- Miles Davis
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Miles Dewey Davis III. (* 26. Mai 1926 in Alton, Illinois; † 28. September 1991 in Santa Monica, Kalifornien) war ein US-amerikanischer Jazz-Trompeter, -Flügelhornist, Komponist und Bandleader.
Davis gilt als eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der Jazz-Geschichte. Er war bekannt für seine Improvisationen mit wenigen und lang anhaltenden Tönen. So schuf er einen großen Kontrast zu den Musikern seiner Zeit, besonders im Bebop. Davis legte konzeptionell immer wieder neue Grundsteine, indem er nie konservativ auf einem Jazz-Stil beharrte, sondern immer mit der Zeit ging und mit jungen Musikern experimentierte. Zahllose Jazzgrößen haben ihren Durchbruch der Zusammenarbeit mit Davis zu verdanken.
Leben
Jugend (1926–1944)
Miles Davis stammte aus einem vermögenden Elternhaus. Sein Vater verdiente als Zahnarzt verhältnismäßig gut. Außerdem besaß die Familie eine Farm. Dort lernte Miles Davis auch reiten.
Bereits 1927 zog er mit seinen Eltern nach East St. Louis in ein Viertel ohne Rassentrennung um, wo er seine gesamte Kindheit verbrachte. Mit neun Jahren bekam er von einem Freund seines Vaters seine erste Trompete geschenkt, aber erst als er mit 13 ein neues Instrument und Unterricht bekam, machte er wirklich Fortschritte.
Während seiner High-School-Zeit freundete sich Davis mit Clark Terry an. Das „coole“ Auftreten und der Trompetenstil des sechs Jahre älteren Mannes hatten großen Einfluss auf Miles Davis. Mit 16 trat er in die Musikergewerkschaft ein und mit 17 spielte er ein Jahr lang bei Eddie Randles Blue Devils. Während dieser Zeit bekam er das Angebot, mit der Tiny-Bradshaw-Band auf Tour zu gehen, aber seine Mutter bestand darauf, dass er die High School beendete.
1944 bekam seine Freundin Irene Birth eine Tochter namens Cheryl. Da Irene aber auch noch andere Liebschaften hatte, wusste Miles Davis nicht sicher, ob Cheryl sein Kind war. Er übernahm aber die finanzielle Verantwortung für sie.
Musikalische Laufbahn
Bebop und Cool Jazz (1944–1955)
Noch 1944[1] zog Davis nach New York City unter dem Vorwand, die Juilliard School of Music zu besuchen. Tatsächlich aber machte er sich sofort auf die Suche nach Dizzy Gillespie und Charlie Parker. Bereits nach wenigen Semestern brach er das Studium ab, da die dortige Ausbildung zu eingeschränkt, klassisch und für Davis’ Geschmack zu „weiß“ war. Dazu Miles Davis selbst in seiner Autobiographie:
„Ich erinnere mich noch an einen Kurs in Musikgeschichte. Die Lehrerin war eine Weiße. Sie stand vor der Klasse und erklärte, dass die Schwarzen den Blues spielen, weil sie arm sind und Baumwolle pflücken müssen. Deshalb seien sie traurig und daher käme der Blues, von ihrer Traurigkeit. Meine Hand schoss hoch wie der Blitz, ich stand auf und sagte: „Ich komme aus East St. Louis und habe einen reichen Vater, er ist Zahnarzt. Ich spiel aber auch den Blues. Mein Vater hat in seinem ganzen Leben keine Baumwolle gepflückt und ich bin heute früh kein bisschen traurig aufgewacht und hab dann einen Blues gespielt. Da steckt schon ein bisschen mehr dahinter.“ Die Tante wurde richtig grün im Gesicht und sagte kein Wort mehr. Mann, was die uns erzählt hat, kam aus einem Buch, das muss einer geschrieben haben, der keine Ahnung von dem hatte, worüber er sich ausließ.“
– Miles Davis: Die Autobiographie. Heyne Verlag (2000)
Gleichzeitig warf Davis aber Parker und Lester Young vor, sich zu wenig mit europäischer Musik auseinanderzusetzen. Davis ging öfter in die öffentliche Bibliothek, um sich die Partituren von Igor Fjodorowitsch Strawinski, Alban Berg, Sergei Sergejewitsch Prokofjew und anderen auszuleihen.
Mittlerweile war er Mitglied in Charlie Parkers Quintett. 1945 machte er seine ersten Plattenaufnahmen zusammen mit Charlie Parker. Davis’ Trompetenstil war bereits ausgeprägt, doch es mangelte ihm an Selbstvertrauen und an der technischen Virtuosität seiner Vorbilder. Sein Vater hatte Verständnis für seinen Sohn. So sagte er (ebenfalls in Miles’ Autobiographie zu lesen): „Miles, hörst Du den Vogel da draußen? Das ist ’ne Spottdrossel. Sie hat keine eigene Stimme, sie macht nur die Stimmen der anderen nach und das willst du nicht. Wenn du dein eigener Herr sein willst, musst du deine eigene Stimme finden. Darum geht’s. Sei also nur du selbst.“
1946 ging Davis für einige Zeit mit Charlie Parker und Dizzy Gillespie nach Los Angeles, um den Bebop auch an der Westküste bekannt zu machen. Im selben Jahr brachte Irene ihr zweites Kind Gregory auf die Welt. Als Charlie Parkers Heroinabhängigkeit immer mehr zum Problem wurde, begann Miles Davis sich auf seine Solokarriere zu konzentrieren und arbeitete mit Gerry Mulligan, Gil Evans und anderen auf die Gründung eines Nonetts hin. Dies war gleichzeitig der Beginn einer 20-jährigen Zusammenarbeit mit Gil Evans. Um den gewünschten Sound zu erreichen, wurden für den Jazz so ungewöhnliche Instrumente wie die Tuba und das Horn eingesetzt. Im September 1948 trat diese Gruppe dann zum ersten Mal auf. Bereits ein Jahr später löste sich das Nonett wieder auf, hatte aber vorher zwölf Aufnahmen für Capitol Records gemacht, die als 78er-Schallplatten nicht allzu erfolgreich verkauft wurden. Die Aufnahmen wurden erst 1957 richtig berühmt, als sie gesammelt unter dem Titel Birth Of The Cool veröffentlicht wurden. Ihr Einfluss war aber schon vorher in der Jazzszene zu spüren, da sie zur Ausbildung des „Cool Jazz“ beitrugen, der von Chet Baker, Stan Getz und Shorty Rogers aufgenommen und bald tonangebend wurde.
