Maligne Hyperthermie

Maligne Hyperthermie
Klassifikation nach ICD-10
T88.3 Maligne Hyperthermie
ICD-10 online (WHO-Version 2011)

Die maligne Hyperthermie (MH, veraltet auch maligne Hyperpyrexie, Narkose-Hyperthermie-Syndrom) ist eine sehr seltene lebensbedrohliche Erkrankung, die als Komplikation einer Narkose (Allgemeinanästhesie) in Erscheinung tritt. Durch die Verabreichung von auslösenden Substanzen (Triggern) wird bei entsprechender genetischer Veranlagung eine Stoffwechselentgleisung in der Skelettmuskulatur verursacht.

Die Symptomatik ist sehr variabel und umfasst Muskelstarre, Herzrasen, eine erhöhte Produktion von Kohlenstoffdioxid (CO2) und Temperaturerhöhung bis hin zur Übersäuerung des Körpers sowie Stoffwechsel- und Organversagen, die letztlich zum Tod führen können. Durch sofortige Unterbrechung der Narkosemittel-Zufuhr und Behandlung mit dem Wirkstoff Dantrolen kann eine maligne Hyperthermie wirksam behandelt werden. Durch dessen Einführung konnte in der Vergangenheit die Sterblichkeit stark gesenkt werden.

Bei Verdacht auf eine Veranlagung zur malignen Hyperthermie stehen der In-vitro-Kontrakturtest sowie molekularbiologische Verfahren zur Verfügung, um diese abzuklären. Die Durchführung einer Narkose ist in solchen Fällen auch ohne auslösende Substanzen möglich.

Neben Menschen ist ein Vorkommen auch bei anderen Säugetieren bekannt wie etwa bei Schweinen, Hunden und Pferden, weshalb diese in der Forschung als Tiermodell genutzt werden.

Inhaltsverzeichnis

Epidemiologie

Die Häufigkeit (Prävalenz) der genetischen Disposition liegt unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit bei etwa 1:3000 bis 1:10.000. Angaben zur Häufigkeit eines klinischen Auftretens variieren von 1:5.000 bis 1:100.000 Narkosen. Die meisten Autoren gehen von etwa einem Fall pro 20.000 Narkosen aus, wobei fulminante Krisen mit 1:60.000 deutlich seltener sind. Die maligne Hyperthermie tritt in jeder Altersstufe auf, junge Patienten sind jedoch häufiger betroffen. Das Durchschnittsalter liegt bei etwa 18 Jahren, zudem tritt die MH öfter bei Männern (2:1) auf. Die Mehrzahl der Patienten mit einer aufgetretenen malignen Hyperthermie hatte bereits vorherige Narkosen mit unauffälligem Verlauf. Aufgrund des abnehmenden Einsatzes der Triggersubstanzen (insbesondere Halothan und Succinylcholin) ist die Häufigkeit rückläufig. Die Sterblichkeitsrate (Letalität) wurde in der Vergangenheit durch verbesserte Ausbildung und Patientenüberwachung sowie die Entwicklung von Dantrolen von über 90 % auf unter 5 % gesenkt. Im Durchschnitt wird die Erkrankung im Fall eines Auftretens heute früher erkannt.[1]

Am häufigsten tritt die maligne Hyperthermie bei Hausschweinen auf, insbesondere bei schnellwüchsigen Rassen mit hohem Skelettmuskelansatz wie Pietrain. In einigen Zuchtlinien können bis zu 95 % der Tiere betroffen sein.[2] Bei Schweinen kann bereits Stress als Auslöser der Erkrankung ausreichen, man spricht dann vom Porcinen Stress-Syndrom (PSS). Die Fleischqualität dieser Tiere ist vermindert (→ PSE-Fleisch).

