Militärische Aufklärung der Nationalen Volksarmee

Militärische Aufklärung der Nationalen Volksarmee
Militärische Aufklärung der Nationalen Volksarmee
Staatliche Ebene DDR
Aufsichtsbehörde(n) Emblem of the Ground Forces of NVA (East Germany).svg NVA Ministerium für Nationale Verteidigung
Gründung 1952
Hauptsitz Berlin
Behördenleitung Alfred Krause, Generalleutnant (bis 1990)
Anzahl der Bediensteten ca. 1000
Website

Die Militärische Aufklärung der Nationalen Volksarmee war der militärische Nachrichtendienst der NVA der Deutschen Demokratischen Republik.

Der Dienst trug im Verlauf seiner Geschichte mehrere Tarnbezeichnungen, darunter:[1]

  • von 1952 bis 1953 „Verwaltung für Allgemeine Fragen“
  • von 1953 bis 1956 „Verwaltung 19“ (Synonyme "Dienststelle 1000", "Verwaltung 1000")
  • von 1956 bis 1959 „Verwaltung für Koordinierung“
  • von 1959 bis 1964 „12. Verwaltung“
  • von 1964 bis 1984 „Verwaltung Aufklärung“
  • von 1984 bis 1990 „Bereich Aufklärung“

Im Zuge der Wende änderte sich die Bezeichnung nochmals in „Informationszentrum“ des MfNV bzw. des MfAV. In der Literatur finden sich auch Abkürzungen wie Mil. ND oder MIL-ND[2] Des Weiteren hatte die Aufklärung als Teil des MfNV im internen Funkverkehr der Streitkräfte den Namen „Wostok 21“[3]. Ihr letzter Standort lag bis zur Auflösung 1990 in Berlin-Köpenick.

Inhaltsverzeichnis

Aufgaben

Die Hauptauftrag des sowjetischen und des Militärgeheimdienstes der DDR war die „Verhinderung der Überraschung durch den Gegner“[4] Der Auftrag der militärischen Aufklärung, der sich daraus ergab, war es in erster Linie die Lage im Bezug auf potentielle Gegner zu erkunden und deren Zustand, Möglichkeiten und Absichten zu erforschen. Dabei unterschied man in:

  • Hauptländer
  • Nebenländer
  • Drittländer

Innerhalb dieser Länder lagen 1988 allein 17 „Räume mit besonderer Aufmerksamkeit“ innerhalb derer sich Hauptobjekte und Beobachtungsobjekte der Aufklärung befanden. Auf dem Gebiet der Bundesrepublik waren dies in den 80er Jahren ca. 1700 Objekte.[4]

Die Spionageabwehr, also das Erkennen gegnerischer Spione, die versuchten die NVA oder gar die militärische Aufklärung selbst zu unterwandern, gehörte nicht zu den Aufgaben der militärischen Aufklärung. Dieser Bereich wurde vom Ministerium für Staatssicherheit („Verwaltung 2000“) übernommen.

Geschichte

Hintergrund und Aufstellung

Hervorgegangen ist die „Militärische Aufklärung der NVA“ aus der 1950 gegründeten Aufklärungsabteilung der Kasernierten Volkspolizei (KVP). Dieser frühe Militärische Nachrichtendienst wurde nach dem 17. Juni 1953 in die einheitliche militärische Führung einbezogen.

Am 23. Juni 1953 beschloss der Ministerrat der DDR, das Kommando über die damalige Kasernierten Volkspolizei (KVP), die Volkspolizei-See (VP-See) und die Volkspolizei-Luft (VP-Luft) an Generalleutnant Heinz Hoffmann zu übertragen. Damit ging auch die Verantwortung für die Militäraufklärung an den späteren Verteidigungsminister der DDR über.

Entsprechend der sowjetischen Militärtradition, wurde mit der Gründung der NVA 1956 auch ein militärischer Nachrichtendienst (militärischer Aufklärungsdienst) eingerichtet, bei der die GRU Pate stand. Von dem jungen MfS argwöhnisch als unliebsamer Konkurrent betrachtet, setzte sich aber das sowjetische Militär damit durch und sorgte formal für eine relative Unabhängigkeit der militärischen Aufklärung, die direkt dem Hauptstab der NVA referierte.

Neustrukturierung 1956

Nach der Gründung der NVA 1956 wurde der Dienst umbenannt und mit fünf relativ selbständigen Verwaltungen weitergeführt.

Struktur

Unterstellung

Die militärische Aufklärung unterstand dem Hauptstab des Ministeriums für Nationale Verteidigung.

