Recep Tayyip Erdoğan

Recep Tayyip Erdoğan
Recep Tayyip Erdoğan (2008)

Recep Tayyip Erdoğan [ˈrɛdʒɛp ˈtɑːjip ˈɛrdɔːɑn] (* 26. Februar 1954 in Kasımpaşa, Istanbul) ist ein türkischer Politiker. Er ist derzeit Vorsitzender der Adalet ve Kalkınma Partisi (AKP) und seit dem 11. März 2003 Ministerpräsident mit dem dritten Kabinett Erdoğan. Von 1994 bis 1998 war er Oberbürgermeister von Istanbul.

Inhaltsverzeichnis

Herkunft, Ausbildung und Familie

Erdoğan entstammt einer Familie aus Rize im Nordosten der Türkei, die sich im Großraum Istanbuls niederließ. Der Vater war Seemann und arbeitete als Küstenschiffer. Er nannte den Sohn nach seinem Geburtsmonat Recep, dem siebten Monat des islamischen Kalenders, und gab ihm mit Tayyip als zweiten Vornamen den Namen des Großvaters. Erdoğan wurde im alten Istanbuler Hafenviertel Kasımpaşa geboren und wuchs mit drei Brüdern und einer Schwester dort und in Rize auf.

Nach der Grundschule nahe der Piyale-Paşa-Moschee besuchte Erdoğan das İmam-Hatip-Gymnasium, eines der religiös orientierten Gymnasien in der Türkei.[1] Anschließend studierte er Wirtschaftswissenschaften an der Istanbuler Marmara-Universität.

Erdoğan ist seit dem 4. Juli 1978 mit Emine verheiratet; das Paar hat zwei Söhne, Ahmet Burak und Necmeddin Bilal, und zwei Töchter, Esra und Sümeyye. Sowohl die Ehefrau als auch die beiden Töchter tragen Kopftuch. Da das Kopftuch in der laizistisch geprägten Türkei als religiöses Symbol in öffentlichen Einrichtungen untersagt ist, erhält Erdoğan zu Staatsempfängen wann immer möglich nur eine Einladung für eine Person. Die Töchter studieren in den USA.[2]

Parteiämter

1970 wurde Erdoğan für den Bezirk Beyoğlu zum Vorsitzenden der Jugendorganisation von Erbakans Milli Nizam Partisi (MNP) gewählt. Die Partei wurde jedoch bereits 1971 durch einen Eingriff des Militärs verboten.[3] Bereits am 11. Oktober 1972 gründete Erbakan die Nationale Heilspartei (MSP), die dem Spektrum der religiös-konservativen Rechten zugeordnet wird[4] und bis Ende der 1970er Jahre an drei Koalitionsregierungen beteiligt war. Erdoğan schloss sich auch dieser Partei an, bei der er als Funktionär eine zunächst bescheidene Karriere machte und ansonsten in kleineren privaten Betrieben arbeitete.

1984 rückte er in den Vorstand der inzwischen gegründeten Nachfolgepartei, der Wohlfahrtspartei (RP), auf und wurde stellvertretender Vorsitzender. Danach gehörte er der nächsten Nachfolgepartei, der Fazilet Partisi, bis zu seinem Austritt 1998 an. 2001 gründete er mit anderen ehemaligen Mitgliedern der Wohlfahrtspartei die AKP.

Bürgermeister von Istanbul

Die Wohlfahrtspartei nominierte Erdoğan 1994 gegen den Willen Erbakans als Kandidaten für das Amt des Oberbürgermeisters von Istanbul. Er gewann überraschend die Wahl. In der frühen Phase seiner Amtszeit verfolgte er eine konservative Politik, die der Ausrichtung seiner im religiös-konservativen Milieu verhafteten Wählerschaft entsprach. So wird seit seiner Amtszeit in städtischen Lokalen kein Alkohol mehr ausgeschenkt (in der privaten Gastronomie ist dies jedoch weiterhin möglich). In seine Zeit als Bürgermeister fällt eine viel zitierte Aussage Erdoğans bei einer Pressekonferenz: Laizistisch und gleichzeitig ein Moslem zu sein, sei nicht möglich (Hem laik hem Müslüman olunmaz). In einem Interview mit der Zeitung Milliyet bezeichnete er sich als Anhänger der Scharia.[5]

