Toledanisches Reich

Toledanisches Reich

Als Tolosanisches Reich wird nach der Hauptstadt Tolosa (heute Toulouse) das von 418 bis 507 bestehende Reich der Westgoten in Südfrankreich bezeichnet, gelegentlich auch das bis 711 auf der iberischen Halbinsel weiterbestehende Reich (eigentlich Toledanisches Reich).

Inhaltsverzeichnis

Geschichtlicher Überblick

Tolosanisches Westgotenreich um das Jahr 500.

Die Gründung des Tolosanischen Reichs: Von 418 bis 507

Nach ihren Zügen durch das römische Reich erhielten die Westgoten 418 den Status von Föderaten und die Erlaubnis, sich in Südwestfrankreich in Aquitanien anzusiedeln, was weitgehend in Kooperation mit der gallorömischen Oberschicht geschah. Westrom erhoffte sich dadurch Schutz vor inneren Unruhen und die Abwehr der Vandalen und anderer germanischer Gruppen, die 406/07 in Gallien eingedrungen waren; offenbar erschienen der Regierung in Ravenna die Westgoten als eine annehmbare Alternative. In der Schlacht auf den Katalaunischen Feldern kämpften die Westgoten, die sich in den Jahren zuvor teilweise noch Kämpfe mit den Römern geliefert hatten (etwa um Arles), auf Seiten Roms gegen Hunnen und andere Völkerschaften. Offenbar hatten die Westgoten befürchtet, dass ein weiteres Vordringen der Hunnen auch ihren Machtbereich tangieren würde. Die Westgoten waren denn auch entscheidend daran beteiligt, die Hunnen zurückzuwerfen, wobei allerdings der Westgotenkönig Theoderich I. im Kampf fiel.

Als nach dem Tod des weströmischen Heermeisters Aëtius 454 den Römern die Kontrolle über Gallien und die Mittelmeerküste Hispaniens endgültig entglitt, versuchte Theoderich II. immer mehr Einfluss auf die weströmische Politik zu nehmen; sogar der Gallo-Romane Avitus wurde durch ihn in Arles zum Kaiser ausgerufen. Nach dem Tod des Avitus kämpfte Theoderich II. gegen den Heermeister Aegidius, der die Westgoten 458 im Auftrag des neuen Kaisers Majorian vor Arles und noch einmal 463, nun auf eigene Rechnung kämpfend, bei Orléans schlug. Der bedeutende König Eurich, der seinen Bruder Theoderich 466 beseitigen ließ, brach das foedus mit Rom endgültig und dehnte das Reich bis zur Loire, in die Auvergne und im Süden bis weit nach Hispanien hinein aus, wobei die Werke des Sidonius Apollinaris eine wichtige Quelle für diese Zeit der ausgehenden Spätantike darstellen. Kurz vor der Absetzung des letzten weströmischen Kaisers Romulus Augustulus erhielt das Tolosanische Reich im Jahr 475 die formale Unabhängigkeit von Kaiser Julius Nepos zugestanden - das Westgotenreich erreichte somit unter Eurich seinen Höhepunkt. Kurz vor 500 begann eine verstärkte Einwanderung westgotischer Adliger auf die Iberische Halbinsel, die zu großen Teilen unterworfen wurde.

Gleichzeitig erstarkten aber ab dem Ende des 5. Jahrhunderts die Franken, die unter Chlodwig I., der mehrere fränkische Kleinkönigreiche vereinigen konnte, das Reich des Syagrius um 486 vernichtet hatten. In der Schlacht von Vouillé im Spätsommer 507 siegten sie sogar gegen Alarich II., den Sohn und Nachfolger Eurichs; Alarich fiel in der Schlacht. Südfrankreich ging bis auf Septimanien, einem Küstenstreifen am Mittelmeer um Narbonne, verloren und damit auch Tolosa. Nur Dank der Hilfe durch den Ostgotenkönig Theoderich, der ab 511 für einige Jahre die Regierung auch über das Westgotenreich übernahm, konnten die Westgoten wenigstens einige Randgebiete im südlichen Gallien halten. Damit endete das Tolosanische Reich im eigentlichen Sinne, nicht aber das Westgotenreich.