Gliederung

Die Militäraufklärung der NVA gliederte sich 1988 in folgende „Verwaltungen“ die in „Abteilungen“ und „Unterabteilungen“ gegliedert waren:[5]

  • Stab

Bestand aus dem jeweiligen Leiter der Militäraufklärung und seinen Führungsoffizieren.

  • Agenturische Aufklärung

Hier fand die Informationsbeschaffung mit nachrichtendienstlichen Mitteln statt. Der Abteilung selbst stand nur etwa 1% des Personalbestandes der Militärischen Aufklärung zur Verfügung. Sie führte die „agenturischen Mitarbeiter“, die verdeckt auf dem Gebiet potentieller Gegnerstaaten aktiv waren.

  • Strategische Aufklärung

Leitete die Militärattachés, deren als „Legalisten“ bezeichnete Gehilfen und die illegalen Offiziere in der Bundesrepublik und Drittstaaten.

  • Operativ-Taktische Aufklärung

Führte die Truppenaufklärung durch und war insbesondere für das Abhören des Funkverkehrs verschiedener NATO-Einrichtungen und -Einheiten zuständig. Zu diesem Zweck war dieser Verwaltung das Funkaufklärungsregiment 2 (FuAR-2) der NVA in Dessau unterstellt. Ab 1988 wurde es als „Zentraler Funkdienst“ geführt.

  • Operative Sicherstellung

Hatte den Auftrag, die Funktion der Kommunikationseinrichtungen und sonstiger technischer Geräte der Militäraufklärung sicherzustellen. Ihr war das Militärwissenschaftliche Institut in Klietz unterstellt.

  • Informationsdienst

Dieser Dienst war für die Aufbereitung und Auswertung der gesammelten Daten und das Ermitteln von komplexen Erkenntnissen zuständig. Mit immer kürzeren Reaktionszeiten auf mögliche Raketenangriffe der NATO erhöhte sich der Zeitdruck für den Informationsdienst, sichere Daten zu liefern, stetig.[4] (siehe dazu auch RJaN)

Einrichtungen

Zentrale

Das erste Hauptquartier hatte die Militäraufklärung bis 1952 in der Neue Schönholzer Straße 16 im Ost-Berliner Stadtbezirk Pankow. Dort waren alle Verwaltungen, bis auf die 3. Verwaltung (Truppenaufklärung), untergebracht. Diese befand sich in der damaligen Buchhornstraße in Berlin-Wendenschloß.

Ab April 1953 befindet sich der Dienst in der Behrenstraße in Berlin-Mitte, da im vorherigen Domizil die Sicherheit nicht mehr gewährleistet werden konnte und die Räumlichkeiten nicht mehr ausreichten. Da dieses Objekt jedoch zu dicht an der Sektorengrenze lag, wurde es nach einem Beschluss des ZK der SED vom Februar 1956 wieder aufgegeben.

Bis 1957 befanden sich einige Abteilungen dann im „Objekt Wendenschloß“ in der Buchhornstraße 42-44 und in der Walter-Rathenau-Straße 21 in Grünheide. Nach der Flucht der Haushälterin von Karl Linke, welche über CIA-Verbindungen verfügte, wurden jedoch auch diese Objekte aufgegeben.

Unter strenger Geheimhaltung bezog die gesamte Verwaltung Aufklärung Ende 1957 ihr neues Domizil in der Regattastraße 12-28 in Berlin-Grünau. Auf Anweisung von Verteidigungsminister Stoph durfte das Objekt über keine sichtbaren Masten für Sendeanlagen verfügen und sollte äußerlich wie eine Fachschule oder Institut wirken. Hier wurde der Name „Verwaltung für Koordination“ verwendet.

Nach der Flucht von Oberstleutnant Siegfried Dombrowski im August 1958 nach West-Berlin musste jedoch auch dieses Objekt nach kurzer Zeit aus Sicherheitsgründen aufgegeben und gegen eine Zwischenlösung in der Schnellerstraße 139 in Berlin-Niederschöneweide eingetauscht werden. Aufgrund der dortigen ungünstigen Arbeitsbedingungen und entsprechender Bitten des Chefs der Militäraufklärung, Arthur Franke, stimmte Verteidigungsminister Heinz Hoffmann am 5. Februar 1968 einem Neubau zu.

Der Dienst war von 1975 bis 1990 schließlich unter der Tarnbezeichnung „Mathematisch-Physikalisches Institut der NVA“ an der Oberspreestraße in Berlin-Köpenick untergebracht.[5]

Das Militärwissenschaftliche Institut (MWI) Klietz

Direkt der Verwaltung Aufklärung unterstellt war ebenfalls das Militärwissenschaftliche Institut (MWI) in Klietz. Dieses diente der Ausbildung von Aufklärungsoffizieren im Truppendienst, Offizieren des Militärischen Nachrichtendienstes und der Militärattachés.

