Sachsenmission

Sachsenmission

Die Sachsenkriege begannen mit dem Feldzug Karls des Großen gegen die Sachsen im Sommer 772. Die Sachsen, die zwischen Nordsee und Harz bzw. Rhein und Elbe siedelten, waren bis dahin den fränkischen Königen teilweise tributpflichtig gewesen, aber nie ihre Untertanen. Außerdem hielten sie noch stark an germanischen Traditionen fest, wozu nicht nur die alte Religion und ein eher loser Stammesverband gehörten, sondern auch regelmäßige Raubzüge auf fränkisches Gebiet. Ob Karl zunächst nur diese Raubzüge unterbinden wollte oder von Anfang an eine Unterwerfung, Christianisierung und Eingliederung der Sachsen ins fränkische Reich plante, ist nicht sicher.

Während durch die Quellen, insbesondere durch die Annales regni Francorum und durch die Vita Karoli Magni, recht gut über den Verlauf der Sachsenkriege informiert wird, ist von ihnen im archäologischen Befund wenig zu spüren; die Spuren sind marginal, es gibt keine Anzeichen für eine Entvölkerung der Gegend und auch die in den Quellen genannten Deportationen lassen sich archäologisch nicht nachweisen (Grünewald 2005). Archäologisch nachweisbar sind aber Langzeitfolgen wie die Entvölkerung Nordalbingiens (Stormarn, Dithmarschen und Holstein) und seine Neubesiedlung mit slawischen Abodriten durch Karl.

Inhaltsverzeichnis

Abriss des Verlaufs

Die Zerstörung der Irminsul auf dem wichtigsten Versammlungsplatz der Sachsen führte 772 zum offenen Aufstand gegen die Franken. Einige Historiker vermuten, dass die Irminsul ein hoher Baum oder Holzstamm war und als ein Sinnbild für die das Himmelsgewölbe tragende Weltsäule angesehen wurde. Das entspricht der nordischen Weltesche Yggdrasil. Als Rechtfertigung für die Zerstörung der Irminsul erkennen sie dann auf religiöse Motive. Nach einer anderen Vermutung war die Irminsul hauptsächlich das Wahrzeichen eines zentralen Thingplatzes der Sachsen. Ihre Zerstörung war demnach vor allem ein Angriff auf die nordgermanische Verfassung der Sachsen, in der ein König wie Karl der Große nicht vorgesehen war. In diesem Sinne käme die Zerstörung der Irminsul quasi einer Auflösung des sächsischen Parlamentes gleich.

Der fränkische Sommerfeldzug im gleichen Jahr war zunächst erfolgreich: Karls Heere stießen von linksrheinischen Basen aus in sächsisches Gebiet vor und eroberten unter anderem die Syburg (bei Dortmund) und die Eresburg (heute: Marsberg), wo die Irminsul gestanden haben soll, und stießen bis zur Weser vor, hinter der die sächsischen Siedlungzentren lagen (Weserfestung). Bislang sind allerdings keine Spuren der historischen Eresburg ergraben worden (Grünewald 2005). Gestützt auf diese Erfolge führte Karl erste Verhandlungen mit kooperationsbereiten sächsischen Adligen und erhielt von ihnen Geiseln als Pfand. Während Karls Feldzug in Italien gegen die Langobarden setzte ein Teil der Sachsen, vor allem bäuerliche Aufgebote unter Führung von Widukind, eines westfälischen Adligen, den Widerstand fort und eroberten fränkische Siedlungen und Kirchen, vornehmlich im heutigen Rheinland.

Der Feldzug Karls im Jahre 775 gegen die Sachsen führte das fränkische Heer über Syburg, Eresburg und Brunsberg (Höxter) in den ostsächsischen Raum an die Oker, wo sich einige Sachsen dem fränkischen König unterwarfen. Der Heeresrückmarsch unter Karl erfolgte über Hildesheim und Nordstemmen in den Bukki-Gau um Bückeburg, wo der sächsische Teilstamm der Engern dem Frankenkönig Geiseln gestellt hatte. Von dort zog Karl nach Hlitbeki (Lübbecke), um eigenen Leuten militärisch beizustehen.

777 – ein Jahr, das unblutig verlaufen sein soll – fand erstmals eine fränkische Reichsversammlung auf sächsischem Boden statt, und zwar im neu gegründeten Karlsburg, (mutmaßlich) dem heutigen Paderborn. Sie sollte die Bekehrung der Sachsen vorantreiben, für die unter anderem angelsächsische Missionare aus England eingesetzt wurden. Karl der Große strebte an, wie in anderen eroberten Gebieten auch, die Kirche mit ihren Niederlassungen (Klöstern) und ihrer administrativen Tradition (Buchführung) als Verwaltungsinstrument in Sachsen zu nutzen.

