- Jugendliteratur
-
Unter Jugendliteratur versteht man fiktionale Literatur, die für Jugendliche – also für junge Menschen zwischen etwa 12 und 18 Jahren – geschrieben, veröffentlicht oder vermarktet wird.
Im weiteren Sinne wird, besonders bei älteren Literaturwissenschaftlern, unter Jugendliteratur gelegentlich auch das gesamte Gebiet der Kinder- und Jugendliteratur verstanden.[1]
Inhaltsverzeichnis
Kennzeichen
Jugendliteratur, die meist in Form von Romanen oder Kurzgeschichten erscheint, besitzt einige Merkmale, die sie von der fiktionalen Literatur für andere Altersgruppen (Erwachsene, Kinder) markant unterscheidet. Jugendliteratur hat fast immer einen Jugendlichen zum Protagonisten, nur selten einen Erwachsenen oder ein Kind. Handlung und Thematik entsprechen dem Alter und der Erfahrungswelt der Hauptfigur; davon abgesehen deckt Jugendprosa jedoch das gesamte Spektrum der literarischen Genres ab. Die Handlungsrahmen dieser Literatur können so vielfältig ausfallen, wie die Fantasie und Begabung der Autoren es erlaubt. Im Mittelpunkt von Jugendromanen und -erzählungen stehen sehr oft die Herausforderungen und Probleme der Jugend, sodass Jugendliteratur gelegentlich pauschal als „Problemliteratur“ oder Coming of Age- (Heranwachsenden-) Literatur bezeichnet wird. Jugendromane sind oft kurz und umfassen manchmal nur 16.000 Worte.[2] Von diesen Eigenheiten abgesehen, besitzt Jugendliteratur freilich dieselben grundlegenden Elemente wie jede Literatur: Figuren, Handlung, Handlungsrahmen, Thema und Stil.[3] Die stilistische Bandbreite ist erheblich und reicht von einer zügig-nüchternen Erzählweise bis hin zu schwelgerischem Wortreichtum.
Geschichte
Es war die britische Autorin Sarah Trimmer, die Jugendliche erstmals als eigenständige Gruppe von Lesern anerkannte. Bereits im Jahre 1802 definierte sie Jugend (young adulthood) als das Alter von 14 bis 21 Jahren. In der Kinderliteraturzeitschrift The Guardian of Education, deren Gründerin sie war, unterschied Trimmer „Kinderbücher“ (Books for Children, für die unter 14-jährigen) und „Jugendbücher“ (Books for Young Persons, für die 14- bis 21-jährigen) und führte damit eine Begrifflichkeit ein, die bis heute üblich ist.[4]
Im 19. Jahrhundert war der Begriff „Jugendliteratur“ allerdings noch reine Theorie. Die Verleger vermarkteten keine Bücher, die speziell an Jugendliche gerichtet waren, und auch eine Jugendkultur im modernen Sinne bestand noch nicht.
Freilich gab es auch im 19. Jahrhundert schon Bücher, die für Jugendliche besonders ansprechend waren[5]:
- Der Schweizerische Robinson (Schweiz 1812)
- Oliver Twist (GB 1838)
- Der Graf von Monte Christo (Frankreich 1844)
- Alice im Wunderland (GB 1865)
- Die Abenteuer des Tom Sawyer (USA 1876)
- Heidi (Schweiz 1880)
- Die Schatzinsel (GB 1883)
- Die Abenteuer des Huckleberry Finn (USA 1884)
- Das Dschungelbuch (GB 1894)
Beispiele für andere Romane, die früher entstanden, als der Begriff „Jugendliteratur“ sich durchsetzen konnte, heute aber häufig neben anderen Jugendromanen genannt werden[5]:
- Anne auf Green Gables (USA 1908)
- Der geheime Garten (USA 1909)
- Nesthäkchen (Deutschland 1913-1925)
- Emil und die Detektive (Deutschland 1929)
- Frühling des Lebens (USA 1938)
- Die rote Zora und ihre Bande (Deutschland 1941)
- Das doppelte Lottchen (Deutschland 1949)
- Die Outsider (USA 1967)
Ein echter Markt für Jugendliteratur begann erst Mitte der 1950er Jahren zu entstehen. Unmittelbar zuvor erschienen jedoch zwei Romane, die vom jugendlichen Publikum besonders beachtet wurden: Der Fänger im Roggen (USA 1951) und Herr der Fliegen (GB 1954). Von der späteren Jugendliteratur unterscheiden diese beiden Bücher sich insofern, als sie eigentlich für erwachsene Leser geschrieben wurden.[6]
Die moderne Gattungsbezeichnung „Jugendliteratur“ begann sich erst in den 1950er und 1960er Jahren durchzusetzen, besonders nach dem Erscheinen des Romans Die Outsider (USA 1967) der 19-jährigen Susan E. Hinton. Im Gegensatz zu ähnlichen Büchern, die von älteren Autoren stammten, war dieser Roman über eine Gruppe von Jugendlichen nicht in einem nostalgischen Ton geschrieben, und er schilderte dunklere Seiten von Jugend, als dies in der Literatur bis üblich gewesen war.