Bei Haushunden wird die Prävalenz mit 1:15.000 angegeben, womit die Erkrankung eine sehr seltene Komplikation darstellt. Eine genetische Prädisposition ist beim Greyhound nachgewiesen.[3]

Ursachen und Entstehungsmechanismen

Normale Skelettmuskelkontraktion

Hauptartikel: Kontraktiler Mechanismus

Die physiologische Kontraktion des Skelettmuskels erfolgt durch die Freisetzung von Calciumionen aus dem Speichersystem der Zelle, dem sarkoplasmatischen Retikulum. Zur Auslösung einer Muskelkontraktion wird über die motorische Endplatte ein elektrischer Impuls (Aktionspotential) eines motorischen Nerven auf die Muskelzelle übergeleitet. Dadurch kommt es in Ausstülpungen der Zellmembran (T-Tubuli) zur Aktivierung eines spannungsgesteuerten Ionenkanals. Dieser steht in räumlichem Kontakt zu einem Calciumkanal des sarkoplasmatischen Retikulums, dem Ryanodin-Rezeptor, der in der Folge geöffnet wird. Durch das in das Zellinnere (Zytosol) strömende Calcium wird die Kontraktion der Aktin- und Myosinfilamente ermöglicht, der Muskel zieht sich zusammen. Diese Verbindung eines Aktionspotentials mit der Muskelkontraktion wird als elektromechanische Kopplung bezeichnet.[4]

Vorgänge bei der malignen Hyperthermie

Bei einer malignen Hyperthermie liegen genetische Veränderungen (Mutationen) des Ryanodin- oder Dihydropyridin-Rezeptors vor. Durch die Verabreichung von Triggersubstanzen wird eine massive und unkontrollierte Calciumfreisetzung innerhalb der Muskelzelle ausgelöst. Dadurch kommt es zu einer Aktivierung der Muskelfasern. Da sowohl die Wiederaufnahme des Calciums in das sarkoplasmatische Retikulum als auch die Lösung der kontraktilen Filamente im Anschluss an das Kontrahieren energieabhängige Prozesse sind, die ATP benötigen, kommt es rasch zu einem Energiemangel in der Zelle. Die Calciumionen führen zu einer starken Steigerung des Zellstoffwechsels (aerobe Energiegewinnung, später auch anaerober Stoffwechsel), was zu einem erhöhtem Sauerstoffumsatz und Kohlenstoffdioxid- sowie Wärmeproduktion führt. Diese Prozesse finden anfangs isoliert im Skelettmuskel statt. Im Verlauf kommt es zum Zelluntergang und Muskelzerfall (Rhabdomyolyse), was einen Sauerstoffmangel (Hypoxie), vermehrte Kohlenstoffdioxidanreicherung (Hyperkapnie) sowie eine starke Übersäuerung (Laktatazidose) und Überwärmung (Hyperthermie) des gesamten Körpers verursacht. Dies wirkt sich in der Folge (sekundär) schädigend auf andere Organe aus (vgl. Klinisches Bild). Ob neben dem Skelettmuskel auch an anderen Organen die genetischen Veränderungen eine Rolle spielen und dort zu Störungen führen, ist unklar. Die Herzmuskulatur ist von den Mutationen des Ryanodin-Rezeptors nicht betroffen.[5]

Genetik

Sechs verschiedene Genorte auf verschiedenen Chromosomen konnten bislang mit der malignen Hyperthermie in Verbindung gebracht werden.[6] Die häufigste Ursache ist eine von etwa 100 bekannten Punktmutationen des Ryanodin-Rezeptor-kodierenden Gens RYR1 auf Chromosom 19, die sich bei über 80 % der MH-Patienten nachweisen lassen (MH-susceptibility 1). Daneben können auch Mutationen auf dem Gen des Dihydropyridin-Rezeptors und anderer Proteine ursächlich für eine maligne Hyperthermie sein (MH-susceptibility 2–6). Während Punktmutationen in den meisten Fällen den Austausch einer einzelnen Aminosäure bewirken, sind auch Deletionen und Insertionen bekannt. Die Vererbung der Mutationen erfolgt beim Menschen autosomal-dominant.

Patienten mit einer Central-Core-Myopathie und einer Multiminicore-Myopathie können eine MH-Disposition aufweisen. Diesen seltenen Muskelerkrankungen liegen häufig ebenfalls Mutationen des RYR1-Gens zugrunde.[7][8] Auch bei anderen Muskelkrankheiten wie der periodischen hypokaliämischen Lähmung, der kaliumsensitiven Myotonie (Myotonia fluctuans) oder dem seltenen King-Denborough-Syndrom kann eine MH-Disposition bestehen.[9]

Es gibt Evidenz dafür, dass eine Disposition für einen durch Sport ausgelöster Hitzschlag und MH auf dieselbe genetische Anlage zurückzuführen ist.[10][11]

Triggersubstanzen

Verdampfer mit Inhalationsanästhetika (Sevofluran, Isofluran)

Auslösende Triggersubstanzen sind gasförmige Inhalationsanästhetika und depolarisierende Muskelrelaxanzien (Succinylcholin). Vergiftungen, Drogenkonsum, körperliche Anstrengung oder Angst können als Kofaktoren für die Auslösung eine Rolle spielen, in Einzelfällen auch die alleinige Ursache sein. Die anderen in der Anästhesie genutzten Pharmaka (Lachgas, Opioide, Schlafmittel, Benzodiazepine, nichtdepolarisierende Muskelrelaxanzien) sind sicher und können auch bei MH-Disposition genutzt werden.