Weitere (teils erfolglose) religiöse Vorhaben betrafen die Einführung gesonderter Badezonen für Frauen oder getrennter Schulbusse für Jungen und Mädchen. Darüber hinaus erwarb er sich mit einer pragmatischen Kommunalpolitik Ansehen bei der Bevölkerung. Zu den erfolgreichen kommunalpolitischen Initiativen gehörten die Modernisierung der Infrastruktur (z. B. die Instandhaltung der Strom- und Wasserleitungen) und die Verbesserung öffentlicher Dienste, wie beispielsweise der städtischen Entsorgungsdienste.

Seine außenpolitische Einstellung zum EU-Beitritt während seiner Zeit als Bürgermeister unterscheidet sich deutlich von seiner späteren Politik als Ministerpräsident. 1994 äußerte er sich gegen einen Beitritt zur EU. Dazu beschrieb er die EU als eine Vereinigung der Christen, in der die Türken nichts zu suchen haben.[6]

Verurteilung durch das türkische Verfassungsgericht

Im Januar 1998 verbot das türkische Verfassungsgericht die Wohlfahrtspartei. Ihr wurden Sympathien zum Dschihad und zur Einführung der Scharia vorgeworfen, was dem staatlichen Grundprinzip des Laizismus widerspricht.

Der Gründer der Wohlfahrtspartei, Necmettin Erbakan, wurde mit einem fünfjährigen Verbot politischer Betätigung belegt. Erdoğan wechselte daraufhin in die Nachfolgepartei Tugendpartei, in die fast alle Abgeordneten der bisherigen Wohlfahrtspartei übertraten und für deren Vorsitz er als ernsthafter Kandidat galt, den letztlich aber Recai Kutan übernahm.

Zwischen Erbakan und seinen Anhängern und Parteifreunden, so auch Erdoğan, und dem türkischen Militär besteht ein tiefes gegenseitiges Misstrauen. Die türkische Armee hat in der Vergangenheit mehrmals per Putsch – 1960, 1971 und 1980 – in die politischen Entwicklungen des Landes eingegriffen. Sie sieht sich als Hüterin der laizistischen Ordnung und als Wahrerin der Prinzipien von Staatsgründer Kemal Atatürk, die eine strikte Trennung von Religion und Staat vorsehen, währenddessen Erdoğan sich gegen jedwede Einmischung in politische Angelegenheiten verwahrt und klar stellt, dass „der Generalstab der Befehlsgewalt des Ministerpräsidenten“ unterstehe.

Im April 1998 wurde Erdoğan vom Staatssicherheitsgericht Diyarbakır wegen Missbrauchs der Grundrechte und -freiheiten gemäß Artikel 14 der türkischen Verfassung nach Artikel 312/2 des damaligen türkischen Strafgesetzbuches (Aufstachelung zur Feindschaft auf Grund von Klasse, Rasse, Religion, Sekte oder regionalen Unterschieden) zu zehn Monaten Gefängnis und lebenslangem Politikverbot verurteilt. Anlass war eine Rede bei einer Konferenz in der ostanatolischen Stadt Siirt, in der er aus einem religiösen Gedicht, das Ziya Gökalp zugeschrieben wurde, zitiert hatte: Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind. Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten.[7][8]

Am 24. Juli 1999 wurde Erdoğan aus der Haft entlassen. Manche Beobachter sind der Ansicht, er habe sich seinerzeit von seinem politischen Ziehvater Erbakan gelöst.[9] Während seiner Haftzeit habe er erkannt, dass der radikale Islamismus keine Zukunft habe, und er habe sich der Demokratie zugewandt, sagt Erdoğan heute. Beobachter, auch jene, die nicht zu seinen Anhängern zählen, halten diese Aussage für plausibel. So weist der Chefredakteur der kemalistisch orientierten Zeitung Hürriyet, Ertuğrul Özkök, darauf hin, dass viele Politiker in ihrer Jugend radikal waren und sich mit der Zeit gemäßigt hätten. Ein Diplomat in Ankara verglich Erdoğans islamistische Vergangenheit mit den Steinwürfen des jungen Joschka Fischer.[10] Kritiker werfen Erdoğan und seiner AKP dagegen vor, sie wollten die „Herrschaft des Islam“ in der Türkei durchsetzen.[11]

