EU-Kampftruppe

EU-Kampftruppe

Eine EU Battlegroup ist eine für jeweils ein halbes Jahr aufgestellte militärische Formation der Krisenreaktionskräfte der Europäischen Union (EU) in hoher Verfügbarkeit. Sie besteht im Kern aus einem Infanterieverband in Bataillonsstärke und einem Führungselement.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Nachdem sich abzeichnete, dass die im Rahmen des European Headline Goals 1999 in Helsinki beschlossene EU-Eingreiftruppe (EU Rapid Reaction Force) 2003 nicht einsatzbereit sein würde, schlug die Geburtsstunde der EU Battlegroup-Idee auf dem britisch-französischen Gipfel in Le Touquet (Februar 2003). Im November des gleichen Jahres wurde sie auf einem weiteren Gipfel unter Hinweis auf die Erfahrungen aus der EUFOR-Mission Artemis erneut aufgegriffen. Bereits im Dezember mandatierte der Rat der Europäischen Union die Weiterentwicklung der Krisenreaktionsfähigkeit der EU. Anfang Februar 2004 signalisierte der Bundesverteidigungsminister Peter Struck Interesse an einer deutschen Beteiligung. Mit einem sogenannten "Food for thought"-Papier[1] erfolgte die Vorlage beim Politischen und Sicherheitspolitischen Komitee (PSK). Am 17. Juni 2004 beschloss der Rat der EU den Aufbau der EU Battlegroups im Rahmen der Erfüllung des Headline Goals 2010. Noch im November 2004 konkretisierten die Verteidigungsminister der EU-Mitgliedsstaaten diese Planungen bereits mit der Benennung der ersten Verbände.

Als Erstbefähigung (Initial Operation Capability - IOC) wurden ab 2005 zunächst je eine, mit der vollen Einsatzfähigkeit (Full Operation Capability - FOC) seit Januar 2007 werden zwei Battlegroups pro Halbjahr einsatzbereit gehalten.

Allgemeines

Unter einer Kampfgruppe (Übersetzung entspricht in etwa dem englischen Battlegroup) versteht man einen nicht dauerhaft bestehenden militärischen Kampfverband, der sich in Abhängigkeit von seinem Auftrag aus Elementen unterschiedlicher Truppengattungen zusammensetzt.

Vor allem in der deutschsprachigen Presse wird abweichend von der offiziellen Bezeichnung EU Battlegroups auch von EU-Kampftruppen berichtet.

Zielsetzung

Mit den Battlegroups will die EU im Rahmen der Europäischen Sicherheitsstragie ihre Fähigkeit verbessern, nach einer entsprechenden politischen Entscheidung schnell auch militärisch auf Krisen und Konflikte reagieren zu können. Einsätze sollen in erster Linie mandatiert durch die Vereinten Nationen (VN)[2] im Rahmen des Kapitels VII der VN-Charta erfolgen. Neben dem rein militärischen Aspekt ist das EU Battlegroup-Konzept im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik auch als ein Schritt zur Schaffung eines Konsultations-, Planungs- und Entscheidungsmechanismus innerhalb der EU und mit den VN von Bedeutung.

Einsatzoptionen

Die Zusammensetzung des Gefechtsverbands soll vor dem Hintergrund der jeweiligen Mission eine Minimumbefähigung für eine effektive Operationsführung darstellen. Mögliche Einsatzoptionen finden sich im gesamten erweiterten Petersberg-Spektrum und reichen von humanitärer Hilfe, der Verhinderung oder Abwehr von Feindseligkeiten oder Übergriffen (gegebenenfalls bereits durch Abschreckung im Vorfeld eines Konflikts) über die gewaltsame Trennung von Konfliktparteien bis hin zur Durchführung von Anfangsoperationen um einen Einsatz von Folgekräften, zum Beispiel Friedenstruppen der Vereinten Nationen, zu ermöglichen.

Mögliche Einsatzorte sind zerfallene bzw. vom Staatszerfall betroffene Länder. Man reagiert damit auf einen neuen Typus von Krieg, den sogenannten Neuen Kriegen, die sich an den Rändern der ehemaligen Imperien, vor allem Großbritannien und Frankreich, gebildet haben. Beispiele hierfür sind Afrika, der Kaukasus oder Afghanistan. Hier gilt es vor allem Konfliktparteien von einander zu trennen, um den Friedensprozess zu vertiefen.

Rahmenbedingungen

Die EU Battlegroups sollen innerhalb von 10 Tagen einsatzbereit und nach weiteren 5 Tagen im entsprechenden Einsatzland sein. Um diese Kurzfristigkeit gewährleisten zu können, werden jeweils zwei Battlegroups für einen Zeitraum von sechs Monaten in Bereitschaft gehalten. Danach übernehmen andere Kräfte die folgende Rotation.

Bei einer Entsendung sollen die Kräfte 30 Tage lang autark operieren können. Danach sind sie durch andere, gegebenenfalls regionale, Kräfte zu ersetzen. Bei Bedarf kann dieser Zeitraum durch entsprechende Unterstützung auf 120 Tage ausgedehnt werden.