Neben Halothan können Koffein, Ryanodin und Kresole eine maligne Hyperthermie auslösen, was für diagnostische Zwecke im Labor genutzt wird (Kontrakturtest, s. u.). Durch die Aufnahme von Koffein mit der Nahrung oder die Verabreichung kresolhaltiger Medikamente wie Heparin oder Insulin ist keine Gefährdung zu erwarten.[12]

Klinisches Bild und Akutdiagnostik

Die Ausprägung der malignen Hyperthermie ist sehr variabel, dadurch ist die Diagnose schwierig. Frühe Zeichen sind eine erhöhte Kohlenstoffdioxidkonzentration (Hyperkapnie) der Atemluft, eine Erhöhung der Herzfrequenz (Tachykardie), eine Muskelstarre (Rigor), eine Verkrampfung des Musculus masseter (Masseterspasmus), eine Übersäuerung des Körpers (metabolische Azidose) und ein Sauerstoffmangel (Hypoxie). Der namensgebende Temperaturanstieg (Hyperthermie) ist ein Spätzeichen, ebenso wie Herzrhythmusstörungen, Blutdruckabfall (Hypotonie), Muskelzerfall (Rhabdomyolyse) und Kaliumfreisetzung (Hyperkaliämie).

Neben den Standard-Überwachungsmaßnahmen (EKG, Blutdruckmessung, Pulsoxymetrie, Kapnometrie) sind zur Sicherung der Diagnose und zur Verlaufskontrolle die frühzeitige und wiederholte Entnahme von Blutproben (Blutgasanalyse, Elektrolyte, CK, Transaminasen, Laktat und Myoglobin) notwendig.

Es werden folgende Verlaufsformen der malignen Hyperthermie unterschieden:

  • Die fulminante maligne Hyperthermie entwickelt sich, einmal in Gang gekommen, krisenhaft rasant. Das erste Zeichen ist ein schneller, enormer Anstieg der endexspiratorisch gemessenen CO2-Konzentration, verbunden mit einem Anstieg der Herzfrequenz. Eine fulminante MH-Krise liegt vor, wenn der CO2-Gehalt (Partialdruck) im Blut über 8,0 kPa (60 mmHg) beträgt (Normalwert bis 6,0 kPa; 45 mmHg), ein Basendefizit von > 8 mmol/l (Normalwert bis 3 mmol/l) als Zeichen einer schweren metabolischen Azidose vorliegt und/oder ein rascher Temperaturanstieg ohne andere Ursache auf über 38,8 °C gemessen werden kann. Im weiteren Verlauf kommt es zu einer zunehmenden Beeinträchtigung des Kreislaufes mit reflektorischer Erhöhung des Herzminutenvolumens, Tachykardie, Blutdruckabfall und Schädigung des Herzmuskels. Wird die Krise nicht schnell erkannt und behandelt, kommt es durch die Stoffwechselstörungen zu Organschäden wie einem Nierenversagen (Crush-Niere), Schäden des Gehirns (Hirnödem), Blutgerinnungsstörungen (Verbrauchskoagulopathie), und Herz-Kreislaufversagen, die letztlich zum Multiorganversagen und zum Tod führen. Die Ausbildung und Entwicklung einer fulminanten MH geschieht innerhalb von Minuten bis wenigen Stunden.
  • Die abortive maligne Hyperthermie beginnt schleichender, oft erst Stunden, nach der Triggerexposition. Diese Form der malignen Hyperthermie ist wesentlich häufiger, durch ihr sehr variables klinisches Bild aber oft schwer zu diagnostizieren. Differenzialdiagnostisch kommen bei entsprechender Symptomatik vor allem eine Sepsis, eine thyreotoxische Krise, ein malignes Neuroleptika-Syndrom oder ein Phäochromozytom in Frage. Ein abortiver Verlauf kann sich jederzeit zu einer fulminanten Krise entwickeln (exazerbieren).
  • Bei einem Masseterspasmus handelt es sich um eine starke, akute Verkrampfung des Musculus masseter am Kiefer, die typischerweise nach der Gabe von Succinylcholin auftritt und im Rahmen der endotrachealen Intubation durch eine erschwerte oder unmögliche Mundöffnung auffällt. Während dieses Symptom oft isoliert auftritt, kann es auch eine sich schnell entwickelnde Verlaufsform ankündigen. Eine weitere Manifestation, die ohne weitere Symptome vorkommen kann, ist eine dunkle Verfärbung des Urins durch eine Myoglobinurie in Folge einer Muskelschädigung (Rhabdomyolyse), wenn Triggersubstanzen im Rahmen einer Narkose verwendet wurden.[13][14]

