des Zoos und zahlreicher Lokalpolitiker präsentierte die Deutsche Bahn am 6. Juli 2005 ihr endgültiges Verkehrskonzept für Berlin. Entgegen dem mit dem Land Berlin vereinbarten Pilzkonzept verliert der Bahnhof Zoo seinen Status als Fernverkehrsbahnhof.

Kosten

Der Ausbau des Schienenknotens Berlin wurde – unter dem Vorbehalt einer positiven Wirtschaftlichkeitsrechnung – im Bundesverkehrswegeplan 1992 als neues Vorhaben im vordringlichen Bedarf geführt. Die geplanten Gesamtinvestitionen lagen bei rund 10 Mrd. DM (Preisstand: 1. Januar 1991).[2] Das Projekt wurde in das Bundesschienenwegeausbaugesetz vom 15. November 1993 aufgenommen.

Die gesamtwirtschaftliche Bewertung des Ausbaus erreichte ein Kosten-Nutzen-Verhältnis von 1,7. Zum 31. Dezember 2005 lagen die realisierten Gesamtinvestitionen bei 4170,3 Mio. Euro, bei einer geplanten Gesamtsumme zum Projektabschluss von 6338 Mio. Euro (mit Anbindung BBI). Die Mehrkosten liegen damit bei 589 Mio. Euro.[3]

Vorteile

  • Durch Berlin verlaufende Fernzüge können an mehreren Bahnhöfen halten und die Stadt trotzdem auf recht geradem Weg durchqueren (ohne zu wenden und dabei entgegenkommende Züge zu kreuzen).
  • Jeder Fernzug wird auch am neuen Hauptbahnhof halten, sodass man dort immer von jeder Linie in jede andere umsteigen kann (selbst dann, wenn Expresszüge nur an einem Bahnhof der Stadt halten).
  • Fern- und Regionalverkehre werden am Hauptbahnhof (und den anderen Fernbahnhöfen) verknüpft.

Nach Angaben der Bahn sei mit Inbetriebnahme des Nord-Süd-Tunnels die Zahl der täglichen Halte von Regionalzügen auf Berliner Stadtgebiet um rund 500 auf 1700 erhöht worden. An 26 Stationen bestünden Umsteigemöglichkeiten zwischen Regional- und S-Bahn. Die Zahl der im Regionalverkehr Reisenden stieg im ersten Betriebsjahr um drei auf 44 Millionen Fahrgäste. Die Fahrzeitverkürzungen werden mit bis zu 35 Minuten angegeben.[4]

Nachteile und Alternativen

  • Der Bau eines völlig neuen Hauptbahnhofes und des neuen Tunnels war sehr teuer. Der Tunnelbau, für den die Spree umgeleitet werden musste, bereitete einige Probleme, beispielsweise durch einen Wassereinbruch.
  • Ein Großteil der Fernzüge (insbesondere die ICEs von Hamburg und Hannover) durchqueren Berlin in Nord-Süd-Richtung, wozu die Bahnhöfe Gesundbrunnen und Papestraße ausgebaut werden mussten, obwohl auf der Ost-West-Linie schon die beiden bisher größten Bahnhöfe (Zoo und Ostbahnhof) liegen.
  • Keine der Nord-Süd-S-Bahnlinien führt durch den neuen Hauptbahnhof. Eine solche Anbindung ist zwar vorgesehen (siehe S-Bahn Berlin, der Platz für Bahnsteige wurde freigehalten), aus finanziellen Gründen aber auf unbestimmte Zeit verschoben.
  • Der Stadtverkehr muss erst noch an den Hauptbahnhof herangeführt werden. Eine kurze U-Bahn-Strecke („Kanzler-U-Bahn“ U55) wird zwar voraussichtlich im August 2009 eröffnet[5], die Verbindung dieses Stücks mit der U5 jedoch noch nicht. Auch die Straßenbahn soll voraussichtlich erst im Jahr 2011 bis zum Hauptbahnhof fahren.

Eine Alternative wäre gewesen, die Ringbahn auszubauen und mehrere Umsteigebahnhöfe einzurichten. Dazu hätten aber die Züge immer an mehreren Bahnhöfen halten müssen, um ausreichende Umsteigemöglichkeiten zu gewährleisten.

Fehlplanungen

Als 1992 das Pilzkonzept beschlossen wurde, erwarteten Demographen und Stadtplaner, dass Berlin im Jahr 2000 etwa fünf Millionen Einwohner haben würde. Entsprechend großzügig wurde geplant. Der Bevölkerungszuwachs in Berlin blieb jedoch aus, sodass der Tiergarten-Tunnel aus heutiger Sicht überdimensioniert wirkt. Das Pilzkonzept sollte jedoch von Anfang an Kapazitäten für die Zukunft bereithalten.

Siehe auch

  • Stuttgart 21 – auch dort wird ein Durchgangsbahnhof geplant, der per Tunnel zu erreichen ist.
  • City-Tunnel Leipzig – ähnliches Konzept, aber ohne Fernbahn.
  • Wien Hauptbahnhof – auch hier werden zwei Kopfbahnhöfe durch einen Durchgangsbahnhof ersetzt.
  • Eisenbahnknoten Belgrad – in Ausführung befindliches Konzept mit zentralem Durchgangsbahnhof, drei Tunnels im Stadtgebiet und unterirdischem Bahnhof im Stadtzentrum.

Weblinks

Belege

  1. Meldung EBA schafft Bauplanungsrecht für den Ausbau des Eisenbahnknotens Berlin. In: Eisenbahntechnische Rundschau. 45, Nr. 1/2, 1996, S. 84 f.
  2. Bundesministerium für Verkehr: Bundesverkehrswegeplan 1992, S. 21
  3. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Anton Hofreiter, Winfried Hermann, Peter Hettlich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Kostenüberschreitungen bei Bauprojekten der Deutsche Bahn AG Drucksache 16/4783 des Deutschen Bundestages vom 2. März 2007
  4. Ein Jahr neues Verkehrskonzept – die Erwartungen haben sich erfüllt. In: punkt 3, Ausgabe 10/2007, S. 12 f.
  5. Berliner Zeitung vom 7. November 2008: Was lange währt, wird endlich die U 55

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