Als die Tugendpartei am 22. Juni 2001 aus den gleichen Gründen wie ihre Vorgängerin verboten wurde, sammelte Erdoğan demokratische Reformkräfte unter den Religiösen und gründete wenig später die AKP, die sich von den politischen Überzeugungen Erbakans deutlich absetzte.

Parlamentswahlen 2002

Recep Tayyip Erdoğan im Weißen Haus zwischen Colin Powell (links) und George W. Bush (rechts), 10. Dezember 2002

Bei den Parlamentswahlen 2002 errang er mit seiner AKP einen überragenden Wahlsieg, konnte allerdings aufgrund des bestehenden Politikverbots das Ministerpräsidentenamt nicht übernehmen, da nach damaliger Rechtslage nur ein Parlamentsabgeordneter zum Ministerpräsidenten gewählt werden durfte. Statt dessen wurde sein Stellvertreter Abdullah Gül Ministerpräsident. Erst nach einer Verfassungsänderung, die sein Politikverbot aufhob, wurde Erdoğan am 12. März 2003 Ministerpräsident der Türkei. Gül war bis zu seiner Wahl zum Präsidenten sein Stellvertreter und Außenminister.

Seither hat das Parlament weitgehende Reformen zur Demokratisierung des Landes verabschiedet. Die Todesstrafe wurde abgeschafft, die Meinungsfreiheit wurde erweitert, der Kampf gegen die Folter verstärkt. Die Lage der Kurden wurde durch die Zulassung kurdischer Sprachkurse und TV-Programme verbessert. Auch betreibt Erdoğan eine Annäherung an Armenien. Er lud die armenische Regierung ein, eine aus türkischen und armenischen Wissenschaftlern bestehende Historikerkommission zur Aufarbeitung des Völkermords an den Armeniern zu gründen, der in der Türkei immer noch bestritten wird.[12][13]

Außenpolitisch verfolgt Erdoğan die weitere Annäherung der Türkei an die EU mit dem Ziel eines baldigen Beitritts, was im deutlichen Gegensatz zu seinen früheren Positionen steht. Unter seiner Führung wurde jedoch auch das Verhältnis der Türkei zu ihren östlichen Nachbarn deutlich verbessert. Die Beziehungen beispielsweise zu Syrien und zum Iran gelten derzeit als die besten seit Jahrzehnten.

Parlamentswahlen 2007

Die AKP erreichte unter Erdoğans Führung bei der Parlamentswahl 2007 46,58 Prozent der Stimmen und damit die absolute Mehrheit im Parlament.[14] Als wesentliche Ziele seiner Politik in der nächsten Legislaturperiode nannte Erdogan, wirtschaftliche und demokratische Reformen weiter vorantreiben zu wollen, um den Lebensstandard des Volkes anzuheben und Kontinuität in der Außenpolitik zu wahren.[15] Seit dem 29. August 2007 führt er das zweite Kabinett Erdoğan an.

Parlamentswahlen 2011

Bei der Parlamentswahl 2011 erzielte die AKP unter Erdoğan 49,84 Prozent und damit 327 Sitze in der Nationalversammlung, verfehlte aber die angestrebte Zweidrittelmehrheit, die notwendig gewesen wäre, um ohne andere Parteien und Volksbefragungen die Verfassung ändern zu können.[16] Trotz einer Steigerung um 3,26 Prozent entfallen auf die AKP aufgrund einer Änderung der Einteilung der Wahlbezirke weniger Sitze im Parlament als bei den Wahlen im Jahr 2007 (2007: 341 Sitze).