Therapie

Die Therapie muss nach Diagnosestellung schnell eingeleitet und konsequent weitergeführt werden. Die Maßnahmen sind sehr personalintensiv, zusätzliche Unterstützung muss frühzeitig organisiert werden.

Die sofortige Beendigung der Zufuhr von Triggersubstanzen ist vorrangig. Beim Einsatz von Inhalationsanästhetika wird der Verdampfer vom Narkosegerät entfernt und die Beatmung mit hohem Frischgasfluss (100 % Sauerstoff) durchgeführt, um eine Rückatmung der Gase zu minimieren. Wenn machbar - abhängig vom Narkosegerät -, wird das CO2-Absorbervolumen (Atemkalk) deutlich erhöht. Ebenfalls erhöht wird das Atemminutenvolumen , um das stark angestiegene CO2 abzuatmen. Die Narkose wird mit intravenösen Medikamenten ohne Triggerwirkung fortgeführt. (Total intravenöse Anästhesie, TIVA).

Strukturformel von Dantrolen

Entscheidend für die Prognose ist die spezifische Therapie durch schnellstmögliche Infusion des Wirkstoffs Dantrolen. Dieser ist ein Hydantoin-Derivat, das die Calciumfreisetzung aus dem sarkoplasmatischen Retikulum hemmt. Dantrolen ist der einzige verfügbare Wirkstoff, der eine ursächliche (kausale) Therapie ermöglicht. Er muss in jedem OP-Bereich ausreichend verfügbar sein. Dantrolen wird so oft wiederholt infundiert, bis eine klinische Wirkung einsetzt, um es im Anschluss kontinuierlich weiter zu verabreichen. Dantrolen hat eine leicht muskelrelaxierende Wirkung. Meistens jedoch ist nach Beendigung der Narkose trotzdem eine ausreichende Spontanatmung möglich.

Parallel wird eine symptomatische Therapie durchgeführt. Dazu gehört die Stabilisierung des Kreislaufes, ein Ausgleich der metabolischen Azidose sowie der Elektrolytstörungen, insbesondere der eines hohen Kaliumspiegels (Hyperkaliämie), eine Steigerung der Urinproduktion (Diurese) sowie unter Umständen die Behandlung von Herzrhythmusstörungen. Da die Hyperthermie ein Spätsymptom ist, ist eine aktive Kühlung (äußere Maßnahmen, kalte Infusionslösungen) bei erhöhter Körpertemperatur erst im Verlauf notwendig. Die forcierte Diurese erfordert einen Blasen-Dauerkatheter, über den ebenfalls eine Kühlung (hypothermische Spülung) erfolgen kann. Durch die Verabreichung von Heparin kann Gerinnungsstörungen entgegengewirkt werden. Die Gabe von Kalziumantagonisten ist unwirksam und kann bei gleichzeitiger Dantrolengabe zu Schäden am Herzmuskel führen, sie ist deshalb nicht angezeigt (kontraindiziert).

Die Kreislaufüberwachung sollte mittels invasiver Blutdruckmessung über einen arteriellen Zugang durchgeführt werden. Nach der initialen Stabilisierung des Patienten ist die Weiterbehandlung auf einer Intensivstation notwendig.[14]

Prävention

Diagnostik der MH-Veranlagung

Die Indikation zur abklärenden Diagnostik besteht nach einem Narkosezwischenfall oder dem Verdacht auf das Vorliegen einer familiären Veranlagung. Patienten mit nachgewiesener Hyperthermieneigung (MH-susceptible MHS) werden über die Gefahren der Exposition mit Triggersubstanzen aufgeklärt und erhalten einen Anästhesieausweis mit entsprechender Warnung.

