- Aum-Sekte
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Ōmu Shinrikyō (jap. オウム真理教; zu Deutsch etwa „Om-Lehre der Wahrheit“), heutiger Name Aleph (アーレフ, Ārefu), in der deutschsprachigen Presse häufig als „Aum-Sekte“ bezeichnet, ist eine ursprünglich in Japan entstandene religiöse Gruppierung, die insbesondere in Russland stark vertreten war. Sie wurde 1995 durch einen Giftgasanschlag in der Tokioter U-Bahn, bei dem zwölf Menschen ums Leben kamen, weltweit bekannt.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Bezeichnungsproblematik
- 2 Geschichte
- 3 Organisationsstruktur
- 4 Rekrutierungspool
- 5 Ideologie
- 6 Rezeption
- 7 Quellen
- 8 Literatur
- 9 Weblinks
Bezeichnungsproblematik
Der Eigenname Aum ist im Deutschen irreführend: Um das japanische オウム (ōmu, auf deutsch eigentlich Om, das bekannteste hinduistische Mantra) im Englischen näherungsweise korrekt auszusprechen, wurde es in der englischsprachigen Presse mit Aum umschrieben – was 1995, als die Organisation aufgrund das Attentats in die Schlagzeilen geriet, von deutschsprachigen Medien typographisch unverändert übernommen wurde. Im deutschsprachigen Raum wird der Name daher meist fälschlich a-um ausgesprochen.
Die Organisation selbst hat sich mittlerweile in Aleph umbenannt, aber ist weiterhin bekannter unter dem Namen Ōmu Shinrikyō.
Geschichte
Entstehung (1984 bis 1987)
In Japan sind (Stand 2004) 182.641 verschiedene Religionsgesellschaften (宗教法人, shūkyō hōjin), also Religionsgemeinschaften (宗教団体, shūkyō dantai) mit dem Status juristischer Personen, nach dem Gesetz über die Religionsgesellschaften (宗教法人法, shūkyō hōjinhō) von 1951 anerkannt.[1] Nach der Etablierung der „klassischen“ buddhistischen und Shintō-Sekten und einer Welle von Gründungen jüngerer Kultgruppen in den 1950ern und 1960ern kam es ab Mitte der 1970er Jahre zu einer dritten Gründungswelle von Glaubensgemeinschaften.[2] Die dritte Gründungswelle, zu der auch Ōmu Shinrikyō gezählt wird, unterscheidet sich dabei von der zweiten Welle durch den höheren Status und größeren Reichtum der Sektenmitglieder.[2]
1984 gründete der stark sehbehinderte Chizuo Matsumoto unter dem Namen Ōmu Shinsen no Kai (オウム神仙の会; „Versammlung der Om-Einsiedler“) mit zunächst 15 Mitgliedern einen Verein für Yoga-Übungen, die psychische Kräfte aktivieren sollen.[3] Zu dieser Zeit ändert Matsumoto auch seinen Namen in Shōkō Asahara.[3] Nachdem er 1986 nach eigenen Angaben im Himalaja „die höchste Wahrheit“ erhalten habe, nannte er im Folgejahr den Verein in Ōmu Shinrikyō (Om-Lehre der Wahrheit) um.[3] Ōmu Shinrikyō nahm nun allmählich die Form einer religiösen Gruppierung an.
1985 traf Asahara in Dharamsala zum ersten Mal den Dalai Lama, welcher ihm offizielle Empfehlungsschreiben gegeben haben soll. Dieses Treffen und die Dokumente wurden als Referenz bei der Anwerbung von neuen Mitgliedern und bei den Bemühungen um den steuerfreien Status einer Religionsgemeinschaft benutzt.[4]
Konsolidierung, internationale Expansion und Radikalisierung (1987 bis 1995)
In den Jahren nach der Entstehung expandierte Ōmu Shinrikyō sowohl innerhalb Japans als auch über seine Grenzen hinaus. Gleichzeitig fand eine ideologische Radikalisierung statt.