Als planerischer Anhalt wurde für mögliche Operationen ein 6.000 km-Radius um Brüssel festgelegt, womit ein möglicher Schwerpunkt vor allem in Krisengebieten in Afrika und im Nahen Osten liegt.

Die Finanzierung der EU-Battlegroups findet über die Truppensteller, also die jeweiligen Nationen statt. Dauerhaft bestehende multinationale europäische Streitkräfte gibt es derzeit nicht und sind auch nicht geplant.

Strategische Führung

Auf strategischer Ebene erfolgt die politische - und somit oberste - Führung durch das Politische und Sicherheitspolitische Komitee (PSK) der EU.

Militärisch liegt die Verantwortung auf dieser Ebene bei einem Operation Commander, der jeweils für den geforderten Einsatzzeitraum festgelegt wird. Unterstützt wird dieser durch einen der derzeit fünf (in Frankreich, Großbritannien, Italien, Griechenland, Deutschland) verfügbaren Einsatzführungsstäbe (Operation Headquarters - OHQ). Deutschland stellt hierfür das Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Potsdam. Das OHQ zählt nicht zur eigentlichen EU Battlegroup.

Kräftedispositiv

Das Gesamtkräftedispositiv wird als Force Package bezeichnet. Es besteht aus dem operativen Führungselement, der eigentlichen Battlegroup und weiteren zugeordneten Unterstützungkräften.

Operative Führung

Die Führung auf operativer Ebene erfolgt durch den Force Commander mit seinem Stab (Force Headquarters - FHQ). Dieser wird in der Regel durch die Nation gestellt, aus der das Infanteriebataillon hervorgeht. Das deutsche Kommando Operative Führung Eingreifkräfte ist für diese Aufgabe vorgesehen.

Kampfgruppe

Grundsätzlich ist das Kernelement einer EU Battlegroup ein verstärkter Infanterieverband in Bataillonsstärke. Weitere Bestandteile sind Kampfunterstützungs- und Einsatzunterstützungskräfte, wie zum Beispiel Pionier-, Instandsetzungs-, Transport-, ABC-Abwehr-, Fernmelde- und Flugabwehrkräfte.

Der Operations Commander kann dabei über die detaillierten Fähigkeiten entscheiden, die er für den jeweiligen Einsatz benötigt. Bedingt durch eine mögliche Spezialisierung von beteiligten Kräften (zum Beispiel für Einsätze in urbanem Gebiet, Gebirge, Wüste, Dschungel) oder durch deren Zusammensetzung, etwa bei amphibischen Einheiten, kann eine Battlegroup bereits im Vorfeld eine besondere Befähigung - und somit eine Eignung für ein besonderes Einsatzspektrum - vorweisen.

Die Gesamtstärke (einschließlich des FHQ) beträgt ungefähr 1.500.

Unterstützungskräfte

Da die organischen Fähigkeiten der EU Battlegroups sehr eingeschränkt sind (sie decken zum Beispiel nicht den strategischen Transport ab) werden weitere Kräfte zugeordnet. Zur Erweiterung oder Ergänzung des Fähigkeitsspektrums eingesetzte Sanitäts-, Logistik- und Spezialkräfte, sowie Anteile der Luft- oder Seestreitkräfte, werden als operational oder strategic enabler bezeichnet.

Multinationalität

Selten stellt nur eine einzelne Nation alle Kräfte für eine Rotation (bisher: Großbritannien, Frankreich, Italien, Spanien). Die Zusammensetzung des Kräftedispositivs ist in der Regel multinational, die einzelnen Elemente werden also durch mehrere Nationen gemeldet. Mögliche Truppensteller sind neben den Mitgliedstaaten der EU auch Länder auf Einladung eines Mitglieds oder als Anwärter auf eine Mitgliedschaft.

Bei der Ausplanung und Koordinierung der Vorbereitung und des Einsatzes wird bei multinationalen Verbänden eine Nation als sogenannte Framework-Nation festgelegt und durch Vertreter der anderen beteiligten Streitkräfte unterstützt.

Beispiele für multinationale Verbände sind die Spanisch-Italienische Amphibische Battlegroup (BG I/2006: Spanien, Italien, Griechenland, Portugal), die Nordic Battlegroup (BG I/2008 Schweden, Finnland, Norwegen, Estland, Irland) [3][4][5], die HELBROC Battlegroup (BG II/2007: Griechenland, Rumänien, Zypern, Bulgarien) [6], die Battlegroup II/2008 (Deutschland, Frankreich, Belgien, Luxemburg, Spanien)[7].

Bei einer kritischen Betrachtung der EU Battlegroups muss, da es sich hierbei um ein Instrument zur Förderung der multinationalen Zusammenarbeit handelt, neben dem rein militärischen Einsatzwert auch die (sicherheits-)politisch integrative Dimension berücksichtigt werden.