Zur selben Zeit wurde das Marktsegment Jugendliteratur von den Verlegern entdeckt. Auch die Buchhändler und Bibliotheken begannen für jugendliche Leser eigene, von der Kinder- und Erwachsenenliteratur geschiedene Abteilungen zu schaffen. Die 1970er und die erste Hälfte der 1980er Jahre sind als die Blütezeit der Jugendliteratur beschrieben worden. In dieser Zeit formierte sich das jugendliche Lesepublikum und fand seine Interessen in neuen, provokativen Romanen artikuliert.[7]
Einzelbeiträge zur modernen Jugendliteratur
Australien
- Garth Nix (*1963): Autor von Fantasy-Romanserien wie Das Alte Königreich und Der siebte Turm
Deutschland/Österreich
- Kurt Kläber alias Kurt Held (1897–1959): Autor von Die rote Zora und ihre Bande (1941)
- Wolfdietrich Schnurre: Autor von Als Vaters Bart noch rot war (1958)
- Max von der Grün (1926–2005): Autor von Vorstadtkrokodile (1976)
- Hans-Georg Noack (1926–2005): Autor von Rolltreppe abwärts (1970)
- Gerhard Holtz-Baumert (1927–1996): Autor von Alfons Zitterbacke (1958)
- Gudrun Pausewang (*1928): Autorin von Die Wolke (1987)
- Peter Härtling (*1933): Autor von Ben liebt Anna (1979)
- Christine Nöstlinger (*1936): Autorin von Wir pfeifen auf den Gurkenkönig (1972)
- Rolf Kalmuczak alias Stefan Wolf (1938–2007): Autor der Serie Ein Fall für TKKG
- Cornelia Funke (*1958): Autorin der Tintenwelt-Trilogie
Großbritannien
- Enid Blyton (1897–1968): Autorin der Serien Fünf Freunde, Hanni und Nanni u. v. m.
- C. S. Lewis (1898–1963): Autor der Chroniken von Narnia
- Brian Jacques (* 1939): Autor der Redwall-Serie
- Philip Pullman (* 1946): Autor der His Dark Materials-Trilogie
- Anthony Horowitz (* 1956): Autor der Alex Rider-Serie
- Joanne K. Rowling (* 1965): Autorin der Harry Potter-Romane
- Jonathan Stroud (* 1970): Autor phantastischer Literatur (Bartimäus-Trilogie)
- Robert Muchamore (* 1972): Autor der CHERUB-Serie
Irland
- Eoin Colfer (* 1965): Autor der Artemis Fowl-Serie
Schweden
- Astrid Lindgren (1907–2002): Autorin zahlreicher Kinder- und Jugendbuchklassiker (Ronja Räubertochter)
Vereinigte Staaten
- Robert Arthur (1909–1969): Erfinder und Autor der Serie Die drei ???
- V.C. Andrews (1923–1986): Autorin zahlreicher Schauerromane für Teenager
- Dennis Lynds alias William Arden (1924–2005): Autor von 14 Bänden der Serie Die drei ???