Konsolidierung in Japan
In Japan etablierte sich Ōmu Shinrikyō als kleinere Minderheitenreligion. Im August 1989 erkannte die Präfektur Tokio Ōmu Shinrikyō als Religionsgesellschaft nach dem Gesetz über die Religionsgesellschaften von 1951 an,[5][6] obwohl Eltern von Mitgliedern vor der Organisation warnten.
Bereits in dieser Zeit begann die Organisation zu Gewalt zu greifen. Im November 1989 wurde in Yokohama der japanische Rechtsanwalt Tsutsumi Sakamoto, der Angehörige von Anhängern vertrat, zusammen mit seiner Frau und seinem einjährigen Sohn getötet.[7] Im Folgejahr gründete Asahara unter dem Namen Shinritō ("Wahrheit") eine politische Vertretung Ōmu Shinrikyōs und kandidierte zusammen mit 24 Anhängern für das japanische Parlament.[8] Während der Wahlkampagne trugen die Shinritō-Kandidaten ungewöhnliche Kleidung, so zum Beispiel Kapuzen, die Elefantenköpfe darstellten.[8] Bei der Wahl selbst erhielten Asahara und seine Anhänger in ihren Wahlkreisen jeweils die wenigsten Stimmen, woraufhin Asahara den Behörden Wahlbetrug vorwarf.[8] Nach der Wahl geriet Ōmu Shinrikyō in finanzielle Probleme, viele Mitglieder verließen die Organisation.
Internationale Expansion
Ab Herbst 1987 expandierte Ōmu Shinrikyō über die Grenzen Japans hinaus. Zunächst wurde unter dem Namen Aum USA Company Ltd. ein Büro im New Yorker Stadtteil Manhattan eröffnet; das Unternehmen registrierte sich dabei als steuerbefreite religiöse Organisation.[5] In der Folge wurden in Deutschland unter dem Namen „Buddhismus- und Yoga-Center“ eine Niederlassung in Bonn sowie in Sri Lanka weitere Dependancen eröffnet.[9] Hauptrekrutierungsfeld wurde jedoch Russland, wo Asahara 1992 mit einigen seiner Mitstreiter vom damaligen Parlamentspräsidenten Ruslan Chasbulatow empfangen wurde. Nach gängigen Schätzungen wuchs Ōmu Shinrikyō bis 1995 auf etwa 40.000 Anhänger an, von denen ca. 10.000 auf Japan und ca. 30.000 auf Russland entfielen; außerdem gab es zu diesem Zeitpunkt noch einige Dutzend Anhänger in Deutschland und den USA.[10]
Radikalisierung
In der Expansions- und Konsolidierungsphase radikalisierte sich Ōmu Shinrikyō sowohl auf der ideologischen als auch auf der Handlungsebene. Zunächst radikalisierte Ōmu Shinrikyō sich in Hinblick auf eine apokalyptische Ideologie; Asahara datierte den Weltuntergang auf 1997.[11] Im Zuge dessen begann die Organisation mit der Vorbereitung terroristischer Handlungen.
Forschungen für die Produktion biologischer Kampfstoffe wurden aufgenommen. 1994 stellte Ōmu Shinrikyō erstmals erfolgreich das Nervengas Sarin her. Ein Anschlag auf das Parlamentsviertel in Tokio im April schlug jedoch fehl. Am 27. Juni erfolgte in Matsumoto ein Sarin-Anschlag auf die Richter eines Grundstücksprozesses, in den die Organisation verwickelt war. Bei diesem ersten zivilen Sarin-Attentat der Welt starben 7 Menschen, ohne dass der Verdacht zunächst auf Ōmu Shinrikyō fiel.
Giftgasanschlag in der Tokioter U-Bahn (1995)
Die größte Zäsur in der Geschichte der Organisation ereignete sich 1995: Durch ein Attentat auf die Tokioter U-Bahn, wurde Ōmu Shinrikyō global bekannt.
