Shoah (Film)

Shoah (Film)
Filmdaten
Deutscher Titel Shoah
Produktionsland Frankreich
Originalsprache Französisch, Polnisch, Neues Hebräisch, Jiddisch, Englisch, Deutsch
Erscheinungsjahr 1985
Länge 540 Minuten
Altersfreigabe FSK 12
Stab
Regie Claude Lanzmann
Kamera Dominique Chapuis, Jimmy Glasberg, William Lubtchansky
Schnitt Ziva Postec, Anna Ruiz

Shoah ist ein zweiteiliger Dokumentarfilm des Regisseurs Claude Lanzmann aus dem Jahre 1985, in dem überwiegend Zeitzeugen der Schoah (Judenvernichtung, Holocaust) (von hebr. ‏הַשׁוֹאָה ha'Schoah) befragt werden. Es wird in dem Film kein einziger Leichnam abgebildet (auch nicht als Archivbild). Die Filmaufnahmen bestehen überwiegend aus Interviews und vielen langsamen Kamerafahrten an den heutigen Plätzen, an denen damals Tausende Juden ermordet wurden.

Inhaltsverzeichnis

Selbstbeschreibung des Regisseurs

Lanzmann über seinen Film in Le Monde vom 3. März 1994:

„Es gibt in Shoah keine Sekunde mit Archivmaterial, weil dies nicht die Art ist, wie ich denke und arbeite, und, nebenbei gesagt, solches Material gibt es gar nicht. […] Wenn ich einen Film gefunden hätte – einen geheimen Film, weil das Filmen verboten war –, gedreht durch die SS, in dem gezeigt wird, wie 3000 Juden – Männer, Frauen und Kinder – zusammen sterben, in der Gaskammer des Krematoriums 2 in Auschwitz ersticken, so würde ich ihn nicht nur nicht gezeigt haben, ich hätte ihn sogar vernichtet. Ich kann nicht sagen, warum. Das passiert von selbst.“

Zeitzeugen im Film

Im Film kommen als Zeitzeugen auf der Opferseite zu Wort:

Armando Aaron (Vorstehender der jüdischen Gemeinde in Korfu; Überlebender von Auschwitz), Abraham Bomba (Friseur in Treblinka), Paula Biren (Überlebende des Ghettos von Lodz und von Auschwitz), Inge Deutschkron (lebte während des ganzen Krieges versteckt in Berlin; vgl. Judenretter), Itzhak Dugin (Überlebender des Ghetto Vilnius), Ruth Elias (Überlebende des „tschechischen Familienlagers“ in Auschwitz), Richard Glazar (Überlebender von Treblinka), Moshe Mordo (aus Korfu, Überlebender von Auschwitz), Filip Müller (Überlebender der fünf Liquidierungen des Sonderkommandos von Auschwitz), Mordechaï Podchlebnik (Überlebender der ersten Vernichtungsphase von Chelmno), Simha Rottem (Überlebender des Warschauer Ghettos, Mitglied der jüdischen Kampforganisation), Gertrude Schneider (mit ihrer Mutter Überlebende des Warschauer Ghettos), Simon Srebnik (Überlebender der zweiten Vernichtungsphase von Chelmno), Rudolf Vrba (Mitglied der Widerstandsbewegung), Itzhak Zuckermann (Überlebender des Warschauer Ghettos, 2. Befehlshaber der jüdischen Kampforganisation) und Motke Zaidl (Überlebender von Wilna).

Als weitere:

Raul Hilberg (Historiker), Martha Michelsohn (Ehefrau eines NS-Lehrers in Chelmno), Alfred Spiess (Staatsanwalt im zweiten Treblinka-Prozess), Hanna Zaidl (Tochter von Motke Zaidl).

Zeitzeugen waren auch Czeslaw Borowi (polnischer Bauer bei Treblinka), Henrik Gawkowski (polnischer Lokführer von Deportationszügen), Bronislaw Falborski (Einwohner von Koło), Pan Filipowicz (Bewohner von Włodawa), Pana Pietyra (Einwohnerin der Stadt Oświęcim (Auschwitz)), Jan Piwonski (Weichensteller am Bahnhof von Sobibor) und Jan Karski (Kurier der polnischen Exilregierung).