1949 spielte Miles in der Band des Pianisten Tadd Dameron und trat mit ihm auf dem Pariser Festival International 1949 de Jazz auf. Als er 1950 aus Paris zurückkehrte, wo er sich unglücklich in Juliette Gréco verliebt hatte, und sich dann in den USA wieder den Rassismusproblemen ausgesetzt sah, während er in Paris wie ein Star behandelt worden war, wurde Davis immer mehr drogenabhängig. Er teilte diese Abhängigkeit mit vielen seiner Kollegen, so zum Beispiel Chet Baker, Billie Holiday, Sonny Rollins, Stan Getz. Für die nächsten Jahre spielte Davis zwar viele Sessions, zumeist jedoch uninspiriert. Aufgrund seiner Sucht und des damit verbundenen Imageschadens konnte er nur für kleine Labels wie Prestige oder Blue Note Aufnahmen machen; im Januar 1951 fand seine erste Prestige-Session statt (Miles Davis and Horns). Er schaffte es auch nicht, eine feste Gruppe zusammenzuhalten. Um sich von den Drogen zu befreien, zog er 1954 nach East St. Louis und wurde dort mit Unterstützung seines Vaters seine Abhängigkeit los. Um nicht ständig in Kontakt mit der New Yorker Drogenszene zu kommen, ging er vorerst nach Detroit.
Im März 1954 kam er dann wieder nach New York. Dort entdeckte er bald darauf den Harmon-Dämpfer aus Metall, den er mit entferntem Stiel spielte. Dieser Dämpfer prägte fortan den Sound vieler seiner Stücke und er sollte ihn Zeit seines Lebens verwenden. Im Laufe des nächsten Jahres machte er mehrere wichtige Aufnahmen für das Prestige-Label (Walkin’). Aufgrund der Weiterentwicklung der Tontechnik zur Langspielplatte war es mittlerweile möglich Jazzstücke aufzunehmen, die länger als 3 Minuten waren. Davis hatte jetzt die Möglichkeit, sein Können bei längeren Soli unter Beweis zu stellen, so zum Beispiel beim über 13 Minuten langen Walkin’, das für die Jazzmusiker der Zeit zu einem wegweisenden Stück wurde, von den Kritikern aber noch nicht in entsprechendem Maße anerkannt wurde.
Sein großes Comeback hatte Miles Davis im Juli 1955, als er unangekündigt beim Newport Jazz Festival für drei Stücke auf die Bühne kam und zu Monks ’Round Midnight ein legendäres Solo spielte. Dieser Auftritt führte dazu, dass George Avakian ihn bei Columbia unter Vertrag nahm, obwohl er gleichzeitig noch einen Vertrag bei Prestige zu erfüllen hatte. Die Erlaubnis dafür erreichte er bei Prestige, indem er sie überzeugte, dass Prestige bei den noch ausstehenden Aufnahmen von der Werbung der wesentlich größeren Plattenfirma Columbia profitieren werde.
Das erste Quintett und Sextett (1955–1958)
1955 gründete Davis dann sein Miles Davis Quintett. Die Band bestand aus John Coltrane (Tenorsaxophon), Red Garland (Klavier), Paul Chambers (Bass) und Philly Joe Jones (Schlagzeug). Das Quintett wurde schnell berühmt. Um den Vertrag bei Prestige zu erfüllen, nahm die Band an nur zwei Tagen insgesamt vier Alben auf (Workin’, Cookin’, Steamin’ und Relaxin’). Dass die Qualität der Alben unter dieser Fließbandarbeit praktisch nicht litt, zeigt, wie gut das Quintett damals funktionierte. Für Columbia nahmen sie fast zur selben Zeit das Album ’Round About Midnight auf. Zu dieser Zeit wurde Miles Davis zu einem echten Star in der Jazzszene. Seine distanzierte und coole Haltung – er drehte dem Publikum bei Auftritten des Öfteren den Rücken zu und verließ bei den Soli seiner Kollegen die Bühne – waren der Inbegriff dessen, was zu der Zeit hip und cool war. Sein selbstbewusstes Auftreten in der Öffentlichkeit war vielen Schwarzen damals ein Vorbild.
1957 nahm Davis gemeinsam mit dem Arrangeur Gil Evans, mit dem er bereits auf Birth Of The Cool zusammengearbeitet hatte, das Album Miles Ahead auf, das aufwändig orchestriert war und ihm wenig improvisatorischen Spielraum ließ. Trotzdem war er sehr zufrieden mit seiner Arbeit. Ausnahmsweise spielte er fast alle Aufnahmen mit dem Flügelhorn ein. Miles Ahead wie auch das nachfolgende Porgy and Bess (1958) wurden ein kommerzieller Erfolg. Aufgrund ihrer Drogenexzesse ersetzte Davis Coltrane und Jones durch Sonny Rollins und Arthur Taylor. Doch er war mit dem Sound des neuen Quintetts nicht hundertprozentig zufrieden und engagierte Cannonball Adderley. Mittlerweile hatten Rollins und Red Garland das Quintett verlassen. Neuer Pianist wurde Tommy Flanagan. Als John Coltrane seine Drogensucht überwunden hatte, wollte Davis ihn zurückholen. Vorher ging er aber nach Paris, um dort mit Kenny Clarkes Quartett zu spielen. Als er Louis Malle vorgestellt wurde, ließ er sich überreden, die Musik für den Film Ascenseur pour l’échafaud (Fahrstuhl zum Schafott) zu schreiben und aufzunehmen. In nur einer Nacht entstanden die Aufnahmen, die Davis mit einer ganz neuen Arbeitsweise im Studio vertraut machten. Statt großer Planung wurde auf kurze Anweisungen und Spontaneität gesetzt, eine Technik, die später auch bei Alben wie Kind of Blue oder Bitches Brew Anwendung finden sollte.
