- Sonderbereich Mürwik
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Der Sonderbereich Mürwik war die Bezeichnung, welche von der Reichsregierung Dönitz für den Bereich von ca. 14 Quadratkilometern in Flensburg auf dem Gelände des Marinestützpunktes Mürwik bis zum 23. Mai 1945 verwendet wurde. Außer Dönitz und seiner Regierung verstanden es nur wenige als letzte Enklave des Deutschen Reichs, eine diplomatische Anerkennung durch andere Staaten gab es nicht.
Inhaltsverzeichnis
Übersicht über die Ereignisse
Im Sonderbereich Mürwik war vom 3. bis 23. Mai 1945 die letzte deutsche Reichsregierung tätig. Der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, Großadmiral Karl Dönitz, war von Adolf Hitler in seinem politischen Testament (29. April 1945) als sein Nachfolger mit dem Titel „Reichspräsident“ bestimmt worden. Dönitz und sein Stab befanden sich in Plön/Schleswig-Holstein, als ihn die Nachricht von Hitlers Tod am 1. Mai 1945 erreichte. Da britische Truppen von Süden her nach Schleswig-Holstein eindrangen und schnell vorrückten, entschied er sich, Plön in Richtung Norden zu verlassen. Am 3. Mai trafen Dönitz und sein Gefolge am frühen Morgen in Flensburg ein. Sofort erörterte Dönitz die politische und militärische Lage und kam zu dem Schluss, dass ein Weiterführen des Krieges nicht mehr möglich war.
Das zunächst wichtigste Ziel der Regierung Dönitz war es, möglichst vielen Soldaten und Zivilisten aus den deutschen Ostgebieten die Flucht in den Westen des deutschen Reichs zu ermöglichen. Des Weiteren wurde Generaladmiral von Friedeburg, der Dönitz als Oberbefehlshaber der Kriegsmarine nachgefolgt war, beauftragt, das britische Hauptquartier aufzusuchen und, für den Nordraum geltend, ein Waffenstillstandsabkommen zu erreichen. Dies gelang, und ab 5. Mai 1945, 08:00 schwiegen im Nordraum des deutschen Reichs, in den Niederlanden und in Dänemark die Waffen. Seekriegsmaßnahmen wurden eingestellt. Nach der Besetzung Flensburgs am 5. Mai 1945 gestand die britische Militärführung den deutschen Regierungsmitgliedern im Rahmen ihres Aufgabenbereichs Bewegungsfreiheit zu. Das Wehrmachtsgelände und der Ort wurden bis zum 22. Mai 1945 nicht regulär militärisch besetzt. Das hinderte aber die Soldaten des alliierten Oberkommandos nicht, sich inner- und außerhalb der Kasernen frei zu bewegen. Von den Vorgängen in Mürwik wurde von der Bevölkerung fast nichts bemerkt. Der Sonderbereich Mürwik war, bis auf die Kasernen, nicht eingezäunt, es gab auch keine Demarkationslinie.
Der Versuch der deutschen Regierung, noch möglichst viel Zeit zu gewinnen, um weiterhin der Bevölkerung die Flucht aus dem Ostraum zu ermöglichen, fand mit der Unterzeichnung der bedingungslosen Kapitulation in Reims am 7. Mai 1945 ein Ende. Mit Ablauf des 8. Mai hatten die Truppen der Wehrmacht an ihrem derzeitigen Standort zu verbleiben. Zusätzlich zur Kapitulation in Reims drangen die Sowjets am 8. Mai auf eine Wiederholung der Kapitulationsunterzeichnung in Berlin-Karlshorst. Zu den britischen Truppen kamen ab 12. Mai auch amerikanische Soldaten des Alliierten Oberkommandos unter General Rooks nach Mürwik und nahmen auf dem Wohnschiff Patria Quartier.
Bis zum 22. Mai trat die Regierung noch zu Kabinettssitzungen zusammen, es geschah aber nach außen hin nichts mehr. Am 23. Mai 1945 wurden die Regierungsmitglieder auf die Patria bestellt und es wurde ihnen ihre Verhaftung mitgeteilt. Noch am selben Tag verließen die Gefangenen Flensburg.