Politische Haltung zur türkischen Diaspora

Eines der wesentlichen Merkmale von Erdoğans Politik ist die Erhaltung der Verbundenheit zur türkischen Diaspora (insbesondere in Europa). Erdoğan befürwortet eine Integration türkischer Migranten in Gesellschaft und Kultur des Aufnahmelandes, lehnt jedoch eine Assimilation ab. Diese Haltung machte er bei seinem Deutschland-Besuch im Februar 2008 deutlich. Dort bezeichnete Erdoğan die Assimilation türkischer Einwanderer in Deutschland als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, warb aber für deren Integration, unter anderem durch Erlernen der deutschen Sprache: „Wenn Sie die Sprache des jeweiligen Landes nicht beherrschen, nicht lernen, so fallen Sie unweigerlich in eine Situation der Benachteiligung.“[17] Kurz zuvor hatte Erdoğan bereits in einer Diskussionsrunde mit Kanzlerin Merkel die Schaffung türkischer Schulen und Universitäten in Deutschland angeregt, da derartige deutsche Einrichtungen in der Türkei bereits existierten.[18]

Die Aussagen Erdoğans lösten eine heftige Kontroverse in Deutschland aus, nachdem Erdoğans Rede auf der Trauerfeier für die Opfer der Brandkatastrophe von Ludwigshafen noch als sehr positiv wahrgenommen worden war. Als diese Vorschläge bei Bundeskanzlerin Merkel auf Ablehnung stießen, verschärfte Erdoğan im Jahr 2010 seine Rhetorik: „Warum dieser Hass gegen die Türkei? Ich verstehe es nicht. Das hätte ich von der Bundeskanzlerin Merkel nicht erwartet. Ist die Türkei ein Prügelknabe?“ Rückendeckung erhielt Erdoğan in dieser Frage im eigenen Land. Oppositionsführer Deniz Baykal sagte aus Verärgerung über die Haltung der Kanzlerin ein gemeinsames Treffen ab.[19]

Erdoğan versucht außerdem Beziehungen zu türkischstämmigen Politikern in europäischen Ländern aufzubauen. Im Februar 2010 lud er türkischstämmige Politiker aus mehreren europäischen Ländern nach Istanbul ein. Zahlreiche Parlamentarier folgten seiner Einladung. Einige deutsche Abgeordnete schlugen die Einladung mit dem Hinweis auf die fragliche Neutralität der Veranstaltung aus (so z. B. die Parlamentarier Sevim Dağdelen, Memet Kılıç und Özcan Mutlu). Während der Veranstaltung forderte Erdoğan die Politiker Medienberichten zufolge eindringlich dazu auf, die politischen Interessen der Türkei in den verschiedenen europäischen Ländern aktiv zu vertreten. Politische Einflussnahme im Sinne der Türkei sei durch den Erwerb der Staatsbürgerschaft des Gastlandes zu erreichen. In einer Rede wiederholte der türkische Premier den umstrittenen Satz aus seiner Rede in Köln 2008: „Assimilation ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“.[20] Laut Recherchen der Zeitung Welt Online war die Veranstaltung entgegen Erdoğans üblichen Auftritten vor der Öffentlichkeit geheim gehalten worden, was zu Verstimmungen in diplomatischen Kreisen führte.[21]

Im Februar 2011 forderte Erdoğan Türken in Deutschland in einer Rede in Düsseldorf dazu auf, ihre Kinder zunächst die türkische und erst danach die deutsche Sprache erlernen zu lassen. Diese Forderung stieß bei deutschen Politikern auf Widerspruch, da das frühe Erlernen der deutschen Sprache Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Integration sei. Die Vorsitzende der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, Renate Künast, formulierte die Kritik an Erdoğans Rede mit den Worten: „Ministerpräsident Erdoğan hat Tausenden von türkischstämmigen Kindern, deren Bildungserfolg über die deutsche Sprache führt, keinen Gefallen getan.“[22]