Die nach Karls Ansicht treubrüchigen Sachsen ordneten sich allerdings neu und überfielen wiederholt chattische Orte und Festungen im heutigen Hessen. Angeführt von ihrem Herzog, dem westfälischen Adeligen Widukind, stellten sich die Sachsen im Gegensatz zu früheren – eher schlecht organisierten – Eroberungszügen nun in offenen Feldschlachten. 782 wurde das Land der Sachsen auf dem Reichstag zu Lippspringe in fränkische Grafschaften aufgeteilt. Außerdem ließ Karl Abgaben eintreiben, heidnische Bräuche unterdrücken und Zwangsbekehrungen zum Christentum vornehmen, was zur neuerlichen Empörung eines Teils der Sachsen, vor allem aus bäuerlichen Schichten, führte – während der Adel teils auf Seiten der Franken stand. In der Süntelschlacht vernichtete Widukind am Süntelgebirge ein fränkisches Heer, während Karl selber sich auf einem Feldzug gegen die Sorben befand.

Karl soll auf den hartnäckigen Widerstand mit brutaler Repression geantwortet haben, unter anderem mit dem berüchtigten Blutgericht von Verden 782 (siehe auch Verden (Aller)), bei dem angeblich tausende Sachsen enthauptet wurden. In Analogie zum Blutgericht zu Cannstatt durch seinen Vater Pipin und Onkel Karlmann, bei der die gesamte alemannische Führungsschicht ausgelöscht wurde, scheint diese Vorgehensweise durchaus wahrscheinlich. Die in den Quellen genannte Zahl von 4.500 wird in der Forschung teils als Übertreibung (M. Becher) dargestellt, da archäologische Spuren eines derartigen Massakers bislang noch nicht aufgefunden wurden; es wird argumentiert, möglicherweise sei dieses Ereignis lediglich durch einen Schreibfehler entstanden, bei dem aus delocabat (=ließ umsiedeln) ein decollabat (=ließ enthaupten) geworden sein soll. Dem widerspricht die Interpretation, dass sich decollabat auf 4.500 sächsische Edle beziehe, die sich ihm als Geiseln überantwortet hatten, es sich also um keine „Umsiedlung“ gehandelt habe. Widukind war zuvor nach Dänemark entkommen. Karl erließ zudem ein Sondergesetz (Capitulatio de partibus Saxoniae), welches die Missachtung der christlichen Reichsordnung – u. a. Verunglimpfung eines Priesters oder einer Kirche, die bei den Heiden übliche Feuerbestattung oder das Essen von Fleisch an Fastentagen – mit der Todesstrafe bedrohte. Gezielt sollen von Karl auch Deportationen als Mittel der Unterwerfung eingesetzt worden sein. Sogar in der engsten Umgebung Karls stieß diese Rigorosität auf Vorbehalte: Alkuin – angelsächsischer Gelehrter, ab 796 Abt des Klosters Saint-Martin de Tours und Vertrauter des Frankenkönigs – mahnte in einem Brief Zurückhaltung an: Gemäß den Lehren der Heiligen Schrift und der Kirchenväter solle man das Wort Gottes mit Predigten und nicht mit dem Schwert verbreiten. Karls Brutalität und Kompromisslosigkeit trugen ihm den wenig schmeichelhaften Beinamen Sachsenschlächter ein.

In Detmold und an der Hase kam es im Sommer 783 zu Gefechten, bei denen sich sächsische Frauen barbrüstig auf die überrumpelten Franken gestürzt haben sollen. Fastrada, Tochter des Grafen Radulf, die nach dem Tod seiner Gattin Hildegard 783 Karls neue Gemahlin wurde, soll sich der Überlieferung zufolge darauf ebenso barbrüstig in die Schlacht geworfen haben.

Die Taufe Widukinds

Trotz ihrer kämpferischen Einstellung gerieten die Sachsen in der Folge immer mehr in Bedrängnis. Die Wende trat allerdings erst ein, als Widukind sich 785 (vermutlich in der Pfalz Attigny) taufen ließ und den Treueeid auf Karl, der als Taufpate fungierte, leistete. Neben Attigny werden allerdings noch elf weitere Tauforte Widukinds in späteren Quellen genannt, so etwa die Hohensyburg, Paderborn und Worms. 792 kam es als Reaktion auf eine Zwangsaushebung (Rekrutierungen für die Awarenkriege) zur letzten größeren Erhebung gegen die Franken. Karl reagierte mit Zwangsdeportationen und vergab dafür sächsisches Land an Franken und seine abotritischen Verbündeten. Die Verbannungsorte der Sachsen lassen sich noch heute an Ortsnamen erkennen. Ein Großteil der Sachsen unterwarf sich nun, doch noch bis 804 (Kriegszug der Franken nach Nordelbien) kam es immer wieder zu Unruhen.