Auf der Täterseite standen damals:

Franz Grassler (Stellvertreter des NS-Kommissars Heinz Auerswald für den Jüdischen Wohnbezirk Warschau), Josef Oberhauser (Fahrer von Odilo Globocnik, des Leiters der Aktion Reinhard), Franz Schalling (SS-Angehöriger, beteiligt an den Vergasungen in Chelmno/dem Vernichtungslager Kulmhof) , Franz Suchomel (SS-Unterscharführer, Treblinka) und Walter Stier (Beamter in der Generaldirektion der Ostbahn/Deutsche Reichsbahn in Krakau, zuständig für den 'Sonderzug'-Verkehr, die Deportationszüge in die Vernichtungslager).

Inhalt

Regisseur Lanzmann reiste 11 Jahre lang – von 1974 bis 1985 – durch Europa, in erster Linie durch Polen, um Zeitzeugen zu befragen. Der gesamte Film enthält nur die Außenaufnahmen von Treblinka, Sobibor, Auschwitz, Chelmno und Warschau aus dem Zeitraum dieser Reisen, keinerlei weiteres Archiv- oder Fremdmaterial.

Das zentrale Thema der Befragungen sind die Konzentrations- und Vernichtungslager, die während des Zweiten Weltkriegs bestanden, und das Warschauer Ghetto. Lanzmann stellt die Zeugen mit seinen Fragen auf eine harte Probe: Er lässt sie ununterbrochen filmen, auch wenn sie die Fassung verlieren, weil sie die grausame Erinnerung nicht mehr ertragen können. Neben den Opfern, die den Holocaust überlebt haben, befragt Lanzmann auch Täter.

Der Film zeigt zudem ausführlich, wie die Stätten der damaligen Lager zum Zeitpunkt des Filmdrehs aussehen. An manchen Orten gibt es Gedenkstätten, an anderen findet er nur pflanzenüberwucherte Reste. Es wird darauf hingewiesen, wenn Augenzeugen bestätigen, wenn sich seither an dem Ort nichts verändert hat. Die Bilder von tristen Gegenden oder Gebäuden überlappen sich oft mit den Stellungnahmen der Überlebenden.

Relevanz

Shoah ragt aus anderen Holocaust-Dokumentationen heraus: Die Art der Auseinandersetzung, die der Film vom Zuschauer fordert, ist in einem übertragenen Sinn äußerst schmerzhaft – der Zuschauer wird so sehr in die Augenzeugenberichte hereingezogen, dass er selbst ein Teil der Gesprächssituation oder der Geschichte zu sein glaubt. Ein Gefühl der unmittelbaren Teilhabe hervorzurufen, das ist das Anliegen des Films. Die Fragen, die der Regisseur stellt, oft zu kleinen Details, sind nicht von vornherein mit Urteilen belegt, so dass man zum Teil ein ganz neues, sich annäherndes Bild des Grauens vermittelt bekommt.

Noch vor der Uraufführung am 30. April 1985 in Paris protestierte die polnische Regierung in aller Form bei der französischen Regierung gegen den Film und verlangte ein vollständiges Verbot, da der Film das Fortbestehen von Antisemitismus in Polen in zahlreichen Gesprächen zeigt, die Lanzmann in den angrenzenden Städten der ehemaligen Konzentrationslager führte. Im Oktober 1985 kam es dann zwar zu einer Ausstrahlung eines 90minütigen Zusammenschnitts im polnischen Fernsehen, in der anschließenden Diskussionssendung wurde der Film aber einstimmig verurteilt.

Auch in Deutschland war die Ausstrahlung des Films umstritten. Während sich insbesondere der WDR dafür einsetzte, wehrte sich vor allem der Bayerische Rundfunk dagegen und sorgte, wie 1979 bei der Fernsehserie Holocaust, für eine Ausstrahlung im Dritten Programm, die in Bayern zudem verspätet und zu einem ungünstigen Sendetermin erfolgte.