Zurück in New York gelang es Davis, sein Traumsextett zusammenzustellen, indem er Coltrane und Garland zurückholte. Nach einigen Auftritten spielte die Gruppe das Album Milestones ein, das durch Adderleys Beitrag neben dem Bebop auch etwas bluesigere Stücke beinhaltete. Außerdem wurde der neu aufkommende modale Jazz weiterentwickelt. Miles Davis spielte bei der Entwicklung dieser Stilrichtung wieder eine wegweisende Rolle. Bei den Aufnahmen dazu kam es zu einem Streit zwischen Garland und Davis, so dass letzterer bei dem Stück Sid’s Ahead selbst Klavier spielte. Etwa zu der Zeit, als Bill Evans an Garlands Stelle trat, verließ Philly Joe Jones endgültig die Band. Da Jones das Sextett kurz vor einem Auftritt in Boston verließ, musste sein Ersatz Jimmy Cobb aus New York nachreisen und baute sein Instrument auf, während die Band schon spielte: er begann sein Engagement beim Miles Davis Sextett mitten in ’Round Midnight.
Ende Mai bestand mit den beiden Neuzugängen eine zuverlässige und musikalisch geschliffenere Version des Sextetts, die in dieser Form sieben Monate bestehen sollte und sich dann für Kind of Blue nochmals im Studio versammelte. Als Bill Evans die Gruppe verließ, weil ihn das ständige Touren auslaugte, wurde kurzzeitig Red Garland zurückgeholt, um ihn dann, als er wieder einmal zu spät zu einem Auftritt kam, durch Wynton Kelly zu ersetzen.
Kind of Blue (1959–1964)
Damit stand die Formation, mit der Miles Davis im Frühjahr 1959 ins Studio ging und sein legendäres Album Kind of Blue aufnahm. Bill Evans kehrte dafür noch einmal zurück und überließ Wynton Kelly nur für das Stück Freddie Freeloader das Klavier. In zwei Sessions am 2. März und 22. April entstand ein Album, das beispielhaft für den modalen Jazz und nach Aussage von Columbia Records und der RIAA das meistverkaufte Jazzalbum überhaupt ist. Über 6 Millionen Einheiten sollen davon bisher abgesetzt worden sein.
Doch die großen innovativen Kräfte, die für die Klasse dieses Albums verantwortlich waren, sorgten auch dafür, dass das Sextett nicht allzu lange Bestand hatte. John Coltrane konnte noch zu einer letzten Europatournee im Frühjahr 1960 überredet werden, bevor er ausstieg, um seine eigene Band zu gründen. Cannonball Adderley hatte die Gruppe schon im Herbst 1959 verlassen, und Davis probierte verschiedene Ersatzmänner für die beiden Saxophonisten aus, unter anderem Sonny Stitt und Hank Mobley, der bei seinen Konzerten im Black Hawk in San Francisco mitwirkte.
Am 21. Dezember 1960 heiratete Miles Davis seine Freundin Frances Taylor. Im April des folgenden Jahres nahm er im Blackhawk in San Francisco zum ersten Mal explizit für eine LP-Veröffentlichung ein Konzert auf. 1961 wurde bei ihm dann die Sichelzellenanämie diagnostiziert. Während es ihm mittlerweile finanziell gut ging und er ein fünfgeschossiges Haus in der Upper West Side von Manhattan bezog, trat er musikalisch zu dieser Zeit etwas auf der Stelle.
1963 verließ die Rhythmusgruppe aus Kelly, Chambers und Cobb die Band. Davis formte schnell eine neue Band mit George Coleman am Saxophon und Ron Carter am Bass. Später stießen noch Schlagzeuger Tony Williams und Pianist Herbie Hancock zu der Gruppe, die 1963 das Album Seven Steps to Heaven aufnahm. Davis war von Anfang an von dieser Formation begeistert. Das Repertoire bestand hauptsächlich aus Bebop und Standards, die man schon von Davis’ früheren Bands kannte, die jetzt aber mit mehr rhythmischer und struktureller Freiheit gespielt wurden. Nach seinem Auftritt mit der neuen Band auf dem Jazzfestival Antibes arbeitete er noch einmal mit Gil Evans zusammen (The Time of the Barracudas).
Ende Februar 1964 starb Davis’ Mutter. Um die Gelenkschmerzen zu lindern, die durch die Sichelzellenanämie entstehen, trank Davis viel Alkohol und nahm Kokain, was auch seine Ehe in schwere Mitleidenschaft zog. Im selben Jahr verließ Coleman das Quintett, und der Avantgarde-Saxophonist Sam Rivers übernahm für kurze Zeit. Da Rivers sich aber in Richtung Free Jazz orientierte, ein Stil, den Davis ablehnte, suchte er weiter nach einem Saxophonisten. Im Sommer 1964 brachte er Wayne Shorter dazu, Art Blakeys Jazz Messengers zu verlassen und zu ihm zu stoßen. Shorter machte dies nur widerstrebend, da er bei Art Blakey der musikalische Leiter geworden war.
Das zweite Quintett (1965–1968)
Mit Tony Williams (Schlagzeug), Herbie Hancock (Piano), Ron Carter (Bass), Miles Davis und dem neu hinzugestoßenen Wayne Shorter stand das zweite große Quintett Miles Davis’, das auch seine letzte akustische Gruppe sein sollte. Diese Besetzung gilt heute als eine der hochkarätigsten der gesamten Jazzgeschichte und ist unter Jazzliebhabern auch schlicht als Das zweite Miles Davis Quintett geläufig. Zahlreiche Kompositionen dieser Periode stammten aus der Feder von Wayne Shorter, der - wie auch Herbie Hancock - parallel zu seiner Arbeit bei Miles Davis auch einige bedeutende Platten unter eigenem Namen einspielte. Die von dieser Gruppe eingespielten Aufnahmen gelten aufgrund des hohen Niveaus der improvisatorischen Interaktion als Klassiker und als ein Musterbeispiel für gelungene Inside-Outside-Improvisation, die das Quintett perfekt beherrschte.
1965 nahm die Formation das Album E.S.P. auf, das neue Kompositionen und ein neues Spielkonzept vorstellte. Im selben Jahr wurde Davis nach einer gewalttätigen Auseinandersetzung von seiner Frau Frances verlassen. Im April dann muss Davis an der Hüfte operiert werden. Da die Operation fehlschlug, wurde eine weitere im August notwendig, sodass er erst im November wieder auftreten konnte. Kurz vor Weihnachten entstanden bei einem Gastspiel im Chicago die Plugged-Nickel-Mitschnitte, die zeigen, wie gut die offene Interaktion der Band mittlerweile funktionierte.
