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Polytheismus (v. griech.: πολύς polys = viel und θεοί theoi = Götter), auf Deutsch auch als "Vielgötterei" bezeichnet, ist religiöse Verehrung einer Vielzahl von Göttern oder Geistern.
Die meisten Religionen des Altertums waren polytheistisch und verfügten über ein jeweiliges Pantheon traditioneller Gottheiten, häufig angereichert mit Gestalten aus jahrhundertealten kulturellen Begegnungen und Erfahrungen.
Inhaltsverzeichnis
Überblick
Heutige polytheistische Religionen sind allen voran der Shintō, Bön, Santería, Candomblé einige Formen von Wicca, Voodoo, Asatru und Keltismus. Hindus sind entgegen einer noch immer verbreiteten Annahme keine Polytheisten. Der vedische Hinduismus (ca. 1200 - 600 v. Ch.) war vermutlich eine polytheistische oder henotheistische Religion, allerdings hat sich in nachvedischer Zeit ein Monismus und Monotheismus entwickelt. Von außen betrachtet scheint die Götterwelt vielfältig. Folgendes kurzes Gebet, in verschiedenen Variationen bekannt, drückt aber das hinduistische Verständnis vom Göttlichen, hier weiblich gesehen, aus: " Wie die Sonne, die sich in den Teichen spiegelt, als ungezählte Sonnen erscheint, so erscheinst auch du, O Mutter, als viele - Du Eine ohne Zweites, Höchstes Brahman!" (Mahakalasamhita). Sämtliche Upanishaden setzen sich mit dieser "Einheit in der Vielfalt" auseinander.
Die Mehrheit der traditionellen afrikanischen Religionen gehen von einem himmlischen Hochgott aus, der zumeist durch Delegation der Schöpferkraft an seine Nachkommen im Lauf der Zeit auch von seiner Verehrung eingebüßt hat. Wo ein Himmelsgott existiert, der seine Aufgabenbereiche an verschiedene Gottheiten aufgeteilt hat (Gott des Regens, der Fruchtbarkeit, des Eisens usw.), liegt noch kein eigentlicher Polytheismus vor. Ausgeprägte Formen von Polytheismus gibt es in solchen afrikanischen Gesellschaften, die aus einem Ahnenkult heraus mythische Urahnen vergöttlicht haben, oder wo Funktionsgötter wie zum Beispiel mehrere hundert Orishas bei den Yoruba und Ewe als zentrale Autoritäten einzelner Clans verehrt werden. Siehe hierzu: Afrikanische Kosmogonie.
Polytheismus gibt es ferner in noch nicht christianisierten Gegenden Ozeaniens und in Amazonien. Letztere schrumpfen teils durch das Aussterben dieser Stämme, ihr Aufgehen in der modernen Kultur oder Missionierung durch christliche oder islamische Gruppen (siehe Schirk und Da'wa). Die äußerst unterschiedlichen Götter- und Geisterwelten der Stämme werden oft unter dem Oberbegriff "Animismus" zusammengefasst.
Soweit traditionelle Stämme oder Völker einen neuen monotheistischen Glauben (oder in den sozialistischen Ländern, z.B. der Sowjetunion den Atheismus) aufgezwungen bekamen, wurde und wird der alte polytheistische Glaube oft heimlich von vielen oder wenigen weiterpraktiziert. Bei Nachlassen des staatlichen oder sozialen Drucks entstanden und entstehen dann teilweise Mischreligionen. So gibt es in Südamerika sowohl Mischreligionen zwischen Christentum und alten polytheistischen religiösen Vorstellungen bestimmter Indiostämme als auch zwischen Christentum und alten polytheistischen Glaubensystemen der Nachkommen der vor allem aus Westafrika in die Sklaverei verschleppten Menschen wie die verschiedenen Richtungen der Santería und Candomblé.