Zivilisationsleistung des Tolosanischen Reiches

In seiner etwa 90-jährigen Geschichte wurde das tolosanische Reich auf vielen Gebieten zum Vorbild für die ersten Königreiche Galliens und Hispaniens. Insbesondere in der Rechtsentwicklung wurde der Codex Euricianus (benannt nach dem König Eurich) für viele Jahrhunderte zum Vorbild, u.a. für alamannisches und bayrisches Recht. Zu Beginn des 6. Jahrhunderts wurde dieser Kodex zum personalen Recht der Goten, gegenüber den Rechten der "Römer" unter den Goten, die in der Lex Romana Visigothorum aufgeführt wurden. Die beiden Rechtswerke regelten das Zusammenleben von Römern und Goten, Kauf und Schenkung, Testamente, Darlehen, Urkunden uvm. Die Goten definierten sich dabei nicht als ursprüngliches Volk, sondern zählten alle dazu, die sich ihnen angeschlossen hatten. Ihnen standen die Römer, die hauptsächlich katholische Christen waren, gegenüber; die Goten selbst waren ebenfalls Christen, allerdings arianischen Bekenntnisses. Dieser religiöse Gegensatz bedingte lange Zeit auch ein Gefühl der Fremdheit zwischen den Volksgruppen. Römische Zivilbeamte und hohe Militärs dagegen standen an der Spitze der Zivilverwaltung; im Verwaltungsbereich orientierte man sich dabei offenbar an der spätantiken Verwaltungspraxis. Als die Franken einfielen, kämpfte die römische Elite an der Seite der Goten. In den knapp 100 Jahren der Gotenherrschaft war so eine gemeinsame Identität gefunden worden.

Das Weiterbestehen in Hispanien

Nach 507 stürzte das Westgotenreich zunächst in eine Krise. Die gotische Herrschaft bestand aber in Südostgallien und Hispanien weiter und konnte sogar noch vergrößert werden; oft wird in der Forschung dieses Gebiet als Toledanisches Reich (nach der neuen Hauptstadt Toledo) bezeichnet. Schließlich war die ganze iberische Halbinsel unter westgotischer Herrschaft, außer dem Reich der Sueben im Nordwesten (heute Galizien und Nord-Portugal), welches erst Ende des 6. Jahrhunderts erobert wurde, sowie den Basken im heutigen Baskenland und Kantabrien. In dieser Zeit erstarkte auch der Adel, welcher sich oft gegenüber dem Königtum behaupten konnte. Der religiöse Gegensatz zwischen den herrschenden Westgoten, die Arianer waren, und der katholisch-romanischen Untertanenbevölkerung wurde 589 durch die Annahme des Katholizismus durch die Westgoten auf einer Synode beendet, die König Rekkared I., der bereits 587 zum katholischen Glauben übergetreten war, einberufen hatte. Zudem konnten die Byzantiner, die sich in der Zeit Justinians I. im Süden festgesetzt hatten, zu Beginn des 7. Jahrhunderts vertrieben werden.

Zerfall und Ende

Um die Wende vom 6. zum 7. Jahrhundert erlebte das spanische Westgotenreich eine kulturelle Blütezeit, die insbesondere von Isidor von Sevilla und Ildefons von Toledo geprägt wurde. König Rekkeswinth erließ 654 ein einheitliches Gesetzbuch für Goten und Romanen (Liber iudiciorum oder Liber iudicum). Die Konzile von Toledo zeigten die gegenseitige Durchdringung von weltlicher und geistlicher Macht im Westgotenreich; die Könige mischten sich massiv in kirchliche Angelegenheiten ein und die Bischöfe in die Politik. Das Westgotenreich war eine gelungene Symbiose von spätantiker (römischer) Kultur und germanischen Elementen. Es kam zu einer zunehmenden Feudalisierung. Die gotische Minderheit wurde mehr und mehr romanisiert, Romanen und Goten verschmolzen langsam zu einem einheitlichen Reichsvolk.

Im 7. Jahrhundert zerfiel jedoch die Königsmacht zusehends. Es kam immer wieder zu Thronwirren und Aufständen sowie zu schweren Epidemien. Die Legende, wonach eine der rivalisierenden Adelsparteien die muslimischen Mauren zu Hilfe rief und so die muslimische Invasion veranlasste oder zumindest förderte, ist allerdings von der Forschung als unwahr erkannt worden. Die Muslime siegten im Juli 711 in der Schlacht am Rio Guadalete, in der der Westgotenkönig Roderich fiel, und eroberten in den folgenden Jahren die Iberische Halbinsel. In Asturien gründeten aber bald darauf rebellierende Christen das Königreich Asturien, dessen Herrscher sich im 9. und 10. Jahrhundert als Nachfolger der Westgotenkönige betrachteten und damit ihre Herrschaft legitimierten (Neogotismus).

Siehe auch

Literatur

  • Roger Collins: Visigothic Spain 409 - 711, Oxford 2004.
    (Wichtiges Überblickswerk)
  • Alberto Ferreiro: The Visigoths in Gaul and Spain A.D. 418-711: A Bibliography, Leiden 1988.
    (Nützliche und umfassende Bibliographie.)
  • Wolfgang Giese: Die Goten, Stuttgart 2004.
    (Knappes Überblickswerk; dort auch weitere Angaben.)
  • Edward A. Thompson: The End of Roman Spain, Nottingham Medieval Studies, 20-23, 1976ff.


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