Tathergang
Am 20. März 1995 wurden von fünf Ōmu-Shinrikyō-Mitgliedern zur morgendlichen Hauptverkehrszeit in fünf im Bahnhof Kasumigaseki zusammentreffenden Pendlerzügen von drei Tokioter U-Bahn-Linien in Zeitungspapier eingewickelte Kunststoffbeutel deponiert, die das Nervengift Sarin enthielten.[12] Unmittelbar vor dem Aussteigen bohrten die Täter mit Regenschirmen Löcher in die 11 verteilten Beutel, um das flüssige Sarin freizusetzen.[13] Die Attentäter entkamen zunächst mittels an ihren Aussteigestationen bereitgestellten Fluchtautos samt Fahrer.[14] Die austretenden Dämpfe verbreiteten sich in den betroffenen U-Bahnen und circa 15 U-Bahn-Stationen.[15] Durch den Anschlag starben insgesamt 12 Menschen (neun sofort, einer später am selben Tag, zwei weitere nach einigen Wochen), es gab etwa 1.000 Verletzte, 37 davon schwer (5.000 meldeten sich in Krankenhäusern).[16]
Die Gründe für die verhältnismäßig geringe Anzahl von Opfern waren die relativ schlechte Qualität des Sarin, die wenig effektive Methode der Ausbreitung und die effiziente Reaktion der japanischen Sicherheitsbehörden und Spezialisten für die Abwehr chemischer Kampfführung. So erfolgte rasch die Alarmierung und das Eintreffen der Spezialkräfte, sowie die Identifizierung und Isolierung des chemischen Kampfstoffes.[17]
Unmittelbare Folgen
Die japanische Polizei verhaftete in Folge des Attentats zahlreiche Mitglieder Ōmu Shinrikyōs. Am 23. April wurde Hideo Murai, „Wissenschafts- und Technologieminister“ Ōmu Shinrikyōs vor der Tokioter Niederlassung vor laufenden Fernsehkameras von einem 29-Jährigen erstochen.
Verurteilungen
In der Folge des Sarin-Attentats wurden zwölf Mitglieder Ōmu Shinrikyōs zum Tode verurteilt.[18] Darunter befanden sich die Attentäter, von denen Tōru Toyodas und Kenichi Hiroses Urteile mittlerweile rechtskräftig geworden sind,[19] sowie Masato Yokoyama und Yasuo Hayashi.[20] Des Weiteren wurden die Hersteller des Sarins, die beiden Forscher Seiichi Endō und Masami Tsuchiya,[21] und der Mediziner Tomomasa Nakagawa, zum Tod verurteilt.[22] Schließlich wurde Shōkō Asahara sowohl als Drahtzieher in diesem Attentat als auch bei dem Gasanschlag in Matsumoto verurteilt.[18]
Eine Reihe anderer Tatbeteiligter wurde zu geringen Strafen verurteilt.
Einige weitere Todesurteile standen nicht in direktem Zusammenhang mit dem Attentat, sondern die jeweiligen Tatumstände wurden im Zuge der Ermittlungen zu jenem erst ermittelt. Dies betrifft insbesondere den 1989 begangenen Mord an der Familie des Anti-Ōmu-Shinrikyō-Rechtsanwalts, für den drei führende Ōmu-Shinrikyō-Mitglieder zum Tode verurteilt wurden. Neben Satoru Hashimoto und Kiyohide Hayakawa, die im Juli 2000 in getrennten Verfahren verurteilt wurden,[7] betrifft dies das geständige Gründungsmitglied Kazuaki Okazaki, das nunmehr rechtskräftig am 22. Oktober 1998 ebenfalls für den Mord an einem Ōmu-Shinrikyō-Mitglied, das die Organisation verlassen wollte, verantwortlich gesprochen wurde.[23]
Nach dem Giftgasanschlag: Untergrundarbeit und Wiederaufbau (seit 1995)
Unter dem Eindruck des weltweit verurteilteten Attentats verlor Ōmu Shinrikyō die Mehrzahl seiner Mitglieder und wurde staatlicherseits streng überwacht.