In-vitro-Kontraktur-Test

Der In-vitro-Kontraktur-Test (IVKT, IVCT) ist ein empfindliches und spezifisches Verfahren (Sensitivität 94 %, Spezifität 99 %) und stellt den Goldstandard der MH-Diagnostik dar.[15]

Hierbei wird in Regionalanästhesie eine Muskelbiopsie aus dem Oberschenkel (Musculus vastus lateralis oder Musculus vastus medialis) entnommen und gemäß dem europäischen Testprotokoll den Triggern Halothan (aufsteigende Dosierungen von 0,5; 1,0; 2,0; 3,0 und ggf. 4,0 Volumenprozent) und Koffein ( aufsteigende Dosierungen von 0,5 bis 32 mmol/l) ausgesetzt. Bei Patienten mit MH-Veranlagung tritt eine Kontraktion der entnommenen Probe auf, diese werden als MH-susceptible (MHS) bezeichnet, bei negativer Reaktion als MH-nonsusceptible (MHN). Die Reaktion auf nur eines der beiden Agenzien tritt bei 10 % der Patienten auf (MH-equivocal, MHE), auch diese gelten als gefährdet, obwohl eine abschließende wissenschaftliche Beurteilung solcher Fälle aussteht. Neben dieser Definition der European Malignant Hyperthermia Group[16] existiert eine Testvariante der North American Malignant Hyperthermia Group, nach der auch eine positive Reaktion auf nur einen der beiden Trigger als MH-susceptible bezeichnet wird.[17]

Der Verlässlichkeit des IVCT steht der Nachteil der Invasivität gegenüber. Die Diagnostik sollte frühestens drei Monate nach einem Zwischenfall erfolgen, aufgrund einer möglichen Altersabhängigkeit auch erst ab dem Schulalter.[18] Die Durchführung des In-vitro-Kontraktur-Tests ist zudem logistisch aufwendig. Zum einen wird die Untersuchung nur an wenigen spezialisierten Labors angeboten, zum anderen ist das Untersuchungsergebnis nur am frischen Muskelpräparat aussagekräftig, weswegen von der Entnahme bis zum Abschluss der Untersuchungen höchstens fünf Stunden vergehen dürfen.

Die diagnostische Wertigkeit des IVCT bei unklaren muskulären Symptomen oder einer erhöhter Aktivität der Creatin-Kinase im Blutserum ungeklärter Ursache wird uneinheitlich beurteilt.[19][20]

Molekulargenetische Diagnostik

Bei einem positiven IVCT kann eine molekulargenetische Diagnostik angeschlossen werden, um die zugrundeliegende Mutation zu identifizieren.[21] Dazu reicht eine eingeschickte Blutprobe aus, was die Durchführbarkeit einfach gestaltet, eine Altersbeschränkung besteht nicht. Eine initiale genetische Testung (ohne vorherigen Kontraktionstest) ist wegen der Heterogenität der MH-Veranlagung und der damit bedingten Unsicherheit, Betroffene nicht zu erkennen oder Nicht-Betroffenen falsch zu diagnostizieren, nicht sinnvoll. Ist eine Mutation identifiziert, wird auch den Familienangehörigen eine Untersuchung angeboten. Allerdings stimmen in etwa 5 % die Ergebnissen von Genstatus und IVCT nicht überein, so dass negativ getesteten Personen zum weitgehend sicheren Ausschluss ein IVCT empfohlen wird.[18][21]

Narkosedurchführung

Im Prämedikationsgespräch wird anamnestisch nach dem Auftreten der MH in der Familie des Patienten gesucht. Besteht ein Verdacht, wird vor geplanten Eingriffen eine entsprechende Testung durchgeführt.