- Edward Irving Wortis alias Avi (* 1937): Autor anspruchsvoller historischer Jugendromane
- Judy Blume (* 1938): Autorin bekannter Teenager-Klassiker
- Gary Paulsen (* 1939): Autor der Hatchet-Serie
- Stephenie Meyer (* 1973): Autorin populärer Vampirromane für Jugendliche
- John Green (* 1977): mehrfach preisgekrönter Jugendbuchautor (Eine wie Alaska, Die erste Liebe [nach 19 vergeblichen Versuchen])
Jugendromane mit kontroversen Inhalten
Seit den 1950er Jahren hat Jugendliteratur immer wieder Teenager porträtiert, die in Situationen geraten, deren Darstellung bis dahin als heikel empfunden wurde bzw. als nicht literaturfähig galt. Vorangetrieben haben Autoren und Verleger insbesondere die Darstellung der menschlichen Sexualität:
- Teenagersexualität (John Green: Eine wie Alaska, 2005)
- Abtreibung (Paul Zindel: My Darling, My Hamburger, 1969)
- Teenager-Schwangerschaft (Judy Blume: Forever, 1975)
- Transsexualität (Julie Anne Peters: Luna, 2004)
Andere kontroverse Themen:
- Judenverfolgung im Dritten Reich (Hans Peter Richter, Damals war es Friedrich, 1961; Myron Levoy: Der gelbe Vogel, 1977)
- Atomkrieg (Robert C. O’Brien: Z wie Zacharias, 1974; Gudrun Pausewang: Die letzten Kinder von Schewenborn, 1983)
- Psychische Behinderung (Peter Härtling: Das war der Hirbel, 1973)
- Gruppenzwang (Morton Rhue: Die Welle, 1981)
- Selbstverstümmelung (Alice Hoffman: Green Angel, 2003)
- Kindesmisshandlung, Sexueller Missbrauch: (Sarah Dessen: Dreamland, 2000; Alex Flinn: Breathing Underwater, 2001)
- Suizid (Astrid Lindgren: Die Brüder Löwenherz, 1973; John Green: Eine wie Alaska)
- Drogenmissbrauch (Paul Zindel: Das haben wir nicht gewollt, 1968; Christiane Felscherinow: Wir Kinder vom Bahnhof Zoo, 1978; Melvin Burgess: Junk, 1996)
- Ethnische/kulturelle Identität (Hans-Georg Noack: Benvenuto heißt willkommen, 1973)
- Bulimie (Kailin Gow: Meet Maya, 2009)
Jugendromane und Sozialisation
Jugendromane können durchaus Einfluss auf die Sozialisierung von Jugendlichen nehmen. Doch gerade bei „Klassikern“ werden häufig unhinterfragt latent rassistische oder sexistische Denkmuster transportiert,[8] wie zum Beispiel das von Karl May vorgezeichnete Bild der Ureinwohner Amerikas, das der kulturellen Diversität dieser Völker nicht gerecht wird. Auch werden gerade in sehr populärer aktueller Literatur noch immer weibliche Figuren eingeführt, deren Selbstbewusstsein sich hauptsächlich auf die Anerkennung männlicher Figuren stützt, wie zum Beispiel bei Stephenie Meyer und ihren verfilmten Twilight-Romanen.
Aus diesem Grund ist seit den 70er Jahren verstärkt von Vertretern der betroffenen Gruppen gefordert worden, die Bewertung von Jugendliteratur nicht nur unter rein ästhetischen Kriterien vorzunehmen, sondern auch zu berücksichtigen, inwieweit diskriminierende Tendenzen im Text zu finden sind. Als Reaktion darauf sind verschiedene Checklisten bzw. Handreichungen von Bibliothekaren entwickelt worden [9].
Literarische Anerkennung
Obwohl die Qualität vieler Jugendromane und -erzählungen umstritten ist, hat die Kritik sich seit den fünfziger Jahren zunehmend ernsthaft mit dieser Literatur beschäftigt. Zahlreiche Literaturpreise sind entstanden, mit denen herausragende Arbeiten ausgezeichnet werden. Beispiele:
- Nils-Holgersson-Plakette (Schweden, seit 1950)
- Deutscher Jugendliteraturpreis (Deutschland, seit 1956)
- Hans Christian Andersen-Preis (International, seit 1956)
- Katholischer Kinder- und Jugendbuchpreis (Deutschland, seit 1979)
- Premio Andersen (Italien, seit 1982)
- Michael L. Printz Award (USA, 2000)
Eine Sparte „Jugendbuch“ wird u. a. bei folgenden Literaturpreisen berücksichtigt:
- Edgar Allan Poe Award (USA, 1989)
- Los Angeles Times Book Prize (USA, 1998)
Trends
Neue Genres und Gebiete, in denen die Jugendliteratur gegenwärtig vorstößt, sind Graphic Novels, Light Novels, Mangas, Fantasy, Mystery, Liebesroman, Cyberpunk, Splatterpunk, Technothriller und die moderne christliche Literatur.