Doch Karl setzte neben den Repressionen auch auf die Versöhnung zwischen Franken und Sachsen: 802 wurde das sächsische Volksrecht (Lex Saxonum) festgeschrieben, nachdem bereits 797 mit dem Capitulare Saxonicum die Sondergesetze gelockert worden waren. Freilich wurde dabei alles aus dem alten Brauchtum hinausseziert, was Karls monarchischem Gottesstaat-Anspruch entgegengestanden hatte, und in dieser verstümmelten Form nun für sakrosankt erklärt. Die Schaffung einer umfassenden kirchlichen Infrastruktur (Gründung von Bistümern in Paderborn (vgl. Erzbistum Paderborn), Münster, Bremen, Minden (vgl. Hochstift Minden), Verden und Osnabrück) sicherte nach und nach auch die zunächst mit beträchtlicher Grausamkeit über 30 Jahre hinweg durchgesetzte Christianisierung des sächsischen Volkes. Für Nordwestdeutschland gilt diese Phase des 9. Jahrhunderts, die ihren Abschluss 805 mit der Ernennung des Missionars Liudger zum ersten Bischof von Münster fand, als die größte gewaltsame Umwälzung in der Geschichte. Mit den Sachsenkriegen war die Völkerwanderungszeit im Nordwesten des Reiches endgültig zu Ende. Der Krieg gegen die Sachsen sei der schwerste gewesen, den das fränkische Volk geführt habe, urteilt Karls Biograph Einhard. Im zehnten Jahrhundert, nach zwei Jahrhunderten Einbindung ins Frankenreich, stellten die Sachsen mit der Dynastie der Ottonen die Könige im ostfränkischen Reich, die seit 962 (Otto I.) auch Kaiser des durch Karl den Großen erneuerten westlichen Kaiserreiches (Christliches Imperium in der Nachfolge des weströmischen Reiches) waren.

Rezeption

Die Sachsenkriege haben Karl dem Großen schon in der frühmittelalterlichen volkstümlichen Legendenbildung (im Unterschied zur offiziellen, kirchlichen und obrigkeitlichen Geschichtsschreibung) eine düstere Rolle eingetragen (z. B. Widukindslegende). Diese Beurteilung war besonders stark in neu-völkischen Kreisen seit dem Ersten Weltkrieg und in den zwanziger und dreißiger Jahren. Unter dem Einfluss des deutschen Diktators Adolf Hitler wurde jedoch in der Zeit des Nationalsozialismus, etwa ab der Mitte der dreißiger Jahre, Karl wieder als Lichtgestalt gezeichnet. Hitler selbst soll Karl bei einem seiner Tischgespräche im Führerhauptquartier am 4. Februar 1942 als „einen der größten Menschen der Weltgeschichte“ gerühmt haben, weil er es fertiggebracht habe, „die deutschen Querschädel zueinander zu bringen“. Am 31. März 1942 führte Hitler aus, dass er den Chef-Ideologen der NSDAP Alfred Rosenberg davor gewarnt habe, „einen Heroen wie Karl den Großen als Karl den Sachsenschlächter zu bezeichnen“.

Literatur

Quellen

  • Einhard: Vita Karoli Magni – Das Leben Karls des Großen Reclam, Stuttgart 1995. ISBN 3-15-001996-6
  • Widukind von Corvey: Res gestae Saxonicae – Die Sachsengeschichte, Reclam, Stuttgart 1981. ISBN 3-15-007699-4

Sekundärliteratur

  • Braunfels, Wolfgang: Der Sachsenkrieg, in: Ders., Karl der Große, Rowohlt, Hamburg 1979, Seite 43 ff. ISBN 3-499-50187-2
  • Capelle, Torsten: Die Sachsen des frühen Mittelalters, Theiss, Stuttgart 1998. ISBN 3-8062-1384-4
  • Delpierré de Bayac, Jacques: Totaler Krieg gegen die Sachsen, in: Ders., Karl der Große. Leben und Zeit., Manfred Pawlak Verlagsgesellschaft mbH, Herrsching 1986, Seite 113 ff.

Weblinks


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