Wenn für den Eingriff geeignet, können Regionalanästhesieverfahren bei Patienten mit MH-Risiko (genetische Prädisposition, vorhandene risikobehaftete Muskelerkrankung) in der Regel gefahrlos eingesetzt werden. Ist eine Allgemeinanästhesie notwendig, wird auf die Triggersubstanzen (Succinylcholin, Inhalationsanästhetika) verzichtet und eine total intravenöse Anästhesie (TIVA) durchgeführt. Das Narkosegerät muss zuvor mit reinem Sauerstoff durchspült werden, der Narkosegasverdampfer wird entfernt. Eine prophylaktische Gabe von Dantrolen ist nicht angezeigt.[22]

Geschichtliche Aspekte

Schon in den Anfangszeiten der Anästhesie, als Äther- und Chloroformnarkosen die Regel waren, wurde über „Hitzschläge“ und „Ätherkrämpfe“ berichtet, denen wahrscheinlich eine maligne Hyperthermie zugrunde lag.[23] Die ersten Veröffentlichungen über solche Ereignisse in der internationalen Fachliteratur gehen auf das Jahr 1900 zurück. Den Zusammenhang zwischen genetischer Disposition und der Auslösung durch die Allgemeinanästhesie beschrieb Michael Denborough 1962 in Australien.[24] Dieser hatte den Fall eines jungen Studenten untersucht, der wegen eines Unterschenkelbruches operiert worden war und nach Verabreichung von Halothan die Symptome einer fulminanten malignen Hyperthermie entwickelt hatte. Der Patient wurde mit Eis gekühlt und überlebte die Krise. Es stellte sich heraus, dass zuvor bereits zehn nahe Verwandte bei Narkosen verstorben waren.[25] Verläufe bei Schweinen nach der Gabe von Succinylcholin wurden wenig später veröffentlicht.[26] Die Wirksamkeit von Dantrolen zur Behandlung der malignen Hyperthermie wurde 1975 zunächst ebenfalls bei Schweinen nachgewiesen[27] und 1982 in einer klinischen Studie auch beim Menschen bestätigt.[28] 1983 wurde der Kontrakturtest zur Diagnose der MH eingeführt, der seit 2001 durch die genetische Diagnostik ergänzt wird. Bereits 1990 hatten zwei Arbeitsgruppen unabhängig voneinander den Genort der meisten MH-assoziierten Mutationen identifiziert.[29][30]

Literatur

  • Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI): Empfehlung zur Therapie der malignen Hyperthermie. Revidierte Version 2008. Anästh Intensivmed 2008;49:483-488 (PDF, 108 KB)
  • Anetseder M, Roewer N: Maligne Hyperthermie. in: Rossaint, Werner, Zwissler (Hrsg.): Die Anästhesiologie. Allgemeine und spezielle Anästhesiologie, Schmerztherapie und Intensivmedizin. Springer, Berlin; 2. Auflage 2008. ISBN 978-3540763017
  • Rüffert H, Wehner M, Deutrich C, Olthoff D: Maligne Hyperthermie – The ugly. Anaesthesist. 2007 Sep;56(9):923–9. Review. PMID 17565473
  • Rosenberg H, Davis M, James D, Pollock N, Stowell K: Malignant hyperthermia. Orphanet J Rare Dis. 2007 Apr 24;2:21. Review. PMID 17456235
  • Rosenberg H, Sambuughin N: Malignant Hyperthermia Susceptibility GeneReviews. University of Washington, Seattle, 2006.
  • Steinfath M, Wappler F, Scholz J: Maligne Hyperthermie. Allgemeine, klinische und experimentelle Aspekte. Anaesthesist. 2002 Apr;51(4):328–45. Review. PMID 12063729