Doch schon im Januar 1966 erkrankte Davis an einer Leberentzündung und musste erneut drei Monate lang aussetzen.
In die folgenden Jahren entstand eine Serie weiterer Schallplatten: Miles Smiles (1966), Sorcerer (1967), Nefertiti (1967), Miles in The Sky (1968) und Filles de Kilimanjaro (1969). Doch die Verkaufszahlen der Alben sanken rapide, was sicher nicht zuletzt darauf zurückzuführen ist, dass die Musik des Quintetts rhythmisch und harmonisch ausgesprochen komplex war, und vom breiten Publikum nicht ohne weiteres nachvollzogen werden konnte. Miles Davis erwies sich in der Titelnummer von Nefertiti (1967) jedoch wieder einmal als Neuerer: in dem Stück (für das allerdings Shorter als Komponist ausgewiesen wird) übernimmt die Rhythmusgruppe die improvisatorische Ausgestaltung, während die Bläser in einer Art Ostinato verharren: ein Rollentausch, der als neu im Jazz galt. 1967 stieß Tenorsaxophonist Joe Henderson für einige Zeit zur Band, ohne dass aber Aufnahmen mit ihm entstanden. Im Laufe des Jahres begann die Band mit der ungewöhnlichen Praxis, ihre Livekonzerte in durchgehenden Sets zu spielen, wobei ein Stück nahtlos in das nächste überging. Davis’ Bands sollten diese Technik bis zu seinem vorläufigen Rückzug von der Musik 1975 beibehalten. Ende 1967 begann Davis im Studio mit dem Fender-Rhodes-Piano zu experimentieren. Bereits in den 1940er Jahren hatte er Klavierspielen gelernt. Außerdem holte er sich zur Erweiterung seines Quintetts Gitarristen ins Studio (unter anderem George Benson). Die meisten Stücke schrieb zu dieser Zeit Wayne Shorter. Auf den Alben Miles Smiles und Filles de Kilimanjaro tauchen zum ersten Mal elektrische Instrumente auf und weisen den Weg zu Davis’ Fusion-Phase. 1968 verließen Herbie Hancock und Ron Carter das Quintett und wurden durch Dave Holland (Bass) und Chick Corea (Piano) ersetzt. Auf dem Album Filles de Kilimanjaro sind sowohl die neue als auch die alte Besetzung zu hören. Am 30. September heiratete Davis die 23-jährige Sängerin Betty Mabry, deren Gesicht auch auf dem Cover von Filles de Kilimanjaro zu sehen ist.
Fusion: Die Entwicklung hin zu Bitches Brew (1968–1970)
Der Davis-Biograph Eric Nisenson berichtet von einem Besuch Leonard Feathers im Juni 1968 bei Davis in Hollywood, um einen Blindfold Test für Down Beat aufzunehmen. Dabei fiel ihm auf, dass der Trompeter die damals aktuellen Alben des New Thing wie von Freddie Hubbard oder Archie Shepp verschmähte, stattdessen Musik von den Byrds, Aretha Franklin, den 5th Dimension oder von James Brown hörte. Von allen Alben, die Feather ihm vorspielte, gefielen ihm nur zwei, eines von den 5th Dimension und eines der Psychedelic-Band The Electric Flag. [2] Starken Einfluss auf Miles´musikalische Vorlieben hatte auch seine damalige Frau Betty Mabry, die Jimi Hendrix zu ihren Lieblingsmusikern zählte.[3] Dieses Interesse für neue musikalische Richtungen demonstrierte Miles Davis schon im Januar 1968, als er Aufnahmen mit dem Gitarristen George Benson für sein Album Miles in the Sky einspielte; dabei ließ er auch seinen Pianisten Herbie Hancock erstmals ein elektrisches Piano benutzen. Ein weiterer Schritt vollzog sich mit dem Wechsel von Hancock zu Chick Corea bzw. von seinem bisherigen Bassisten Ron Carter zu Dave Holland, mit denen Aufnahmen für Filles de Kilimanjaro entstanden.
Im November 1968 holte Davis noch zwei weitere Keyboard-Spieler hinzu, wiederum Herbie Hancock sowie den gebürtigen Österreicher Joe Zawinul; für Tony Williams kam der Schlagzeuger Jack DeJohnette. Die erweiterte Gruppe nahm zwei von Zawinuls Kompositionen auf, „Directions“ (in zwei verschiedenen Fassungen) und „Ascent“. „Der wesentliche Unterschied war, dass die Musiker, mit denen er nun arbeitete, spontan auf den improvisierenden Solisten reagieren konnten. Mit dieser Session entdeckte Miles eine Methode, scheinbar unvereinbare Elemente doch miteinander zu verbinden: den Einsatz der Elektronik und die Freiheit der Improvisationen, die spontane Musik des Augenblicks - die für ihn nach wie vor die Quintessenz des Jazz war - und die vielschichtigen Klangfarben, die früher nur durch komplizierte Orchesterarrangements[4] zu realisieren waren. Diese erste Session fand Miles nicht als vollkommen gelungen, aber sie eröffnete ihm neue Möglichkeiten.“[5]
Im Februar 1969 nahm Miles Davis das Album In a Silent Way auf, in dem sich die „stilistische Wende“ und „die völlige Befreiung vom Bop-Konzept vollzog“[6]. Die Platte ist eines der ersten echten Fusionalben, da es eine Fusion aus Jazz und Rock darstellt. Neben seinem Quintett holte Davis für die Aufnahmesession den jungen englischen Gitarristen John McLaughlin ins Studio. Außerdem kam Herbie Hancock zurück, und Joe Zawinul, dessen Keyboard-Stil lt. Herbie Hancock Miles Davis erst zu dieser stilistischen Wende befreite, komplettierte die Formation, die damit zusammen mit Chick Corea immerhin drei Keyboarder beinhaltete.
Das neue an dem Album war die große musikalische Freiheit, die den Musikern zugestanden wurde. Ein echtes Songkonzept ist kaum mehr zu erkennen. Außerdem wurden die langen Improvisationen von Davis und dem Produzenten Teo Macero intensiv nachbearbeitet. Die Tracks, die schließlich auf dem veröffentlichten Album landeten, waren Zusammenschnitte aus verschiedenen Sessions und der Einfluss des Produzenten auf das fertige Produkt war so groß wie noch nie zuvor bei Miles Davis. Tatsächlich blieb Teo Macero, mit dem Davis seit Sketches of Spain regelmäßig gearbeitet hatte, für die nächste Zeit ein wichtiger Partner für seine Arbeit. Das Album besteht letztendlich nur aus zwei Stücken, die jeweils eine komplette Schallplattenseite füllen. Nach diesen Aufnahmen verließ Tony Williams die Band, um seine Gruppe Lifetime zu gründen. Er wurde durch Jack DeJohnette ersetzt.
