Gaben des heiligen Geistes

Gaben des heiligen Geistes

Als Gaben des Heiligen Geistes (von griechisch charis, „Gabe, Geschenk“; Singular „Charisma“, Plural „Charismata“, umgangssprachlich oft auch mit „Charismen“ bezeichnet) werden im Christentum besondere Begabungen bezeichnet, die gemäß dem Neuen Testament durch den Heiligen Geist gegeben werden.

Inhaltsverzeichnis

Bibelstellen zu den Geistesgaben

Altes Testament

  • Der alttestamentliche Prophet Jesaja hat sechs Wesenszüge des heiligen Geistes vorausgesagt: „Doch aus dem Baumstumpf Isais wächst ein Reis hervor... Der Geist des Herrn lässt sich auf ihm nieder: der Geist der Weisheit und der Einsicht, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Gottesfurcht.“ (Jes 11,2 EU)
  • Gabe der Prophetie (1. Samuel 10,11)
  • Gabe Wunder zu tun (1. Könige 17,16)

Neues Testament

Es gibt im Neuen Testament mehrere unterschiedliche Listen der Gaben des Heiligen Geistes, und zwar in Röm 12,6-8 EU, 1 Kor 12,8-10 EU, 12,28-31 EU, Eph 4,7.11f EU, 1 Petr 4,9-11 EU. Zu den Gaben des Heiligen Geistes zählen laut 1. Kor 12,8-10:

  • Mitteilung von Weisheit
  • Vermittlung von Erkenntnis
  • Glaubenskraft
  • Krankheiten heilen
  • Wunderkräfte
  • Prophetisches Reden
  • Unterscheidung der Geister
  • Zungenrede und deren Deutung

Die erste Gabe des Geistes an die Glaubenden ist dabei, nach Paulus, die Freiheit (2 Kor 3,17 EU).[1] Bei den verschiedensten aktuellen Geistesgaben nennt der Apostel die Notwendigkeit der Liebe (Agape) als wichtigste Bedingung für den Gebrauch der Geistesgaben (1 Kor 13,1-3 EU). Als besonders erstrebenswert beschreibt er im folgenden Kapitel die Gabe der Prophetie: „Jagt der Liebe nach! Strebt aber auch nach den Geistesgaben, vor allem nach der prophetischen Rede!“ (1 Kor 14,1 EU).

Gott gießt den Heiligen Geist über die Apostel aus und schenkt ihnen die Gaben, die für die erste Zeit wichtig sind. Die Gaben des Heiliges Geistes machen diese Menschen zu ersten Lehrern der Christenheit (Symbol: Buch) - Malerei des Ingeborg-Psalters um 1200

Geistesgaben in der Theologie und in den Hymnen der mittelalterlichen Kirche

Hymnus nach Rabanus Maurus im 9. Jahrhundert

Die Gaben des Heiligen Geistes werden im von Rabanus Maurus überlieferten Pfingsthymnus Veni, creator spiritus als „septiformis“ bezeichnet (der folgende Text entspricht dem nach Dreves und Blume vermuteten Original):

Tu septiformis munere,
dextrae Dei tu digitus,[2]
tu rite promisso Patris[3]
sermone ditans guttura.[4].

Deutsch:

Du Siebengestaltiger in der Gabe,
du Finger der rechten Hand Gottes,
der du nach heiligem Brauch die Kehlen mit zu-
gesagter Redegabe des Vaters bereicherst.[5].

Hymnus nach Stephen Langton von Canterbury aus dem 13. Jahrhundert

Von der Siebenteiligkeit der Geistesgaben singt auch Stephen Langton von Canterbury im letzten Abschnitt seiner Pfingstsequenz Veni, Sancte spiritus:

da tuis fidelibus
in te confidentibus
sacrum septenarium.
da virtutis meritum,
da salutis exitum,
da perenne gaudium.[6].

Deutsch:

Gib deinen Treuen,
die dir vertrauen,
das Siebenfach Heilge.
Gib Wohltat der Tugend,
gib heiliges Sterben,
gib ewige Freude[7].