Eklat beim Weltwirtschaftsforum in Davos

Beim Weltwirtschaftsforum 2009 in Davos (Schweiz) kam es während einer Podiumsdiskussion zu einem Eklat. Israels Präsident Shimon Perez verteidigte das Vorgehen seines Staates im Gazastreifen und fragte Erdoğan, wie er auf einen fortlaufenden Raketenbeschuss Istanbuls reagiert hätte. Als der Moderator aus „Zeitmangel“ Erdoğan nicht mehr zu Wort kommen lassen wollte, reagierte Erdoğan verärgert und rief: „One Minute! One Minute!“ Daraufhin gab ihm der Moderator das Wort. Erdoğan kritisierte Israels umstrittenes Vorgehen gegen die palästinensische Bevölkerung und warf der israelischen Regierung vor, bewusst unschuldige Zivilisten und Kinder getötet zu haben. Währenddessen versuchte der Moderator immer wieder, Erdoğans Rede zu beenden. Erdoğan verwies auf die ungerechte Verteilung der Redezeiten und verließ das Rednerpodium, auf dem sich neben Schimon Peres auch der Generalsekretär der Vereinten Nationen Ban Ki Moon und der Generalsekretär der Arabischen Liga Amr Mussa befanden.[23][24]

Einstellung zum Völkermord an Armeniern

Die Anerkennung des Völkermords an den Armeniern wird wie schon unter Vorgängerregierungen unter der Regierung Erdoğan durch Anwendung des international kritisierten Artikels 301 des türkischen Strafgesetzbuchs unterdrückt.[25] Das Kabinett Erdoğan ließ 2008 die Strafverfolgung mit Hilfe dieses Paragraphen unter Einwilligungsvorbehalt des Justizministers stellen. Nach Erdoğans Auffassung hat es in der Epoche des Osmanischen Reiches keinen Genozid gegeben. Er hält im Gegenteil Armeniern vor, Türken unterdrückt, misshandelt und getötet zu haben.[26]

Anfang des Jahres 2011 wurde von Erdoğan der Abriss des weitgehend fertiggestellten und zur Versöhnung zwischen Türken und Armeniern aufrufenden Denkmals İnsanlık Abidesi (deutsch: Denkmal der Menschlichkeit) des türkischen Bildhauers Mehmet Aksoy gefordert.[27][28][29] Auf Erdoğans Anordnung wurde Ende April 2011 mit dem Abriss des Kunstwerks begonnen.[30] Der Künstler Mehmet Aksoy verglich die Aktion mit der Zerstörung der Buddha-Statuen von Bamiyan durch die Taliban. Aksoy, Einwohner von Kars und andere Künstler kündigten Proteste an.[31] Die Zerstörung der zur Versöhnung aufrufenden Skulptur stieß inner- und außerhalb der Türkei auf heftige Kritik.[32]

Außenpolitische Positionen

Erdoğan führte während seiner Regierungszeit grundsätzlich die traditionell prowestliche und proeuropäische Politik früherer türkischer Regierungen fort. In seine Amtszeit fällt die offizielle Eröffnung der Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union. Jedoch ist Erdoğans Regierungskurs nicht bedingungslos proeuropäisch. So gerieten die Beitrittsverhandlungen in den Jahren 2009 und 2010 zunehmend ins Stocken, weil die türkische Regierung sich weigert, türkische Häfen für zypriotische Schiffe zu öffnen.

Im Gegensatz zu seinen Vorgängern misst Erdoğan guten Beziehungen zu den östlichen Nachbarn der Türkei erhebliches Gewicht bei. In seiner Regierungszeit kam es zu einer wesentlichen Aufwertung der Beziehungen zu Syrien und zum Iran.

Erdoğan moniert, der Iran werde im Streit um das iranische Atomprogramm vom Westen ungerecht behandelt. Wer selber über Atomwaffen verfüge, könne nicht das Nuklearprogramm Teherans kritisieren.[33] Mahmud Ahmadinedschad sei „ohne Zweifel unser Freund”.[34]

Die Palästinenserbewegung Hamas aus dem Gazastreifen wird von Erdoğan nicht als Terrorgruppe eingestuft.[35]

Ebenso verteidigte Erdoğan den sudanesischen Staatschef al-Baschir, gegen den der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag einen Haftbefehl wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen im anhaltenden Darfur-Konflikt erlassen hatte, mit den Worten: „Ein Muslim kann keinen Völkermord begehen“.[36]