Im August ging Davis wenige Tage nach dem Woodstock-Festival ins Studio, um Bitches Brew (veröffentlicht 1970) aufzunehmen. Das Album gilt als einer der größten Meilensteine in seinem Schaffen. Die Besetzung von In a Silent Way wurde noch durch weitere Musiker, zum Beispiel Bennie Maupin erweitert. Das Prinzip von In a Silent Way wurde noch weiter geführt, und es entstand eine völlig neue Interpretation von Jazz. Im Gegensatz zum bisherigen Jazz bestand die Band nicht einfach aus den üblichen Bläsern, akustischem Klavier und Bass sowie einem Schlagzeug: zum ersten Mal dominierten elektrische Instrumente. Davis begann zu dieser Zeit, den Sound seiner Trompete zu verstärken und durch Effektgeräte wie etwa das Wah-Wah-Pedal zu beeinflussen. Auch spielten bis zu drei Schlagzeuger und zwei Bassisten gleichzeitig. Der Rhythmus wurde auch nicht mehr vom Swing dominiert, sondern von Elementen des Funk und ähnlichen Rockmusikrichtungen. Die Postproduktion, zum Beispiel durch Loops, wurde viel wichtiger als bei traditionellen Jazzaufnahmen und war echter Bestandteil des kreativen Prozesses. Das Stück Pharaoh’s Dance beispielsweise besteht aus 19 Schnitten.
Beide Alben, besonders Bitches Brew, waren auch kommerziell ein großer Erfolg für Miles Davis. Für Bitches Brew bekam er in den USA zum ersten Mal eine Goldene Schallplatte für damals 400.000 verkaufte Einheiten (heute ist die Grenze in den USA bei 500.000 Stück). Damit war es zu diesem Zeitpunkt sein meistverkauftes Werk. Erst viel später wurde es von dem elf Jahre vorher veröffentlichten Kind of Blue überholt. Während dieser Zeit tourte er mit dem Lost Quintet, bestehend aus ihm, Shorter, Corea, Holland und DeJohnette, ab Anfang 1970 mit dem Percussionisten Airto Moreira ergänzt. Ab ca. Mitte desselben Jahres erweiterte Keith Jarrett die Gruppe, dessen energiegeladenes Keyboardspiel die einzelnen, ohne Unterbrechung gespielten Sets zu teilweise wilden und spannungsreichen Höhepunkten trieb. Keith Jarrett selbst sagte in dem Interview auf der DVD Another Kind of Blue, dass er eigentlich keinen wirklich musikalischen Beitrag zu dieser Band gegeben hätte, aber vielleicht so etwas wie Energie. Die Gruppe spielte Medleys aus den letzten beiden Alben, den Platten des zweiten Quintetts, aber hin und wieder auch alte Standards, wie zum Beispiel Ray Charles’ What I say.
Fusion: Die Entwicklung der Jahre 1970-1975
Mit seiner neuen Richtung zog Davis ein großes Publikum aus dem Bereich der Rockmusik an, während er einige alte Fans abschreckte. Davis trat im Vorprogramm von Rockbands wie der Steve Miller Band und Santana auf. Carlos Santana war sich Davis’ musikalischer Bedeutung durchaus bewusst und sagte, dass eigentlich er im Vorprogramm von Davis hätte spielen sollen und nicht umgekehrt. Davis trat 1970 auch mehrfach in Bill Grahams Fillmore East und Fillmore West auf, beides große Foren der damaligen Rockmusik, und nicht zuletzt auf dem Isle of Wight Festival, einem in seiner musikgeschichtlichen Bedeutung kaum zu überschätzenden Auftritt. Der Weggang von Chick Corea Ende 1970 fokussiert und konzentriert die Musik einerseits stärker auf Rock und Funk, andererseits nahm er ihr auch viel von den Free-Jazz-Elementen und der komplexen Rhythmik, was Miles Davis zu dieser Zeit durchaus bedauerte, denn er versuchte vergeblich Chick Corea in der Band zu halten. Auch Dave Holland verließ die Band, um mit Chick Corea das vielbeachtete Free-Jazz-Trio Circle zu gründen.
Seinen Platz übernahm der junge Stevie Wonder-Bassist Michael Henderson, den Miles Davis Stevie Wonder mit den Worten: „I’ll take your fuckin’ bass player“, abgeworben haben soll. Diese Wahl veränderte die Musik Miles Davis’ entscheidend. Das virtuose, funk-orientierte, rhythmussichere und nicht mehr jazzorientierte Spiel dieses Bassisten gab Miles Davis die Basis, um sein Trompetenspiel radikal zu verändern. Ende des Jahres begann Miles Davis die Trompete mit Wah-Wah-Pedal zu spielen, vermutlich das erste Mal am 17. Dezember 1970 bei dem Cellar-Door-Auftritt, nachdem der Auftritt vom 16. Dezember noch unplugged über die Bühne ging. Seine Mitmusiker berichteten, dass die elektrisch verstärkte Trompete bereits bei mehreren Auftritten bereitlag, aber nicht zum Einsatz kam. Ab dem 18. Dezember war Miles Davis für die nächsten knapp 5 Jahre nicht mehr unplugged zu hören. Die Cellar-Door-Auftritte leiteten das überaus produktive Tourneejahr 1971 ein, auf welchem Miles Davis’ Musik auf den großen Jazzfestivals in Europa und Japan als das Hauptereignis gefeiert wurde. Joachim Ernst Berendt, damals Leiter der Berliner Jazztage, bezeichnete Davis’ Auftritt in seiner Ansage vor dem Auftritt als den bedeutendsten des ganzen Festivals. Die Zeit der Clubauftritte war vorbei, die Miles Davis Band füllte die großen Konzertsäle dieser Welt. Die Konzerte bestehen nun aus einem einzigen meist knapp zweistündigen ohne Pause gespielten Medley, Miles Davis begann die Aufstellung der Band zu verändern, strebte eine mehr kreisförmige Gruppierung der Musiker an und spielte häufig halb abgewandt, mit dem Rücken zum Publikum oder tief gebeugt über dem Wah-Wah-Pedal, was schließlich zu seinem kontrovers diskutierten Markenzeichen wurde.