Johannes Bonaventura 1267

Im Jahre 1267 schuf der Johannes Bonaventura sein grundsätzliches Werk "Über die sieben Gaben des Heiligen Geistes" ("Collationes de septem donis Spiritus sancti"), das sich auf die weitere Lehrentwicklung der Kirche und auf die franziskanische Spiritualität auswirkte. Bonaventura wurde als Kirchenlehrer der westlichen Kirche geschätzt.

Heinrich Kaufringer im 15. Jahrhundert

Heinrich Kaufringer schuf im 15. Jahrhundert ein deutsches geistliches Gedicht, in dem er den sieben Gaben des Heiligen Geistes die sieben Todsünden gegenüberstellte: 'Von den sieben Todsünden und den sieben Gaben des Heiligen Geistes'. [8].

Römisch-katholische Sichtweise

In der katholischen Tradition unterschied man später - der Zahlensymbolik entsprechend - folgende sieben Gaben des Heiligen Geistes[9], durch die das Wirken des Heiligen Geistes bei den Menschen zum Ausdruck gebracht wird:

Diese Reihung ist aus der oben zitierten Bibelstelle Jesaja 11,2(-3) abgeleitet. Während hier im hebräischen Urtext nur von sechs Gaben die Rede ist (vgl. oben), kam in der griechischen Übersetzung der Septuaginta und der lateinischen Übersetzung der Vulgata noch eine siebte Gabe hinzu: im Hebräischen erscheint der Begriff „Gottesfurcht“ nämlich noch einmal im folgenden Vers Jesaja 11,3, während die beiden genannten Übersetzungen an diesen Stellen zwei verschiedene Wörter, eines für „Frömmigkeit“ und eines für „Gottesfurcht“, verwenden. So kam man auf die Siebenzahl, die in symbolischem Zusammenhang steht mit den sieben Tugenden (Glaube, Hoffnung, Liebe, Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mäßigung) und den von Papst Gregor dem Großen zusammengestellten sieben Todsünden (Stolz, Geiz, Wollust, Neid, Völlerei, Zorn, Trägheit), sowie den sieben Sakramenten (Taufe, Firmung, Eucharistie, Bußsakrament, Ehe, Priesterweihe, Krankensalbung).

Auch zwischen den Sieben Freien Künsten (Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Musik, Astronomie) und dem Heiligen Geist als „inventor“ besteht ein Bezug, den man z. B. in einer um 1180 entstandenen Abbildung der Enzyklopädie Hortus Deliciarum der Äbtissin Herrad von Landsberg (gest. 1195) erkennen kann. [10]

20. Jahrhundert

Gegen eine automatische Verfügbarkeit der Gaben des Heiligen Geistes argumentiert Hans Urs von Balthasar. Er geht davon aus, dass der Heilige Geist nicht nur die Funktion hat, mit seinen Gaben unser Leben zu veredeln. Der Heilige Geist „ist ein scharfer, schneidender Wind, der uns das Zähneklappen beibringen kann. Wer wird sich vermessen, er habe den Geist? ... Keine Partei fängt die Taube für sich ein. Sie kommt und sie geht. Sie schwebt herab, aber sie setzt sich nicht. Der Geistbraus stürmt, wo er will!“ [11]

Evangelische Tradition und Sichtweise

Die evangelische Tradition legt zunächst keinen größeren Wert auf Zahlensymbolik und auf -systematik, geht aber davon aus, dass es vielfältige Gaben des Heiligen Geistes gibt, die das Leben erleuchten.

Martin Luther

Martin Luther formuliert es in seinem Kleinen Katechismus von 1529 folgendermaßen:

„Der Heilige Geist hat mich durch das Evangelium berufen
und mit seinen Gaben erleuchtet“ (in der lateinischen Fassung heißt dieses Wort illuminiert).

Allerdings übersetzt Martin Luther für sein Wittenberger Gesangbuch von 1524 den lateinischen Hymnus von Rabanus Maurus in die deutsche Sprache und hält dabei an der vorgegebenen „Siebenfaltigkeit“ der Geistesgaben fest, was im deutschen Evangelischen Gesangbuch von 1996 als Kirchenlied begegnet[12].