Shoah zeigt und betont den Überlebenswillen der Augenzeugen/Überlebenden, der sich gegen unvorstellbare psychische Belastungen durchgesetzt hat. Ohne ihn könnten die Zeugen ihre Erinnerung später nicht den jüngeren Generationen vermitteln.

Der Film ist seit 2007 in Deutschland vollständig auf DVD veröffentlicht worden.

Quellen und Literatur

  • Claude Lanzmann: Shoah Claassen, Düsseldorf 1986 ISBN 3-546-45899-0 (Original Lanzman: Shoah, New Yorker Films, 1985)
  • DVD-Fassung (566 Min) absolut Medien ISBN 3-89848-846-2
  • Lothar Baier: Täter und Opfer. Claude Lanzmanns Rekonstruktion der Judenvernichtung: ‚Shoah‘ In: Frankfurter Rundschau Nr. 207 vom 7. September 1985
  • Simone de Beauvoir: Das Gedächtnis des Grauens. Claude Lanzmanns ‚Shoah‘ In: ebd. Nr. 27 vom 1. Februar 1986
  • Pia Bowinkelmann: Schattenwelt. Die Vernichtung der Juden, dargestellt im französischen Dokumentarfilm. Offizin, Hannover 2008, ISBN 3-930345-62-5 (weitere dort thematisierte Filmemacher: Frédéric Rossif & Madeleine Chapsal: Le Temps du ghetto 1961; Marcel Ophüls: Das Haus nebenan. Chronik einer französischen Stadt im Kriege; Alain Resnais: Nacht und Nebel und Claude Chabrol: L’œil de Vichy 1993)
  • Marc Chevrie & Hervé Le Roux: Der Ort und das Wort. Aus einem Gespräch mit Claude Lanzmann in: Shoah. Ein Film von C. L. Pandora-Film (Hg), Frankfurt 1986 (Presseheft)
  • Heike Hurst: Der erste befreiende Film seit 1945. Gespräch mit C. L. In: Frankfurter Rundschau, Nr. 27 vom 1. Februar 1986
  • Ute Janssen: Shoah, in: Torben Fischer, Matthias N. Lorenz (Hg.): Lexikon der Vergangenheitsbewältigung in Deutschland. Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945. 2. Aufl. Bielefeld 2009, S.244–246, ISBN 978-3-89942-773-8, Verweis auf Leseprobe und Inhaltsverzeichnis.
  • N. N.: ‚Shoah‘ erreichte weniger als zwei Prozent der Zuschauer. Infas: Länge des Films, aber auch Platzierung im Programm verantwortlich In: Kirche und Rundfunk, 38. Jg., Nr. 25/26, Evangelischer Presseverband Deutschlands, 1986
  • Dorothee Sölle: Von Gott verlassen. Augenzeugen des Holocaust: Claude Lanzmanns Film ‚Shoah‘. In: Die Zeit (Hamburg), Nr. 9, 21. Feb. 1986 Web-Ressource

Später erschienenes, damals gedrehtes Filmmaterial

  • 1997: Ein Lebender geht vorbei. Dokumentation. Interview mit Maurice Rossel, dem Beauftragten des Internationalen Roten Kreuzes aus der Schweiz, der die KZs Auschwitz und Theresienstadt besuchte und dort nichts Besonderes feststellte. (65 Minuten)[1]
  • 2001: Sobibor, 14. Oktober 1943, 16 Uhr (Sobibor, 14 octobre 1943, 16 heures), Interview mit Yehuda Lerner (Überlebender des Sobibor-Aufstandes, 95 Minuten)
  • 2010: Der Karski-Bericht, Interview mit Jan Karski (49 Minuten)

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Der vollständige Text des Berichts, den der Delegierte über seinen Besuch in Theresienstadt am 23. Juni 1944 verfasste, wurde erstmals 1996 in den Theresienstädter Studien und Dokumenten, 7/2000 veröffentlicht.

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