Preußenputsch

Preußenputsch

Mit dem Preußenschlag (auch Preußenputsch genannt) wurde am 20. Juli 1932 die geschäftsführende, aber nicht mehr durch eigene parlamentarische Mehrheit gestützte Regierung des Landes Preußen durch einen Reichskommissar ersetzt. So ging die Staatsgewalt im größten Land des Deutschen Reiches auf die Reichsregierung über, die föderalistische und republikanische Verfassung der Weimarer Republik wurde geschwächt und die spätere Zentralisierung des Reiches unter Hitler entscheidend erleichtert.

Inhaltsverzeichnis

Situation nach den Landtagswahlen vom 24. April 1932

Der Freistaat Preußen war seit 1920 von einer stabilen Koalition (Preußenkoalition) aus SPD, Zentrum und Deutscher Demokratischer Partei regiert worden. Bei den preußischen Landtagswahlen am 24. April 1932 errangen die NSDAP 162 und die KPD 57 (zusammen also 219 Sitze) von insgesamt 423 Mandaten. Alle anderen Parteien zusammen erhielten nur 204 Sitze. Ohne eine der extremen Parteien konnte also keine – mit parlamentarischer Mehrheit versehene – Regierung gebildet werden, was dazu führte, dass nach dem formalen Rücktritt der gesamten bisherigen Landesregierung diese entsprechend dem Artikel 59 der Landesverfassung[1] geschäftsführend im Amt blieb. Diese Lage ähnelte der anderer Länder (Bayern, Sachsen, Hessen, Württemberg und Hamburg), mit denen sich die Reichsregierung jedoch nicht befasste.

Vorgehen von Papen und Hindenburg

Rechnerisch möglich war in Preußen eine Mitte-Rechts-Regierung aus NSDAP (162 Sitze) und Zentrum (67 Sitze) mit einer Mehrheit von 229 Sitzen. Zusammen mit den 31 Sitzen der DNVP hätte diese Koalition sogar 260 von 423 Sitzen gehabt. Eine solche Koalition strebte Reichskanzler Franz von Papen an, die NSDAP aber beanspruchte die Macht für sich allein. Per Brief forderte (der formal unzuständige) Papen am 7. Juni 1932 den der NSDAP angehörigen Landtagspräsidenten Hanns Kerrl auf, die geschäftsführende preußische Regierung durch eine gewählte zu ersetzen, was dieser jedoch aufgrund des Scheiterns von Koalitionsverhandlungen nicht gewährleisten konnte.

Daraufhin visierte Papen Alternativen an: Die erste hätte theoretisch in der Durchführung einer schon länger debattierten Reichsreform bestanden, die Preußen aufgelöst bzw. aufgeteilt hätte. Weil dieser Weg erst mittelfristig zum Ziel geführt hätte, schwer erreichbar und hochumstritten war, favorisierte Papen eine andere Möglichkeit. Er plante, die Reichswehr in Preußen einzusetzen und einen Reichskommissar zu berufen. In ähnlicher Weise war schon 1923 auf Drängen der Rechtsparteien unter Billigung durch Reichspräsident Friedrich Ebert (SPD), angesichts demokratisch gewählter Linksregierungen unter Einschluss der Kommunisten in Sachsen und Thüringen, von der Reichsexekution mit der Begründung Gebrauch gemacht worden, Ruhe und Ordnung seien in diesen Ländern gefährdet. Diese Voraussetzung schien im Sommer 1932 auch für Preußen zuzutreffen. Die Sicherheitslage hatte sich nach der durch die Regierung Papen erfolgten Aufhebung des von der Vorgängerregierung Heinrich Brüning ausgesprochenen Verbotes der SA wieder verschlechtert.