Teilweise werden die Glaubenssysteme der Völker und Stämme, bewahrt oft von wenigen Menschen, auch komplett reaktiviert, wie dies zur Zeit bei einigen kleinen Völkern in Sibirien zu beobachten ist. Solche Reaktivierungen gibt es auch bei Teilen einiger nordamerikanischer Indianerstämme. Eine wachsende Zahl von Menschen versucht sogar seit Jahrhunderten ausgestorben geglaubte polytheistische Systeme, über deren Inhalt durch archäologische Funde nach und nach bruchstückhaft immer mehr bekannt wird, wie den keltischen oder germanischen Glauben und Götterhimmel wiederzubeleben. Die Verwendung alter Namen und Zeichen muss jedoch mit Vorsicht genossen werden, da es sich bei diesen Kulturen um regional sehr unterschiedlich ausgeprägte Glaubens- und Ritualformen handelt. Die ursprünglich orale Tradition dieser Kulturen ist abgerissen und muss durch moderne Spekulation ersetzt werden. Anhänger dieser Gruppen machen jedoch geltend, dass die Grundlage dieser Kulturen die Naturschau und Naturbetrachtung sei und auch die moderne Reaktivierung durchaus Parallelen aufweise.
Der Buddhismus wird zumindest von seinen Angehörigen nicht als polytheistisch angesehen. Jedoch verfügen einige Glaubensrichtungen über einen umfangreichen Götterhimmel, denen teilweise in Gebet, durch Opfer und durch vielfältige Rituale gehuldigt wird.
Einige jüdische und islamische Gelehrte verstehen die christliche Trinitätslehre ebenfalls als Polytheismus, was die Christen deutlich zurückweisen. Die Lehre des Mormonismus von der "Mehrzahl der Götter" wird von anderen Christen als polytheistisch bezeichnet, was die Mormonen wiederum zurückweisen.
Polytheismus im Altertum
Zu den bekannten Götterwelten des antiken Polytheismus zählen die der sumerischen Götter; der babylonischen Götter, der assyrischen Götter, der Götter Kanaans und Ugarits, der griechischen und römischen Götter; der ägyptischen Götter, die skandinavischen Aesir und Vanir, die keltischen Götter, Göttersysteme der Balten, Finnen, Slawen, Orisha, Yoruba, die Götter der Maya und Azteken. Heute bezeichnet man die meisten historischen polytheistischen Religionen als Mythologie. Vielfach sind auch, wo die Überlieferung nur mündlich gepflegt wurde wie bei den Kelten, nur Namen und wenige Bemerkungen in Texten benachbarter Kulturen erhalten.
Nur wenige Religionen des Altertums waren nicht polytheistisch. Dazu zählen das monotheistische Judentum und Christentum, der dualistische Zoroastrianismus sowie der Mithraismus.
Dagegen herrschte bei nahezu allen Stämmen und Völkern der Frühzeit die Vorstellung, dass es viele Götter und Göttinnen gebe. Bereits eine sumerische Götterliste aus der ersten Hälfte des 3. Jahrtausends umfasst rund 1000 Götternamen, die vor allem verschiedene Kräfte der Natur repräsentieren.
Warum die Menschen der Frühzeit in ihren Bemühungen ihre Umwelt und ihr Schicksal zu verstehen und zu bewältigen eher einen Pantheon von Göttern und Göttinnen aufbauten, als an einen einzigen Gott zu glauben, kann man exemplarisch illustrieren an einem mesepotamischen Mythos, der komplett auf einem Keilschrifttäfelchen ca. aus dem Jahr 1700 v. Chr. zu finden ist. Fragmente dieses Mythos findet man aber auch noch auf Resten von Täfelchen aus der Zeit 700 v. Chr. - er ist also mindestens 1000 Jahre lebendig geblieben. Die Götter beauftragten den Pestgott Namtar die Menschen zu vernichten. Dieser begann sie mit der Pest zu töten. Ein Gott aber, der Mitleid mit den Menschen hatte, nämlich Enki, verriet dem Menschen Atrachasis ein Ritual, mit dem sie die Seuche besiegen können. Die Menschen sollen von allen Göttern ausschließlich den Pestgott Namtar verehren und nur ihm opfern und zwar bis er, überschüttet mit Opfern, von seinem