Der Ort Mürwik
Mürwik liegt an der Flensburger Förde, etwa vier Kilometer von der Flensburger Innenstadt entfernt oberhalb einer fast durchgehenden Steilküste am Ostufer der Förde. Bis zum Bau der ersten Gebäude für die Torpedostation der Kaiserlichen Marine ab 1901 bestand der Ort Mürwik aus einem Ausflugslokal mit Park, zwei kleinen Ziegeleien und einigen Katenstellen. Mit dem Zuzug der Marine, besonders nach der Fertigstellung der Marineoffiziersschule und des Lazaretts, kamen sehr schnell Wohn- und Geschäftshäuser dazu. Mit der Eingemeindung Mürwiks zur Stadt Flensburg wurde ab 1910 durch Straßenneubau und Bau einer Straßenbahnlinie die Verkehrsanbindung an die Flensburger Innenstadt verbessert. Bis zum Zweiten Weltkrieg wurden die militärischen Anlagen kontinuierlich erweitert, es kamen dann noch, als Kriegsprovisorium geplant, einige Barackenlager hinzu. Im Vergleich zu anderen Städten im deutschen Reich kamen Flensburg und Mürwik bei den alliierten Luftangriffen glimpflich davon. Der Marinestandort Mürwik war im Mai 1945 intakt und unzerstört. Die Einwohnerzahl Flensburgs stieg von 68.000 im Jahr 1944 bis Mitte 1945 durch den Zustrom der Ostflüchtlinge auf über 110.000 an. Viele dieser Flüchtlinge wurden in den ehemaligen Wehrmachtslagern und in den Kasernen Mürwiks, teilweise für bis zu zwanzig Jahre, untergebracht.
Die militärischen Anlagen
- Marinesportschule
Erbaut 1936/37 für die Ausbildung von Sportausbildern. Vom 3. bis 23. Mai 1945 war im Stabsgebäude der Sitz der letzten deutschen Reichsregierung, nach 1945 zivile Nutzung, 1956/57 von der Bundesmarine übernommen - Marineoffiziersschule
Erbaut von 1907 bis 1910 für die Offiziersausbildung der Marine, bis 1945 fast durchgehend in dieser Funktion. Zum Teil, noch vor der Kapitulation 1945, als Lazarett genutzt, später Nutzung als Zollschule bis 1956 und Pädagogische Hochschule bis 1959. Ab 1956 etappenweise Übernahme durch die Bundesmarine.
Zur Marineoffiziersschule gehörend:
- Trampedachlager (erst: Danziglager)
1937 erstellte Baracken als Unterkunft für Offiziersanwärter der Luftwaffe(!) Nach 1945 Flüchtlingsunterkunft, von der Bundesmarine übernommen und als Unterkunft genutzt, das Lager ist noch komplett erhalten und unter Denkmalschutz gestellt. - Bootshafen
Zeitgleich erstellt mit dem Bau der Marineschule, war Liegeplatz für Motor- und Segelboote, die für die Offiziersausbildung benötigt wurden - Reitstall und Reitgelände
Etwa 1934/35 erbaut für die die Reitausbildung (Segeln, Fechten und Reiten galten als „Offizierssportarten“) Nach 1945 zivile Nutzung und 1985 abgebrochen. - Werkstattgebäude
Lehrwerkstatt für die praktische Ausbildung der Technischen Offiziere, Lage: Im Heinz-Krey-Lager, erbaut 1939/40, nach 1945 zivile Nutzung und heute von der Bundeswehr genutzt. - Werkstattgebäude
Lehrwerkstatt für die Ausbildung der Waffenoffiziere Lage: Nördlich vom Trampedachlager, erbaut vermutlich 1939/40. Nach 1945 zivil genutzt, von der Bundesmarine übernommen.