Von Ōmu Shinrikyō zu Aleph
Die Organisation verlor in der Nachfolge des Attentats einen Großteil ihres Vermögens und ihrer Mitglieder.
Zum Zeitpunkt des Attentats betrug der Wert des mit Ōmu Shinrikyō verbundenen Konzerns etwa 100 Milliarden Yen, umgerechnet etwa 100 Millionen US-Dollar.[24] Ein Großteil dieses Vermögens wurde von staatlichen Stellen konfisziert. Russland fror bereits am 28. März 1995, drei Tage nach dem Attentat, sämtliche liquide Mittel der Organisation ein und konfiszierte ihr Eigentum.[25]
In Japan sank die Mitgliederzahl Ōmu Shinrikyōs von etwa 10.000 am Tag des Attentats bis auf 5.000 im Jahre 1998.[26]
Ōmu Shinrikyō sagte sich zwar im Jahr 2000 offiziell von ihrem Gründer und Gewalt los, hält nach Meinung der Journalistin Shōko Egawa allerdings weiterhin an seinen Lehren fest.[27] Tatsuko Muraoka wurde zur neuen Repräsentantin. Erst Ende 1999 bat Muraoka im Namen Ōmu Shinrikyōs öffentlich für das Giftgasattentat um Entschuldigung.[28]
Im Januar 2000 benannte sich Ōmu Shinrikyō in Aleph um. Sie steht unter ständiger Überwachung durch die Staatsbehörden und hat noch ca. 1.500 bis 2.000 Anhänger. Am 16. Februar 2004 durchsuchte die japanische Polizei bei der größten Razzia seit der Umbenennung auf Aleph elf Anwesen der Organisation; die Mitgliederzahl wurde von offizieller Seite auf 1.650 in Japan und 300 in Russland geschätzt.
2007 gründete Fumihiro Joyu eine Abspaltung von Aleph und nahm dabei etwa ein Viertel aller Aleph-Mitglieder mit.[29]
Reaktionen von staatlicher Seite
Die Reaktionen verschiedener Staaten auf das Attentat waren recht unterschiedlich und keinesfalls proportional zur tatsächlichen Betroffenheit der Staaten: Während viele Staaten die Gruppe verboten, konfiszierte Japan lediglich ihr Eigentum. Allgemein waren die Reaktionen von staatlicher Seite zunächst sehr repressiv, erlaubten aber eine Neuorientierung und den Wiederaufbau der Organisation.
Japan
In Japan entzog das Tokioter Bezirksgericht (東京地方裁判所, Tōkyō chihō saibansho) in der Folge des Attentats Ōmu Shinrikyō auf Grund von Artikel 81 des Gesetzes über die Religionsgesellschaften am 30. Oktober 1995 zunächst den Religionsstatus und konfiszierte das Eigentum des Vereins.[26][30] Diese Entscheidung wurde am 19. Dezember desselben Jahres zunächst vom Obergericht Tokio und in letzter Instanz am 31. Januar 1996 vom Obersten Gerichtshof bestätigt.[30]
Parallel zu den gerichtlichen Folgen erließ das japanische Parlament am 15. Dezember 1995 zum ersten Mal eine Novelle des Gesetzes über die Religionsgesellschaften. Die neue Fassung des Gesetzes, die in der Phase ihrer Entstehung auf massiven Widerstand sowohl von den etablierten als auch den neuen religiösen Gruppierungen in Japan stieß, sah nun unter anderem vor, das Bildungsministerium als zentralstaatliche Registrierungsinstanz einzuschalten, sobald eine Religionsgesellschaft über eine Präfektur hinaus aktiv tätig wird; strengere Untersuchungsbestimmungen in Bezug auf die finanziellen Unterlagen einer Religionsgesellschaft; erweiterte staatliche Befugnisse zur Hinterfragung und Untersuchung von Religionsgesellschaften bei Verdacht auf Verstoß gegen das Gesetz. Diese Änderungen gelten aber nicht nur als Antwort auf die Terroranschläge von Ōmu Shinrikyō, sondern auch als politisches Instrument zur Steuerung von Gruppen wie Sōka Gakkai, die zu dieser Zeit gerade im Verbund mit der Partei Shinshintō an politischer Macht gewann.[30]