tödlichen Tun ablässt. So geschieht es. Dank der Opfer lässt der Pestgott von seinem Wüten ab und die Menschheit lebt weiter. Nun beschließen die Götter, dass der Regengott Adad es nicht mehr regnen lassen soll und die ihm zugeordnete Korngöttin Nisaba kein Korn mehr wachsen lassen soll. So geschieht es. Und wieder verrät der Gott Enki dem Atrachasis das rituelle Gegenrezept: Nun verehren und opfern die Menschen allein Adad und Nisabe, und zwar bis Regen fällt und die Vegetation wieder auflebt. Dieser Mythos zeigt die Ursache für den Polytheismus. Die Menschen in ihrer Sorge, Gefahren wie Seuchen abzuwenden und lebensspendende Zustände wie Regen, Sonne oder Fruchtbarkeit der Pflanzen und Tiere aufrecht zu erhalten, suchen Wege, dies durch magische und rituelle Handlungen abzusichern und stellen sich für das jeweilige Problem Götter und Göttinnen als ansprechbare und beeinflussbare personale Wesen vor. Einige der Völker stellen sich die Götter in Menschengestalt vor (anthropomorph), einige in Tiergestalt (zoomorph), einige in beiden Gestalten und teilweise auch als Mischwesen. (Schon in den Felszeichnungen als ältesten Zeugnissen menschlicher Bilddarstellung gibt es Tierdarstellungen, Menschendarstellungen und vereinzelt Mischwesen.) Im mesepotamischen und im kanaanitischen Pantheon haben die Götter und Göttinnen fast durchgehend Menschengestalt. Tiergötter und Menschtiermischwesen finden sich dagegen stark vertreten in Ägypten und im amerikanischen Kulturkreis.
In vielen Zivilisationen neigten die Götterwelten dazu, mit der Zeit anzuwachsen. Gottheiten, die zunächst zum Schutz bestimmter Städte oder Plätze angebetet wurden, wuchsen mit der Vergrößerung der Reiche zu mächtigen Nationalgöttern heran. Eroberungen konnten zur Unterordnung eines älteren Pantheon in der besiegten Kultur führen, bis ein neueres entstand, wie in der griechischen Titanomachie und vielleicht auch bei Aesir und Vanir in Skandinavien. Kultureller Austausch konnte dazu führen, dass "die gleiche" Gottheit an zwei Orten unter unterschiedlichen Namen verehrt wurde, wie es bei den Griechen, Etruskern und den Römern der Fall war. Ähnliches geschah bei der Einführung von Elementen einer "fremden" Religion in einen lokalen Kult, als die ägyptische Osirisreligion nach Griechenland gebracht wurde.
Erdichten, Erschauen, Import von Göttern
Es ist zu vermuten, dass die Gründe für den Import von Göttern und Mythen die gleichen sind, wie die Gründe für das bewusste "Erdichten" oder das "Erschauen" von Göttern und deren Funktion und Geschichten in erinnertem Traum oder Visionen und Trance - seien sie bewusst oder unbewusst hervorgerufen durch Schlaf, Zeremonien, Meditationstechniken, Hunger (Fasten), Drogen, überlangem Wachen (Schlafentzug) oder auch Krankheiten (z.B. Fieberträume oder Fehlfunktionen des Gehirns). Insbesondere dem Erdichten kommt wohl allerdings eine größere Rolle zu, als gemeinhin angenommen wird. Der Gilgamesch-Epos, um die älteste Schicht sumerischer Überlieferung anzusprechen, ist religionsschöpfend, hat aber weder etwas von einer Vision noch gar etwas von einem Fiebertraum. Es geht viel mehr um Weltverständnis, Welterklärung und um Fertigwerden mit der Welt, dem Zusammenleben mit anderen Menschen und damit um Fertigwerden mit dem eigenen Leben. Die Menschen suchen einen Weg, ein Taoist würde sagen das Dao, durch das Leben. Von dem uralten sumerischen Zyklus um die Liebesgeschichte von Inanna und Dumuzi wurden bisher 38 Liebeslieder, die gleichzeitig Kultgesänge sind, mit 1700 Versen gefunden. Auch hier liegt hochwertige religiöse Dichtung vor, nicht die Niederschrift eines Fiebertraumes. Wem das ungewöhnlich erscheint, sollte sich einmal anschauen, wieviele Geschichten