Weitere Wehrmachtsanlagen
- Badeanstalt
Schwimmausbildung für die Soldaten des Standorts Mürwik, nach 1965 abgebrochen - Lazarett
Geplant und genutzt als Marine-Lazarett, erbaut von 1907 bis 1910 und nach 1945 von der Stadt Flensburg bis 1987 als Krankenhaus genutzt. Ab 1988 Unterkunft für Asylanten und Aussiedler, ab 1998 leerstehend. - Marinenachrichtenschule/Torpedoschule
Ausbildungsstätte für Nachrichten- und Torpedopersonal der Marine. Keimzelle des Marinestandorts Mürwik, ältestes Dienstgebäude von 1902. Zwischen 1933 und 1939 Errichtung von umfangreichen Neubauten. Nach 1945 Quartier für britische Besatzungstruppen, später auch für norwegische Einheiten. Ab April 1953 BGS-Einheit (Schule). Ab 1956 Übernahme durch die Bundesmarine mit Nutzung als Marinefernmeldeschule. Ab 2003 „Schule Strategische Aufklärung“ der Bundeswehr. - Marinestützpunkt
Marinehafen mit allen für die Versorgung von Kampfschiffen notwendigen Einrichtungen, erste feste Bauten ab 1901/02 für die Torpedoausbildung, weitere Ausbauten kontinuierlich bis 1939. Nach 1945 zivile Nutzung und britische Militärdienststellen und von 1956 bis 1998 Stützpunkt der Bundesmarine. Dann zivile Nutzung. - Schießstand am Tremmerupweg
Auf diesem Wehrmachtsschießstand wurden noch nach der Kapitulation standrechtlich verurteilte Soldaten erschossen. - Liegeplatz der Patria, ein Passagierschiff der HAPAG, als Wohnschiff von der Kriegsmarine genutzt, Liegeplatz war die Blücherbrücke. Vom 3. bis 12. Mai 1945 hatten hier Großadmiral Dönitz und ein Teil der Reichsregierung ihr Wohnquartier. Ab 12. Mai 1945 Sitz des Alliierten Oberkommandos unter dem Kommando des US-Generals Rooks.
- Treibstofflager Kielseng
Bauzeit während des Zweiten Weltkriegs, Treibstofflager für die Schiffe der Kriegsmarine, nach 1945 gesprengt
Wehrmachtslager im Sonderbereich Mürwik
- Mützelburglager (erst: Nordlager)
- Heinz-Krey-Lager (erst: Memellager)
- Stadionlager
- Lager Kielseng
Diese Lager dienten anfangs als zusätzliche Unterkünfte und Werkstätten für die Wehrmacht. Ab Mai 1945 wurden sie zum Teil für die Unterbringung von DPs (Displaced Persons), aber auch schon für die Ostflüchtlinge verwendet. Ab etwa 1948 wohnten dann nur noch Flüchtlinge und die inzwischen eingetroffenen Heimatvertriebenen in den Lagern. Bis 1965 war der Großteil der Gebäude abgebrochen.
Sonstige Lager
Über Mürwik verstreut gab es noch weitere kleine Barackenlager und Einzelgebäude.
- Blücherlager
Während des Zweiten Weltkriegs errichtetes Zwangsarbeiter/innen- und Kriegsgefangenenlager Nach 1945 zunächst Unterkunft für DP’s. Ab etwa 1948 Nutzung für Ostflüchtlinge und Heimatvertriebene. 1960/61 beginnend etappenweise Räumung und Abbruch des Lagers.
Weitere Plätze und Orte
- Bunker/Stollen
Entlang des Steilufers der Flensburger Förde von Fahrensodde bis zum Munitionssammelplatz Kielseng waren Bunker und Stollen in die Uferabhänge hineingebaut worden. - Munitionssammelplatz
Eingerichtet 1945 nach der Kapitulation auf Anordnung der britischen Besatzungsmacht für die vorläufige Lagerung von Munition und See- und Landminen und sonstigen Explosivstoffen, die von Schiffen und Landeinheiten hier abgegeben wurden. Am 14. Juni 1945 ereignete sich hier eine schwere Explosion, die in Flensburg große Schäden anrichtete. Es wurden 53 Tote gezählt, 21 Menschen mussten, da unauffindbar, als vermisst angenommen werden. - Freihafen
Das Hafenbecken wurde mit Fortschreiten des Zweiten Weltkriegs mit Kriegsmarine-Einheiten belegt. Zum Zeitpunkt der Kapitulation waren hier Vorpostenboote und der Tender (Versorgungsschiff) Donau aufgelegt. Durch die Explosion auf dem Munitionssammelplatz am 14. Juni wurden die hier liegenden Schiffe versenkt bzw. stark beschädigt. - Werft – Flensburger Schiffbau-Gesellschaft
Unter anderem auch Bau von U-Booten während des Krieges, auch mit zahlreichen Zwangsarbeitern. Die Werft existiert noch heute (2011) unter ihrem alten Namen. - Wasserslebener Bucht
Hier ankerten zum Zeitpunkt der Kapitulation zahlreiche Kriegs- und Handelsschiffe, unter anderem lagen hier auch Frachter und Schleppkähne mit Häftlingen der Konzentrationslager Stutthof,Sachsenhausen und Neuengamme. - Fahrensodde
Zwischen Fahrensodde und dem Marinestützpunkt wurden die Leichen von mindestens 24 Konzentrationslagerhäftlingen angetrieben und zunächst einfach nur verscharrt. - Kaserne Glücksburg-Meierwik
Lage: Etwa 4 km nordöstlich von Mürwik oberhalb der Steilküste an der Flensburger Förde (Winziger Hunk). Die Kaserne wurde 1939 fertiggestellt und diente zunächst nur der Ausbildung für Unteroffiziersanwärter der Marine. Ab 1942 auch Ausbildung von Offiziersanwärtern. Hier hatte der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, Generaladmiral Hans-Georg von Friedeburg, sein Quartier und hier verübte er am 23. Mai während seiner Verhaftung Selbstmord durch Gift. Nach der Kapitulation 1945 Unterkunft für DPs (2500 Polen) und ab etwa 1948 Unterkunft für Heimatvertriebene und Flüchtlinge, nach 1956 Übernahme durch die Bundesmarine.