Eine kritische Haltung nimmt Erdoğan zu Israel ein. Wegen ihres Vorgehens gegen die Gaza-Hilfsflotte bezichtigte Erdoğan die israelische Regierung des „inhumanen Staatsterrorismus“ und der Verletzung internationalen Rechts.[37]

Auseinandersetzung mit den türkischen Medien

Im Zusammenhang mit Medienberichten über einen Geldspendenmissbrauchs-Prozess gegen den der AKP nahe stehenden Verein Deniz Feneri versuchte Erdoğan Medienberichten zufolge, durch Drohungen die Presse einzuschüchtern und vor weiterer kritischer Berichterstattung abzuschrecken. Daraufhin schrieben Gavin O’Reilly, Vorsitzender der World Association of Newspapers, und Xavier Vidal-Folch, Vorstand des WEF (Weltforum der Chefredakteure), einen gemeinsamen Brief, in dem sie Erdoğan aufforderten, die Pressefreiheit zu schützen und von Einschüchterungsversuchen Abstand zu nehmen. Laut einem Zeitungsartikel der FAZ vom 17. September 2008 mahnte die Parlamentarische Versammlung des Europarates, dass die Pressefreiheit durch Erdoğans Drohungen in Gefahr sei.[38] Auf dem Press Freedom Index lag die Türkei in der Erhebung für 2010 auf dem 138. Platz von 176 untersuchten Ländern. Der Weltspiegel des öffentlich-rechtlichen Senders Das Erste der ARD berichtete in einer Sendung am 10. April 2011 von Einschüchterungen und Verhaftungen kritischer Journalisten in der Türkei.[39]

Im April 2011 wurde Erdoğan vor das Europäische Parlament geladen, um sich zu demokratischen Defiziten und zunehmender Einschränkung der Pressefreiheit in der Türkei zu äußern.[40]

Im Juni 2011 führten von Erdoğan unterstützte Einschränkungen des Internetzugangs (Filterung von Inhalten) zu heftigen Protesten innerhalb der Türkei. Im Index für Pressefreiheit der Organisation Reporter ohne Grenzen sank das Land auf Platz 138. Der britische EU-Abgeordnete Richard Howitt stellte fest, dass der Kampf der Regierung Erdoğan gegen das Internet die Türkei diskreditiere und das Land auf eine Stufe mit Ländern wie China und Iran stelle. Es sei Zeit für Europa, klare Worte zu finden.[41]