1997 beschloss die „Prüfungskommission für Öffentliche Sicherheit“ (kōan shinsa iinkai), Ōmu Shinrikyō nicht auf Grundlage des Gesetzes gegen subversive Aktivitäten zu verbieten, da keine Gefahr mehr von ihr ausginge. Seizaburo Satō, Forschungsdirektor des Japanischen Instituts für Internationale Politikstudien, glaubt, dass Politiker aufgrund des hohen Wählermobilisierungspotenzials japanischer Sekten vor harscheren Maßnahmen zurückschrecken.[26]
Im Jahr 1999 verabschiedete das Parlament das „Gesetz in Bezug auf die Kontrolle von Gruppierungen, die Akte wahllosen Massenmords verübt haben“ (無差別大量殺人行為を行った団体の規制に関する法律), wegen seiner offenbaren Bezugnahme auf Ōmu Shinrikyō auch als „Neues Ōmu-Gesetz“ (オウム新法)[31] bezeichnet. Auf dessen Grundlage genehmigte die „Prüfungskommission“ im Jahr 2000 die Überwachung von Ōmu Shinrikyō, im selben Jahr in Aleph umbenannt, durch die Public Security Intelligence Agency (PSIA).[32] Die Erlaubnis zur Überwachung wurde dreimal um je drei weitere Jahre verlängert, zuletzt im Januar 2009. Die Beobachtung durch die PSIA erstreckt sich auch auf die 2007 gegründete Abspaltung Hikari no Wa.[33][34]
Im erzwungenen Insolvenzverfahren von Ōmu Shinrikyō wurden die Vermögenswerte der Organisation ab 1996 liquidiert. Sondergesetze aus den Jahren 1998[35] und 1999[36] räumten der Entschädigung der Opfer Priorität vor staatlichen Ansprüchen ein und stellten sicher, dass auch das Eigentum der Nachfolgeorganisationen von Ōmu Shinrikyō in das Verfahren einbezogen werden konnten. Das Ende des Verfahrens wurde im November 2008 verkündet: Insgesamt wurden 1,54 Milliarden Yen (rund 12 Mill. Euro) als Entschädigung ausgezahlt, das entspricht 40% der den Opfern zugesprochenen Summe von 3,8 Milliarden Yen. Ein neues Sondergesetz soll ermöglichen, den verbleibenden Betrag aus Steuermitteln bereitstellen.[37]
Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion
Russland — wie auch die Ukraine und Kasachstan — verboten die Organisation gänzlich, sie konnte aber, auch unter Rückgriff auf verschlüsselte Internetkommunikation, im Untergrund überleben.[26]
Europäische Union
Die Europäische Union führt die Organisation bis heute auf ihrer Liste Terroristischer Vereinigungen.[38]
Organisationsstruktur
Ōmu Shinrikyō besteht aus kleinen Freiwilligengruppen, die sich weitgehend von der Außenwelt abschotten.[39]
Rekrutierungspool
Wie viele neuere religiöse Bewegungen in Japan und Russland hat Ōmu Shinrikyō seine Mitglieder vornehmlich aus den neuen Mittelschichten rekrutiert, insbesondere ist die Zahl der Jungakademiker überdurchschnittlich groß.[40] Ōmu Shinrikyō rekrutierte dabei vor allem naturwissenschaftliche Studierende an den Universitäten, alle fünf Attentäter von Tokio hatten Abschlüsse von den prestigeträchtigsten Universitäten Japans.[14]
Ideologie
Ōmu Shinrikyōs eklektische Lehre bezieht sich primär auf hinduistische Yoga-Traditionen und Tibetischen Buddhismus.[41] Außerdem benutzt die apokalyptische Ideologie Elemente aus pseudowissenschaftlichen Traditionen, Nostradamus-Weissagungen, chiliastischem Christentum sowie dem Foundation-Zyklus des Science-Fiction-Schriftstellers Isaac Asimov. Die zentrale Gottheit für die Sekte ist der Hindugott Shiva, und wahre Erleuchtung ist nur innerhalb der abgeschlossenen Gemeinschaft möglich. Die „äußere Welt“ wird als korrupt und verdorben betrachtet und muss notfalls gewaltsam bekämpft werden. Einer der zentralen Punkte der Doktrin ist die kontroverse buddhistische Vorstellung von poa: Unter bestimmten Bedingungen kann demnach ein Mord sowohl das Opfer als auch den Täter der Erleuchtung näher bringen.