Literatur
- Holger Piening: Als die Waffen schwiegen : die Internierung der Wehrmachtsolaten zwischen Nord- und Ostsee 1945/46. Westholsteinische Verl.-Anst. Boyens, Heide 1996, ISBN 3-8042-0761-8.
- Flensburg, 700 Jahre Stadt – eine Festschrift. Verein für Flensburger Stadtgeschichte, 1984. Band 1: Flensburg in der Geschichte; Beitrag von Helge Berndt: Flensburg im Mai 1945; Beitrag von Wolfgang Stribrny: Vertriebene und Flüchtlinge in Flensburg. Band 2: Flensburg in der Gegenwart; Beitrag von Dieter Matthei: Die Bundesmarine.
- Lange Schatten. Flensburger Beiträge zur Zeitgeschichte, Band 5 Ende der NS-Diktatur und frühe Nachkriegsjahre in Flensburg. Stadtarchiv Flensburg in Zusammenarbeit mit der Universität Flensburg, 2000. Beitrag von Broder Schwennsen: Der Mai 1945 im Spiegel der Flensburger Stadtchronik; Beitrag von Peter Wulf: Die Besetzung Schleswig-Holsteins und Flensburgs durch die Briten im Mai 1945; Beitrag von Herbert Kraus: Karl Dönitz und das Ende des „Dritten Reiches“; Beitrag von Uwe Carstens: Flüchtlinge und Vertriebene in Flensburg.
- Flensburg – Geschichte einer Grenzstadt 1966, Gesellschaft für Flensburger Stadtgeschichte, Kapitel: Flensburg von 1920 bis 1960, mit Beiträgen von: Peter Hansen Petersen, Hans-Friedrich Schütt, Gerd Vaagt, Volker Weimar, Wolfgang Weimar, Horst Windmann
- Irene Dittrich, Studienkreis Deutscher Widerstand (Hrsg.): Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 bis 1945, Schleswig-Holstein I – Nördlicher Landesteil. 1993, Kapitel: Stadt Flensburg
- Lutz Wilde u. a.: Kulturdenkmale in Schleswig-Holstein, Band 2 + Stadt Flensburg. Wachholtz, Neumünster 2001
- Baudenkmale – staatliche Baudenkmale in Schleswig-Holstein. Finanzminister des Landes Schleswig-Holstein (Hrsg.), Wachholtz, Neumünster 1987, Beitrag: Marineschule Flensburg-Mürwik.
- Percy Ernst Schramm (Hrsg.): Die Niederlage 1945. Aus dem Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht. dtv, 1984, Kapitel: Dönitz-Tagebuch (Protokoll)
- Zeitzeugenberichte, eigene Erinnerungen/Ortskenntnisse, Katasterblätter, private Fotos, Luftbilder sowie ein privat aufgenommener Schmalfilm von 1943 und diverse Stadtpläne und Karten für die Erstellung des Stadtplans / Ortsteil „Mürwik 1945“
- Flensburg : Rattenlinie Nord. In: Stern. 3. Mai 2005 (archive.org).
Weblinks
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