Dies war besonders während der bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen und dem unglücklich verlaufenden Polizeieinsatz am Altonaer Blutsonntag vom 17. Juli 1932 spürbar. Allerdings unterschied sich die Lage in Preußen von der Reichsexekution gegen Sachsen des Jahres 1923 merklich dadurch, dass damals an der Verfassungstreue und dem polizeilichen Handlungswillen der sächsischen Linksregierung tatsächlich Zweifel bestanden[2], an der von Preußen aber keinesfalls. Schon am 14. Juli hatte Reichspräsident Paul von Hindenburg per Verordnung den Reichskanzler Papen als Reichskommissar für Preußen eingesetzt. Dieser hatte die Vollmacht erhalten, die preußische Landesregierung zu einem ihm geeignet erscheinenden Zeitpunkt abzusetzen. Papen wählte dazu den 20. Juli. Eine dritte Alternative, die darin bestanden hätte, abzuwarten und die geschäftsführende Minderheitsregierung Preußens im Amt zu belassen und darauf zu vertrauen, dass sie die Lage auch ohne parlamentarische Mehrheit in den Griff bekommen würde, wählte Papen von vorne herein nicht.

Ablauf des Preußenschlages

Die Verordnung des Reichspräsidenten von Hindenburg über den Ausnahmezustand an einer Berliner Litfassäule, Aufnahme aus dem Bundesarchiv

Am Mittwoch, dem 20. Juli 1932, begann um 10:00 Uhr mit der Einbestellung des amtierenden preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun, des Innenministers Carl Severing und dessen Kollegen vom Finanzressort in die Reichskanzlei der sogenannte Preußenschlag. Ihnen wurde die Hindenburg-Verordnung mitgeteilt, die ergangen sei, da – so Papen – „die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Preußen nicht mehr gewährleistet erscheine“. Dagegen verwahrte sich die Landesregierung Preußens: Preußen hätte ebenso viel für die Sicherheit getan, wie andere Länder auch, obgleich es die meisten und größten Gefahrenzonen besitze. Damit bestritt die Regierung Severing explizit die Berechtigung der Notverordnung nach Artikel 48 WRV, da sie keine auf ihrer Seite liegende Pflichtverletzung gegenüber Reichsverfassung und -gesetzen sah. Den Vorschlag Papens, die Amtsgeschäfte freiwillig abzugeben beantwortete Severing abschlägig: Er „weiche nur der Gewalt“. Die Reichswehr verhängte noch in derselben Stunde den militärischen Ausnahmezustand und besetzte das preußische Innenministerium, das Berliner Polizeipräsidium und die Zentrale der Schutzpolizei.

Polizei-Vizepräsident Dr. Weiss (rechts) und der Kommandeur der Schutzpolizei Heimannsberg (links) welche während des Preußenschlags verhaftet wurden.

Der Berliner Polizeipräsident Albert Grzesinski, sein Stellvertreter Dr. Bernhard Weiß, dem gegenüber sich übrigens Goebbels als Gauleiter der NSDAP Berlin wegen dessen jüdischer Herkunft häufig üble Verleumdungsattacken in der Öffentlichkeit herausnahm, und der Kommandeur der Schutzpolizei, Magnus Heimannsberg, wurden in Arrest genommen und erst entlassen, als sie sich per Unterschrift verpflichtet hatten, dass sie keinerlei Amtshandlungen mehr vornehmen würden.

Diese Entwicklung vollzog sich bis weit in das Jahr 1933 hinein. Mit den Eingriffen gegenüber der Polizei wurde in Preußen ein wesentlicher Teil des Machtapparates der Weimarer Republik lahmgelegt. Es gab auch deshalb keinen wirklichen Widerstand, weil der SPD-Vorstand schon am 16. Juli beschlossen hatte, die Rechtsgrundlage der Verfassung auf keinen Fall zu verlassen.

Mitglieder der Kommissariatsregierung

  • Inneres und Stellvertreter des Reichskommissars: Franz Bracht, bisheriger Oberbürgermeister von Essen
  • Handel: Friedrich Ernst, Reichskommissar für Bankenaufsicht im Kabinett Brüning
  • Finanzen: Franz Schleusener, Staatssekretär im preuß. Finanzministerium
  • Justiz: Heinrich Hölscher, Staatssekretär im preuß. Justizministerium
  • Kultus: Aloys Lammers, Staatssekretär im preuß. Kultusministerium
  • Landwirtschaft: Fritz Mussehl, Ministerialdirektor im preuß. Landwirtschaftsministerium
  • Volkswohlfahrt: Adolf Scheidt, Ministerialdirektor im preuß. Wohlfahrtsministerium