Das Institut befand sich südlich von Klietz am Ostufer des Klietzer Sees und am Rande des gleichnamigen Truppenübungsplatzes und wurde ursprünglich 1935 als Werk der Westfälisch-Anhaltischen Sprengstoff AG (WASAG) zur Produktion von Spreng- und Treibstoffen errichtet.

Nach dem Zweiten Weltkrieg zog 1948 in den noch vorhandenen Gebäuden die Kasernierte Volkspolizei (KVP) der DDR ein und betrieb dort ein Lungensanatorium. Erst ab 1957 begann die NVA die Liegenschaft als Schule zur Ausbildung von Offizieren der Verwaltung Aufklärung zu nutzen. Um eine gewisse Geheimhaltung zu gewährleisten, war das Schulgelände anfangs von einer hohen Mauer umgeben, die erst Mitte der 1980er Jahre durch einen Zaun ersetzt wurde.

Das ehemalige Richtfunk- und UKW-Aufklärungszentrum des MfS auf dem Brocken, das an die Zentrale Funkdienst der Militärischen Aufklärung überging

1979 wurde die Schule zum Militärwissenschaftliches Institut erklärt und war somit berechtigt, den Lehrgangsteilnehmern nach Abschluss ihres Studiums den akademischen Abschluss des Diplom-Militärwissenschaftlers zu verleihen.

Das Areal inklusive des Truppenübungsplatzes wurde 1990 durch die Bundeswehr übernommen und weiter genutzt.

Der Zentrale Funkdienst

Der Zentrale Funkdienst (ZFD) befand sich auf dem Gelände der ehemaligen Junkers Flugzeug- und Motorenwerke in Dessau. Er war das stationäre Aufklärungsorgan der Verwaltung Aufklärung und ging aus dem Funkaufklärungsregiment 2 (FuAR-2) „Hans Jahn“ hervor. Es bestand aus dem Funkaufklärungszentum Kurzwelle (FuAZ KW), dem Funkaufklärungszentrum Satelliten (FuAZ Sat), dem Funkaufklärungszentrum Nord (FuAZ Nord) stationiert in Rüggow, dem Funkaufklärungszentrum Süd (FuAZ Süd) stationiert in Zella-Mehlis und dem Luftaufklärungszentrum (LuAZ) stationiert in Dresden.

1990/91 übernahm der Zentrale Funkdienst auch die beiden zentralen Aufklärungsobjekte der HA III des MfS/AfNS, nachdem deren Auflösung am Runden Tisch beschlossen worden war. Das waren das Satellitenaufklärungszentrum in Biesenthal nördlich von Berlin und das Richtfunk- und UKW-Aufklärungszentrum auf dem Brocken, Harz.[6]

Führung

Kommandeure [7]

  • 1952 bis 1957 Generalmajor Karl Linke
  • 1957 bis 1959 Oberst Willy Sägebrecht
  • 1959 bis 1974 Generalleutnant Arthur Franke
  • 1974 bis 1982 Generalleutnant Theo Gregori
  • 1982 bis 1990 Generalleutnant Alfred Krause

Abwicklung

Das Zentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr vernichtete einen Teil der Akten

1989-1990, im Rahmen der Wende, wurden etwa ein Drittel der Aktenbestände der Aufklärung, auf Befehle des Verteidigungsministers der DDR, Theodor Hoffmann und weitere auf Anweisung von Rainer Eppelmann vernichtet.[8] Darunter waren insbesondere solche Unterlagen, die inoffizielle Mitarbeiter im Ausland hätten enttarnen können. Weitere Unterlagen wurden durch das Zentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr 1999 ausgewertet und ebenfalls vernichtet. Die verblieben Bestände sind im Militärarchiv des Bundesarchivs in Freiburg eingelagert.[9]

Am 3. Oktober 1990 wurde die Militäraufklärung der Verwaltung Aufklärung - im Personalumfang um fast 50 % reduziert, nachdem es im März des gleichen Jahres in „Informationszentrum beim Ministerium für Abrüstung und Verteidigung“ (IZ) umbenannt und umstrukturiert worden war, von der Bundeswehr übernommen und bis zum 31. Dezember 1990 vollständig aufgelöst. Seine Tätigkeit stellte das IZ ebenfalls zum 3. Oktober 1990 ein.