man über erfundene Völker, Welten, Fabelwesen, Dämonen und Wunder - neu erschaffen - in einer jeden Buchhandlung in der Ecke mit Fantasy und Science Fiction finden kann. Den Menschen ging es aber damals nicht darum, sich in eine bunte und spannende Phantasiewelt zu träumen, obwohl auch dieses Motiv in manchen Geschichten und Mythen sichtbar ist, sondern um ein Zurechtfinden in der Welt, ein Zurechtfinden mit ihrem Leben und auch um Kontrolle über dieses Leben und auch das Unkontrollierbare, wie der Aussicht zu Sterben. Schon die frühesten Handelsbeziehungen führten auch zu Kontakten mit fremden Mythen und Glaubensvorstellungen. Soweit diese faszinierend sind, werden sie gehört und später auch gelesen, so wie man heute noch die ja ebenfalls vom Ursprung her religiösen Sagen der Griechen, Römer und Germanen liest, ohne dass mehr als eine handvoll der Millionen Leser beginnt griechische Götter anzubeten. Wenn die Annahme dieser Geschichten und Glaubensinhalte als wahr aber verspricht, eine Minderung eigenen seelischen Leides (Ängste, Unsicherheit, Trauer, Einsamkeit, Sinnlosigkeit, Zweifel etc.), eine Verbesserung des seelischen Zustandes (Ermutigung, Sinn, innere Ruhe, Entschlossenheit, Tröstung, Geborgenheit), positive Gemeinschaft mit Menschen oder Kontrolle über das eigene Schicksal, bedrohliche oder erwünschte Naturkräfte und Menschen zu erreichen, ist mit der Annahme eines neuen Mythos bzw. Glaubens zu rechnen.
Götter und Göttlichkeit
Obgleich viele Formen des Buddhismus, vor allem im Mahayana, die Verehrung von Bodhisattvas mit einschließen, werden diese nicht als göttliche Wesen betrachtet. Eher gelten Bodhisattvas als Menschen, die ein hohes Stadium der Erleuchtung erreicht haben und ein buddhistisches Gebot ist, dass über den Weg vieler Lebensalter bestimmte Menschen einen ähnlichen Zustand der Erleuchtung auch erreichen können.
Dass eine Person an mehrere Götter glaubt, deutet nicht an, dass er sie alle notwendigerweise gottesdienstlich verehrt. Zahlreiche Polytheisten glauben an eine Vielfalt von Göttern, aber verehren nur einen. Diese Variante des Polytheismus wird Henotheismus genannt. Einige sehen im henotheistischen Polytheismus eine Form des Monotheismus, einige Historiker meinen, die monotheistischen Religionen seien im Henotheismus entstanden. Praktisch alle Juden, Christen und Moslems heute sehen jedoch den Henotheismus als Polytheismus an.
Quellennachweise
Weblinks
- Graduiertenkolleg "Götterbilder-Gottesbilder-Weltbilder. Polytheismus und Monotheismus in der Welt der Antike" (Eine an der Universität Göttingen beheimatete, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Gruppe interdisziplinär arbeitender Nachwuchsforscher, die sich mit verschiedenen antiken Religionen und dabei insbesondere mit dem Verhältnis von Polytheismus und Monotheismus beschäftigt.)
- "Religiöser Pluralismus in der griech.-röm. Antike"(Teilmodul im Studiengang Geschichte im Sommersemester 2008 an der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg in Zusammenarbeit mit der Arbeitsstelle Antike Religion und Alte Geschichte und der Arbeitsstelle für Toleranzforschung)
Literatur
- Gerhard J. Bellinger, Lexikon der Mythologie, Knaur Verlag, ISBN 978-3899962703
- Arthur Cotterell, Die Enzyklopädie der Mythologie: Klassisch, keltisch, nordisch., Edition XXL, ISBN 978-3897363007
- Gerhard Fink, Who's who in der antiken Mythologie, Dtv Verlag, ISBN 978-3423325349
- Hans Wolfgang Schumann, Die grossen Götter Indiens: Grundzüge von Hinduismus und Buddhismus, Ariston Verlag, ISBN 978-3720528542
- Vanamali Gunturu, Hinduismus - Die grosse Religion Indiens, Diederichs, ISBN N 3-7205-3155-9
Siehe auch
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