Reaktion der Staatsregierung

Die preußische Regierung lehnte es ab, auf Gewalt mit Gewalt (möglich wäre ein Zurückgreifen auf die preußische Polizei und das Reichsbanner gewesen) – oder passiv in Form eines Generalstreiks (angesichts der Arbeitslosigkeit in der Weltwirtschaftskrise kaum durchsetzbar) oder eines Aufrufs zum zivilen Ungehorsam der Beamten – zu antworten. Stattdessen reichte sie am 21. Juli 1932 eine Verfassungsklage beim Staatsgerichtshof des Reichsgerichts ein. Vertreten wurde sie dabei von Ministerialdirektor Arnold Brecht. Der Staatsgerichtshof nannte in seinem Urteil in der Sache Preußen contra Reich vom 25. Oktober die Maßnahmen des Reichskommissars Papen (der juristisch von Carl Schmitt, Erwin Jacobi und Carl Bilfinger vertreten wurde) zur Aufrechterhaltung von Ordnung und Sicherheit gerechtfertigt – jedoch behalte die Regierung Braun ihre staatsrechtliche Stellung gegenüber Landtag, Reichstag, Reichsrat und Reichsregierung. Daraufhin trat die nun staatsrechtlich rehabilitierte, aber ihrer realen Macht beraubte Braun-Regierung als sogenannte „Hoheitsregierung“ wieder zu ihren wöchentlichen Kabinettssitzungen zusammen. Die tatsächliche Macht lag aber bei den Vertretern der „Reichsexekution“, der „Kommissarsregierung“ unter Franz Bracht. Ein zeitgenössischer Witz bemerkte lakonisch: „Brecht hat Recht, Bracht die Macht“.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Vgl. Verfassung des Freistaats Preußen vom 30. November 1920
  2. siehe dazu : 1918–1933. Der „deutsche Oktober“, Kurzüberblick auf der Webseite des Deutschen Historischen Museums in Berlin

Quellen

  • Preußen contra Reich vor dem Staatsgerichtshof. Stenogramm der Verhandlungen vor dem Staatsgerichtshof in Leipzig vom 10. bis 14. und vom 17. Oktober 1932, Berlin, J.H.W. Dietz, 1933, 520 S.
  • ZSTA (Preuß. Geheim. Staatsarchiv) Merseburg, Rep. 90 a, Abt. B, Tit. III, 2 b., Nr. 6, Bd. 181 und Bd. 182 1) bis 20) (aktuell)

Literatur

  • Jürgen Bay, Der Preußenkonflikt 1932/33 – Ein Kapitel aus der Verfassungsgeschichte der Weimarer Republik. Erlangen 1965, Dissertation, Hochschulschrift
  • Ludwig Biewer, Der Preußenschlag vom 20. Juli 1932, Ursachen, Ereignisse, Folgen und Wertung. In: Blätter für deutsche Landesgeschichte. 1983, Jg. 119, S. 159ff.
  • Heribert Blaschke, Das Ende des preußischen Staates. Eine verfassungsrechtliche Untersuchung. Ensdorf /Saar 1960, Diss. der Universität des Saarlandes
  • Karl Dietrich Bracher, Die Auflösung der Weimarer Republik: eine Studie zum Problem d. Machtverfalls in d. Demokratie. Düsseldorf 1984, ISBN 3-7700-0908-8
  • Arnold Brecht, Die Auflösung der Weimarer Republik und die politische Wissenschaft. In: Zeitschrift für Politik. Dezember 1955, Jg.2 nF, Heft 4, S. 291ff.
  • Hans-Peter Ehni, Bollwerk Preußen? : Preußen-Regierung, Reich-Länder-Problem und Sozialdemokratie 1928–1932. Bonn- Bad Godesberg 1975, ISBN 3-87831-172-9
  • Henning Grund, Preußenschlag" und Staatsgerichtshof im Jahre 1932. Baden-Baden 1976, ISBN 3-7890-0209-7

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