Die Agenturaufklärung endete bereits am 23. Mai 1990, als die Militäraufklärung ihren Agenten im Ausland auf Kurzwelle 3258 Kilohertz mit dem Kinderlied Alle meine Entchen das Signal zum Abtauchen sendete.[10]

Erkannte Agenten

Die Militärische Aufklärung schaltete ihr Agentennetz 1990 ab und vernichtete die Masse der personenbezogenen Unterlagen und nur wenige ihrer Agenten bzw. „Kundschafter“ wurden bislang namentlich bekannt.

Darunter:

  • Walter Gant, von 1966 bis 1967 im MAD aktiv[11]
  • Dr. Gerd Löffer, von 1974 bis 1990 aktiv, Deckname „Händler“[12]
  • das Ehepaar Wolf, von 1967 bis 1973 in der Schweiz aktiv, Deckname „Kälin“[9]
  • Dieter Görsdorf, von 1967 bis 1974 aktiv gegen Einrichtungen der Bundesmarine[12]
  • Heinz H. Werner, von 1968 bis 1990 aktiv in der Bundesmarine, Bundeswehr und im Auswärtigen Amt[12]
  • Ulrich Steinmann, von 1967 bis 1990 aktiv, u.a. in der Rüstungsabteilung des BMVg[12]
  • Dieter Popp, von 1966 bis 1990 aktiv, u.a. im Umfeld des Planungsstabes des BMVg, Deckname „Asriel“[13]
  • Egon Streffer, von 1969 bis 1989 aktiv, u.a. im Umfeld des Planungsstabes des BMVg, Deckname „Aurikel“[13]

Weblinks

52.44916666666713.553055555556

Literatur

  • Klaus Behling: Der Nachrichtendienst der NVA. Geschichte, Aktionen und Personen. Ed. Ost, Berlin 2005, ISBN 3-360-01061-2
  • Bernd Biedermann, Harry Schreyer und Bodo Wegmann (Hrsg.): Die Militäraufklärung der NVA. Ehemalige Aufklärer berichten. Köster, Berlin 2007. ISBN 978-3-89574-660-4
  • Andreas Kabus: Der militärische Geheimdienst der DDR, Auftrag WINDROSE. Verlag Neues Leben, Berlin 1993. ISBN 3-355-01406-0
  • Dieter Krüger, Armin Wagner (Hrsg.): Konspiration als Beruf. Deutsche Geheimdienstchefs im Kalten Krieg, Christoph Links Verlag Berlin 2003. ISBN 3-86153-287-5
  • Walter Richter: Der Militärische Nachrichtendienst der Nationalen Volksarmee der DDR und sein Kontrolle durch das Ministerium für Staatssicherheit. Die Geschichte eines deutschen Geheimdienstes. Europäische Hochschulschriften Band 439, 2. überarb. Aufl., Frankfurt am Main 2004. ISBN 3-631-52020-4
  • Helmut Roewer, Stefan Schäfer, Matthias Uhl: Lexikon der Geheimdienste im 20. Jahrhundert. Herbig, München 2003. ISBN 3-7766-2317-9
  • Bodo Wegmann: Die Militäraufklärung der NVA. Die zentrale Organisation der militärischen Aufklärung der Streitkräfte der Deutschen Demokratischen Republik. 2. Auflage. Köster, Berlin 2006. ISBN 3-89574-580-4

Einzelnachweise

  1. [1]Mil-ND auf DDR-Wissen.de, gesichtet 7. Juni 2009
  2. Die Maulwürfe, Friedrich-Wilhelm Schlomann, Seite 17
  3. [2] Der SAS- und Chiffrierdienst, gesichtet 2. Juni 2009
  4. a b c [3] Artikel von Bodo Wegman, PDF, gesichtet 2. Juni 2009
  5. a b [4] Bei Manfred Bischoff.de, gesichtet 5. Juni 2009
  6. Der Zentrale Funkdienst (ZFD) (Stand: September 1990).
  7. Richter, Walter: Der Mil.-ND der NVA der DDR[...], 2. überarb. Aufl., Frankfurt am Main 2004, S. 26 - 182.
  8. [5]Brief von R. Eppelmann bei Hans Vogel
  9. a b [6] Die Schweiz als Ziel der DDR Militäraufklärung?, gesichtet 30. Mai 2009
  10. Start in ein besseres Leben. In: Der Spiegel. Nr. 33, 1992, S. 47–51 (9. Juni 2009, online).
  11. Die feindlichen Brüder, Peter-Ferdinand Koch, Verlag Scherz, 1994, ISBN 3502163898, S.308
  12. a b c d [7] Kundschafter für den Frieden, Autorenliste
  13. a b [8]BVerfGE 92, 277 - DDR-Spione, gesichtet 2. Juni 2009

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