Einzelnachweise

  1. Rosenberg et al. 2007; Anetseder und Roewer 2008, S. 1315
  2. Wolfgang Löscher: Narkotika. In: Löscher/Ungemach (Hrsg.): Pharmakotherapie bei Haus- und Nutztieren. Paul Parey, 7. erw. Aufl. 2006, S. 66–82. ISBN 978-3-8304-4160-1
  3. Roman T. Skarda: Maligne Hyperthermie. In: In: Peter F. Suter und Hans G. Niemand (Hrsg.): Praktikum der Hundeklinik. 10. Auflage. Paul-Parey-Verlag, Stuttgart 2006, ISBN 3-8304-4141-X, S. 146.
  4. Schmidt, Lang (Hrsg.): Physiologie des Menschen: Mit Pathophysiologie. S. 115–121. Springer, Berlin; 30. Auflage 2007. ISBN 978-3540329084
  5. Rüffert et al. 2007, S. 923ff; Rosenberg et al. 2007
  6. Online Mendelian Inheritance in ManMalignant Hyperthermia Susceptibility (abgerufen Oktober 2008)
  7. Monnier et al.: A homozygous splicing mutation causing a depletion of skeletal muscle RYR1 is associated with multi-minicore disease congenital myopathy with ophthalmoplegia. Hum Mol Genet 2003;12:1171-1178 PMID 12719381
  8. Zhang et al.: A mutation in the human ryanodine receptor gene associated with central core disease. Nature Genet 1993;5:46-50 PMID 8220422
  9. Rosenberg und Sambuughin 2007; Rosenberg et al. 2007; Anetseder und Roewer 2008, S. 1316
  10. Protasi F et al: Calsequestrin-1: a new candidate gene for malignant hyperthermia and exertional/environmental heat stroke. J Physiol. 2009 Jul 1;587(Pt 13):3095-100
  11. Bendahan et al: A noninvasive investigation of muscle energetics supports similarities between exertional heat stroke and malignant hyperthermia. Anesth Analg. 2001 Sep;93(3):683-9.
  12. Anetseder und Roewer 2008; Rosenberg et al. 2007, Rüffert et al. 2007
  13. Rosenberg et al. 2007; Anetseder und Roewer 2008, S. 1317–8
  14. a b Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI): Empfehlung zur Therapie der malignen Hyperthermie. Revidierte Version 2008.
  15. Ording H, Brancadoro V, Cozzolino S et al: In vitro contracture test for diagnosis of malignant hyperthermia following the protocol of the European MH Group: results of testing patients surviving fulminant MH and unrelated low-risk subjects. The European Malignant Hyperthermia Group. Acta Anaesthesiol Scand. 1997 Sep;41(8):955-66. PMID 9311391
  16. http://www.emhg.org/index.php?eID=tx_nawsecuredl&u=0&file=fileadmin/EMHG/redaktion/Guidelines/IVCTGuidelines.pdf&t=1273004388&hash=cad3f0f69aa941eb7ff64c81c6d2f9a0
  17. Larach MG: Standardization of the caffeine halothane muscle contracture test. North American Malignant Hyperthermia Group. Anesth Analg. 1989 Oct;69(4):511-5. PMID 2675676
  18. a b Anetseder 2008, S. 1321; Rosenberg 2007
  19. Malandrini et al.: Muscle biopsy and in vitro contracture test in subjects with idiopathic HyperCKemia. Anesthesiology. 2008;109(4):625-8. PMID 18813041
  20. Weglinski et al.:Malignant Hyperthermia Testing in Patients with Persistently Increased Serum Creatine Kinase Levels Anesth Analg. 1997;84(5):1038-41. PMID 9141928
  21. a b Urwyler A, Deufel T, McCarthy T, West S; European Malignant Hyperthermia Group: Guidelines for molecular genetic detection of susceptibility to malignant hyperthermia. Br J Anaesth. 2001 Feb;86(2):283-7. PMID 11573677
  22. Rosenberg et al. 2007, Anetseder und Roewer 2008
  23. Harrison GG, Isaacs H: Malignant hyperthermia. An historical vignette. Anaesthesia. 1992 Jan;47(1):54-6. PMID 1536407
  24. Denborough MA, Forster JF, Lovell RR, Maplestone PA, Villiers JD: Anaesthetic deaths in a family. Br J Anaesth. 1962 Jun;34:395-6. PMID 13885389
  25. Denborough MA: Malignant hyperthermia. 1962. Anesthesiology. 2008 Jan;108(1):156-7. PMID 18156894
  26. Hall LW, Woolf N, Bradley JW, Jolly DW: Unusual reaction to suxamethonium chloride. Br Med J. 1966 Nov 26;2(5525):1305. PMID 5924819
  27. Harrison GG: Control of the malignant hyperpyrexic syndrome in MHS swine by dantrolene sodium. Br J Anaesth. 1975 Jan;47(1):62-5. PMID 1148076
  28. Kolb ME, Horne ML, Martz R: Dantrolene in human malignant hyperthermia. Anesthesiology. 1982, Apr;56(4):254-62. PMID 7039419
  29. McCarthy et al.: Localization of the malignant hyperthermia susceptibility locus to human chromosome 19q12-13.2. Nature. 1990 Feb 8;343(6258):562-4. PMID 2300206
  30. MacLennan et al.: Ryanodine receptor gene is a candidate for predisposition to malignant hyperthermia. Nature. 1990 Feb 8;343(6258):559-61. PMID 1967823

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