Die lutherische Lehre im 17. Jahrhundert

In Anlehnung an Martin Luther formulierten die evangelischen Kirchenlehrer im Rahmen der lutherischen Orthodoxie des 17. Jahrhunderts in ihrer lateinisch verfassten Dogmatik eine ausgeführte Pneumatologie, durch die speziell die Gaben des Heiligen Geistes vielfach entfaltet und bedacht werden. Die Kirchenlehrer Johann Conrad Dannhauer (Straßburg, 1649) und Johann Andreas Quenstedt (Wittenberg, 1685) beschreiben dabei die Geistesgaben als siebenstufige Funktionen des Heiligen Geistes:

  • Berufung: der Heilige Geist ruft und beruft den Menschen in das Reich Gottes (vocavatio)
  • Wiedergeburt: als Kinder der Welt wird man natürlich geboren, der Heilige Geist lässt einen von neuem geistlich geboren werden als Kind Gottes (regeneratio)
  • Bekehrung: der Heilige Geist kehrt uns göttlichen Mächten zu und führt uns zu Gott und seinem Reich (conversio)
  • Rechtfertigung: der Heilige Geist sorgt dafür, dass Gott den konkreten Menschen ganz und gar bejaht, obwohl er im Kern seines Wesens ein Sünder ist (iustificatio)
  • Buße: der Heilige Geist macht es möglich, dass ein Mensch sich vom Bösen abwendet und zugleich sich Gott zuwendet (poenitentia)
  • Vereinigung mit Gott: der Heilige Geist sorgt dafür, dass ein Mensch sich mit der neuen Welt Gottes verbinden kann (unio mystica, geheimnisvolle Vereinigung: „als Rebe in den Weinstock Christi eingepflanzt werden“)
  • Heiligung: der Mensch bekommt vom Heiligen Geist die Kraft, vielfältige Früchte des Geistes wachsen zu lassen, er wird im Kern seines Menschseins erneuert (renovatio).

Damit kehrte auch in die evangelische Kirche durch die denkerische Arbeit der lutherischen Hochorthodoxie - hundert Jahre nach der Reformation - ein siebenteiliges Schema wieder ein, das als differenzierter geistlicher Weg beschrieben ist. Die Gaben des Geistes werden - in dieser Systematik - als ein dynamischer, spiritueller Prozess verstanden.

Das 19. Jahrhundert

Friedrich Schleiermacher unterscheidet in seiner Glaubenslehre keine einzelnen und bestimmten Gaben des Heiligen Geistes, sondern geht davon aus, dass der Heilige Geist insgesamt in einem Menschen Wohnung nimmt: „Jeder Wiedergeborne ist des Heiligen Geistes teilhaftig, so daß es keine Lebensgemeinschaft mit Christo gibt ohne Einwohnung des Heiligen Geistes und umgekehret“ [13].

Das 20. Jahrhundert

Gerhard Ebeling bleibt in seiner Dogmatik des christlichen Glaubens formal auf der Linie Schleiermachers, indem er die Aufzählung "separater geistlicher Gaben" bewusst vermeidet und diese Lehre fokussiert: "Die primäre Gabe des heiligen Geistes, ... ist nicht dieses oder jene von ihm zu unterscheidende Gabe, sondern der Heilige Geist selbst und damit die Gegenwart Gottes beim Menschen. Die primäre Gabe des heiligen Geistes ist also die Gegenwart des Gebers aller Gaben, die Partizipation an Gott selbst" [14].

Wilfried Joest geht in seiner Dogmatik ausführlich auf die Gaben des Heiligen Geistes ein und fragt: "Sind unserem kirchlichen Leben solche außerordentlichen Wirkungen auch darum so fremd geworden, weil es zu bürgerlich geworden, zu sehr der Normalität des Weltlauf angepasst, zu wenig von österlicher Freude und Hoffnung erfüllt ist?"[15].

Die Geistliche Gemeindeerneuerung in der Evangelischen Kirche in Deutschland greift gemäß dem "Sola Scriptura Prinzip" (allein die Schrift zählt für Protestanten) auf die Gabenlisten des Neuen Testaments und die Aussagen, wonach Christen nach den Gaben des Heiligen Geistes streben sollen, zurück und lehrt davon in Seminaren und Büchern.

Charismatische Sicht

Durch die charismatischen Bewegungen innerhalb des Christentums wurden die Lehren von der Rolle und den Gaben des Heiligen Geistes aus einer anderen Sichtweise neu vermittelt.