Beteiligte EU-Mitgliedstaaten

Beteiligte Nicht-EU-Mitgliedstaaten

EU-Mitgliedstaaten ohne Beteiligung

Einsatzperioden

Zuordnung der truppenstellenden Nationen zu Einsatzperioden:

Einsatzperiode Beteiligte Nationen
2005 01-06 Großbritannien
Frankreich
06-12 Italien
keine
2006 01-06 Frankreich, Deutschland
Spanien, Italien, Griechenland, Portugal ("Amphibious Battlegroup")
06-12 Frankreich, Deutschland, Belgien
keine
2007 01-06 Deutschland, Niederlande, Finnland [11]
Frankreich, Belgien
06-12 Italien, Ungarn, Slowenien
Griechenland, Rumänien, Zypern, Bulgarien ("HELBROC Battlegroup")
2008 01-06 Schweden, Finnland, Norwegen, Estland, Irland ("Nordic Battlegroup")
Spanien, Deutschland, Portugal
06-12 Deutschland, Frankreich, Belgien, Luxemburg, Spanien
Großbritannien
2009 01-06 Italien, Spanien, Portugal, Griechenland
keine
06-12 Tschechien, Slowakei
Frankreich, Belgien, ?
2010 01-06 Polen, Deutschland, Slowakei, Litauen, Lettland
Großbritannien, Niederlande
06-12 Italien, Rumänien, Türkei [8]
keine

Verhältnis zur ESVP, ESS und NATO

Durch die Einrichtung von europäischen Krisenreaktionskräften wird die aktive Handlungsbereitschaft und vor allem -fähigkeit der EU erhöht. Man besitzt nun eigene Instrumente zur militärischen Intervention bei regionalen Konflikten, an der sich fast alle EU-Mitgliedsstaaten beteiligen (siehe ESVP). Man verfolgt die Ziele der ESS, u. a. regionale Konfliktverhütung, um einem möglichen Staatszerfall zu verhindern bzw. diesem entgegenzuwirken.

Häufig wird geäußert, dass das die EU Battlegroups eine Konkurrenz zur NATO Response Force (NRF) darstellen. Obwohl beide Konzepte nicht direkt vergleichbar sind, da sich die Kräftedispositive augenscheinlich vor allem in den vorhandenen Fähigkeiten (so umfasst die NRF zum Beispiel Luft- und Seestreitkräfte), ihrer Größe und letztlich im - bei NRF erheblich umfassenderen - Einsatzspektrum unterscheiden, zeigt eine Betrachtung der Grundideen, dass sie sich nicht widersprechen, sondern eher ergänzen:

  • So ist eine Zielsetzung des NRF-Konzepts (vor allem aus Sicht der USA) gerade die Verbesserung der europäischen militärischen Fähigkeiten. Somit ist - zumindest vordergründig - die Aufstellung der EU Battlegroups letztlich ein Schritt Europas, bessere Beiträge zu Einsatzkontingenten der NATO leisten zu können, oder bei Bedarf die NATO zu entlasten, indem kleinere Operationen übernommen werden.
  • Durch das Berlin Plus-Abkommen wird eine gegenseitige Unterstützung beider Instrumente ohne Dopplungen erreicht, indem allerdings in erster Linie die NATO ihre Ressourcen zur Verfügung stellt.
  • Nur begrenzt vorhandene kritische Fähigkeiten beeinträchtigen NRF, EU Battlegroup und laufende Einsätze gleichermaßen. So ist vor allem der strategische Transport in ein Einsatzgebiet ein grundsätzliches Problem, an dem sowohl die NATO als auch die EU, unter anderem im Rahmen der Strategic Airlift Interim Solution (SALIS), unter besonderer Berücksichtigung der beiden Konzepte arbeiten.
  • Eine weitere Gemeinsamkeit und zugleich ein besonders schwerwiegendes ungelöstes Problem besteht hinsichtlich der Forderung nach einer schnellen Einsetzbarkeit der Verbände unter Berücksichtigung der langwierigen politischen Prozesse zur Freigabe dieser Kräfte durch die jeweiligen Staaten oder die Entscheidungsgremien in der NATO oder der EU. In dieser Frage ist insbesondere Deutschland von herausragender Bedeutung, da es regelmäßig zu beiden Konzepten erhebliche Beiträge leistet und zugleich äußerst restriktiv mit der politischen Freigabe von bewaffneten Kräften verfährt.

Verweise

Interne Verweise

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Food for thought paper (PDF, 270 kb, englisch)
  2. Zusammenarbeit mit den VN (PDF, 93 kb, englisch)
  3. Nordic Battle Group
  4. Nordic Battle Group - svenskledd styrka till EU:s snabbinsatsförmåga (Swedish). Försvarsmakten. Abgerufen am 26. August 2006.
  5. The EU Battlegroup Concept and the Nordic Battlegroup Government office of Sweden
  6. Greece prepares military exercise with Bulgaria, Cyprus, Romania. EUbusiness (22. November 2005). Abgerufen am 1. Juli 2007.
  7. Beschreibung EU Battlegroup (PDF, 60 kb, englisch)
  8. a b c Enter the EU Battlegroups ISS; Chaillot Paper no.97; Feb 2007, p.88
  9. Einbindung Österreichs in das deutsche FHQ
  10. Beteiligung Österreichs ab 2012
  11. Finns taking part in exercise for tri-nation EU battle group in Germany hs.fi 04/06/07

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