Begriffsabgrenzung
Die Unterschiede zwischen Kinder-, Jugend- und Erwachsenenliteratur sind fließend, unterliegen dem historischen Wandel und können nur lose definiert werden. Oft sind es Erwachsene, die die Grenzziehung vornehmen, um sich selbst von dieser Literatur abzugrenzen.[10]
Manche Romane, die ursprünglich für Erwachsene geschrieben worden sind, haben im Laufe der Zeit einen Rang als Jugendromane erlangt. In anderen Fällen, etwa bei den Harry Potter-Romanen, ist der umgekehrte Prozess zu beobachten.
Im englischsprachigen Raum ist die Differenzierung der fiktionalen Literatur nach Altersgruppen noch weiter vorangeschritten als in den deutschsprachigen Ländern. Als „Middle Grade Fiction“ (fiktionale Literatur für Kinder der mittleren Klassenstufen) bezeichnet man dort Literatur, die für 10- bis 12-jährige geschrieben ist. Daneben werden in den deutschsprachigen Verlagsprospekten auch „All Age“-Titel propagiert, die von vorneherein auf ein altersübergreifendes Lesepublikum von Jugendlichen und Erwachsenen bzw. „junge Erwachsene“ abzielen. (Siehe hierzu auch: Fantasy → Subgenres)
Einzelnachweise
- ↑ Z. B. Gero von Wilpert: Sachwörterbuch der Literatur, 6. Auflage 1979
- ↑ Nancy Lamb: Crafting Stories for Children, Cincinnati, Writer's Digest Books, S. 24
- ↑ The major elements of writing fiction
- ↑ Matthew Grenby: The Guardian of Education, Bristol, Thoemmes Press, 2002, ISBN 1843710110, 155
- ↑ a b Sherry Garland: Writing for Young Adults, Cincinnati, Writer's Digest Books, 1998, ISBN 0-89879-857-4, S. 6
- ↑ Frances FitzGerald: The Influence of Anxiety, Harper's, September 2004, S. 62
- ↑ Mary Owen:"Developing a Love of Reading"
- ↑ McCann, Donnarae: "Introduction." In: White Supremacy in Children's Literature. Garland Publishing. New York und London 1998, S. xiii-xxxiv.
- ↑ Siehe old.sandi.net (PDF-Datei oder Larobe, Kathy H.; Drury, Judy: Critical Approaches to Young Adult Literature, New York und London 2009
- ↑ Boundary Issues
Siehe auch
Literatur
Deutschsprachige Literatur:
- Manfred Marquardt: Einführung in die Kinder- und Jugendliteratur, Stam, 2007, ISBN 3823781219
- Isa Schikorsky: DuMont Schnellkurs Kinder- und Jugendliteratur, Dumont, 2003, ISBN 3832176004
Englischsprachige Literatur:
- Katherine T. Bucher, KaaVonia M. Hinton: Young Adult Literature: Exploration, Evaluation and Appreciation, Prentice Hall, 2009, ISBN 0137145322
- Pam Cole: Young Adult Literature in the 21st Century, McGraw-Hill, 2008, ISBN 0073525936
- Alleen P. Nilsen, Kenneth L. Donelson: Literature for Today’s Young Adults, Allyn & Bacon, 2008, ISBN 0205593232
- Carl M. Tomlinson, Carol Lynch-Brown: Essentials of Young Adult Literature, Allyn & Bacon, 2006, ISBN 0205290140
Weblinks
- Alte Jugendbücher Über 1000 alte Jugendbücher mit Abbildungen und Informationen
- Teens buying books at fastest rate in decades (engl.)
- Teens reading more challenging books (engl.)
- Young Adult Fiction: Wild Things (engl.)
- Now and Forever: The Power of Sex in Young Adult Literature (pdf) Jugendliteratur und Sexualität (engl.)
Wikimedia Foundation.