Die Pfingstbewegung und die charismatische Bewegung gehen davon aus, dass jeder Christ Gaben des Heiligen Geistes hat. Die Gaben des Geistes sind mehr als natürliche Begabungen, sie sind ihnen aber nicht entgegengesetzt.

Durch die Geistesgaben soll die Gemeinde (der Leib Jesu Christi) erbaut werden.

„So auch ihr: da ihr euch bemüht um die Gaben des Geistes, so trachtet danach, dass ihr die Gemeinde erbaut und alles reichlich habt.“ 1 Kor 14,12 EU

In der charismatischen Bewegung werden üblicherweise die folgenden Gaben zu den Gaben des Heiligen Geistes gezählt:

Weitere Gaben des Geistes

Auch die folgenden Gaben werden manchmal ebenfalls zu den Gaben des Heiligen Geistes gezählt:

Einzelnachweise

  1. Schnelle: Theologie, S. 247
  2. siehe auch die metrisch korrigierte Version im Artikel Pfingsthymnus
  3. in fast allen Versionen heißt es „promissum“; siehe den Artikel Pfingsthymnus
  4. Adolf Adam: Te Deum Laudamus. Große Gebete der Kirche - Lateinisch - Deutsch, Herder-Verlag Freiburg 1987, S. 142-144
  5. Übersetzung wörtlich, siehe dazu auch Artikel Pfingsthymnus
  6. Adolf Adam: Te Deum Laudamus. Große Gebete der Kirche - Lateinisch - Deutsch, Herder-Verlag Freiburg 1987, S. 144-147
  7. Übersetzung wörtlich, siehe dazu auch Artikel Pfingstsequenz
  8. Meinolf Schumacher: Heinrich Kaufringers Gedicht 'Von den sieben Todsünden und den sieben Gaben des Heiligen Geistes'. In: Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft 9 (1996/97), S. 309-322.
  9. Katechismus der Katholischen Kirche Nr. 1831
  10. Siehe die Bildtafel „Septem-artes-liberales“ aus dem Hortus Deliciarum: Text in der oberen rechten Ecke
  11. Hans Urs von Balthasar: Klarstellungen. Herder, Freiburg 1971, S. 17
  12. Beispielsweise: Evangelisches Gesangbuch, Nr. 126, Strophe 4 und viele andere Gesangbücher
  13. Friedrich Schleiermacher: Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhang dargestellt. Band II, § 124. Hrsg. von Martin Redeker. De Gruyter, Berlin 1960, S. 264
  14. Gerhard Ebeling: Dogmatik des christlichen Glaubens. Dritter Teil: Der Glaube an Gott den Vollender der Welt, Band III, J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen 1982, 2. Auflage, S. 118
  15. (Dogmatik, Bd. 1, Die Wirklichkeit Gottes, Vandenhoeck, UTB 1336, 3. Auflage, Göttingen, S. 301f

Siehe auch

Quellen

  • Martin Luther: Kleiner Katechismus. Wittenberg 1529

Literatur

  • C. Peter Wagner: Die Gaben des Geistes für den Gemeindeaufbau, 1979, ISBN 3-7958-2872-4 (evangelikal)
  • Reinhold Ulonska: Geistesgaben in Lehre und Praxis, 1983, ISBN 3-87482-103-X
  • Christian A. Schwarz: Die 3 Farben deiner Gaben, C & P Verlag, 2001, ISBN 3-928093-56-8 (Gabentest, der beim Entdecken und Entfalten der eigenen Gaben helfen soll)
  • Meinolf Schumacher: Heinrich Kaufringers Gedicht „Von den sieben Todsünden und den sieben Gaben des Heiligen Geistes“, in: Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft 9 (1996/97), S. 309-322
  • Emanuel Hirsch: Hilfsbuch zu Studium der Dogmatik: Die Dogmatik der Reformatoren und der altevangelischen Lehrer quellenmäßig belegt und verdeutscht. Berlin 1964, ISBN 3-11-001242-1, S. 344-457
  • Harold Horton: Die Gaben des Geistes. Leuchter-Verlag, 1980, ISBN 3-87482-070-X
  • R. & W. Menzies: Pfingsten und die Geistesgaben. Leuchter-Edition, ISBN 3-87482-236-2
  • Émile Màle: Die Gotik. Stuttgart, Zürich 1994

Weblinks


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