1972 musste sich Davis einer Gallensteinoperation unterziehen. Das ganze Jahr über hatte er gesundheitliche Schwierigkeiten. Mit dem Album On the Corner versuchte Davis bewusst, das schwarze Massenpublikum zu erreichen. Die Keyboard-Flächen von In a Silent Way und Bitches Brew wichen harten, fast abstrakten Funk-Rhythmen und einem dichten Perkussionsgeflecht. Der Erfolg war jedoch mäßig, die meisten Kritiker verrissen das musikalisch radikale Album in scharfer Form. Erst Jahrzehnte später wurde On the Corner als ein Album anerkannt, das seiner Zeit weit voraus war und bei seiner ursprünglichen Veröffentlichung nicht verstanden wurde.
Im Oktober hatte Davis einen Autounfall, bei dem er sich beide Knöchel brach. Im Jahr darauf (1973) trennte sich seine Lebensgefährtin Jackie Battle von ihm. Zudem nahm er immer mehr Kokain gegen seine Schmerzen. Auf seinen Konzerten spielte er mittlerweile immer öfter Orgel. Seine Popularität sank wieder. Trotz gesundheitlicher Probleme spielte er weiter zahllose Konzerte und Tourneen. Während der Japan-Tournee im Januar und Februar 1975 nahm er, um die Tour durchstehen zu können, täglich acht Schmerztabletten. Pangaea und Agharta, zwei am 1. Februar 1975 bei dieser Tournee aufgenommene Live-Alben, gelten heute noch als die wichtigsten Live-Alben des Electric Jazz. Die Band, bestehend aus Al Foster (Schlagzeug), Mtume (Percussion), Michael Henderson (Bass), Pete Cosey (Gitarre, Synthesizer, „water drum“), Reggie Lucas (Gitarre) Sonny Fortune (Altsaxophon) Miles Davis (Trompete und Orgel) zeigte sich geschlossen und avantgardistisch. Die auf den Alben aufgedruckte Empfehlung „We suggest that you play these records at the highest possible volume to fully appreciate the sound of Miles Davis“ [7], konnte jeder, der die Band zwischen 1973 und 1975 sah, live erleben. Mit riesigen in Black-Power-Farben gehaltenen Lautsprechertürmen entfachten Miles Davis, konsequent hinter dunklen Sonnenbrillen versteckt und mit dem Rücken zum Publikum spielend, und seine Musiker ein ohrenbetäubend dichtes Geflecht von improvisiertem, nur an wenig thematischem Material sich entwickelndem Funk-Jazz-Rock, der damals auch die letzten Jazzfans vertrieb.
Nach einem Konzert in St. Louis an Ostern musste Miles Davis wegen blutender Magengeschwüre ins Krankenhaus eingeliefert werden. Kurz darauf wurden ihm auch 18 Polypen im Kehlkopf entfernt. Am 5. September spielte er im Central Park in New York. Es sollte bis 1981 sein letztes Konzert sein. Weitere geplante Konzerte mussten aus gesundheitlichen Gründen abgesagt werden. Im Dezember wurde er wieder an der Hüfte operiert. Auch künstlerisch fühlte sich Miles Davis ausgelaugt.
Der Rückzug 1975–1981
Von 1975 bis Anfang 1980 nahm Davis sein Instrument nicht in die Hand. Er nahm große Mengen an Alkohol, Analgetika, Heroin und Kokain zu sich und rauchte viel. Anfang 1978 entstanden mit Gitarrist Larry Coryell Aufnahmen, die allerdings nicht veröffentlicht wurden. Davis spielt darauf nur Keyboard. Columbia veröffentlichte in dieser Zeit Archivaufnahmen, um die Zeit zu überbrücken und Geld zu erwirtschaften, denn Miles Davis hatte, wie sonst nur noch Vladimir Horowitz, einen lebenslangen Vertrag bei der CBS, aus dem ihm regelmäßige Bezüge zustanden.
Rückblickend betrachtet vollzog sich die Entwicklung der Musik von Miles Davis zwischen 1968/69 und 1974/75 mit einer erstaunlichen Geschwindigkeit und Konsequenz. Miles Davis hatte kein Jazzkonzept mehr, sondern ein eigenes Konzept, welches Jazz, klassischer Musik, Blues/Soul/Funk und eben der neuen Rockmusik gleichermaßen offen gegenüberstand. Während sich Miles Davis 1975 zurückzog, wurde der Fusion Jazz von seinen Weggefährten und anderen weiterentwickelt und fand Einzug in den kommerziellen Mainstream. Führende Vertreter dieser Musik, wie zum Beispiel Keith Jarrett, Herbie Hancock, Chick Corea, John McLaughlin (mit seinem Mahavishnu Orchestra), Wayne Shorter und Joe Zawinul (zusammen in der Formation Weather Report), hatten vorher mit Miles Davis gespielt.
Die letzte Dekade (1981–1991)
Mit der Rückkehr von Cicely Tyson in sein Leben begann Miles Davis seinen Drogenkonsum zu reduzieren. Im April fing er auch damit an, mit jungen Chicagoer Musikern (Robert Irving III, Darryl Jones, Vincent Wilburn) zu proben. Im Mai entstanden die ersten Aufnahmen zu The Man with the Horn, seinem Comeback-Album, das 1981 erschien. Davis verzichtete weitestgehend auf Effektgeräte und spielte seine Trompete wieder auf traditionellere Weise. Die Band dagegen war mehr am Pop orientiert. Mit Mike Stern, Marcus Miller (Bass) und Bill Evans (Saxophon) und anderen begann er wieder zu touren. Seine Mitmusiker bekamen recht schlechte Kritiken, insgesamt hielt sich die Begeisterung über Miles Davis’ neue Musik in Grenzen. Am 27. November 1981 heiratete er Cicely Tyson.
Im Februar 1982 hatte er einen Schlaganfall und für einige Wochen war seine rechte Hand gelähmt. Er behandelte sie mit chinesischen Kräutern und Physiotherapie. Im April ging er schon wieder auf Europatournee.