Auszeichnungen

Weitere Quellen

Weblinks

 Commons: Recep Tayyip Erdoğan – Album mit Bildern und/oder Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Gotthard Jaschke: Die heutige Lage des Islams in der Türkei“. In: Die Welt des Islams, New Ser., Vol. 6, Issue 3/4 (1961), Seiten 185–202.
  2. Erdoğans Töchter studieren in den USA. In: Spiegel Online – unispiegel
  3. NRW Innenministerium, Verfassungsschutz
  4. Dossier des Ministerium für Inneres und Kommunales (NRW) über Necmettin Erbakan abgerufen 23. Dezember 2010
  5. Das System von Recep Tayip Erdogan. In: Die Welt, 20. Juli 2007
  6. Erdoğan: Millet isterse laiklik tabii ki gidecek. In: Hürriyet, 21. August 2001; abgerufen am 12. Januar 2009 (türkisch)
  7. Dietrich Alexander: Reformer oder Wolf im Schafspelz? In: Die Welt, 22. September 2004
  8. Der Islamist als Modernisierer. In: Die Welt, 5. Mai 2007
  9. Thomas Seibert: Wer ist Recep Tayyip Erdoğan? In: Tagesspiegel, 26. September 2004
  10. Thomas Seibert, a.a.O.
  11. Für ein Verbot der AKP ist es zu spät. In: Die Welt
  12. Das Ende des kalten Schweigens. In: Die Zeit, Nr. 17/2005
  13. Ankara to renew diplomatic action on Armenia In: Today’s Zaman, abgerufen am 14. April 2007
  14. Infografik: Vorläufiges Endergebnis In: Der Standard online, abgerufen am 23. Juli 2007
  15. Türkei: Erdogan bekräftigt nach Wahlsieg Europakurs.. In: Die Presse, abgerufen am 23. Juli 2007
  16. Bisher größter Wahlsieg für AKP: Erdogan sucht Bündnis bei n-tv.de, 13. Juni 2011 (aufgerufen am 13. Juni 2011).
  17. Dokumentation: Das sagte Ministerpräsident Erdogan in Köln. In: Die Welt
  18. Assimilation und Universitäten. Gedanken zu einigen Äußerungen des türkischen Ministerpräsidenten bei seinem Besuch in Deutschland. In: Istanbulpost, 21. Februar 2008
  19. Erdogan wirft Merkel Hass gegen die Türkei vor. In: Spiegel Online, 29. März 2010
  20. Anna Reimann, Katrin Elger: Aufregung um Treffen in Istanbul – Erdogan umgarnt deutsch-türkische Politiker. In: Spiegel Online, 17. März 2010
  21. Boris Kálnoky: Diplomatische Verwunderung – „Euro-Türken-Konferenz“. In: Welt Online, 25. März 2010.
  22. Erdogan legt nach – deutsche Politiker erzürnt. In: Berliner Morgenpost
  23. nachrichten.t-online.de Davos-Eklat 2009
  24. Gaza-Eklat in Davos – Erdogan stürmt vom Podium. In: Spiegel Online, abgerufen 23. Dezember 2010
  25. Europarat fordert Reform des „Türkentum“-Paragrafen. In: Der Standard, 26. Januar 2007
  26. Opposition Leader Urges Armenians To Leave Turkey. Radio Free Europe/Radio Liberty, 19. März 2010
  27. Debate in Turkey over Armenia friendship monument
  28. Streit um Armenisch-Türkisches Denkmal
  29. Rückschau: Streit in der Türkei
  30. Mit der Abrissbirne gegen Versöhnung FAZ.net, abgerufen am 25. April 2011
  31. Denkmal der Menschlichkeit muss weichen. Deutsch-Türkische-Nachrichten, abgerufen am 25. April 2011.
  32. Mahnen? Versöhnen? Dynamit! In: Spiegel Online, 23. April 2011, abgerufen am 25. April 2011.
  33. Erdogan verteidigt Iran. In: Süddeutsche Zeitung, 26. Oktober 2009
  34. Erdogan: “unser Freund Achmadinedschad”. In: Die Zeit blog, 26. Oktober 2009
  35. Erdogan: Hamas keine Terrorgruppe. Deutschlandfunk, 4. Juni 2010
  36. Al-Baschir sagt Türkei-Reise nach Kritik ab. In: Süddeutsche Zeitung, 8. November 2009
  37. Erdoğan wirft Israel Staatsterrorismus vor. In: Die Zeit Online, 31. Mai 2010
  38. Haftstrafe für türkischen Spendensammler. In: FAZ, abgerufen am 17. September 2008.
  39. Kampf um die Pressefreiheit. In: ardmediathek.de, abgerufen 14. April 2011.
  40. Erdogan nach Straßburg geladen Welt Online, 12. April 2011, abgerufen am 15. April 2011.
  41. Online-Filter in der Türkei: Erdogan plant das Web 0.0. In: Spiegel Online, 24. Juni 2011, abgerufen am 24. Juni 2011.
  42. Başbakan Recep Tayyip Erdoğan, 'Avrupa Kurumlar Ödülü'nü almak üzere yarın İtalya'ya gidecek., CNNTÜRK, abgerufen 26. März 2008
  43. YEAR OF THE MEDITERRANEAN, Seite 6 (PDF) EUROMED, abgerufen 26. März 2008
  44. Erdoğan'a fahri doktora unvanı verildi, CNNTÜRK, abgerufen 25. März 2008
  45. nation.com.pk
  46. Michael Thumann: Der zornige Volkstribun. In: Die Zeit online, 13. Februar 2009, abgerufen 30. März 2009
  47. radikal.com.tr
  48. bloomberg.com
  49. turkishweekly.net

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