Rezeption
Ōmu Shinrikyō wird als ein herausragendes Beispiel charismatischer Führung betrachtet, bei dem die Gefolgschaft dem Anführer blindlings folgt; dabei entstünde eine quasi-totalitäre Gruppenstruktur.[42] Robert J. Lifton beschrieb Ōmu Shinrikyō als Beispiel für einen neuen, von nichtstaatlichen Gruppen ausgehenden internationalen Terrorismus.[43]· Durch gezielte Anwendung von Meditationstechniken wie z.B. schnelles Atmen seien die Mitglieder in einen Zustand religiöser Erregung versetzt und an die Gruppe gebunden worden. Sie hätten mit der Zeit eine „Aum-Identität“ entwickelt, zu der es gehörte, Gewaltanwendung der Gruppe nicht wahrzunehmen und mögliche, von ihrer „Nicht-Aum-Identität“ ausgehende Fragen zu unterdrücken. Von den Versuchen Asaharas, Chemie- und Nuklearwaffen zu beschaffen, hatten sie deshalb gar keine Kenntnis.[44].
Dieser Umstand, insbesondere aber der Giftgasanschlag in Tokio — im Zusammenhang mit dem Massenselbstmord Heaven’s Gates und den (Selbst-)Morden der Sonnentempler — wird als einer der wichtigsten Auslöser für das Wiedererstarken einer „Anti-Sekten-Ideologie“ in den späten 1990er Jahre gesehen, in deren Folge es zu einer Reihe von administrativen und legislativen Maßnahmen gegen nicht-etablierte religiöse Gruppierungen in mehreren europäischen Ländern, insbesondere Belgien,[45] kam.[46] Unterstützt wird diese Gesetzgebung durch Studien, die im apokalyptischen Teil des „kultischen Milieus“ eine Reihe gewaltbereiter Personen konstatieren.[47]
Auch in den Vereinigten Staaten wurde auf den Giftgasanschlag reagiert, allerdings nicht mit einer Verschärfung des Religionsrechts, stattdessen wurden Mittel für die Forschung zu Gegenmitteln gegen Biowaffen investiert, obwohl der Anschlag eigentlich gezeigt hatte, das auch mit großen finanziellen Anstrengungen terroristische Gruppen wie Ōmu Shinrikyō keine besonders effektiven Biowaffen herstellen können.[48]
Das Attentat wurde vom bekannten Schriftsteller Haruki Murakami mit einer Serie von Interviews literarisch aufgearbeitet.[49]
Quellen
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Weblinks
- Beschreibung von Ōmu Shinrikyō auf www.japanlink.de
- Homepage Alephs (englisch)
- Extensive Ōmu-Shinrikyō-Bibliographie (dänisch, pdf-Format)
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