Das 1982 erschienene Live Album We Want Miles, aufgenommen 1981, bekam sehr gute Kritiken und wurde mit einem Grammy ausgezeichnet. 1983 war er durch eine erneute Hüftoperation und eine Lungenentzündung wieder für Monate außer Gefecht gesetzt. 1984 kehrte er auf die Bühne zurück. Mittlerweile war der Gitarrist John Scofield zu seiner Band gestoßen, der an der Produktion von Star People (1983) und Decoy (1984) stark beteiligt war. Davis experimentierte bei diesen Alben mit Soul-Musik und Elektronik. Zu dieser Zeit spielte auch Darryl Jones in seiner Band, der später bei den Rolling Stones Bill Wyman ersetzen sollte.
1985 nahm er dann You’re Under Arrest auf, bei dem er wieder den Stil veränderte. Er spielte Interpretationen von zwei Popsongs, Cyndi Laupers Time After Time und Michael Jacksons Human Nature. Dafür bekam er viel negative Kritik in der Jazzpresse, obwohl der Rest der Platte durchaus gelobt wurde. Davis merkte dazu nur an, dass viele akzeptierte Jazz-Standards einfach nur Popsongs aus Broadwaystücken seien. You’re Under Arrest sollte auch Davis’ letztes Album für Columbia sein. Da er über das demonstrative Engagement für den jungen Trompetenstar Wynton Marsalis, der Miles Davis für seine ständigen musikalischen Experimente und neuen Wege kritisiert hatte, und das gleichzeitige Desinteresse an Davis’ Aufnahmen verärgert war, wechselte er zu Warner Bros.
Ebenfalls 1985 spielte er in einer Folge von Miami Vice den Drogendealer und Zuhälter Ivory Jones. Einen weiteren Auftritt als Schauspieler hatte er in der australischen Produktion Dingo von 1990, die ein Jahr später in den Kinos erschien. Dazu steuerte er mit Michel Legrand auch den Soundtrack bei. Ebenfalls 1990 arbeitete er am Soundtrack zu The Hot Spot mit, einem Film von Dennis Hopper mit Don Johnson in der Hauptrolle. Dieser Soundtrack war stark von John Lee Hookers Bluesgitarre und dessen Musikstil geprägt. Miles Davis fügte sich aber nahtlos in das musikalische Konzept ein.
Auf dem ersten Album für Warner Brothers, Tutu (1986), waren zum ersten Mal auf einem Davis-Album programmierte Synthesizer, Samples und Drumloops zu hören. Mit dem Album gewann er 1987 nach Bitches Brew und We Want Miles seinen dritten Grammy. Zusammen mit der Band Toto spielte er auf dem ebenfalls 1986 erschienenen Fahrenheit-Album das Stück Don’t Stop Me Now ein, welches er daraufhin auch gerne live spielte.[8] 1988 spielte er in New York zusammen mit Zucchero eine neue Version dessen Liedes „Dune Mosse“ ein, das aber erst 2004 auf Zuccheros Album „Zu & Co.“ erschienen ist. Ebenfalls 1988 ließ er sich von Cicely Tyson wieder scheiden. Im gleichen Jahr wurde er in den Malteserorden aufgenommen.
1989 erschien dann seine Autobiografie, die er zusammen mit Quincy Troupe geschrieben hatte. Darin gibt er Auskünfte über sein Schaffen und seine Einflüsse.
Im Januar und Februar 1991 ging er dann mit dem Hip-Hop-Produzenten Easy Mo Bee ins Studio, doch vor seinem Tod wurden nur sechs Tracks zumindest provisorisch fertig. Die restlichen Stücke für das posthum veröffentlichte Album Doo-Bop mischte Easy Mo Bee aus Trompetenlinien unveröffentlichter Studiosessions aus den 80ern zusammen. Damit war Davis auch in seinem letzten Lebensjahr an der aktuellen Entwicklung der Jazzmusik beteiligt.
Am 25. August spielte Miles Davis in Hollywood sein letztes Konzert. Das Stück Hannibal von diesem Konzert ist auf dem 1996 erschienenen Album Live Around The World zu hören.
Anfang September 1991 ließ sich Davis im St. John’s Hospital and Health Care Center in Santa Monica untersuchen. Bei einem Streit mit einem Arzt erlitt er einen schweren Schlaganfall und fiel daraufhin ins Koma. Am 28. September beschloss seine Familie, die künstliche Lebensverlängerung zu beenden. Gerüchte über eine AIDS-Erkrankung wollen bis heute nicht verstummen, sind aber nie verifiziert worden. Miles Davis wurde auf dem Woodlawn Cemetery in der Bronx in New York beerdigt.[9]
Miles Davis als Maler
In den letzten Jahren, als er von Krankheit gezeichnet nicht mehr Trompete spielen konnte, widmete sich Miles Davis mehr und mehr der Malerei. In der expressionistischen Malerei fand er das Medium, seine musikalisch brachliegende Kreativität einzubringen.
Zunächst zeichnete er skizzenhafte kleine Strichzeichnungen und primitive Figuren, um dann später mit kräftigen Farben und surrealen Motiven zu experimentieren. Die Arbeiten der Mailänder Memphis Group hatte starken Einfluss auf ihn. Später wurden seine Kunstwerke stark von Farben und Motiven der afrikanischen Volksmalerei inspiriert. Er malte auch zahlreiche, leicht verfremdete Selbstportraits.[10]
Viele seiner Zeichnungen und Bilder finden sich in den späten Jahren auf Plattencovern von Miles Davis. Im Gegensatz zu seiner umfassenden Musikerausbildung arbeitete er bei der Malerei als Autodidakt.
Aufnahmen (Auswahl)
→ Hauptartikel: Miles Davis/DiskografieDie folgende Liste versucht, bei besonderen Alben die aus heutiger Sicht neu entstandene Richtung im Jazz anzugeben. Dabei muss beachtet werden, dass bei solchen Unterteilungen und Begrifflichkeiten die Grenzen fließend sind.
- The Charlie Parker Story (1945), Stilrichtung: Bebop
- Charlie Parker Memorial, Vol. 1 (1947/48)
- Birth of the Cool (1949/1950), Stilrichtung: Cool Jazz
- Miles Davis Volume 1/Miles Davis Volume 2 (1952/1953/1954)
- Walkin’ (1954), Stilrichtung: Hardbop
- Bags’ Groove (1954)
- Miles Davis and the Modern Jazz Giants 1954
- Blue Moods (1955) mit Teddy Charles und Charles Mingus
- Miles Davis and Milt Jackson Quintet/Sextet (1955)
- Workin, Cookin, Steamin, Relaxin’ with the Miles Davis Quintet (1956)
- ’Round About Midnight (1957) mit John Coltrane
- Miles Ahead (1957, mit dem Gil Evans Orchestra)
- Ascenseur pour l’échafaud (Fahrstuhl zum Schafott) – Soundtrack zu dem Film von Louis Malle (1958)
- At Newport (1958), mit Bill Evans, Cannonball Adderley
- Porgy and Bess (1958, mit Gil Evans)
- Milestones (1958), Stilrichtung: Modaler Jazz
- Jazz at the Plaza, Vol. 1 (1958)
- Kind of Blue (1959)
- Sketches of Spain (1960, mit Gil Evans)
- Someday My Prince Will Come (1961)
- Seven Steps to Heaven (1963)
- Miles in Antibes (1963)
- My Funny Valentine (1964)
- Live at the Plugged Nickel 1965
- E.S.P. (1965)
- Miles Smiles (1966)
- Nefertiti (1967)
- Sorcerer (1967)
- Miles in the Sky (1968)
- Filles de Kilimanjaro (1968)
- In a Silent Way (1969), Stilrichtung: Fusion
- Bitches Brew (1969)
- A Tribute to Jack Johnson (1970)
- Black Beauty: Miles Davis at Fillmore West (1970)
- Live-Evil (1970)
- On the Corner (1972)
- Get Up With It (1973)
- In Concert: Live at the Philharmonic Hall (1973)
- Big Fun (1974)
- Dark Magus (1974)
- Agharta (1975)
- Pangaea (1975)
- The Man with the Horn (1981), Stilrichtung: Jazz Pop
- We Want Miles (1982) mit Mike Stern
- Star People (1983)
- Decoy (1984)
- Aura (1984) mit Palle Mikkelborg
- You’re Under Arrest (1985)
- Miles Davis – Live in Montreal (1985)
- Tutu (1986)
- Siesta (1987) mit Marcus Miller
- Amandla (1989)
- Dingo (1991, Soundtrack) Miles Davis und Michel Legrand
- Doo-Bop (1991), Stilrichtung: Hip-Hop
- Miles & Quincy Live at Montreux (1991)
Bislang wurden acht Alben von Miles Davis in die Grammy Hall of Fame aufgenommen (Birth of the Cool, Bitches Brew, In a Silent Way, Kind of Blue, Miles Ahead, Milestones, Porgy and Bess, Sketches of Spain)[11].
Literatur
- Ian Carr: Miles Davis. Eine kritische Biographie. LIT, Baden 1982, ISBN 3-906700-02-X
- Jack Chambers: Milestones 1. The Music and Times of Miles Davis to 1960, Milestones 2. The Music and Times of Miles Davis Since 1960, Beech Tree Books, William Morrow, New York, 1983 bzw. 1985 (Bd. 2)
- Bill Cole: Miles Davis. A Musical Biography, William Morrow & Company, Inc., New York, 1974
- Miles Davis, Quincy Troupe: Miles Davis. Die Autobiographie. Heyne, München 2000, ISBN 3-453-17177-2
- Ashley Kahn: Kind of blue. Die Entstehung eines Meisterwerks. Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins
- Franz Kerschbaumer: Miles Davis. Stilkritische Untersuchungen zur musikalischen Entwicklung seines Personalstils. Akademische Druck- und Verlags-Anstalt, Graz 1978, ISBN 3-201-01071-5
- Jörg Konrad: Miles Davis. Die Geschichte seiner Musik, Bärenreiter Verlag, Kassel, 2009
- Tobias Lehmkuhl: Coolness. Über Miles Davis. Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins, Berlin 2009, ISBN 978-3-8077-1048-8
- Jan Lohmann: The Sound of Miles Davis, The discography. 1945-1991. JazzMedia ApS, Copenhagen, Denmark, 1992
- Eric Nisenson: ’Round About Midnight. Ein Porträt von Miles Davis. Hannibal, Wien 1985, ISBN 3-85445-021-4
- Eric Nisenson: The Making of Kind of Blue, Miles Davis and His Masterpiece. St. Martin’s Press, New York, 2000
- Wolfgang Sandner: Miles Davis. Eine Biographie. Rowohlt Berlin, Berlin 2010. ISBN 978-3-87134-677-4
- Paul Tingen: Miles Beyond. The Electric Explorations of Miles Davis, 1967-1991. Billboard Books, New York, 2001
- Peter Niklas Wilson: Miles Davis. Sein Leben, seine Musik, seine Schallplatten. Oreos, Waakirchen 2001, ISBN 3-923657-62-5
DVD:
- Mike Dibb: The Miles Davis Story. The definitive look at the man and his music. (DVD, englisch mit deutschen Untertiteln)
- Michael Lerner: Another Bitches Brew. Miles Davis at the Isle of Wight Festival (DVD, multilingual)
Quellen
- ↑ Miles Davis, Die Autobiographie, Hoffmann und Campe (1989), S. 61.
- ↑ vgl. Nisenson, S. 158.
- ↑ Eric Nisenson führt weiter aus, dass Mabry Jimi Hendrix zu einer Party einlud, auf der dann Miles nicht erschien, mit Hendrix aber in telefonischem Kontakt blieb und eine künftige Zusammenarbeit andeutete, zu der es jedoch nie kommen sollte; vgl. Nisenson, S. 166 f.
- ↑ Nisenson bezieht sich hier auf die vorangegangene Zusammenarbeit Miles Davis´ mit Gil Evans, zuletzt noch 1968 mit dem „Times of the Barracuda“-Projekt.
- ↑ Zit. nach Nisenson, S. 163.
- ↑ Zit. nach Wießmüller, S. 154.
- ↑ Wir empfehlen, dass Sie diese Aufnahmen in der größtmöglichen Lautstärke abspielen, um den Klang von Miles Davis vollständig wertschätzen zu können.
- ↑ George Cole - Steve Lukather about Miles Davis Auszug aus dem Buch The Last Miles
- ↑ knerger.de: Das Grab von Miles Davis
- ↑ http://stockpress.de/2011/04/11/miles-davis-als-maler/ Miles Davis als Maler
- ↑ Grammy.com: Hall of Fame
Weblinks
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